Beiträge von evaczyk

    Ein Assassine wider Willen

    Als Tatort-Kommissar Paul Brix jagt der Schauspieler Wolfram Koch Verbrecher in Frankfurt und Umgebung. Als Sprecher in Pierre Martins Hörbuch "Monsieur Le Comte und die Kunst des Tötens" tauscht er die Rolle. Denn Lucien Comte de Charcarasse, der Protagonist dieses Cozy Krimis, ist von Kind an zum Assasinen ausgebildet worden, sprich zum Auftragsmörder, ganz wie es der glorreichen Familientradition entspricht. Durch die Jahrhunderte hinweg töteten die de Chacassanes für Könige und Päpste, auch die de Medici gehörten laut der diskret gepflegten Familienlegende zu den Auftraggebern.

    Nur Lucien ist irgendwie aus der Art geschlagen, denn er kurvt lieber auf seiner Vespa die Cote Azur entlang, betreibt ein klienes Restaurant und ist überhaupt den schönen Dingen des Lebens zugetan. Geld ist schließlich kein Problem.

    Doch dann holt die Familienpflicht auch Lucien ein: Sein Vater wird bei einem gescheiterten Arbeitseinsatz angeschossen und schwer verletzt. Auf dem Sterbebett nimmt er Lucien das Versprechen ab, die Familientradition fortzusetzen. Noblesse oblige - Lucien kann sei Wort nicht brechen. Eher unwillig lässt er sich von seinem nicht sonderlich sympathischen Onkel Edmonde in die Arbeitsteilung der Familie einweisen - Edmonde ist für die finanziell-organisatorische Abwicklung mit den Auftraggebern zuständig, Lucie für den eher praktischen Teil. Eine weitere Erkenntnis, an die sich Lucien erst gewöhnen muss, ist die Rolle der eleganten Francine, die für seinen Vater offenbar nicht nur Privatsekretärin war. Das sind ziemlich viele neuer Erkenntnisse auf einmal für den unfreiwilligen Assasinen.

    Zu Luciens großem Bedauern dauert es nicht lange, bis der erste Auftrag kommt. Und obwohl der Comte alles tut, um seinen Auftrag nicht zu erfüllen, endet es mit einem Toten. Für die Zukunft muss sich Lucien einiges einfallen lassen, um nicht schuldig am Tod anderer Menschen zu werden. Ganz nebenbei entwickelt er detektivischen Spürsinn, der nicht nur für die Aufklärung der Hintergründe seiner Aufträge von Bedeutung ist. Die Fähigekeiten, die Lucien seit seiner Kindheit erlernt hat, stellen sich dann doch noch als recht praktisch heraus. Denn als er den Tod seines Vaters aufklären will. gerät er in gefährliche Situationen.

    Die Abenteuer des Comte sind unterhaltsam geschrieben und werden von Koch mit spürbarem Vergnügen eingesprochen. Gutes Essen und savoir vivre sowie ein bißchen amour gehören auf jeden Fall auch dazu. Laut Verlagsangaben soll es weitere Abenteuer des Comte geben - das ist eine gute Nachricht. Dieser Südfrankreich-Krimi dürfte allen gefallen, die entspannende südliche atmosphäre mehr schätzen als allzu blutrünstige Schilderungen. Auch Nebenfiguren wie Haushälterin Rosalie und der nicht gänzlich korruptionsfreie Gendarm unterstreichen die heitere Note des Romans.

    Allein unter Almans

    Man kann Aylin Atmaca zugute halten: Mit ihrem Debütroman "Ein Alman feiert selten allein" hat sie migrantische Erfahrungen ohne Larmoyanz und erbitterte Ergüsse über die böse, böse Mehrheitsgesellschaft geschrieben, selbst die Kartoffel-Verunglimpfung hat sie unterlassen. Kritisch lässt sich anfügen, es gibt reichlich Klischees.Vor allem aber nimmt ihr humoristisch geprägtes Buch deutsch-türkische Culture clashs auf die Schippe.

    Für Protagonistin und Ich-Erzählerin Elif ist es Stress Pur: Sie wird das erste Weihnachtsfest mit der Familie ihres Freundes Jonas verbringen. Das heißt: Die Beziehung ist ernst! Weihnachten in Familie, das ist ja gewissermaßen das Vorspiel zu einer Verlobung, ja, kommt doch eher nach einem solchen Schritt. Es heißt aber auch: Alman-Alarm!

    Denn nicht nur Jonas´ Kernfamilie, sondern der gesamte Familienclan kommt unter dem Weihnachtsbaum zusammen. Und zwar so richtig deutsch-organisiert, mit WhatsApp-Gruppe und solchen Marotten wie dem Bügeln des Geschenkpapiert zur künftigen Wiederverwendung! (Merke: Die Autorin ist in Heidelberg aufgewachsen. Schwäbische Sitten...)

    Das Buch lebt von der Unwissenheit Elifs, die gewissermaßen ihren Initiationsritus in deutsches Brauchtum und das Fest der Feste erlebt. Wobei das irgendwie unglaubwürdig erscheint, denn auch wenn Elifs muslimische Familie kein Weihnachten gefeiert hat, ist es ja nicht so, als sei sie gerade erst aus der Türkei angekommen. Wer als türkeistämmiges Kind in Deutschland Kindergarten und Schule durchlaufen hat, Werbung und Fernsehprogramm kennt, für den oder die ist Weihnachten und deutsches Brauchtum denn nicht so wirklich ein böhmisches Dorf. Schließlich gibt es zahlreiche türkische Familien, die gerne auf den Weihnachtsmarkt gehen und sich auch ohne religiösen Bezug gerne einen Baum aufstellen, weil es so schön ist.

    Sei´s drum - Ein Alman kommt selten allein wirbt für Verständnis und Dialog, selbst der zu rassistischen Sprüchen neigende Onkel lernt irgendwann das Prinzip Toleranz und das Fest der Liebe funktioniert auch ohne zu nachhaltien Zerwürfnissen zu führen. Für Elif gibt es neue Einblicke in Jonas und seine Familie. Mal sehen, wie der sich auf dem nächsten Zuckerfest schlägt. Vielleicht gibt es ja noch einen Folgeband: Allein unter Almansis.

    Auftragsmörderin im Herbst des Lebens

    Hornclaw wird leicht übersehen - und das ist lebensgefährlich: Denn die zierliche ältere koreanische Dame und Protagonistin in Byeong-mo Gus "Frau mit Messer" ist seit 40 Jahren eine Auftragsmörderin. Wer "Die Plotter" gelesen hat, entdeckt einen verwandten Geist, freilich ist Hornclaw, die mit ihrem scharfen Messer tötet, eher eine Killerin des intelligenten Anpirschens und nicht der brachialen Gewalt. Dennoch wird ihre Lage mit zunehmendem Alter und schwindenden körperlichen Kräften allmählich prekär, zumal ein junger, aufstrebender und genussvoll brutaler "Kollege" ihr das Leben schwer macht un alles tut, um innerhalb der die Aufträge vergebenden "Agentur" ihrem Ruf zu schaden.

    Hornclaw, früh verwaist und vom Leben nicht gerade gut behandelt, ist eine Frau ohne Wurzeln und Bindungen, selbst ihrer Hündin, die ihr zugelaufen ist, begegnet sie mit Distanz - so kann ein Verlust sie nicht emotional treffen. Dass in ihrem Beruf alles, was als Schwäche ausgelegt werden kann, sehr schnell die eigene Existenz bedroht, versteht sich von selbst. Und so einfach in den Ruhestand verabschieden kann man sich als Auftragsmörderin wohl auch nicht so einfach.

    Liegt es am Alter und der Erkenntnis, dass nicht mehr allzu viele Jahre bleiben könnten? Hornclaw merkt, dass sie einerseits verunsichert auf den Spott und die Diffamierung ihres jungen Kollegen reagiert und sich andererseit für einen deutlich jüngeren Mann interessiert. Ein neuer Auftrag wird für sie zu einem unerwarteten Interessenkonflikt und die Jägerin droht zur Gejagten zu werden.

    Nachdem ich erst vor kurzem Marcel Huwylers "Frau Morgenstern und die Flucht" ebenfalls über eine angejahrte Killerin gelesen habe, hat es mich gleich gereizt, Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen den beiden Frauen zu erkunden.

