Lumos, Philippa Gregory stellt es so hin, aber Philippa Gregory hat ein entschiedenes Vorurteil sowohl gegen Anne Boleyn als auch ihre Tochter und stellt sie in ihren Romanen extrem negativ dar. Dann gibt es noch die romantische Auslegung des Films "Die Thronfolgerin", in dem Thomas Seymour als Mann, der halt zwei Frauen liebt, hingestellt wird.
Nur: eine der beiden war dreizehn, dann vierzehn, als sie seine Stieftochter wurde, und stand auf Platz 3 in der Thronfolge. Mir hat in dieser Angelegenheit immer Catherine Parr am meisten leid getan. Heinrich VIII. zu überleben, nur, um den Mann, den sie (von ihrer Seite aus) aus Liebe geheiratet hat, mit ihrer Stieftochter zu erwischen, und dann im Kindbett zu sterben...
Nun hatte Thomas Seymour tatsächlich schon vor Heinrich um Catherine geworben, aber sich sofort zurückgezogen (aus Überlebensgründen!), als er sah, daß sein königlicher Schwager interessiert war. Nach dem Tod von Heinrich hielt er jedoch nicht etwa als erstes um die jetzt endlich frei gewordene Catherine an, sondern beantragte beim Kronrat, entweder Mary oder Elizabeth heiraten zu können. Sein Bruder Edward, der Lord Protector, sagte sofort nein, und erst dann holte sich Tom Seymour bei Catherine das Ja. Das scheint mir doch ziemlich deutlich zu machen, daß es ihm darauf ankam, durch eine Ehe mit einer Prinzessin (oder Königinwitwe) an Macht zu gewinnen, nicht um Liebe. Der Hellste scheint er auch nicht gewesen zu sein, denn was er nach Catherines Tod tat, um endlich doch noch an die Macht zu kommen, war ausgesprochen idiotisch: ein Versuch, seinen jungen Neffen Edward VI. zu kidnappen, wobei er aus Panik Edwards Hund erschoss, als dieser nicht mitkommen wollte. Das war das Ereignis, durch das er dann verhaftet wurde.
Was genau zwischen ihm und Elizabeth vorgefallen ist, als sie zu ihrer Stiefmutter zog: da sind die historischen Quellen in erster Linie die Aussagen von Kat Ashley bei ihrem Verhör im Tower. (Auch andere Dienstboten haben ausgesagt, aber die waren nicht in so vertraulichen Positionen untergebracht. Alle jedoch schildern Seymour als denjenigen, von dem die Initiative ausging.) Demnach scheint es angefangen zu haben mit morgendlichen Aufwecken und Kitzelattacken (klingt für uns noch harmlos, war aber damals schon etwas anrüchig, wenn der Aufwecker und Kitzler ein erwachsener Mann, nicht blutsverwandt mit dem sehr jungen, aber bereits heiratsfähigen Mädchen im Bett war), steigerte sich zu dem Vorfall, bei dem er ihr das Kleid zerschnitt, während Catherine Parr sie festhielt (Catherine scheint das auch noch für harmlosen Übermut gehalten zu haben), und danach erwischte ihn Catherine Parr mit Elizabeth allein in seinen Armen. Mehr als das ist nicht gesichert, auch, weil Elizabeth sich bei ihren eigenen Verhören keine Aussage entlocken ließ. Danach wurde Elizabeth zurück nach Hatfield geschickt. Was auch noch überliefert ist, sind danach folgende traurige Briefe von ihr an ihre Stiefmutter (wobei der exakte Grund nicht genannt ist) und eine Übersetzung von Catherine Parrs Buch "Lamentations of a Sinner" ins Italienische, die Elizabeth für ihre Stiefmutter verfertigte. Eine Bitte um Vergebung? Wer weiß. (Catherine Parr, aber sie starb.)
