Beiträge von Tanja Kinkel

    Rouge, was Kat in dem Brief gelesen hat, wirst du bei ihrer nächsten Begegnung mit Cecil hören. :)


    Die Angélique-Romane von Anne Golon haben ein paar Jahrzehnte auf dem Buckel, aber für mich gehörten sie mit zu den frühesten historischen Romanen, in die ich mich als lesehungriges Mädchen vernarrte. Wobei nach den ersten sechs (alter Zählung: vor ein paar Jahren wurden die Romane noch mal auf deutsch veröffentlicht, und dabei gleich halbiert, wodurch die Anzahl wuchs) die Qualität sank, aber die besagte sechs Romane - "Angelique", "Angelique und der König" , "Unbezähmbare Angelique", "Angelique die Rebellin" und "Angelique und ihre Liebe" mag ich nach wie vor sehr gerne.

    Patricia, ob Diego die Wahrheit gesagt hat oder nicht, finden sowohl Tom Blount als auch Kat Ashley separat von einander heraus. Wenn du im letzten Abschnitt angekommen bist: dort habe ich auch etwas zum historischen Hintergrund geschrieben.


    Kat fragt Elizabeth aus Schuldgefühlen nicht nach Details, wobei sie aber gedanklich folgendes festhält, wie du in dem Abschnitt nachlesen kannst: a) da Elizabeth, nachdem sich nach Seymours Verhaftung und ihrer eigenen Befragung, Gerüchte über sie und Seymour verbreitet hatten, den Regentschaftsrat anbot, sich von einem Arzt seiner Wahl untersuchen zu lassen, um ihre Jungfräulichkeit zu bestätigen, ist es wahrscheinlich, daß es sie noch Jungfrau war. (Das wäre ein sehr leicht aufzudeckender Bluff gewesen.) Aber b) es gibt sehr viel, was ein Mann sexuell mit einem Mädchen tun kann, ohne es zu penetrieren. Medizinische Jungfräulichkeit ist nicht unbedingt emotionale.

    Mit Hexenprozessen hatte das nichts zu tun (die kamen erst unter dem nächsten Regime als Massenphänomen in Gang - James I. schrieb sogar extra ein Buch gegen Hexen). Edmund Campion hatte zuerst den Anfang einer scheinbar idealen Karriere vor sich - er war ein brillianter junger Kopf, er wurde von Robert Dudley protegiert, fiel auch der Königin bei einem Besuch in Oxford positiv auf - , aber er fühlte sich als Katholik, nicht als Protestant, trat schließlich offiziell über, und ging nach Italien, um sich als Jesuit ausbilden zu lassen. Als er wieder nach England zurückkehrte, um dort als katholischer Priester zu wirken, hatte sich das Klima geändert. Inzwischen war Maria Stuart im Land, und es hatte bereits eine Verschwörung zu ihren Gunsten gegeben. Noch schwerwiegender allerdings war, daß der Papst erklärt hatte, ein guter Katholik könne Elisabeth nicht als Herrscherin akzeptieren und solle im Gegenteil bestrebt sein, sie abzusetzen. Das interpretierte Cecil als eine Art katholischer Fatwa und verlangte, katholische Geistliche sollten von nun an entweder schwören, daß sie Loyalität zur Königin über Loyaltiät zum Papst stellen, oder als Hochverräter betrachtet werden.


    Der arme Campion hatte wohl wirklich nichts als Religion im Sinn, keine Art von Verschwörungen. Aber er wurde gefaßt, weigerte sich, diesen Eid zu leisten, wurde gefoltert, und schließlich hingerichtet, danach kirchlicherseits als Märtyrer heilig gesprochen.

    Findus, ich bin sicher, Cecil hielt sich für das Wohl Englands für unentbehrlich. Da könnte er recht gehabt haben - er war einer der kompetentesten Minister in der gesamten Geschichte des britischen Königreichs, er und Elizabeth waren ein unschlagbares Team -, aber er war natürlich durchaus auch in der Lage, das Wohl des Landes mit dem eigenen Wohl zu vermengen oder gar zu verwechseln. Nicht immer bewußt. Im konkreten Fall war er sicher davon überzeugt, daß ein König Robert I., oder auch nur ein Prinzgemahl Robert, ein Unglück für England gewesen wäre. Aber wieviel von dieser Einschätzung auf dem Umstand beruhte, daß seine eigene Stellung als erster Minister in so einem Fall mehr als unsicher gewesen wäre, weil Robert Dudley mit ihm seines Vaters wegen noch eine Rechnung offen hatte... das läßt sich nicht sagen, und Cecil wäre nie bereit gewesen, zuzugeben, auch davon beeinflußt worden zu sein.


