Beiträge von Oliver Uschmann

    Der Plot


    Der junge, kluge, aber entscheidungsschwache Daniel bekommt eines Tages die Aufgabe, auf eine merkwürdige Frau namens Susann Windgassen aufzupassen. Sie spricht nicht mehr und hat sich nach einem Unfall tief in die innere Emigration zurückgezogen, aus welcher ihr Ehemann sie nicht mehr herausholen kann. Er sucht per Zeitungsannonce einen Begleiter für seine Gattin, um sie an den einzigen Ort auszuführen, der in ihrem Gesicht einen Hauch von Restwärme und Lebensfreude auszulösen vermag: Das Delfinarium im Zoo. Daniel reagierte auf diese Annonce, da er sich von seiner hyperaktiven, umweltaktivistischen Freundin ohnehin gerade entfremdet und in der schweigenden, rätselhaften Susann einen für ihn faszinierenden Gegenpol findet. Er kommt ihr so nahe, dass er sogar mit ihr schläft, was Weins allerdings als freudlos-mechanische Angelegenheit beschreibt, während die seelische Intimität zwischen den Beiden das Entscheidende ist. Daniel - der sich zu Anfang des Auftrags als Martin ausgibt und diesen Fehler schlichtweg nie mehr korrigiert - lebt irgendwann bei und mit Susann, während ihr Mann auf Reisen ist, als plötzlich ein Fremder vor der Tür steht und behauptet, er sei der Mann von Susann, deren eigentlicher Name Marie lautet. Susann/Marie lässt ohnehin alles mit sich geschehen und so ist es nun an Daniel/Martin, das Rätsel zu lüften.


    Die Meinung


    Michael Weins entstammt der Hamburger Lesebühnenszene, war Mitbegründer des Vereins Macht e.V. und Miterfinder des heute fast vergessenen "Hamburger Dogma", das in Anlehnung an die Reduktions-Stilistiken der dänischen Dogma-Gruppe aus dem Filmbereich danach strebte, die deutsche Literatursprache radikal zu entschlacken.


    Weins schreibt wie kein zweiter in diesem Land; präzise und minimalistisch, genau und rätselhaft zugleich. In "Delfinarium" bleibt das Geheimnis ungelüftet wie bei David Lynch, Paul Auster oder Franz Kafka. Eine realistische, stimmungsvolle Kulisse des Alten Lands um Hamburg wird zum Schauplatz einer Geschichte, die das Numinose mit dem Konkreten, das Humoristische mit dem Melenacholischen und das Alltägliche mit dem Gleichnishaften verbindet. Weins - der hauptberuflich als Psychologe arbeitet - ist ein sensibler Beobachter seelischer Abgründe und zwischenmenschlicher Interaktion und setzt seine Handlungen in eine Sprache um, die so wenig wie möglich und nur so viel wie nötig macht. Dabei flechtet er einen einzigartigen Humor in seinen Aufbau; Pointen großer Menschenkenntnis und Tragikkomik, die ihresgleichen sucht.


    Langsam driftet das Buch ins Absurde und schichtet Stufe für Stufe Interpretationsmöglichkeiten auf, während es ohne jede Effektschreiberei und ohne auch nur ansatzweise ein Krimi zu sein, Spannung entfaltet.


    Der Philosoph Gilles Deleuze beschrieb den ultrapräzisen Surrealismus Franz Kafkas als "kleine Literatur", die den Sinn stetig wie ein Seifenstück im wahrsten Sinne des Wortes "un-fassbar" vor einem herspringen lässt. Wer Kafka liebte, hat diese Jagd bis heute niemals beendet, selbst wenn die Seife weiter flutscht.


    Was beim Erzählband "Feucht" in vollem Umfang und bei Weins Rowohlt-Roman "Goldener Reiter" mit Abstrichen galt, wird bei der Lektüre dieses wunderschön aufgemachten Hardcovers aus dem Mairisch-Verlag endgültig Gewissheit: Dieser Geheimtippautor trägt das Erbe eines Kafkas oder eines Robert Walsers - größtmögliche Genauigkeit bei seltsamstem Nebel - würdevoll in die Gegenwart.

    Hallo Maikäfer und alle zusammen!