    Vom Stil sind beide Bücher sehr unterschiedlich Byeong-mu Gu beschreibt die Gangsterwelt zwar nicht ganz so brachial wie Un-Su Kim, aber blutig und düster geht es auch in "Frau mit Messer" zu. Krimi, Charakter- und Milieustudie in einem lädt das Buch zur Entdeckung der koreanischen Unterwelt mit ihrem Ehrenkodex und ihren harten Regeln ein. Es bestätigt mich in meiner Meinung, dass es in Korea viel spannende (Kriminal)literatur zu entdecken gibt, die ganz ohne Exotismen den Lesehorizont erweitert. Die lakonische, unsentimentale Schreibweise passt sehr gut zu Inhalt und Protagonstin.

    Dystopie mit Realitätsnähe

    Mit "unsere verschwundenen Herzen" hat Celeste Ng eine zugleich verstörende als auch ermutigende und hoffnungsvolle Dystopie geschaffen, die ich, nachdem ich das Buch angefangen hatte zu lesen, kaum aus der Hand nehmen konnte. Verstörend, weil die Zukunftsversion eines von antiastiatischem Rassismus geprägten amerikanischen Überwachungsstaats, der missliebigen Eltern ihre Kinder entzieht und zu Gesinnungsschnüffelei und Denunziation ermutigt, so realistische Parallelen in der nicht so weit zurückliegenden Geschichte hat.

    Seien es die Kinder von Migranten an der Südgrenze der USA die während der Präsidentschaft Trumps von ihren Eltern getrennt wurden, die indigenen Kinder in Nordamerika oder in Australien, die in Heimen und Internaten zwangsassimiliert und häufig gebrochen wurden, sei es das Schicksal der Kinder von Regimegegnern in der DDR, die zwangsadoptiert wurden oder in der stalinistischen Sowjetunion. Und auch die Schubladisierung von Menschen, hysterischer Patriotismus, der vor allem von der Schaffung von Feindbildern lebt - das klingt alles nur zu vertraut und ist noch gar nicht lange her.

    "Sie war lang, die Geschichte von Kindern, die man ihren Lieben entrissen hatte - die Vorwände unterschieden sich, aber die Gründe waren dieselben. Ein wertvolles Pfand, ein Damoklesschwert über den Köpfen der Eltern. Es war das Gegenteil dessen, was ein Anker ist: der Versuch, etwas Andersartiges, etwas Gehasstes und Gefürchtetes zu entwurzeln.Eine Fremdheit, die als invasives Kraut galt, etwas, das vernichtet werden musste."

    Im Fall des zwölfjährigen Bird, Sohn eines weißen Vaters und einnn er chinesischstämmigen Mutter, war es allerdings etwas anders: Die Mutter, eine Dichterin, hat die Familie verlassen. Seitdem wird sie regelrecht totgeschwiegen, die offizielle Lesart des Vaters ist: Wir wollen nichts mehr mit ihr zu tun haben. Dass sein Vater, vom Hochschullehrer zum Büchereigehilfen degradiert und in prekären Verhältnissen in einem Studentenwohnheim lebend, seinen Sohn damit vor allem schützen will, wird Bird erst später erkennen.

    Vorerst ist er wütend, ratlos, unsicher, warum die Mutter gegangen ist, bis seine Schulfreundin Sadie ihm erzählt, die Mutter sei im Widerstand gegen die Regierung aktiv. Als ein Brief in ihrer Handschrift auftaucht, macht sich Bird auf die Suche - und stößt ebenso wie die Ausreißerin Sadie nach und nach auf ein Netzwerk, in dem Bücher eine wichtige Rolle spielen, um das Schicksal auseinandergerissener Familien aufzuklären.

    "Das Gehirn einer Bibliothekarin war ein geräumiger Ort. Jede von ihnen hatte ihre eigenen Gründe, warum sie dieses Risiko auf sich nahm, und auch wenn die meisten diese Gründe nie mit anderen teilen und sie auch nie persönlich treffen würden, teilten sie alle dieslbe verzweifelte Hoffnung, einen Treffer zu landen und eine Notiz mit dem neuen Aufenthaltsort des Kindes zwischen den Seiten zurückschicken zu können. Eine Nachricht, die der Familie versicherte, dass ihr Kind noch existierte, wenn auch in weiter Ferne, und die dem tiefen Loch ihres Verlustes einen Boden gab."

    Und hierin liegt denn auch das Hoffnungsvolle und Optimistische bei aller Düsternis des Romans. Es gibt sie eben doch, die Anständigen, dir Gerechten, die Hinsehenden, die sich mit den Umständen nicht abfinden wollen, die ihrer eigenen Angst trotzen und versuchen, etwas zu tun, auch wenn sie in ihrem Widerstand so klein, so einsam, so gefährdet sind. Kunst, Bücher, Bibliotheken werden Orte der Erinnerung, des Bewahrens von Werten, der Ausgangsort von Handlungen und Hoffnung.

    Der Schreibstil von Ng erinnert an chinesische Tuschezeichnungen oder Kalligraphie - mit weniger Worten und Sätzen gelingt es ihr, die Stimmung und Atmosphäre zu skizzieren, den Gemütszustand von Bird, die Einsamkeit seines Vaters, die Aktionen des Widerstands. Manche Elemente sind geradezu märchenhaft, andere erinnern nur zu sehr an Realitäten

    Ein angekündigter Mord

    Es gibt Mordopfer, die sind einem trotz ihres plötzlichen und gewaltsamen Todes einfach nicht sympathisch. Nadine Just in Ursula Poznanskis Kriminalroman "Stille blutet" ist so ein Fall. Die 27-jährige hat steile Karriere bei einem privaten Fernsehsender gemacht, wobei sie ihren Erfolg klar ihrem Aussehen und der Nähe zm Senderchef und nicht etwa journalistischen Qualitäten verdankt. Unbeliebt ist sie aber vor allem wegen ihres Charakters, den Angriffen auf alle, die nicht so jung und schön wie sie sind, die Herabwürdigung ihrer Opfer in sozialen Medien. Und dann ist da die Nachrichtensendung, in denen sie live vom Teleprompter abliest, es werde in Kürze zum Tod einer bekannten Fernsehmoderatorin kommen. Ein Verbrechen könne nicht ausgeschlossen werden. Der Name des Opfers sei - Nadine Just.

    Der Werber Tibor Glaser hat sich zwar vor ein paar Monaten von Nadine getrennt, ist aber dennoch erschrocken, als er die Sendung sieht. Als er Nadine telefonisch nicht erreichen kann, fährt er zum Sender und findet sie schließlich tot in ihrer Garderobe. Da die Polizei ebenfalls die Statistik kennt, dass bei Morden der Täter in der Regel im persönlichen Umfeld zu suchen ist, gerät natürlich auch Glaser ins Blickfeld - Trennung hin oder her.

    Zu den Ermittlern gehört Serafina (Fina) Plank, bei geringer Körpergröße eher kompakt gebaut, was bei ihr zu gehörigen Komplexen und Unsicherheiten im Umgang mit ihrem Äußeren führt. Das wird nicht gerade leichter durch ihren Chauvie-Kollegen Oliver beim Wiener LKA, der keinen Hehl daraus macht, dass er die Mordkommission lieber wieder als frauenfreie Zone hätte und kräftig mobbt.

    Dann kündigt ein freie Fotograf in seinem Blog seinen Tod an - und als er in der Tat tot aufgefunden wird, trendet in den sozialen Medien der hashtag inkürzetot. Pech für Björn Glaser, dass es auch in dem zweiten Fall eine Verbindung zu ihm zu finden scheint. Je mehr er versucht, seinen Ruf zu retten, desto mehr verstrickt er sich in ein Netz, das er nur ahnen kann. Sein Partner will ihn aus der Werbeagentur haben, da der Verdacht gegen den Werber geschäftsschädigend ist, in den sozialen Medien wird er an den virtuellen Pranger gestellt und die Polizei hat sich auf ihn als Hauptverdächtigen eingeschossen. Wenn Fina Plank andere Optionen untersuchen will, muss sie sich gegen den Vorwurf verteidigen, eine Schwäche für den gutaussehenden Werber zu haben und daher voreingenommen zu sein. Während Glaser immer neue und erschreckende Dinge über Nadine erfährt, lässt sich erahnen, dass er nur eine Figur im Spiel eines Unbekannten ist.

    Die Charaktere des Romans sind womöglich ein bißchen holzschnittartig und lassen wenig Tiefe erkennen. Spannend ist der Fall allemal und erinnert an so manchen Hitchcock. Die Auflösung samt Cliffhanger-Ende lässt einige Fragen offen. Dennoch habe ich mich gut und spannend unterhalten gefühlt.

    In der Hörbuch Version gefällt mir Julia Nachtmann als Sprecherin einmal mehr sehr gut. Sie hat eine warme, angenehm zu hörende Stimme und spricht auf eine zurückgenommene, nicht übermäßig dramatisierende Art, die für mich gut passte.

