Durch Krieg und Vertreibung getrennte Familien suchen ihr Kind
Vor vielen Jahren war ich in Bonn im Haus der Geschichte und stand vor Karteikästen und Suchplakaten. Das ist mir in Erinnerung geblieben. In einem meiner letzten Bücher konnten ein im Hamburger Feuersturm vermisster Sohn mit dem aus dem Krieg zurückgekehrten und um seine Familie trauernden Vater zusammengeführt werden. Nun wurde gerade dieser Roman zur Arbeit des Hamburger Kindersuchdienstes veröffentlicht. Da mich das Geschehen vor, während und nach dem Zweiten Weltkrieg generell sehr interessiert, habe ich nach der gelungenen Leseprobe gern zu dieser Lektüre gegriffen.
Von Antonia Blum hatte ich zuvor nichts gelesen – so war dieser Roman auch in dieser Hinsicht eine weitere neue Begegnung, die geglückt ist.
Zwei Frauen, Anfang 20, sind die Protagonistinnen der Geschichte: Annegret und Charlotte sind Suchdienstmitarbeiterinnen in Hamburg. Beide haben ihre pers. Geheimnisse: Die ledige Annegret verschweigt, dass sie den siebenjährigen Sohn Oskar hat. Auch hat sie Probleme aus Buchstaben Wörter zu bilden, Lesen und Schreiben fällt ihr schwer. Charlotte stammt aus einer bekannten Reederfamilie und hat die elterliche Villa nach einer großen Enttäuschung wütend verlassen. Sie ist somit mittellos, gibt sich als Waise mit sehr guter Tippgeschwindigkeit an der Schreibmaschine aus, um den Arbeitsplatz zu bekommen.
So unterschiedlich die Frauen sind, ihr Antrieb ist groß, vermisste Kinder und suchende Eltern wieder miteinander zu vereinigen. Während der Lektüre stellt man schnell fest, alle Beteiligten mussten viel Geduld haben und stießen schnell auf Hürden.
Kinder wussten manchmal nicht ihren vollständigen Namen oder die Schreibweise und auch Herkunftsort war unbekannt. Waren sie noch kleiner, tragen sie nun einen neuen Namen? Stammt das geliebte Spielzeug des Kindes, an welches es sich klammert, noch aus der Zeit mit den Eltern? Es gibt manchmal Plakate mit Fotos, um die Suche voranzubringen und so melden sich auch bewusst Eltern für Suchkinder, die sich vielleicht eine Geschichte überlegen, um damit eine Familie zu gründen. Wie will man anhand von aktuellen Fotos nach Jahren sein Kind wiedererkennen? Dann gibt es Kinder in Pflegefamilien, die wirklich sicher gehen wollen, dass sie keine Verwandtschaft haben oder es kommen Erinnerungen an das „davor“, die sich nicht zuordnen lassen. Vermeintlich unlösbare Fälle lassen sich vielleicht auch doch noch zuordnen.
Die Suchdiensthelfer benötigen viel Geduld, Genauigkeit Fingerspitzengefühl und emotionale Balance, um jeden Tag den alten und neuen Herausforderungen zu stellen. Es gab damals zwei Standorte für Suchkarteien: Hamburg und München, jede erfolgreiche Zusammenführung ist wahrlich ein Wunder, doch gelingt es auch zu einer Familie wieder zusammen zu wachsen? Jahre des Aufwachsens fehlen, andere Bezugspersonen haben die Entwicklung geprägt. Wir Leser sind manchmal auch einen Schritt weiter, die Suchfälle zusammen zu bringen.
Die finanzielle Unterstützung des Suchdienstes steht auch immer wieder auf der Kippe. 10 Jahre nach dem Krieg gibt es vielfältigen Bedarf für Förderungen und wer nicht persönlich betroffen ist, jemanden zu suchen oder es aus seinem Umfeld mitbekommt, meint vorschnell, jetzt könnte es doch keine erfolgreichen Zusammenführungen mehr geben. Die Suche ist personal- und zeitaufwändig.
Gefallen hat mir auch der Bezug zu Adenauers Kanzlerschaft und Familienleben, insbes. weil ich im letzten Jahr das Buch „Gussie“ zu seiner zweiten Ehefrau Auguste gelesen habe.
Der Roman besteht aus vielen Kapiteln, er liest sich flüssig und die Geschichte wird spannend erzählt. Ich habe mich durch diesen Roman mit der bisher unbekannten Arbeit des Kindersuchdienstes beschäftigt. Mir hat er gut gefallen.
Ich freue mich auf die Fortsetzung, die in einem Jahr zur Zeit der Hamburger Sturmflut spielen wird. Hier wird bestimmt der Lotse in der Katastrophe, Helmut Schmid, seinen Auftritt erhalten. Ich bin gespannt.