    Eure zwei Abschlussfragen lauteten, wie ich selbst mit betrunkenen oder nicht betrunkenen Schlägern umgehe und was ich im Umgang mit Aggressionen und Anmachen empfehle sowie ob es alternative Enden gab, da einige sich mit dem Ausgang des Romans nicht ganz anfreunden können. Bevor morgen hier schon eine neue Leserunde startet, möchte ich beides beantworten:


    UMGANG MIT AGGRESSOREN
    Ob trunken vom Alkohol oder trunken von zorniger Selbstherrlichkeit oder beides zusammen - ich denke, dass es in solchen Krisensituationen nur eine Wahl gibt. Absolute Konsequenz. Das heißt entweder: Konsequente Flucht oder konsequenten Angriff. Auf Umstehende kann man sich niemals verlassen, ob direkte Anrede oder nicht. Um auf die Polizei zu warten, hat man keine Zeit. Ganz selten, auf Großfeiern mit vielen Menschen, funktioniert es, keine Angriffsfläche zu bieten, indem man so tut, als sei man so voller Alkohol und Drogen, dass man die Anmache gar nicht mitbekommen hat. Auf offener Straße wie im Roman am Brunnen vor dem Kaufhaus helfen eben nur 100% Flucht oder 100% Attacke.


    Letztere reicht meistens schon verbal, denn wenn man ordentlich losbrüllt und all seinen Zorn auf diese übergriffigen Idioten in grobe Worte kleidet, schreckt das viele der Halbstarken besser ab, als man denkt, weil man aus dem Opferschema ausbricht.


    Ferner sollten Techniken in körperlicher sowie mentaler Selbstverteidigung (zum Beispiel gegen Mobbing) zum Pflichtfach in jeder Schule gehören. Es muss uns in Fleisch und Blut übergehen wie Lebensrettungstechniken (die auch zu selten aufgefrischt werden) und im Notfall schnell abrufbar
    sein.


    Zusammenfassend ließe sich sagen: Es genügt, wenn man dem Täter glaubhaft machen kann, dass man selber, sobald man in Not gerät, so gefährlich ist wie ein in die Enge getriebenes Raubtier. Aber selbst diese Simulation will eben gekonnt sein.



    Ich weiß nicht, ob in dieser Runde noch weitergesprochen wird, wenn sie von der Titelseite wegrutscht oder ob sie nun offiziell geschlossen wird. Ich schaue jedenfalls immer mal wieder hier in die Runde und in die Büchereule hinein, da mir das Forum sehr gefällt und ich auch selbst gerne Bücher empfehle. Danke erst mal an alle, die hier mitgeschrieben haben. Das ist immens aufschlussreich für mich als Autor und sehr wertvoll. Ebenfalls liebe Grüße von meiner Frau.


    Wir lesen uns weiterhin, ob vom Rastplatz in der bergischen Provinz oder vom Büro aus,
    Ihr/Euer


    Oliver Uschmann


    PS: Ich würde mich freuen, den ein oder anderen womöglich umgekehrt mal im Forum von Hartmut und ich zu begrüßen. Da erreicht man mich immer und meine selbständig agierenden Romanfiguren aus den Hui-Romanen noch dazu. :-]

    Zitat

    Original von Mulle
    Hier kommt auch noch mal ne Frage, Oliver.
    Du hast gesagt, du hättest das Buch mit deiner Frau zusammen geschrieben. Wie darf man sich das vorstellen?
    Gemeinsames Plotten? Abwechselndes Schreiben? Einer diktiert und einer tippt? (- SO einen Partner bräuchte ich ja auch noch ... )


    Und die Parallelen zu einem anderen sehr bekannten Pädagogik-Ratgeber-Autoren ... sind die Zufall oder gewollt?


    Halllo Mulle!


    Ich schreibe und meine Frau sagt mir, was ich schreiben soll. Oder, wie es meine Schwiegermutter einst formulierte: "Sie ist der Geist und du bist das Werkzeug." :-)


    Bei der gemeinsamen Buchproduktion ist es wie bei einem guten Songwriterteam. Ein Ton greift in den anderen, ein Gedanke führt zum nächsten. Wir plotten, entwerfen und modellieren zusammen. Wir sprechen immer wieder durch, was wann warum passiert, wozu das führt und ob im Prozess etwas geändert, angepasst oder komplett verworfen werden muss.