    Brandheißer Schwedensommer

    Wenn das mal nicht brandaktuell ist nach einem heißen Sommer, in dem in Europa einmal wieder vielerorts die Wälder brannten. Die Klimakrise spielt in Pernilla Ericsons Kriminalroman "Im Feuer" im Hintergrund immer wieder eine Rolle. Da es ein Krimi ist, ist allerdings auch so mancher Brand und damit zusammenhängende Todesfall auf menschliches Zündeln zurückzuführen. Dennoch werden Erderwärmung, Klimaveränderunge und das Dauerschwitzen selbst im schwedischen Sommer immer wieder thematisiert.

    Die Polizistin Lilly Hed hatte in Stockholm schon große Fälle bearbeitet. Im beschaulichen Nynäshamn ist die Verwunderung bei den Kollegen an der Schärenküste groß, dass sich die Ermittlerin ausgerechnet in die vergleichsweise unspektakuläre ländliche Idylle versetzen ließ, wo Schwerkriminalität normalerweise ein Fremdwort ist. Zumal Lilly sich über ihre Gründe und ihr Privatleben ausschweigt. Auch die Leser wissen zunächst nur, dass es einen Vorfall gegeben haben muss, der die Polizistin ausgebrannt oder traumatisiert zurückgelassen hat - ein Hinweis sind die Schlaftabletten, die sie immer braucht.

    Als ein Mann in seinem Haus bei einem Brand ums Leben kommt, wird zunächst ein Suizid nicht ausgeschlossen - es gab Eheprobleme, wie auch bei einem zweiten Vorfall. Doch dann häufen sich die Anzeichen für Fremdverschulden. Daneben gibt es aber auch genügend "natürliche" Brände, die Menschen und Grundstücke gefährden und die Polizisten wie auch die Feuerwehr auf Trab halten. Hat ein psychische kranker Mann, der vor Jahren in der Gegend Brände gelegt hat, die Hand im Spiel?` Gibt es ein verbindendes Element zwischen den Toten? Je mehr Lilli in der Vergangenheit wühlt, desto mehr Rauch von neuen Feuern scheint ihre Sicht zu trüben. Als zunächst eher irritierende Ablenkung entpuppt sich auch der sympathische Feuerwehrmann Jesper, der Lillys Furcht vor Nähe gewaltig auf die Probe stellt.

    Hinzu kommt eine zweite Erzählebene, das Schicksal eines Menschen, der von einer Gruppe Jungen als Monster verhöhnt, geqüält und misshandelt wird, der schließlich seine Wohnung in einem Feuer verliert. Übt er etwa Rache? Ist er körperlich dazu überhaupt imstande? Je mehr Lilly herausfindet, desto größer wird auch ihr Risiko, denn wer immer die Brände gelegt hat, will das Geheimnis unbedingt wahren....

    Ebenso wie Lilly müssen die Leser lange in der Asche stochern. Der Plot sorgt für Überraschungen und ist spannend aufgebaut, wobei ich schon so eine leise Ahnung hatte, wer hinter all dem steckem könnte. In der Auflösung kommt dann alles passend zusammen. Spannend geschrieben und mit dramatischen Brandszenen, die dafür sorgen, dass einem beim Lesen ordentlich eingeheizt wird. Die Protagonisten sind sympathisch und glaubwürdig. Demnächst mehr?

    Schmuggel, Clans und ein toter Ex

    er one night stand der noch ziemlich verkaterten Frankfurter Anwältin Carla Winter kommt zu einem jähen Abschluss, als ihre Sekretärin sie aus dem Schlaf reißt: Sie soll sofort zur Kanzlei kommen. Ein Herr vom türkischen Generalkonsulat wolle sie dringend sprechen. Immerhin: Der Mannn sähe aus wie Doktor Schiwago. Doch alle Ähnichkeit mit Omar Sharif verblasst angesichts der unschönen Nachricht, Winters Ex-Mann sei bei einem Autounfall in der Türkei ums Leben gekommen. Ob Winter sich mangels anderer Angehöriger um Überführung und Begräbnis kümmern würde. Und da hatte die Anwältin schon gedacht, es ginge um einen ihrer Klienten aus dem Ruhrgebiet, Oberhaupt eines kriminellen Clans!

    Kaum hat Carla Winter in Lukas Erlers Kriminalroman "Das letzte Grab" den ersten Schock überwunden, wartet zu Hause der nächste. Denn ihr Haus wurde gründlich auf den Kopf gestellt und der Lover der vergangnen Nacht, den sie zunächst des Vandalismus verdächtigt hatte, ist tot im Kleiderschrank. Der Genickbruch und die Auffindesituation schließen eine natürliche Todesursache aus. Und Clara Winter kann sich nicht einmal an den Namen des Mannes erinnern!

    Die volle Tragweite der Vorfälle und die Verbindung zu ihrem Ex Felix erschließt sich erst nach und nach. Abgesehen von Narzissmus und Bindungsunfähigkeit hatte der Mann noch einen Geschäftszweig beim Schmuggel und Verkauf von Raubkunst, den er ihr tunlichst verschwiegen hatte. Der Mann, der Carla Winter darüber aufklärte, ist kurz darauf ebenfalls tot und schon bald ahnt sie, dass auch sie ziemlich weit oben auf der Liste der Menschen ist, die nicht vor Mord zurückschrecken, um in den Besitz einer geschmuggelten Statuette zu kommen. Dummerweise hat die Anwältin keine Ahnung, wo das Kunstwerk sein könnte.

    Hilfe in der Not sind die kriminellen Mandanten aus Duisburg mit ihrem verzweigten Netzwerk im türkisch-syrischen Grenzgebiet und ein grummeliger alter Professor. Der Titel des Romans ist ein ziemlicher Spoiler: Es ist wenig überraschend, dass die einsame Beerdigung nicht das letzte ist, was Winter von ihrem Ex zu sehen bekommt.

    Enttäuschte Liebe und Loyalität, Druck und Gegendruck, Psycho-Spielchen und brutale Gewalt spielen gleichermaßen eine Rolle. Die Anwältin geht ein hohes persönliches Risiko ein, um die Hintergründe und Hintermänner ihres wohl persönlichsten Falls zu ergründen. Hier ist kein Aktenstudium gefragt, sondern Entschlossenheit. Auch wenn manche Entwicklung nicht völlig überraschend kommt für routinierte Krimileser, bietet "Das leere Grab" spannende Unterhaltung zwischen Orient und Okzident.

    Roadtrip der Hoffnungen

    Es gibt Bücher, die möchte man eigentlich gar nicht zu Ende lesen, weil sie einfach so gut sind und der Blick auf den immer dünner werdenden Teil bis zur letzten Seite den Abschnitt vom Buch bedeutet. "Lincoln Highway" von Amor Towles war für mich so ein Buch. Ein Leseerlebnis wie ein Road Trip durch die amerikanische Weite, wenn auch ein wenig anders als ursprüngich erwartet. Zugleich ist es eine Coming of Age-Geschichte und das sensibel gezeichnete Porträt von vier Jungen bzw jungen Männern, die bei all ihren Unterschieden eines eint: Sie sind Söhne ohne Väter, versuchen auf unterschiedliche Weise mit dieser Leerstelle in ihrem Leben umzugehen, während sie ihre Träume verfolgen.

    Das Buch startet im Mittleren Westen in Nebraska, als der 18-jährige Emmett nach Verbüßung seiner Zeit in einer Jugendstrafanstalt wegen Totschlags zurück auf die Farm der Familie zurückkehrt. Ein unglücklicher Sturz bei einer Schlägerei hat einen Kontrahenten das Leben gekostet - für Emmett ein Anlass, sich mit seinem Jähzorn auseinanderzusetzen. Wer ihn nun erlebt, traut ihm die Gewalt gar nicht zu, so besonnen, überlegt, reif weit über sein Alter hinaus wirkt er. Denn auch viel Verantwortung lastet auf dem jungen Mann: Für seinen achtjährigen kleinen Bruder Billy,einen aufgeweckten, lebhaften und sehr intelligenten Jungen, muss er nun Vater und Mutter sein. Die Mutter hat die Familie verlassen, als Billy ein Baby war, der Vater ist nach langer Krankheit gestorben und die Farm, so erfahrt Emmett gleich bei seiner Ankunft, gehört der Bank. Alles was den Brüdern geblieben ist, ist Emmetts Studebaker.