    Was er auf jeden Fall nicht wahr: korrupt. Er machte seine Politik nicht davon abhängig, wer ihm die meisten Bestechungsgelder bot. Und er war ein Arbeitstier bis zu seinem Tod. (Robin übrigens auch; die beiden und Francis Knollys waren die fleilßigsten Kronratsmitglieder.)

    Rouge, ja, in Frankreich z.B. waren Schauspielerinnen üblich. In England erst nach der "Restoration, d.h. als Charles II. aus dem Exil zurückkehrte.


    Zwergin, so sehe ich Cecil auch. Er konnte rücksichtslos sein und zu vielem fähig, aber handelte durchaus primär aus der Überzeugung heraus, dem Nutzen des Landes zu dienen. Ob er damit immer recht hatte, steht natürlich auf einem anderen Blatt....

    Amy und Tom: das ist eine Erfindung meinerseits, um Tom Blount mehr gemischte Gefühle bezüglich Amys zu geben, und einen Grund dafür, warum er die "Lösung" des Falls nicht an die Öffentlichkeit bringt. Erhalten sind von Amys Korrespondenz tatsächlich nur harmlose Schneiderrechnungen bzw. Bestellungen. Aber die Korrespondenz zwischen Tom Blount und Robin aus der Woche nach Amys Tod existiert noch.


    Re: Robin, ich denke schon, dass er Cecil wenigstens verdächtigt haben muss, aber er hatte keine Beweise. Und in den Augen der Mehrheit war er schuldig; einen anderen zu beschuldigen, hätte es nur so aussehen lassen, als suche er nach einem Sündenbock. Ausserdem muss ihm mit den Jahren klar geworden sein, dass Cecil ein so quintessentieller Bestandteil von Elizabeths Regierung war, dass sie ihn nie fallen gelassen hätte. Umgekehrt musste allerdings auch Cecil die Erfahrung machen, dass der Tod von Amy zwar eine Elizabeth/Robin Ehe unmöglich machte, aber keinesfalls Robert Dudley aus Elizabeths Leben entfernte, im Gegenteil. Sie mussten sich in den nächsten Jahrzehnten damit arrangieren, beide für die Königin unentbehrlich zu sein. Ausserdem denke ich, dass Cecil, der damals so wenig wie der Rest der Welt daran glaubte, dass es Elizabeth mit ihrer Versicherung, nicht heiraten zu wollen, tatsächlich ernst war, sich später wohl manchmal gefragt hat, ob ein Prinzgemahl Robert und dafür ein Kind als Nachfolger nicht besser als ein Ende der Tudor-Dynastie gewesen wäre...p

    Nightflower, Tom ist ein Erzähler, der die Schwere von Ehebruch gerade deswegen herunter spielt, weil ihn das schlechte Gewissen plagt (sowohl seines eigenen Verhaltens wegen als auch, weil er in dieser Hinsicht Robins Mentor war). Er wird den ganzen Roman über von den Konsequenzen verfolgt, eben weil Affären, wenn dein Partner nicht die gleiche Einstellung hat wie du, sehr wohl schwerwiegende emotionale Schäden hinterlassen können.


    Ich-Erzähler bringen immer ihre eigenen Vorurteile mit (es sei denn, der Autor macht es sich leicht und lässt sie nur die eigenen Einstellungen haben). Toms "Männer sind rational, Frauen sind emotional" Vorurteil z.B., das er mehrfach äussert, wird in dem Buch ad absurdum geführt, wenn man sich das tatsächliche Verhalten der Figuren anschaut.

    Mrs. Odingsells Szenen schrieb ich immer besonders gerne. :-)


    Cambridge und Oxford: befehdeten sich in der Tat damals schon. Vor Ort hat man mir versichert, daß die Fehde mit der Gründung von Cambridge losging....


    So, nun etwas zum Thema Cecil. Der Grund, warum ich ihn an Amys Tod beteilidgt sein lasse, ist der: das Zitat aus dem Brief des spanischen Botschafters über seine Unterredung mit Cecil VOR Amys Tod ist tatsächlich echt. Das muß man sich mal vorstellen. William Cecil, der Zeit seines Lebens kein unbedachtes Wort äußerte, erzählt dem Botschafter von Staatsfeind Nr. 1, daß seine Königin und ihr Günstling einen Mord an dessen Frau planen. (Um einen modernen Vergleich zu wählen: das ist so ungefähr, als ob der amerikanische Außenminister dem russischen Botschafter auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges steckt, sein Präsident habe eine Affäre und plane gemeinsam mit seiner Mätresse, deren Gatten umzubringen. Eine andere Erklärung als die, daß Cecil a) wußte, daß Amy bald sterben würde, und b) absolut sicher stellen wollte, daß Robert Dudley die Schuld daran gegeben wurde, und es für die Königin ein für allemal unmöglich sein würde, ihn zu heiraten, kann ich mir nicht denken.