Lange Zeit sind Biographen davon ausgegangen, daß Thomas Seymour Elizabeths erste Liebe gewesen ist; erst Patricia Finney stellte das in Frage und wies darauf hin, daß wir, wenn heute ein Stiefvater eine Minderjährige in seiner Obhut sexuell belästigt, von Mißbrauch reden würden. Außerdem reagierte Elizabeth auf seinen Tod entschieden kaltblütig, nicht nur im Gegensatz zu ihrer Haltung, als viele Jahre später Robert Dudley starb, sondern auch zu ihrer Reaktion auf die Gefahr, die damals Kat Ashley und Thomas Parry (Elizabeths Haushofmeister) drohte, die gleichzeitig mit Seymour im Tower festsaßen. Für ihre Gouvernante und ihren Haushofmeister kämpfte sie (erfolgreich) wie eine Löwin, statt sich von ihnen zu distanzieren und ihnen die Schuld zuzuschieben. (Ihr Argument gegenüber dem Rat war im Gegenteil, daß, wenn sie unschuldig war, auch ihre Dienstboten unschuldig sein müßten, und der Rat also entweder sie schuldig sprechen oder ihre Dienstboten freilassen müßte.) Für Seymour dagegen rührte sie keinen Finger.
Um in jeder Hinsicht fair zu sein: ob Elizabeth nun ihrerseits in ihn verliebt war, oder seine Avancen unwillkommen waren, Thomas Seymours Verhalten unterschied sich nur in einer Hinsicht nicht von dem eines anderen Schwagers Heinrichs VIII., nämlich Charles Brandon, Herzog von Suffolk (und Großvater von Jane Grey): Tom Seymour verlor seinen Kopf. Trotzdem hat Brandon meist in fiktiven Darstellungen ein sehr positives Image (in der Serie "Die Tudors" z.B.). Aber wenn man sich Charles Brandons Ehegeschichten anschaut, dann wirkt er nicht weniger skrupellos als Thomas Seymour, nur sehr viel erfolgreicher. Da gab es nämlich:
1) Anne Browne; Charles war mit ihr verlobt, was damals bindend war; überdies nahmen die beiden den Ehevollzu vorweg, und daher gab es schon ein Kind, als Charles herausfand, daß Anne eine reiche Tante hatte. Das führte zu:
2) Margaret Neville. Die reichte Tante. (Und eine von DEN Nevilles.) Charles heiratete sie und ließ Anne im Stich. Das machte die Familie Browne nicht glücklich, und sie gingen sogar vor Gericht, um ihn zu verklagen. Damit hatten sie Erfolg: die Ehe mit Margaret Neville wurde aufgelöst, und Charles heiratete doch noch Anne. Sie bekam noch ein weiteres Kind, und dann starb sie. Dann gab es beinahe:
3.) Elizabeth Grey. Achtjähriges Waisenmädchen und Erbin von Lord Lisle. Außerdem Charles' Mündel. (Vormundschaften waren immens profitabel für Tudor-Adlige.) Er verlobte sich mit ihr, und sein Freund Heinrich VIII. übertrug ihm den Titel Lord Lisle. Als Elizabeth Grey dreizehn Jahre und damit heiratsfähig wurde, weigerte sie sich jedoch, Charles zu heiraten, und heiratete stattdessen Edward Courtenay. Charles behielt den Titel Lord Lisle.
4.) Mary Tudor. Heinrichs jüngere Schwester, die von ihm mit dem alten französischen König Louis verheiratet worden war, unter der Bedingung, daß sie sich den nächsten Gatten selbst aussuchen dürfte. Louis starb nach kaum einem Jahr Ehe; Charles kam nach Frankreich, Mary heiratete ihn. Sie hatten zwei Söhne (die jung sterben sollten) und zwei Töchter (Frances, Jane Greys Mutter, war eine davon), und dann starb auch Mary. Charles blieb nicht lange Witwer.
5.) Catherine Willougby. War eine sehr reichte Erbin und Charles' Mündel, ursprünglich von ihm und Mary "eingekauft", um mit Charles' ältestem Sohn verheiratet zu werden. Dann, als Catherine 14 war, starb Mary. Charles war mittlerweile 49, aber sah das nicht als Hinderungsgrund, oder das Verlöbnis zwischen Catherine und seinem älteren Sohn. Er heiratete Catherine. (Der Sohn starb bald darauf; sein jüngerer Bruder war schon vor Mary gestorben.) Catherine und Charles hatten ebenfalls zwei Söhne (die auch jung sterben sollten, aber erst Jahre später), und Catherine überlebte Charles, um als Herzogin von Suffolk eine der imposantesten Figuren am Tudor-Hof zu werden.
Wie gesagt: in diesem Kontext war Thomas Seymours Verhalten keineswegs ungewöhnlich. Sympathisch macht ihn das mir jedoch deswegen nicht!