    Doch bei Emmett läuft nichts ohne Plan: Er will nach Texas, ein baufälliges Haus kaufen, renovieren, wieder verkaufern und in zwei weitere Häuser investieren - und immer so weiter, bis er irgendwann andere für sich arbeiten lassen kann. Doch er hat die Rechnung ohne Billy gemacht, der ihm erklärt, sie müssten nach Kalifornien. Denn in den Unterlagen des Vaters hat der Kleine Postkarten der Mutter getroffen, die offenbar den Lincoln Highway entlang nach Kalifornien gezogen ist - die letzte Postkarte kam aus San Francisco.

    Und noch andere Störmanöver gibt es mit dem Auftauchen von Duchess und Woolie, zwei Freunden Emmetts aus der Strafanstalt. Duchess, streetwise und mit allen Wassern gewaschen, Sohn eines fahrenden Schauspielers und Kleinkriminellen, und der ein bißchen langsame Woolie, der aus bester Ostküstenfamilie stammt, gewissermaßen Ostküstenadel, aber psychisch krank ist. Während Duchess als Kind von seinem Vater im Waisenhaus abgegeben wurde, weil er einer Romanze im Weg war, hat Woolie nie den Tod seines Vaters als Offizier im Zweiten Weltkrieg verwunden.

    Die Handlung von "Lincoln Highway" spielt in den frühen 60-er Jahrem, es ist ein langsameres, leiseres, monochromeres Amerika, die Trennung der Menschen in Schwarz und Weiß wird noch akzeptiert, das Frauenbild ist sehr traditionell, aber eigentlich wabert dieses gesellschaftliche Umfeld am Rand des Blickfelds, denn Duchess und Woolie torpedieren die Reise in den Westen, weil sie Woolies Erbe aus dem Safe seines Urgroßvaters aus dem Ferienanwesen in Neu England holen wollen. Zu welchen Komplikationen das führt, soll hier gar nicht erörtert werden.

    Towles lässt seine Leser den Abenteuern der vier Jungen folgen, immer wieder werden dabei die Perspektiven gewechselt, Wege trennen sich und führen wieder zusammen. Und wenn Emmett und Billy wie die Hobos in Güterzügen unterwegs sind, treffen sie auf Menschen wie Ulysses, in dem Billy mit seiner Begeisterung für Helden und Entdecker einen wiedergeborenen Odysseus zu erkennen bleibt. Lincoln Highway hat seine großen und kleinen Tragödien, steckt voller Träume und Hoffnungen. Die ruhige, bildhafte Erzählweise trägt zum Lesegenuss bei und viel zu schnell endet die Lesereise auch trotz der 575 Buchseiten. Mit Emmett, Billy und ihren Freunden unterwegs zu sein, macht Spaß und nachdenklich gleichermaßen.

    Eine Gattin verschwindet

    Wer sich bei Cay Rademachers "Die Passage nach Maskat" an ein Crossover von Babylon Berlin und Tod auf dem Nil erinnert fühlt, liegt nicht völlig falsch, spielt die Handlung doch in den 20-er Jahren und auf einem Schiff, dass von Marseille aus in den Nahen Osten und dann weiter nach Yokohama und Schanghai aufbricht. Mit dabei: Der Fotoreporter Theodor Jung, der für eine Berliner Illustrierte den Auftrag ergattert hat, über die Reise der "Champollion" zu berichten. Andernfalls hätte er Probleme gehabt, sich mit Ehefrau Dora der Reise der Schwiegerfamlie nach Maskat anzuschließen.

    Der Schwiegervater, ein Hamburger Kaufmann, macht keinen Hehl daraus, dass er mit dem Beruf seines Schwiegersohns nicht einverstanden ist und sich etwas "Besseres" für seine Tochter gewünscht hätte. Etwa seinen Prokuristen Lüttgen, der ebenfalls zur Reisegesellschaft gehört? Die Ehe von Theodor und Dora kriselt schon seit geraumer Zeit, er hofft, dass es auf der Schiffsreise wieder zu mehr Nähe kommt.

    Doch dann verschwindet Dora spurlos - und ihre Familie behauptet hartnäckig, sie sei nie an Bord gegangen und weiterhin in Berlin. Da ihr Name auch in der Passagiersliste nicht aufgeführt ist, zweifelt Theodor, der nach seinen Erlebnissen im Ersten Weltkrieg uner einer posttraumatischen Störung leidet, zeitweise an seinem Verstand zweifeln lässt. Immerhin: die französische Kabinenstewardess kann sich nicht nur an Dora erinnern, sie hilft ihm auch bei seinen Nachforschungen.

    Denn es gibt so manches, was Fragen aufwirft: Was sind die eigentlichen Pläne der Kaufmannsfamilie im Orient? Was hat ein bekannter Krimineller, der zu einem der berüchtigten Berliner Ringervereine gehört, mit Theodors Schwiegervater zu tun? Und auch sonst gibt es Passagiere, doe Fragen aufwerfen - der italienische Anwalt etwa, der ein bißchen zu intensiv mit Theodors Schwiegermutter flirtet, die wiederum ein Kokainproblem hat und offenbar von Dora beliefert worden ist. Der amerikanische Ingenieur, der erst nach und nach verrät, dass er keineswegs einen Brückenbau in Yokohama plant, sondern tatsächlich ebenfalls in Moskat das Schiff verlassen wird. Und auch die exzentrische Engländerin mit ihrer Gesellschafterin könnte das eine oder andere Geheimnis haben, ist auf jeden Fall aber ausgezeichnet vernetzt.

    Rademacher präsentiert einen ganzen Reigen an Verdächtigen, die sich auf die eine oder andere Weise kompromittieren, es gibt merkwürdige Unfälle und ein paar Leichen und auch romantische Schwingungen an Bord bleiben nicht aus. Bis Theodor das Rätsel um die verschwundene Ehefrau gelöst hat, wartet die eine oder andere bittere Erkenntnis auf ihn. Der Zeitkolorit ist gut getroffen und die teils klaustrophibische Stimmung trotz allen Luxus´an Bord der "Champillon" trägt zur Spannung bei.

    Hervorzuheben ist auch das Cover, das altmodischen Reiseplakaten nachempfunden ist, die Fernweh wecken und zugleich elegant gestaltet sind.

    Gift, Musik und Oligarchen

    Es gibt schon so viele Bücher um den kunstsinnigen israelischen Agenten und Mossad-Chef Gabriel Allon - da könnte man davon ausgehen, dass Autor Daniel Silva irgendwann die Ideen ausgehen. Doch weit gefehlt - "Die Cellistin" weckt angesichts der aktuellen weltpolitischen Lage Erinnerungen an reale Ereignisse, wenn es etwa um Giftmorde an Ex-Agenten oder sonstigen dem Kreml missliebigen Menschen geht.

    Die Verwicklungen russischer Oligarchen in die Politik, die Sicherheitsdienste und ins Organisierte Verbrechen - darüber gibt es non-Fiction-Bücher voll beunruhigender Schilderungen. Das Szenario von "Die Cellistin" wirkt daher ziemlich lebensnah. Und auch die Entwicklung in den USA mit dem Auftrieb der extremen Rechten während der Trump-Präsidentschaft ist leider kein Fantasieprodukt Silvas.

    Dabei will sich Gabriel Allon, nicht mehr der Jüngste und nach langer Geheimdienstlaufbahn doch eigentlich vor allem der Kunst und der Familie widmen, die in seinem Agentenleben oftmals zu kurz kamen. Und keinesfalls strebt er eine weitere Amtszeit als Mossad-Chef an. Doch als ein Kremlkritiker vergiftet wird und ausgerechnet eine investigative Journalistin unter Verdacht gerät, kann Allon dies nicht ignorieren, er kannte den Toten.

    Internationale Finanzspekulationen, Geldwäsche, Machtspiele und Oligarchen, das ganze passenderweise zwischen London und Zürich - das Setting passt, und Allon kann sich auf Mitstreitet verlassen, die auch aus früheren Bänden vertraut sind. So hat die Arbeit an dem neuen Fall ein bißchen etwas von einem Familientreffen an sich.

    Allerdings gibt es hier statt Kaffeetafel und Erinnerungen doppeltes Spiel, digitales und analoges Ausspähen, eine Falle für den obersten Geldwäscher des Kreml und wer weiß, vielleicht sogar für den Mann an der Spitze Ruslands selbst? Ein Trumpf in Allons Kartenset ist eine junge deutsche Finanzexpertin und begabte Cellistin, der der Roman den Titel verdankt. Wie so viele der Frauenfiguren, mit denen Allon zu tun hat, ist sie natürlich wieder unverschämt gut aussehend, aber na ja, wir wissen ja seit James Bond, dass unscheinbare Frauen in Spionagefilmen und -romanen nur als Leiche in den ersten Minuten/Buchseiten taugen, soviel Klischee muss wohl sein.