    Warum Robin als Täter nicht für mich in Frage kommt: a) die Korrespondenz mit Tom Blount, in der er wirklich keine Ahnung zu haben scheint, was passiert ist, und b) er war nicht dumm. Das Geschwätz machte ihn zu diesem Zeitpunkt schon ein ganzes Jahr lang zum potentiellen Gattinnenmörder. Amy umzubringen, wäre die absolut schlechteste (für ihn) Methode gewesen, um wieder unverheiratet zu werden. (Und er hatte andere Optionen. Da er und Amy keine Kinder hatten, und er einer der einflußreichsten Männer des Landes geworden war, hätte er eine Scheidung wohl erreichen können.)


    Warum Cecil für mich nicht als alleiniger Verursacher von Amys Tod in Frage kommt: weil Amy tatsächlich so energisch darauf bestand, daß alle Bewohner von Cumnor auf den Jahrmarkt gingen. Sie muß etwas geplant haben.


    Das nächste Buch: ich arbeite gerade daran, also kann ich noch nicht verraten, um was genau es geht, nur so viel: es ist ein deutsches Thema.

    Nightflower, Statistiken über eheliche Treue im sechzehnten Jahrhundert lassen sich schwer erstellen, weil ja nur im Fall einer unehelichen Schwangerschaft zweifelsfrei erwiesen war, daß sich da etwas getan hat... aber davon gab es schon eine ganze Menge. Und Gonorhae sowie Syphilis breiteten sich sehr schnell aus, was bei mehrheitlich monogam lebenden Männern wohl nicht der Fall gewesen wäre.


    Heute gibt es nicht nur Empfängnisverhütung, sondern vor allem auch sehr viel einfachere Wege, sich scheiden zu lassen, und die Ehen - die hauptsächlich aus Neigung geschlossen werden, während sie zu Zeiten des Romans mehrheitlich arrangiert wurden - , werden wenigstens in unserem Teil der Welt nicht ausschließlich von Männern dominiert, also kann man die Verhältnisse kaum vergleichen.

    Münzen: theoretisch waren die alten immer noch gültig. Praktisch gab es da ein Problem, das nichts mit wechwselnden Herrscherprofilen zu tun hatte: die englischen Münzen der Tudorzeit waren weniger und weniger wert, weil Heinrich VIII. in seinen letzten Jahren dazu übergegangen war, den immensen Geldmangel in seinen Kassen (hatte er sich selbst zuzuschreiben, u.a. wegen erfolgloser Kriege mit Frankreich) dadurch zu beheben, daß der Münzen prägen ließ, die im Prinzip Kupfer mit minimaler Goldschicht darüber, statt Gold waren. Deswegen hieß ein Spitzname für ihn auch "die alte Kupfernase". Seine Untertanen hatten keine Wahl, als dieses Geld zu akzeptieren, aber im Ausland rechnete man natürlich anders und, wie gesagt, englische Münzen verloren an Wert im Umtausch. Da England immer schon auch vom Handel lebte...

    Lumos, Pirto hat es wirklich gegeben, wir wissen aber nur durch die Briefe Blounts an Robert Dudley von ihr.


    Zitat

    Hat man damals in den Palästen echt in den Gängen die Notdurft verrichtet


    Ja, hat man. Deswegen zogen die Herrscher mitsamt ihrem Hofstaat auch alle paar Monate spätestens in ein anderes Schloß um. Klosets gab es schon, aber sie waren Luxus, und meistens standen sie nur in einem oder zwei Zimmern zur Verfügung. Elizabeths Patensohn, Sir John Harrington, sollte übrigens dadurch berühmt werden, daß er am englischen Hof das erste Klosett mit fließendem Wasser einführte.

    Lumos, ja, Götterdämmerung bleibt bisher mein einziger Thriller, obwohl das natürlich weitere nicht ausschließt. Bei meinem Zickzackkurs durch die Zeit war as unausweichlich, daß ich auch mal in Romanform, nicht nur bei Kurzgeschichten, in der Gegenwart ankomme, und damals brannte mir das Thema Pharmaindustrie & Politik auf den Nägeln, das ich nun wirklich nicht in die Vergangenheit versetzen konnte...