    Auf der konkreten sprachlichen Ebene stammen zahllose Formulierungen und tonale Herangehensweisen von ihr. Wenn mir die Worte fehlen, hat sie noch tausend neue übrig und umgekehrt. Ohne allzu anmaßend zu klingen ist es wie bei McCartney & Lennon, Banks, Collins & Rutherford oder Gilmour & Waters, nur dass bislang eben statt "The Beatles", "Genesis" oder "Pink Floyd" Oliver Uschmann auf dem Cover steht, da die "Gruppe" unter diesem Namen ihre ersten Erfolge feierte und es in der Literatur so gut wie keine Gruppenarbeit gibt.


    Das ändert sich beim nächsten Roman der "Hartmut und ich"-Reihe, wo wir auf eine noch geheime, aber handwerklich noch mal wieder völlig andere Art gemeinsam arbeiten, so dass das Buch unter Oliver Uschmann & Sylvia Witt veröffentlicht wird, wie es bereits seit 2009 mit einigen Erzählungen in Anthologien der Fall war, namentlich "Ein Leben in Ocker" in Erst 1, dann 2..., "Torschusspanik" in Stockender Verkehr und "Liebesleben bis 2075" in Liebe macht doof.


    Es ist eine Kreativwerkstatt und die genauen Rezepturen bleiben so geheim wie das Mysterium um die Coca Cola.


    Die Anspielungen auf den Kollegen Michael Winterhoff betreffen nur das Phänomen seines Bestseller-Erfolgs und nicht ihn als reale Person. Ich weiß gerade nicht mal, ob er Papa ist. Allerdings möchte ich an dieser Stelle einen Leserbrief zitieren, den ich gestern bekam:


    "Zum Schluss noch kurz etwas zu 'Nicht weit vom Stamm'. Du hast in die
    Zukunft geschaut! Wahrscheinlich ist es Dir selbst schon aufgefallen.
    Wenn man das Buch ohne Rücksicht auf sein Erscheinungsdatum liest, wird
    man bzw. so mancher bestimmt Svens Vater als Anlehnung an Thilo Sarrazin
    verstehen.
    17.01.2011, FOCUS-Titel:
    DIE NEUE SARRAZIN-DEBATTE
    Verdummen unsere Kinder?
    WAS DAS DEUTSCHE SCHULSYSTEM JETZT BRAUCHT
    25.02.2011, GMX Aktuelles:
    Sarrazin: Sohn lebt von Hartz IV
    Richard Sarrazin ist Ein-Euro-Jobber und hat Spaß an Arbeitslosigkeit."


    Daran hatte ich beim Schreiben des Buches (das war noch vor dem Sarrazin-Hype) freilich nicht denken können.


    Liebe Grüße,
    Oliver


    Minions sind die kleinen, geklonten Assistenten des Bösewichts aus dem fantastischen Animationsfilm "ICH". Hier zu sehen!


    Bezieht sich Deine neckische Frage bezüglich der Toten Hosen darauf, dass Du sie nicht als Punks wertest?


    Cheers,
    Oliver

    Zitat

    Original von Herr Palomar


    Ich weiss nicht woran es liegt, aber mich haben die 3 als Figuren nicht ganz erreicht. Ohne besondere merkmale. Ging mir schon am Anfang so. Da sind Boris, Frederick und Debby lebendiger geschildert.


    Kann es sein, dass der Autor die Braven absichtlich so blass gezeichnet hat, damit die Bad Guys interessanter wirken?


    Hallo Herr Palomar!


    Die Bösen sind in allen Geschichten, welche die Menschheit erfindet, doch naturgemäß die Interessanteren. Oder sagen wir es so: Die Charaktere mit Ecken und Kanten, die durch ihr Handeln Konflikte heraufbeschwören, denn ohne Konflikte gibt es keine Geschichten. Es macht allerdings tatsächlich mehr Spaß, extreme Charaktere zu schreiben, egal ob ihr Extrem-Sein nun moralisch gut ist oder nicht. Alle meine persönlichen Lieblingscharaktere sind extreme Typen mit enormen Stärken und ebenso enormen Achillesversen, ambivalent und intensiv: Josef K. aus Kafkas "Proceß", John Locke aus "Lost", Gregory House aus "Dr. House" oder mein eigener Hartmut, den ich selber kaum im Griff habe, so besessen und wahnsinnig, wie er ist. Für das praktische Leben als Start-Up-Unternehmer sind Jule, Benjamin und Max allerdings auf ihre Art extrem die Richtigen; Max als Mega-Nerd, Jule als Karrierefrau und Benjamin als Naturbursche. Sie sind auf der guten Seite der Macht sehr eindeutig.