    Bei aller Routine des Autors kommt keine Langweile auf. Der Plot ist spannend, die Umsetzung ebenso. Der Showdown ist diesmal sogar ganz besonders dramatisch. Bleibt nur die Frage, hält Daniel Silva Allon die Treue oder bahnt sich hier gerade eine neue Reihe an?

    Betrug, bunt wie Bollywood

    Bunt und wirbelig wie ein Bollywood-Film, absurd-komisch, liebenswürdig und mit zahlreichen verrückten Wendungen kommen die "Bekenntnisse eines Betrügers" vo Rahul Raina daher. In seinem Debütroman zeichnet er ein aberwitziges, pralles Porträt seiner Heimatstadt Neu Delhi, auch wenn er wie so viele der von ihm beschriebenen ehrgeizigen Mittelschichtsinder längst kosmopolitisch zwischen dem Subkontinent und westlichen Ländern unterwegs sind, in Rainas Fall Großbritannien.

    Ich-Erzähler Ramesh kommt aus einem Teil Delhi, in dem dieser Traum unerfüllbar scheint. Die Mutter starb bei der Geburt, aufgezogen wird er von seinem prügelnden, lieblosen Vater, kann als Kind kaum zur Schule gehen, da er für den Teestand des Vaters Gewürze mahlen muss. Dass er zum Betrüger, Entführungsopfer und Möchtegern-Kidnapper wurde, hat er letzlich dem Traum vom Bildungsaufstieg zu verdankem und einer Nonne, die ihm den Schulbesuch ermöglichte.

    Ein gerader Weg zum Erfolg wird Ramesh allerdings nicht zuteil - statt dessen schlägt er sich zu Beginn des Romans als "Prüfungsberater" durch - sprich, er absolviert gehen entsprechende Entlohnung die Abschlussprüfung für reiche, aber faule oder unbegabte Söhne der indischen Mittelschicht und ebnet ihne so den Weg an amerikanische, englische oder australische Universitäten. Die größte Angst wann wird er zu alt sein, um als Abiturient durchzugehen?

    Die große Wende kommt, als Ramesh so erfolgreich wie nie zuvor ist: Rudraksh (oder Rudi), der pummelige, unglückliche und emotional vernachlässigte Sohn eines Mittelschichtpaares, wird Zweiplatzierter bei den All-Indian Exams. Das der Beste aller Schüler einen muslimischen Namen hat, konzentriert sich die gesamte mediale Aufmerksamkeit auf Rudi, der zum Social-Media und Fernsehstar mit eigener Rateshow wird. Plötzlich führt der 17-jährige das Leben eines Rock-Stars, Sex und Drugs inbegriffen und Ramesh ist als sein Manager Fixer, Berater, Diener und Kindermädchen in einer Person.

    Als Rudi der Erfolg zu Kopf steigt und er in der Show einen Teenager grausam demütigt, hat das ungeahnte Folgen. Plötzlich müssen Ramesh und Rudi um Gefahr für Leib und Leben fürchten. Korruption, Materialismus, Social Media-Ruhm, kriminelle Energie und ein bißchen Liebe werden in die turbulente Handlung eingebracht. Ein Highlight sind die sarkastischen Reflektionen Rameshs über das moderne Indien, über die Gegensätze zwischen Arm und Reich, zwischen Ost und West, über die Härten des Lebens und die verbleibenen Träume. Dabei wird auch der Yoga- und Ayurveda-verklärte Blick westlicher Wohlstandsmenschen auf den Subkontinent auf die Schippe genommen. Die "Bekenntnisse eines Betrügers" sind unterhaltsam, spannend, lebendig und farbenfroh erzählt.Ein gelungenes Debüt!

    Eine Leidenschaft für Bücher

    Es hat lange gedauert, bis ich mit Irene Vallejos Buch "Papyros" fertig war - nicht weil es mir nicht gefallen hätte - ganz im Gegenteil! - sondern weil hier so viel drinsteckt, dass es am besten in kleinen Portionen genossen wird, ähnlich wie Schokolade mit ultrahohem Kakaoanteil. Da ist weniger mehr für den Genuss. Ein Buch über die Geschichte von Büchern und die Geschichte des Lesens und der Schriftstellerei - das war sofort etwas, was mein Interesse erregte. Und obwohl sich Vallejo auf die Welt der Antike konzentrierte, von Alexander dem Großen bis ins alte Rom, so ist "Papyrus" doch gleichzeit ein Galopp durch die Jahrtausende, mit aktuellen Bezügen, mit Streifzügen und Überlegungen.

    Für manche mag das ein wenig konfus sein - sind die persönlichen Erinnerungen und Gedankensprünge der Autorin, die sich vom ursprümglichen Thema fortbewegen, wirklich wichtig? Ich denke schon, denn auf diese Weise habe ich das Gefühl, auch Vallejo besser zu kennen, so wie eine neue Bekanntschaft oder vielleicht auch Freundin. Ja, sie schreibt viel über ihre eigenen Erfahrungen, aber sie macht das auf eine reflektierte Art und Weise, nicht so wie manche Autoren, die vor allem Seelenstriptease betreiben und selbstbezogene Nabelschau halten.

    "Papyrus" zu lesen, hat mich an die richtig guten Gespräche erinnert, für die man leider viel zu oft nicht die passenden Gesprächspartner hat - es fängt an einem Punkt an ünd springt munter in immer neuen Ideen und Gedanken - was mit antiken Feldzügen beginnt, führt über die Geschichte der Lyrik zu Philosophie, Feminismus oder Gedanken über verschiedene Gesellschaftsordnungen. Es gibt viel zu entdecken in diesem Buch, daher sollte man sich auch die Zeit dafür nehmen und häufig habe ich das Buch auch erst mal beiseite gelegt, um zu einem Thema etwas nachzulesen und zu recherchieren, um mich mit Vallejos Gedankengängen zu beschäftigen.

    Stellenweise hatte ich das Gefühl, hier redet beziehungsweise schreibt jemand über Situationen, die ich selber kenne, hat jemand Bücher ähnlich als verändernd, bereichernd und voll Leidenschaft fürs Lesen kennengelernt. Ich kann sie so gut vor mir sehen, die gemobbte junge Irene, die sich dank der Schulbibliothek aus dem unschönen Alltag fortträumen konnte auf Robnisons Insel, mit Hannibal die Alpen überquerte, in Büchern Freunde, Trost, Lehrer fand.

    In "Papyrus" gibt sie diese Erfahrungen weiter, gespickt mit historischen Anekdoten, Einblicken in die Welt der Griechen und Römer, aufräumend mit manchem Mythos über die Welt der Klassik. Apropos Klassiker - wenn sie die Werke klassicher Literatur vom staubigen Sockel holt und statt dessen mit alternden Rockstars vergleicht, die immer noch die Stadien füllen, kommt Lust auf, es doch mal wieder mit den alten Größen zu versuchen.

    Papyrus ist klug, ein Sachbuch, das nicht langweilt, sondern viele Anregungen gibt, Wissen auf durchaus unterhaltsame Art teilt und Neugier weckt, den Gedankengängen der Autorin zu folgen. Dass der Literaturanhang am Ende ausgesprochen umfangreich geraten ist, ist nicht verwunderlich. Dieses Buch hat seine Vorschusslorbeeren zu Recht erhalten.

    Auf Freundshaft und Tod

    "Todesfall" - der Titel des norwegischen Kriminalromans von Randi Fuglehaug ist wörtlich zu nehmen. Denn es geht nicht nur um einen Todesfall (wenig überraschend in einem Krimi) - eine Frau kommr buchstäblich durch Fall zu Tode, nämlich bei einem Fallschirmsürung. Vier verschworene Freundinnen, die nicht nur das gemeinsame Hobby verbindet, wollten sich mit ihrem Sprung in Trachtenkostüm an dem Extresportfestival in ihrem westnorwegischen Heimatort Voss beteiligen. Doch nur drei von ihnen kommen heil am Boden an. Die Journalistin Agnes Tveit, erst vot kurzem aus der Hauptstadt nach Voss zur dortigen Zeitung zurückgekehrt, gehört zu den Augenzeugnnen und berichtet über den Vorfall.

    Was zunächst noch wie ein tragischer Unfall aussah, entpuppt sich als Mord: Sämtliche Schnüre an dem Fallschirm wie auch am Reserveschirm waren durchtrennt worden. Die Springerin hatte nie eine Chance gehabt. Wer hatte ein Interesse an dem Tod der jungen Mutter? Agnes Tveit klemmt sich hartnäckig hinter die Ermittlungen, mehr, als ihrem Chefredakteur lieb ist. Hat der Tod der Frau mit einer 20 Jahre zurückliegenden Vergewalitgung zu tun? Und wieso wurde damals die Anzeige wieder eingestellt?

