Das Besondere am Konzept Schleiermachers - und weshalb ich dies hier erwähne - ist zusammenfassend seine Überzeugung, in der Übersetzung gleichsam erkennen zu lassen, dass es eine Übersetzung ist. Er gibt also den Besonderheiten des Grundlagentextes den Vorzug. Dies schafft natürlich Distanz zum Leser, besonders zum späteren. Dennoch bleibt eben durch die Distanz eine kritischere Aufmerksakeit vorhanden.
Gerade diese halte ich insbesondere bei Platon für notwendig. Nicht einmal nur für ein universitäres Lesen, sondern auch für private Überlegungen. Aus einem sehr triftigen Grund: Platon liest sich sehr nett. Ein bisschen prosaischer als andere Philosophen, ein bisschen szenisch und gesprächig (aufgrund der Dialogform scheinbar leicht zu verfolgen) und kompliziertere Fachbegriffe wie Apperzeption und Wesenheit kommen nun auch nicht ins Blickfeld. Das macht Platon so schön... verständlich. Eben scheinbar. Und das ist der Punkt.
Man überliest vieles, liest weniger genau - und ich möchte sagen, versteht eben nicht unbedingt. Das ist kein Absprechen des Leserintellekts, sondern eine schlichte Beobachtung und Erfahrung - auch im Umgang mit Philosophiestudenten.
Zudem ist auch einfach mal an einigen Stellen zu sagen, dass falsch bzw. nicht wirklich korrekt übersetzt wird, hatte ich erst neulich in einem Text, der eine mögliche Problemstelle darstellte. In dem Sinne nicht korrekt, dass aufgrund grammatischer Fehlübersetzung auch manchmal eine Sinnverschiebung eintritt. Die zu falschen Schlüssen leiten kann.
Schleiermacher war da auch in seiner Übersetzung nicht immer nah an der Grammatik des Quelltextes, um nicht zu sagen, er war schon manchmal etwas freier, für manchen Altphilologen heute sogar zu frei. Allerdings weniger, was den Sinn angeht, sondern in der Übertragung mancher Strukturen, seine Übersetzung ist grammatisch keineswegs immer exakt (weshalb Schleierübersetzung bei ihr gut und gerne heute durch die Graecums-Prüfung gerasselt wäre, wie meine Dozentin damals anmerkte), aus heutiger Sicht begrifflich nicht aktuel und ebenfalls im Geiste seiner Zeit verankert. Er legte also gleichsam schon Wert auf Verständlichkeit (denn die grammatische Struktur-Bedachtsamkeit darf ebenfalls auch nicht auf die Vermittlung des Inhalts gehen), jedoch keine trügerische.
Der Sinn darf nicht zu stark nach Pässlichkeit übersetzt werden. Das wird gerade in manchen Reclam-Heftchen so stark getan, dass die Simplifizierung auch auf den Inhalt wirkt und Zusammenhänge nicht mehr so eindeutig, schnell auch nicht mehr erkennbar und noch schneller missinterpretiert sind.
Was du meistens liest, ist also nicht unbedingt Platon. Die Deutungsmöglichkeiten binnen der Übersetzung (und auch während des Übersetzens) darf man nicht unterschätzen.
Wenn du wissen willst, wie Platon heute aussehen soll, hier und heute, dann braucht es auch mehr als ein Reclam-Heftchen. Denn Platon unhistorisch zu lesen hat noch weniger mit Platon zu tun. Ich lese z.B. "Staat" und gehe mit meinem heutigen Verstehenshorizint dran, vergesse dabei völlig, dass Politeia was ganz anderes ist als der Staat - besonders der heute. Um Platon heute zu verstehen brauch ich sowohl historischen Hintergrund als auch eine vernünftige Übersetzung als auch Grips. Nur mit Grips liest du nicht Platon, sondern was anderes.
Und deswegen hat Schleiermacher ja so viel Wert auf die Kennzeichnung eines übersetzten Textes Wert gelegt. Dass man sich im Klaren darüber ist, einen nicht zeitgemäßen Text in der Hand zu haben und vor allem, dass ein Übersetzer zwischen Text und Leser in Form eines Textes steht. Distanz ist auch für moderne Leser nicht unsinnig. Dabei spreche ich mich nicht gegen moderne Übersetzungen aus. Im Gegenteil, denen sollte man den Vorzug geben und Schleiermacher ist auch nicht perfekt. Aber ich spreche mich hier an dieser Stelle gegen den Vorzug einer weniger guten modernen (im Vergleich zu einer besseren alten) aus.
Ja, natürlich, für eine wirklich einfache Beschäftigung, ein Einlesen und Grobverständnis reicht auch ein Reclam-Heftchen. Ich nutze die Teile ja ebenfalls sehr gerne und sie sind in vielen Fällen besser als ihr Ruf und meine hier geäußerte Ansicht.
Nur sollte man dann nicht zum lauten und zudem falschen bis unangemessenen Urteil gelangen und Schleiermacher als schlechte und unverständliche Übersetzung abtun und eine Reclam-Übersetzung einfach mal unwissentlich bevorzugen.
Nur weil etwas nicht so genehm klingt, ist es nicht gleich die schlechtere Wahl.
Philosophie ist keine Literatur, die irgendwie nett klingen und mit etwas Anspruch unterhaltsam sein soll.
Das ist ja auch mit Grund für viele der nicht genehmen Schreibweisen. (Dazu hatte sich Kant selbst geäußert - der konnte nämlich durchaus sehr flüssig schreiben. Hat darauf aber bewusst verzichtet, damit man den Inhalt erarbeitet, sich während des Lesens mit selbst erarbeitet - eben versteht.)