    Liebe Grüße,
    Oliver

    Hallo Rienchen!


    Ich bin verheiratet mit einem echten Kölsche Mädchen, das den Karneval immer so zelebrierte, wie es sich gehört. Die Kölner können nämlich tatsächlich auf Knopfdruck fröhlich sein und es ist nicht gespielt. Dieses Völkchen ist unglaublich, sie setzen eine rote Nase auf und machen Party, dass die Sonne scheint.


    Ich wiederum stamme ja wie Sven Lechner aus Wesel am Niederrhein, wo man "Helau!" statt "Alaaf" schreit (was an sich schon von großer Kulturlosigkeit zeugt) und wo sich Karneval mit meiner Bande immer zu einer derben Orgie auswuchs. Ich erinnere mich an einen Rosenmontag, an dem wir uns bereits um 9 Uhr morgens in den Straßen, wo sich der Karnevalszug zum Starten sammelt und wo am Boden mit Kreide die Startpositionen der Wagen markiert sind, mit einem Einkaufswagen voller Bier und einem Ghettoblaster und Süßigkeiten am Ende des Zuges platzierten und dem Spektakel wie ein eigener Wagen hinterherliefen. Dabei warfen wir Süßes in die Menge, verteilten Hansa Pils aus unseren sieben Paletten, grölten Punkhits von Millencolin oder den Toten Hosen in die Menge und spritzten uns gegenseitig das Bier mit einer riesigen Plastikwasserpistole in den Rachen. Ein anderes Mal bekamen wir Platzverbot, weil wir im Suff alle "Parken verboten"-Schilder der Stadt abzumontieren begannen. Es war recht würdelos.


    Zurzeit ist der Karneval aus diversen Gründen in den Hintergrund getreten, zumal es hier in der münsterländischen Provinz auch niemand begreift. Als im Herbst Halloween war, öffneten wir den Kindern in liebevoller, blutiger Aufmachung die Türe (blutverschmierte Shirts, Messer in der Hand, Hexenaugen), ließen Dark Folk im Flur laufen, behaupteten, gerade frisch geschlachtet zu haben und hielten ihnen einen Korb mit getrocknetem Obst in Tüten hin, das wir detailliert mit "Hundedarm" oder "Kinderleber" beschriftet hatten. Sie erschraken nicht nur kaum, sondern begriffen den Gag an der hollywoodreifen Inszenierung überhaupt nicht. Stumpf wie die Minions rissen sie uns einfach den ganzen Korb und den Ghettoblaster aus den Händen und verschwanden im Dunkel wie eine gierige Diebesbande.


    Westfälische Grüße,
    Oliver

    Hallo zusammen,


    den hauptsächlichen anderen Titel, den "Nicht weit vom Stamm" hätte haben können, habe ich ganz vergessen. Er lautete: NO WORRIES.


    Das hätte prächtig gepasst, aber ein englischer Titel für einen deutschen Roman ist so eine Sache...


    Liebe Grüße,
    Oliver

    Hallo Maikäfer!


    Ich gehöre zwar keiner Glaubensgemeinschaft zu 100% an, aber die Buddhisten haben zwei gute Begriffe für das Phänomen gefunden, das auch dafür sorgt, dass Sven immer noch vulgär und aggressiv wird, obschon er nicht mehr trinkt. Sie sprechen von zwei Kräften im menschlichen Geist, die miteinander ringen, der Achtsamkeitsenergie und der Gewohnheitsenergie. Erstere ist die Kraft in uns, die uns neugierig und offen macht und bei der wir die Welt wie ein Adventure erleben. Letztere ist der Drift, der uns immer wieder zurückfallen lässt in das Verhalten, das wir einfach lange eintrainiert haben. Dieses Verhalten ist leichter, es benötigt überhaupt keinen Kraftaufwand und es schaltet sich auch nüchtern ein, sobald negative Affekte wie Wut, Zorn und Bitterkeit in uns aufwallen oder sobald wir uns einfach nur müde und ausgebrannt fühlen. Achtsamkeitsenergie erwächst aus innerer Balance und wenn man so will aus Affektlosigkeit (also auch aus der Abwesenheit schöner Affekte wie der Blindheit vor Liebe oder der gutmütigen Leutseligkeit). Die Buddhisten erreichen diese Ruhe bekanntlich durch Meditation. Karate Kid erreicht sie durch Training. Ich erreiche sie dadurch, die Katze auf den Rücken zu drehen und den Bauch durchuzukneten oder einfach innezuhalten und mir draußen einen Augenblick lang mit allen Sinnen die Natur reinzuziehen.