    An Tatverdächtigen und Hinweisen auf die Probleme der Vergangenheit herrscht kein Mangel. Agnes hat endlich mal wieder eine große Geschichte, nicht nur die Lokalthemen, die wenig prickelnd sind. Doch der Umzug nach Westnorwegen diente ohnehin nicht der Karriere, sondern dem Privatleben. Agnes und ihr Freund haben die Familienplanungsphase begonnen. doch es will einfach nicht klappen mit einer Schwangerschaft. Immerhin, in Voss wohnen Agnes´Eltern, die auch bei der Kinderbetreuung einspringen könnten.

    "Todesfall" streift auch die Kontraste zwischen Stadt und Land, zwischen dem Hauptstadtleben und dem ganz anderen Menschenschlag im Westen - das war mir bisher so gar nicht bewusst, also wieder was gelernt. Auch die Veränderungen der Medienlandschaft werden thematisiert, das Sterben der Printausgaben, die Hoffnung auf den Profit durch digitale Angebote, die Angst, plötzlich zu den "Alten" zu gehören, die als nicht mehr anpassungsfähig für die neue Zeit verallgemeinert werden und in die berufliche Sackgasse zu geraten drohen. Insofern steckt eine ordentliche Portion Realität in dem Buch.

    Mit der Figur der Agnes tat ich mir vor allem am Anfang schwer - zum einen verstößt sie gleich mehrfach gegen journalistische ethische Standards, wenn es ihr nur zum Vorteil dient, zum anderen erscheint sie mir gleichermaßen ichbezogen und selbstmitleidig. Während der Plot allerdings zunehmend dichter und komplexer wird, lässt sich das allerdings leichter ignorieren. Der Fall erfährt eine Wendung, die plötzlich alles in einem ganz anderen Licht erscheinen lässt, Da führt die Autorin die verschiedenen Hinweise und Fäden gekonnt zusammen. Strahlefiguren gibt es hier nicht, wohl aber eineb interessanten Aufbau, der keine Langeweile aufkommen lässt und auch der spektakulären Landschaft norwegischer Berge und Wasserfälle ihren Raum gibt.

    Tod eines Arztes

    Sie ist 37 Jahre alt und hört die biologische Uhr ticken. Nach einer kürzlich gescheiterten Beziehung - der Ex teilte ihren Kinderwunsch nicht - sieht sich die Züricher Seepolizistin Rosa Zambrano ein wenig am Scheideweg. In ihrem Beruf, an dem sie sehr hängt, sind Schwangerschaft und Dienst unvereinbar, schon wegen der regelmäßigen Tauchgänge. Babybauch, Neoprenanzug und Unterwasserdruck - das passt nicht. Gleichzeitig wird die Sehnsucht nach Nachwuchs immer größer. Eingefrorene Eizellen sollen Zeit für eine Entscheidung schenken. Doch ausgerechnet der Arzt der Kinderwunschpraxis, bei dem Rosa in Behandlung war, wird tot aus dem See gezogen, mit Drogen im Blut. Ein Unfall im Rausch oder ein Verbrechen?

    Mit ihrem Kriminalroman "Tiefes, dunkles Blau" setzt die Schweizer Autorin Seraina Kobler schon mit dem Titel den Akkord, denn die Faszination des Wassers ist wie ein roter (oder vielmehr blauer?) Faden, der sich durch das Buch zieht. Immer wieder gibt es bildhafte Bechreibungen, die die Oberfläche des Zürichsee in der Vorstellung in der Sonne funkeln lassen. Überhaupt scheint dieses Buch mit allen Sinnen geschrieben, denn Rosa ist eine begeistere Hobbygärtnerin und -köchin, eine Feinschmeckerin und beim Lesen glaubt man zu riechen, zu schmecken, zu fühlen und zu hören. Neidisch frage ich mich, wie Rosa es schafft, einen vollen Arbeitstag mit soviel übrig bleibender Zeit für Garten und Küche zu erübrigen, doch die Vorstellungskraft wird beim Lesen angeregt.

    Der umfangreiche Familien- Freundes- und Kollegenkreis,den die Autorin präsentiert, verrät schon: Dieser Band um die Seepolizistin soll nicht der letzte sein und so manche Frage zum Privatleben der Ermittlerin bleibt ungelöst. Mit Themen wie open science, Gentechnik und der Verantwortung der Wissenschaft stellt Kobler Ethik- und Sinnfragen in den Mittelpunkt des Geschehens. Ihre Figuren sind erfreulich mehrdimensional und mitunter schillernde Charaktere, wie etwa die Chefin eines Escort-Service, die ihre Arbeit feministisch auslegt. Und auch im Fall des toten Arztes ist nicht alles so eindeutig wie es zunächst wirkte: Trennung von der Ehefrau, zahlreiche Beziehungen zu deutlich jüngeren Frauen beziehungsweise den Damen des Escort-Service, Drogen-Experimente - alles ein Fall von klassischer Midlife-Crisis in der Welt der Besserverdienenden?

    Einen Hinweis, wer hinter dem Tod des Arztes steckt, gibt Kobler schon früh. Der Spannung schadet das nicht, denn Motive, Methoden und Verbindungen lösen sich erst nach und nach auf. Für mich überzeugt bei "Tiefes, dunkles Blau" vor allem die bildhafte Sprache und die lebendige Schilderung, die das Kopfkino in Gang setzt und eine Vorstellung von Zürich mit seinen Licht- und Schattenseiten, von mittelalterlichen Altstadtgassen, Seeufer und Gebirgslandschaften heraufbeschwört. Ja, davon möchte ich in der Tat gerne einen Folgeband lesen,

    Schrill, queer und unterhaltsam
    Transfrau Vicki Victoria steht nicht nur fest im Leben, sie bewältigt es auch auf Stiletto-Absätzen - egal ob sie als V-Frau der Münchner Polizei unterwegs ist oder als Unterhaltungskünstlerin. Doch nun droht Ungemach in der Münchner Dachgeschosswohnung, wo Vicki sich nach einer eher freudlosen Jugend in der niederbayrischen Provinz neu erfinden konnte. Denn Toni Besenwiesler, der sie in der Schule, damals noch äußerlich ein Junge, grausam drangsalierte, ist aus dem Gefängnis ausgebrochen - und er schwört Vicki Rache. Sie, so glaubt er, hat dafür gesorgt, dass er einen Mord verurteilt wurde, den er nicht begangen hat.

    Ich-Erzählerin Vicki, die Protagonistin in Gloria Grays schräg-ironischem Cozy Krimi "Zurück nach Übertreibling" weiß: Mit dem Besenwiesler Toni kann man nicht diskutieren. Bleibt also nur die Flucht, doch schon das Treffen mit Clan-Chef Ahmet, mit dem der Geflohene ebenfalls eine Rechnung offen hat, endet exklusiv. Und dann wird auch noch die befreundete Nachbarstochter und Social Media-Influencerin Kathi entführt. Um das geplante Rache-Feuer zu löschen, bleibt Vicki nur eines übrig: Zurück nach Übertreibling, in das Heimatkaff, in dem alles begann.

    Der Ortsname Übertreibling ist hier Programm: Krimi-Realisten mögen sich die Haare raufen, Logik und Stringenz vermissen. Hier übertreibt die Autorin nach Herzenslust, eine Figur ist schräger und exzentrischer als die nächste, kein Klischee, das nicht genüsslich ausgereizt und auf die Spitze getrieben wird.

    Nicht genug, dass zum Personeninventar außer derb-rustikalen Niederbayern die Mitglieder einer tierliebenden Motorradgang, einer türkischen Clanfamilie mit ausgerechnet griechischem Nachnamen, teils faule, teils korrupte Polizisten und eine alternde Diva gehören. Vicki Victoria kommentiert alle Geschehnisse gewissermaßen in Dauerschleife, schweift dabei gerne mal ab zu philosophiert nebenbei über Gendersternchen und die Absonderlichkeiten der social media-Kultur. Meinungsstark ist sie allemal und niemals auf den Mund gefallen, selbst wenn das Fehlen einer Perücke eine mittlere Daseinskrise auslösen kann.

    Eigentlich klar, dass bei Vickis Hobby-Ermittlungen jede Menge Verwicklungen auftauchen und nichts ohne viel Drama geschehen kann, sozusagen mit Glitzereffekt und high heels Staccato. Je nach Gemütszustand des Lesers kann so eine Plaudertasche wie Vicki anstrengend sein oder erheiternd. Mit einem offensichtlichen Augenzwinkern geschrieben, sollte es auch so gelesen werden. Bei aller Exaltiertheit hat sich Vicki eine bajuwarische Offenheit bewahrt und das Herz stets auf dem rechten Fleck.Ich habe mich köstlich amüsiert und hoffe auf ein Wiedersehen mit Vicki Victoria. Immerhin: Im Oktober soll ein Folgeband erscheinen.