    Lumos, deswegen war ein Lieblingsbild der Zeit das "Rad der Fortuna", das sich immer schneller drehen konnte... heute Teil der Elite, morgen in Ungnade, etc. Ist natürlich auch ein Grundproblem jeder absoluten Monarchie, wenn alle Macht auf eine Person konzentriert ist.


    Zu Cecil sage ich später noch etwas.

    Lumos, Philippa Gregory stellt es so hin, aber Philippa Gregory hat ein entschiedenes Vorurteil sowohl gegen Anne Boleyn als auch ihre Tochter und stellt sie in ihren Romanen extrem negativ dar. Dann gibt es noch die romantische Auslegung des Films "Die Thronfolgerin", in dem Thomas Seymour als Mann, der halt zwei Frauen liebt, hingestellt wird.


    Nur: eine der beiden war dreizehn, dann vierzehn, als sie seine Stieftochter wurde, und stand auf Platz 3 in der Thronfolge. Mir hat in dieser Angelegenheit immer Catherine Parr am meisten leid getan. Heinrich VIII. zu überleben, nur, um den Mann, den sie (von ihrer Seite aus) aus Liebe geheiratet hat, mit ihrer Stieftochter zu erwischen, und dann im Kindbett zu sterben...


    Nun hatte Thomas Seymour tatsächlich schon vor Heinrich um Catherine geworben, aber sich sofort zurückgezogen (aus Überlebensgründen!), als er sah, daß sein königlicher Schwager interessiert war. Nach dem Tod von Heinrich hielt er jedoch nicht etwa als erstes um die jetzt endlich frei gewordene Catherine an, sondern beantragte beim Kronrat, entweder Mary oder Elizabeth heiraten zu können. Sein Bruder Edward, der Lord Protector, sagte sofort nein, und erst dann holte sich Tom Seymour bei Catherine das Ja. Das scheint mir doch ziemlich deutlich zu machen, daß es ihm darauf ankam, durch eine Ehe mit einer Prinzessin (oder Königinwitwe) an Macht zu gewinnen, nicht um Liebe. Der Hellste scheint er auch nicht gewesen zu sein, denn was er nach Catherines Tod tat, um endlich doch noch an die Macht zu kommen, war ausgesprochen idiotisch: ein Versuch, seinen jungen Neffen Edward VI. zu kidnappen, wobei er aus Panik Edwards Hund erschoss, als dieser nicht mitkommen wollte. Das war das Ereignis, durch das er dann verhaftet wurde.


    Was genau zwischen ihm und Elizabeth vorgefallen ist, als sie zu ihrer Stiefmutter zog: da sind die historischen Quellen in erster Linie die Aussagen von Kat Ashley bei ihrem Verhör im Tower. (Auch andere Dienstboten haben ausgesagt, aber die waren nicht in so vertraulichen Positionen untergebracht. Alle jedoch schildern Seymour als denjenigen, von dem die Initiative ausging.) Demnach scheint es angefangen zu haben mit morgendlichen Aufwecken und Kitzelattacken (klingt für uns noch harmlos, war aber damals schon etwas anrüchig, wenn der Aufwecker und Kitzler ein erwachsener Mann, nicht blutsverwandt mit dem sehr jungen, aber bereits heiratsfähigen Mädchen im Bett war), steigerte sich zu dem Vorfall, bei dem er ihr das Kleid zerschnitt, während Catherine Parr sie festhielt (Catherine scheint das auch noch für harmlosen Übermut gehalten zu haben), und danach erwischte ihn Catherine Parr mit Elizabeth allein in seinen Armen. Mehr als das ist nicht gesichert, auch, weil Elizabeth sich bei ihren eigenen Verhören keine Aussage entlocken ließ. Danach wurde Elizabeth zurück nach Hatfield geschickt. Was auch noch überliefert ist, sind danach folgende traurige Briefe von ihr an ihre Stiefmutter (wobei der exakte Grund nicht genannt ist) und eine Übersetzung von Catherine Parrs Buch "Lamentations of a Sinner" ins Italienische, die Elizabeth für ihre Stiefmutter verfertigte. Eine Bitte um Vergebung? Wer weiß. (Catherine Parr, aber sie starb.)