    Liebe Grüße,
    der weise Mann

    Hallo Rienchen! Hallo Mulle!


    Meine Spinnenangst, die als Kind und Jugendlicher kolossal war, habe ich in Australien endgültig verloren, wobei meine Frau sie mir schon in den Jahren zuvor ganz langsam abtrainiert hat. Spinnen wurden da nicht mehr aus der Ferne per Wurfgeschoss ermordet oder aufgesaugt, sondern in ein Glas gepackt und sich angesehen, um sie als individuelle Wesen zu erkennen. In der Thala Beach Lodge (es war tatsächlich genau diese Anlage) kamen wir jeden Tag an einer Weggabelung an einem Zwei-Meter-Netz einer Golden Orb-Spinne vorbei, der sich täglich mehrere winzige Männchen zur Paarung näherten. Wir nannten sie Lisa und baten sie, die Kerle nicht alle immerfort zu ermorden.


    Zu deiner Frage: Mein Facebook macht mein PR-Mensch von der Agentur Typekultur, wobei er natürlich postet, was ich ihm zu posten auftrage und mir Bescheid gibt, wenn es sehr persönliche Nachrichten an mich geben sollte. Wer mich direkt erreichen will, mailt je nach Thema an (hartmut-und-ich.de oder wortguru.de oder schreibt ins Forum der Hartmut-Seite oder verfasst einen physischen Brief oder nutzt solche Leserunden wie hier. Man muss sich einfach vor dem gnadenlosen Tempo der heutigen Kommunikation partiell abschotten, sonst kommuniziert man nur noch, macht aber nichts mehr anderes, worüber man kommunizieren könnte, kommuniziert am Ende also nur über das Kommunizieren und implodiert wegen einer paradoxen Schleife.


    Zu Mulle: Der überaus langweilige erste Arbeitstitel von "Nicht weit vom Stamm" lautete "Die Chance". Weitere Optionen waren dann später:


    Wie weit vom Stamm?
    Wut zum Mitnehmen
    Guter Junge
    Kein Grund, sich nicht zu fürchten
    Mit dem Bauch zur Wand
    Nein gilt nicht
    Nichts kann, alles muss
    Wo ein Weg ist, ist kein Ziel
    Voll daneben ist vorbei
    Rechts überholen
    Ab an den Rand
    Wie die Faust aufs Auge
    Durch die Faust ins Auge
    Ist noch alles drin


    Einige davon waren von meiner Frau und mir, andere vom Verlag, manche mochten wir, manche fanden wir ungeschickt. "Nicht weit vom Stamm" war von uns und damit sind alle glücklich.


    Da wir hier wie gesagt Teamwork machen, braucht ein Buch im Schnitt von der Konzeption bis zum letzten Wort "nur" höchstens ein Jahr Brutto und 4-8 Monate Netto. Ist auch Übungssache und wird ferner davon beeinflusst, ob Du auf einer bestehenden fiktionalen Welt aufbaust oder eine ganze neue erfinden musst.


    Bestes,
    Oliver Uschmann

    Hallo Rienchen!


    Das ist richtig, aber bevor das Publikum kam, haben erst mal in aller Ruhe die Techniker und die Hausherren gequarzt und außerdem dringt der "Duft" des gelben Untergangs für einen Luftatmer wie mich immer noch so aufdringlich aus allen Kissenpolstern und Wandporen, dass ich nach dem Aufenthalt in einem Club wie dem Monarch trotz Rauchverbots während der Lesung danach immer noch einen Tag Kopfschmerzen habe.


    "Luftatmer" ist übrigens die positive Wendung für Nichtraucher, da Nicht-Raucher sprachlich impliziert, dass Rauchen der Naturzustand sei und alles andere nur eine merkwürdige Verweigerung. ;-)


    Grüße vom Land,
    Oliver

    Hallo Rienchen!