    Solider Nordseekrimi

    Mit "Nordwestnacht"hat Svea Jensen bereits den dritten Küstenkrimi um die bayrische Kripo-Beamtin Anna Wagner und ihren norddeutschen Kollegen Hendrik Norberg geschrieben. Ich erinnere mich, dass ich vom Serienauftakt mäßig angetan war, da der Fokus einfach zu stark auf dem Privatleben der gerade eingeführten Serienfiguren lag. Im dritten Fall des Teams in Sankt Peter-Ording ist die Balance ausgeglichener, auch wenn das Private weiterhin eine große Rolle spielt.

    Eine größere Role spielt diesmal der junge Polizist Nils Scheffler, der im Team ein bißchen die Rolle des begeisterungsfähigen Welpen hat. Sein Enthusiasmus ist noch größer, da er diesmal als Kontaktbeamter und Mann vom Fach zu den Dreharbeiten einer Filmserie abgestellt wurde und sich ziemlich in die neue Co-Hauptdarstellerin Julia verguckt hat. Das 22 Jahre alte bisherige Seriensternchen soll die Serie verjüngen und neue Zuschauerschichten anziehen, allen Streaming Trends zum Trotz. Die bisherige weibliche Haupdarstellerin, Mitte 50, fürchtet, sie solle ausgebootet werden. Und plötzlich ist Julia verschwunden.

    Nils glaubt an einen Stalker, doch von dem hat keiner von Julias Kollegen gehört. Als ein Produktionsasssistent, der ebenfalls neu im Filmteam ist, ermordet aufgefunden wird, steigt die Nervosität: Hat es jemand auf die Filmleute abgesehen? Gibt es Verbindungen zwischen dem Toten und der verschwundenen Schauspielerin? Was ließ vor Jahren eine Jugendclique zerbrechen, der auch Julia angehört hatte?

    Jugendwahn und Jahrmarkt der Eitelkeiten, ein tragischer Vorfall aus der Vergangenheit und aufgestaute Gefühle spielen in "Nordwestnacht" eie Rolle. Zwischen Ermittlungen und privaten Verwicklungen könnte der Spannungsbogen etwas straffer gespannt werden, Die Beschreibungen vin Sankt Peter Ordings Stränden und Umland hingegen lassen Urlaubsshensucht aufkommen. Alles in allem ein solider Küstenkrimi insbesondere für Nordseefans.

    social media-Auswüchse

    Auf den ersten Blick ist Delphine de Vigans Roman "Die Kinder sind Könige" ein Kriminalroman. Schließlich ist ein Kind, ein kleines Mädchen, verschwunden - vermutlich entführt. Die Pariser Polizei ermittelt und insbesondere die Polizeibeamtin Clara befasst sich mit mutmaßlichen Hintergründen und untersucht die Familiensituation. Und dabei wandelt sich der in der Gegenwart spielende Roman sehr schnell zu einem Gesellschaftsporträt und de Jahrmarkt der Eitelkeiten im 21. Jahrhundert.

    Denn Kimmy, das verschwundene Mädchen, ist ein social media Star, bereits im Vorschulalter wie ihr wenige Jahre älterer Bruder Influencerin. Beide Eltern haben ihren jeweiligen Beruf aufgegeben, um sich ganz der Karriere ihrer Kinder zu widmen. Mutter Melanie, die als schüchterner Teenager vergeblich vom Ruhm in Reality-Formaten träumte, ist über die Kanäle ihrer Kinder nun selbst zu einer Berühmtheit mit Fangemeinde geworden. Ihre Anhänger im virtuellen Raum sind für sie wichtiger als die meisten Menschen im realen Leben.

    Für Clara, eine eher introvertierte Frau, die sehr auf ihrer Privatsphäre bedacht ist, ist es ein Blick in eine komplette Gegenwelt, die sie bestürzt. Über ihre Fragen und Untersuchungen bringt die Autorin auch die ethische und rechtliche Problematik des social media-Hypes um Kinderein: Werden Rechte von Kindern verletzt, wenn sie derart daueröffentlich sind? Handelt es sich um Kinderarbeit? Ziehen die Kinderkanäle auch Pädophile an - und hat womöglich ein solcher Täter Kimmy in seiner Gewalt? Ist es ein Konkurrent oder radikaler Kritiker der sozialen Medien? Ist es womöglich auch eine Form des Kindesmissbrauchs, die eigenen Kinder derart ins Rampenlicht zu stellen, und was macht der Dauerhype mit einem Kind?

    Melanie ist die zeitgenössische Antwort auf Tennisväter und Ballettmütter, auf Eltern, die ihren Kindern den eigenen Lebenstraum aufdrücken. Welche Auswirkungen das haben kann, ist Teil des letzten Abschnitt des Buches, der zehn Jahre nach dem Verschwinden von Kimmy spielt. Präzise, genau beobachtend und empathisch beschreibt de Vigan zwei Frauen, die unterschiedlicher nicht sein könnten und zwei Kinder, die ebenfalls auf ganz unterschiedliche Art mit einem Leben umgehen, das sie nicht wählen konnten. Die Schattenseiten des frühen Ruhmsund der gefilterten Internetpersönlichkeiten werden glaubwürdig und einfühlsam dargestellt.

    Es ist zu hoffen, dass dieses Buch viele Leser bekommt, ganz besonders auch viele junge Leser, die den kritischen Umgang mit sozialen Medien und Inluencertum (noch) nicht gelernt haben.

    Wilde Wendezeit in Dresden

    s ist Herbst 1989 und es gärt in der DDR, selbst im "Tal der Ahnungslosen". Der junge Volkspolizist Tobias Falck träumt von einer Karriere bei der Kriminalpolizei, als ein "ganz strammer" Genosse dürfte dem wenig entgegenstehen. Doch zunächst einmal hat er ganz andere Sorgen, als er mit seinen Kollegen nach Leipzig geschickt wird, wo die Montagsdemonstrationen immer mehr Menschen anziehen. Wie lange wird die Staatsmacht zuschauen? Wird es eine "chinesische Lösung" geben wie wenige Monate zuvor auf dem Platz des Himmlischen Friedens? Die Angst vor einem Schießbefehl - und der eigenen Reaktion - sitzt tief bei den jungen Polizisten.

    Mehr als ein Drittel von Frank Goldammers Historischem Kriminalroma "Schatten der Wende" spielt in den letzten Wochen der DDR, bis es dann eher unprätentiös so weit ist mit der titelgebenden Wende. Wenige Monate später trittt Tobias Falck seine erste Kripo-Stelle beim Kriminaldauerdienst in Dresden an. Er hofft auf eine DDR mit einem menschlichen Sozialismus, ist befremdet angesichts des plötzlichen Konsumrauschs, findet es selbst ein wenig peinlich, dass auch er sich seine 100 DM Begrüßungsgeld abgeholt hat.

    Sein teils abgeklärter, teils ruppiger Chef Eddie Schmitt ist leicht genervt von dem Neuen, die Kollegin Bach ist da schon lockerer im Umgang. Als eine westdeutsche Kollegin aus Frankfurt beim Kriminaldauedienst auftaucht und die Ost-Kollegen um Unterstützung bei der Suche nach einem Auftragskiller in Diensten des Rotlichtmilieus sucht, bringt dies die Dynamik in der Amtsstube ziemlich durcheinander. Der Obstkorb als Enführungssgeschenk kommt nicht so gut an und auch sonst sind die kulturellen Unterschiede zwischen Ost und West beträchtlich. Davon, dass zusammenwachsen soll, was zusammengehört, kann keine Rede sein. Die West-Frau ist erschüttert angesichts der schlechten Straßen und heruntergekommenen Häuser, die Ost-Polizisten fühlen sich angesichts des nassforschen Auftretens der Kollegin in ihrem Stolz gekränkt.

    Der Reiz an "Schatten der Wende" liegt vor allem darin, dass hier noch einmal die Ungewissheiten, aber auch die noch offenen Möglichkeiten zwischen Mauerfall und Wiedervereinigung aufgezeigt werden. Für jüngere Leser ein Blick in eine Zeit, die ihnen vermutlich ziemlich schräg vorkommt, für die Älteren dürfte es Erinnerungen wecken an die Fragen, die sich wohl nicht nur Ostdeutsche wie Tobias Falck stellten: "Was kam jetzt auf sie zu? Was sollte aus ihnen werden, aus ihnen allen? Plötzlich war die Zunkunft offen, aber auch ungewiss. Plötzlich schien nichts mehr sicher."