    Lange Zeit sind Biographen davon ausgegangen, daß Thomas Seymour Elizabeths erste Liebe gewesen ist; erst Patricia Finney stellte das in Frage und wies darauf hin, daß wir, wenn heute ein Stiefvater eine Minderjährige in seiner Obhut sexuell belästigt, von Mißbrauch reden würden. Außerdem reagierte Elizabeth auf seinen Tod entschieden kaltblütig, nicht nur im Gegensatz zu ihrer Haltung, als viele Jahre später Robert Dudley starb, sondern auch zu ihrer Reaktion auf die Gefahr, die damals Kat Ashley und Thomas Parry (Elizabeths Haushofmeister) drohte, die gleichzeitig mit Seymour im Tower festsaßen. Für ihre Gouvernante und ihren Haushofmeister kämpfte sie (erfolgreich) wie eine Löwin, statt sich von ihnen zu distanzieren und ihnen die Schuld zuzuschieben. (Ihr Argument gegenüber dem Rat war im Gegenteil, daß, wenn sie unschuldig war, auch ihre Dienstboten unschuldig sein müßten, und der Rat also entweder sie schuldig sprechen oder ihre Dienstboten freilassen müßte.) Für Seymour dagegen rührte sie keinen Finger.


    Um in jeder Hinsicht fair zu sein: ob Elizabeth nun ihrerseits in ihn verliebt war, oder seine Avancen unwillkommen waren, Thomas Seymours Verhalten unterschied sich nur in einer Hinsicht nicht von dem eines anderen Schwagers Heinrichs VIII., nämlich Charles Brandon, Herzog von Suffolk (und Großvater von Jane Grey): Tom Seymour verlor seinen Kopf. Trotzdem hat Brandon meist in fiktiven Darstellungen ein sehr positives Image (in der Serie "Die Tudors" z.B.). Aber wenn man sich Charles Brandons Ehegeschichten anschaut, dann wirkt er nicht weniger skrupellos als Thomas Seymour, nur sehr viel erfolgreicher. Da gab es nämlich:


    1) Anne Browne; Charles war mit ihr verlobt, was damals bindend war; überdies nahmen die beiden den Ehevollzu vorweg, und daher gab es schon ein Kind, als Charles herausfand, daß Anne eine reiche Tante hatte. Das führte zu:


    2) Margaret Neville. Die reichte Tante. (Und eine von DEN Nevilles.) Charles heiratete sie und ließ Anne im Stich. Das machte die Familie Browne nicht glücklich, und sie gingen sogar vor Gericht, um ihn zu verklagen. Damit hatten sie Erfolg: die Ehe mit Margaret Neville wurde aufgelöst, und Charles heiratete doch noch Anne. Sie bekam noch ein weiteres Kind, und dann starb sie. Dann gab es beinahe:


    3.) Elizabeth Grey. Achtjähriges Waisenmädchen und Erbin von Lord Lisle. Außerdem Charles' Mündel. (Vormundschaften waren immens profitabel für Tudor-Adlige.) Er verlobte sich mit ihr, und sein Freund Heinrich VIII. übertrug ihm den Titel Lord Lisle. Als Elizabeth Grey dreizehn Jahre und damit heiratsfähig wurde, weigerte sie sich jedoch, Charles zu heiraten, und heiratete stattdessen Edward Courtenay. Charles behielt den Titel Lord Lisle.


    4.) Mary Tudor. Heinrichs jüngere Schwester, die von ihm mit dem alten französischen König Louis verheiratet worden war, unter der Bedingung, daß sie sich den nächsten Gatten selbst aussuchen dürfte. Louis starb nach kaum einem Jahr Ehe; Charles kam nach Frankreich, Mary heiratete ihn. Sie hatten zwei Söhne (die jung sterben sollten) und zwei Töchter (Frances, Jane Greys Mutter, war eine davon), und dann starb auch Mary. Charles blieb nicht lange Witwer.


    5.) Catherine Willougby. War eine sehr reichte Erbin und Charles' Mündel, ursprünglich von ihm und Mary "eingekauft", um mit Charles' ältestem Sohn verheiratet zu werden. Dann, als Catherine 14 war, starb Mary. Charles war mittlerweile 49, aber sah das nicht als Hinderungsgrund, oder das Verlöbnis zwischen Catherine und seinem älteren Sohn. Er heiratete Catherine. (Der Sohn starb bald darauf; sein jüngerer Bruder war schon vor Mary gestorben.) Catherine und Charles hatten ebenfalls zwei Söhne (die auch jung sterben sollten, aber erst Jahre später), und Catherine überlebte Charles, um als Herzogin von Suffolk eine der imposantesten Figuren am Tudor-Hof zu werden.


    Wie gesagt: in diesem Kontext war Thomas Seymours Verhalten keineswegs ungewöhnlich. Sympathisch macht ihn das mir jedoch deswegen nicht!