    Meine Frau und ich haben in Palm Cove geheiratet und dann in Thala Beach in der Bungalowanlage geflittert, wo man abends auf dem Weg durch den Wald immer ganz feste auftreten musste, damit die Schlangen und anderes Getier zur Seite huschen und wo in den kleinen, runden Löchern der Bauten Taranteln dösten. Der Strand hinter der Anlage ist wie das ganze Gelände komplett unberührt und naturbelassen; es ist eine Stimmung, als sei man auf der "Lost"-Insel gelandet, nur komplett angstfrei, trotz der vielen tödlichen Tiere.


    Von dort aus sind wir häufig zu Reisen aufgebrochen, nach Port Douglas und raus aufs Riff, nach Kuranda in den Dschungel oder landeinwärts Richtung Chillagoe. Dieses Fleckchen Erde ist unglaublich und wenn es mir gelungen sein sollte, auch nur einen Hauch der Atmosphäre in Linas Blogs wiederzugeben, freut mich das.


    Bei den Teilzeitkindern brauchen wir Spezifikationen. Wir bevorzugen lesefreudige, neugierige und naturverbundene Exemplare, die robust genug sind, dass sie auch mal von einem Baum fallen können und dann immer noch lachend wie ein Minion aufstehen und die aber zugleich sensibel genug sind, mit 12 bereits die Schönheit eines Rilke-Gedichtes zu erahnen. Hast Du sowas im Angebot?


    Bestes,
    Oliver Uschmann

    Hallo zusammen!


    Da ich erst heute wieder da bin, auch hier erst mal meine gesammelten Antworten auf Eure Fragen.


    "Hast Du die Lieder alle recheriert, oder kennst Du die alle? Oder stand dir ein Schüler zur Seite?"


    Ich kenne alles, was im Buch mit HipHop oder Rock zu tun hat; beim harten Insider-Ragga kannte ich alles vom Namen her, habe aber wenig davon im Haus und vieles recherchiert. Ich habe diese Musik für Frederick gewählt, weil der "normale" Leser bei Raggae an Friede und Freude denkt und den Hintergrund der potenten, Paten-artigen Oberchauvinisten wie Sizzla & Co gar nicht kennt. Da brach dann der aufklärende Musikjournalist in mir durch und der Literat, der die konträre Motivik von Hooliganismus in Fusion mit Raggae und Tischtennis interessant fand. Schüler standen mir bei der Musikrecherche nicht zur Seite.


    "Wie haben die Schüler in Berlin auf deine Lesung reagiert? Konnten sie mit Sven dem Looser was anfangen?"


    Die Show in Berlin war nicht für Schüler, sonder eine Art Panel-Comedy für ein verqualmtes Abendpublikum, bei dem es primär um "Feindesland" ging. Ansonsten aber können sich erstaunlich viele Schüler mit dem guten Kern Svens sowie mit dem Zorn auf den Vater, aber natürlich weniger mit dem krassen Hooliganismus identifizieren.


    "Ob der Name des Protagonisten irgendwie eine Reminiszenz an Sven Regener ist?"


    Nein.


    Sven = Mittelständischer, konventioneller, von Vorurteilen nach oben oder unten unbelasteter Vorname.


    Lechner = Nachname eines Innenverteidigers des FC St. Pauli, einer harten Sau, die auch mal treten kann.


    Beide zusammen = Klanglich wegen der beiden "e"s stimmig und flüssig.


    Bis später,
    Oliver Uschmann

    Guten Morgen!


    Dann erst mal die Top 4:


    "Bist Du schon Millionär"?


    Nein, aber ich fühle mich wohlhabend und bin sehr dankbar dafür, dass ich tatsächlich davon leben kann, das zu tun, was ich schon als Teenager getan habe (wenn auch damals entsprechend naiv).


    "Für welchen Fußballverein hältst du?"


    Mehrere: Vfl Bochum, SC Freiburg, 1.FC Nürnberg und mit Abstrichen Bayer Leverkusen, was sich aus persönlichen Erlebnissen begründet. Im Prinzip aber eben die selbstbewusst und meistens sogar schön spielenden Kleinen.


    "Wieviel Sven / Hartmut / Bernd steckt in Dir?"


    Mit Hartmut teile ich das Manische und Getriebene, mit Bernd die ein oder andere hanebüchene Trotteligkeit sowie die Sucht nach einem Listenwesen und bei Sven kann ich zumindest nachvollziehen, wie stark der Sog sein kann, der einen in destruktives Verhalten hineinzieht. Trotzdem macht er mich wahnsinnig...


    "Welche Interpretationstheorie der Literaturwissenschaft findest Du am plausibelsten?"


    Systemtheorie, empirische Literaturwissenschaft und die ganz klassische Hermeneutik mit viel biografischem Wissen über den Autor, der für mich nicht bloß eine Multiplikationsmaschine von Diskursen ist.


    So, und nun eure weiteren Fragen:


    "Wie reagieren die Schüler auf den Roman?"


    Die Schüler reagieren auf "Nicht weit vom Stamm" durch die Bank viel selbstverständlicher als die Erwachsenen. Obwohl, das muss ich differenzieren. Schüler UND Lehrer erleben die Vulgärsprache und die Aggressionen aus dem Roman Tag für Tag und sind gar nicht geschockt. Erwachsene, die mit dem harten Boden der schulischen und postpubertären Tatsachen nichts zu tun haben, finden es teilweise schockierend heftig. Und Frauen finden Svens hygienische Gewohnheiten freilich alle abstoßend.


    "Wie gefällt dir der Trailer zum Buch?"


    Der Trailer zum Buch gefällt mir sehr, denn ich habe das Drehbuch geschrieben und den Rap verfasst und ganz bewusst als Kontrapunkt zum aggressiven Text einen Jungen statt einen Erwachsenen rappen lassen, um zu irritieren und Svens guten Kern bzw. das überaus Kindische seiner blinden Wut zu betonen.


    "Hast Du auch Kinder?"


    Meine Frau und ich haben ein Teilzeitkind. Das ist eine neue Erfindung hier im Münsterland. Da kommt eines Tages ein Kind von Nachbarn in Deinen Garten, das wie der junge Sven voller Neugier und Enthusiasmus steckt, aber leider noch nicht so recht daran glaubt, was es alles kann. Das Kind kommt immer wieder, man lernt und spielt (was im Grunde bei richtigem Ansatz das Gleiche ist) und irgendwann lebt es einen Teil der Woche bei einem und entwickelt sich prächtiger als so manche Orchidee.


    "Woran arbeitest Du gerade/wovon handelt das nächste Buch?"


    Meine Frau und ich (alles Teamwork) arbeiten gerade an den Entwürfen, Plotplänen und Figurengestaltungen des nächsten Hui-Romans und des nächsten Script 5-Romans.


    "Hat der Guttenbergsche Rücktritt Deine Lesung gestört oder lediglich in die Geschichte katapultiert (auf Dein Posting im 1. Part bezogen)?"


    Ich denke, meine Lästerei über Guttenberg während des Auftritts hat den Ausschlag für den Rücktritt gegeben. Ich stelle häufig fest, dass Ereignisse in der Matrix dadurch ausgelöst werden, dass ich für mich eine Entscheidung treffe. Es gehen auch grundsätzlich Geschäfte pleite, sobald ich da nicht mehr einkaufe.


    Gerne mehr Fragen!


    Euer
    Oliver Uschmann

    Hallo Leute!


    Wie im Thread zu den ersten Seiten von "Nicht weit vom Stamm" geschrieben, geistere ich gerade zu mehreren Terminen durch die nordrhein-westfälische Provinz, würde mich aber ab heute Abend / morgen früh über Fragen an mich in diesem Thread sehr freuen.


    Falsche Fragen gibt es nicht; ich beantworte alles von "Bist Du schon Millionär" oder "Für welchen Fußballverein hälst du?" über "Wieviel Sven / Hartmut / Bernd steckt in Dir?" bis zu "Welche Interpretationstheorie der Literaturwissenschaft findest Du am plausibelsten."


    Ich freu mich auf euch!


    Oliver Uschmann

    Hallo zusammen!


    Auch, wenn ich in Berlin fragen musste, wann genau diese Runde stattfindet, habe ich euch nicht vergessen. Ich hatte heute Mittag einen Auftritt vor 400 Schülern des Freiherr-vom-Stein-Gymnasiums in Betzdorf, der in die Geschichte eingeht als "die Lesung, während der Herr Guttenberg zurücktrat". Ich habe weiterhin den ganzen Tag Termine und wollte mich nur mal eben melden; hocke gerade auf einem obskuren Rasthof irgendwo im Bergischen, wo das UMTS aus verrosteten Masten zäh wie Sirup in den Rechner tropft.


    Melde mich in aller Ruhe heute Nacht oder spätestens morgen früh in dieser Leserunde zurück.


    Alles Liebe,
    Oliver Uschmann