    Das wird an anderer Stelle noch expliziter ausgedrückt: "Es kam ihm vor, als hätte er alles verloren. Sein Land, seine Ordnung, seine Orientierung, sein gesamtes Leben, wie er es bisher gekannt hatte. Auf einmal bestand alles nur noch aus Unsicherheit. Seine Gefühle, seine Gedanken waren ein einziges Chaor, von seinem Beruf ganz zu schweigen."

    Für einen, der so "stramm" war wie Tobias Falck, muss diese Erfahrung besonders einschneidend gewesen sein. Mir ist dieser Charakter dennoch eher fremd geblieben. So wenig hat er in Frage gestellt, so wenig angezweifelt, auch dort, wo er Möglichkeiten hatte, etwa im Rahmen seiner Ermittlungen auch andere Lebenswelten kennenzulernen. Und selbst die eigene Mutter "beichtet" ihm erst im Jahr 1990, dass sie mitunter Westfernsehen geschaut habe. Ist er damit eine Karrikatur, steht er real für viele DDR-Bürger seiner Generation? da fehlt mir einfach die Ost-Kompetenz. Als Blick in eine fast vergessene Zeit des Übergangs und neuer Perspektiven fand ich "Schatten der Wende" sehr spannend, auch wenn manches bei dem Fall, zu dem hier ermittelt wird, ein bißchen dick aufgetragen scheint.

    Ein Zimmermädchen in Nöten

    Sympathische Hauptfigur mit kleinen Marotten, ein paar herzerwärmende und ein paar schurkische Charaktere, ein toter Tycoon im Nobelhotel sowie Drogenhandel und Erpressung - all das bringt Nita Prose in höchst gelungener Weise in ihrem Debütroman "The Maid" unter ein (Hotel-)Dach. Molly Gray, 25 Jahre alt und Zimmermädchen im Regency, klingt eher wie eine 75-Jährige mit ihrer manchmal betulich-gewählten Ausdrucksweise. Was kein Wunder sein dürfte, denn die junge Frau ist bei ihrer Großmutter aufgewachsen, hat ihre Eltern nie kennengelernt unf führt eim höchst zurückgezogenes Leben.

    Enge Freunde hat sie nicht, hatte sie nie, was vielleicht auch an ihrer hundertprozentigen Ehrlichkeit und ihrer Probleme, Zwischentöne, Ironie oder Sarkasmus zu erkennen oder die Mienen ihrer Mitmenschen zu deuten. Molly, die vermutlich an einer Form von Autismus leidet, aber nicht erklärt, was sie "anders" macht als ihre Mitmenschen, Seit dem Tod der geliebten Großmutter ist Molly noch einsamer als ohnehin, auch wenn Mr Preston, der Hotelportier, ein väterliches Auge auf sie hält. Heimlich schwärmt sie für den Barkeeper Rodney, doch der übersieht sie meist ebenso wie die meisten anderen Menschen - wobei es für ihren Job als Zimmermädchen eigentlich schon fast ideal ist, gewissermaßen mit den Tapeten der von ihre sauber gehaltenen Zimmer zu berschmelzen. Und sauber sind die Räume, wenn Molly mit ihnen fertig - zurückgebracht in den Zustand höchster Perfektion, wie sie selbst sagt.

    Ein Hotel wie das Grand Regency hat viele Stammgäste, und dazu gehört auch das Ehepaar Black - er ist ein Immobilientycoon, Giselle seine zweite und 35 Jahre jüngere Ehefrau, die Anteil an Mollys Leben nimmt und für sie nicht nur wie eime Freundin ist, sondern dank üppiger Trinkgelder eine große Hilfe für das schlecht bezahlte Zimmermädchen, das nur mit großen Mühen das Geld für die Miete aufbringen kann. Ausgerechnet Mr Black liegt eines Tages tot in der Suite, die Tür zum Safe steht offen und ein Kissen fehlt.

    Für die Polizei ist Molly im Nu die Hauptverdächtige. Nach dem Motto: Der Mörder ist vielleicht nicht immer der Gärtner, sondern auch mal das Zimmermädchen. In dieser schweren Krise muss Molly erst einmal erkennen, wer ihre wahren Freunde sind, während sie notgedrungen selbst ermittelt, um ihre Unschuld zu beweisen.

    Dieser Cozy Krimi mag manchmal etwas märchenhaft daher kommen, wozu auch Mollys Art passt, die einfach nicht ganz von dieser Welt ist. Doch wo ihr Abgeklärtheit und Härte im täglichen Überlebenskampf abgeht, geht sie mit den Werten ihrer geliebten Gran, der beruflich perfektionierten Gabe, Schmutz aufzustöbern und zu beseitigen, und mit einer kleinen Gruppe von Helfern auf die Suche nach der Wahrheit.

    Ein liebenswertes Stück spannender Unterhaltung für alle, die Wert auf ein happy end legen und ein Herz für Misfits haben.

    Sufragetten und Serienmörder

    Sufragetten und Serienmörder - das ist der Rahmen in dem sich Henrike Engels historischer Roman "Die Hafenärztin" bewegt. Angesiedelt im Hamburg des Jahres 1910, also in die Zeit noch vor dem Wahlrecht für Frauen. scheint der Roman de Auftakt einer Serie zu sein. Denn es bleibt einiges offen zu der Hauptfigur, der Ärztin und Frauenrechtlerin Anne Firzpatrick, die trotz des angelsächsischen Namens eine Hamburger Reedertochter ist, heimlich und unter falschem Namen in ihre Geburtsstadt zurückgeommen ist, und sich nun als Ärztin im Hafen um diejenigen kümmert, die besonders schwer von prekären Lebensverhältnissen betroffen sind - die Arbeiterinnen, Prostituierten und ihre Kinder.

    Auch Pastorentochter Helene, die in großbürgerlichen Verhältnissen privilegiert aufwächst, will etwas tun, um die Verhältnise zu ändern, vor allem aber möchte sie als Frau selbstbestimmt leben. Da sie noch nicht volljährig ist, muss sie in ihrem konservativen Elternhaus allerdings um Kompromisse kämpfen. Als sie zur Eröffnung von Fitzpatricks "grünem Haus" heimlich in den Hamburger Hafen fährt, entdeckt sie die Leiche einer Frau. Es bleibt nicht die einzige Tote, und die Art, wie die Morde begangen wurden, weist auf einen Serientäter hin.

    Fitzpatrick ist alarmiert, denn auch das "grüne Haus", in dessen Nähe die Toten gefunden wurden und sie selbst scheinen die Aufmerksamkeit des Täters zu erregen - und das, nachdem die Ärztin bereits in England die Verbrechen des noch immer nicht gefassten Jack the Ripper erlebt hatte. Ob dessen Verbrechen in irgendeiner Weise mit ihrer heimlichen Flucht aus England zu tun hatten und worum es in der Fehde zwischen ihrem Vater und seinem einstigen Nachbarn ging - das bleibt in diesem Buch offen. Angesichts der vielen Andeutungen gehe ich davon aus, dass die eine oder andere Lösung dieser Rätsel in einem Folgeband gefunden werden soll.

    Der Polizist Bertold Rheydt wiederum, der ein privates Trauma mit reichlich Alkohol und körperlicher Verausgabung beim Fußball bekämpft, ist misstrauisch, was Fitzpatrick verschweigt. In welcher Verbindung sie zu dem Täter stecken könnte, bestimmt schon bald seine Untersuchungen. Doch der Fall enntwickelt sich bald zum Politikum, dient Gegnern der Frauenbewegung dazu, das Engagement der Frauen in den Armenvierteln der Hansestadt zu verunglimpfen. Auch auf die Ermittler wird Druck ausgeübt, sie sollen sich auf einen Verdächtigen aus dem Milieu konzentrieren. Rheydt hingegen ist überzeugt: Der Täter gehört den sogenannten besseren Gesellschaftsschichten an. Um ihn zu finden, ist heimliche Ermittlungsarbeit notwendig - in einem Wettlauf gegen die Zeit.

    Auch wenn das Buchcover erst einmal einen historischen Frauenroman nach Herz-Schmerz-Schema vermuten lässt: Hier steckt ordentlich Spannung mit einer Portion Sozialkritik. Gut und Böse sind zwar recht plakativ gezeichnet, doch langweilig wird es bei der Lektüre nicht. Ähnlich wie in den Romanen um die Berliner Hebamme Hulda Gold stehen Anne Fitzpatrick und Helene für Frauen, die sich mit den herrschenden Verhältnissen nicht abfinden wollen und auch die traditionelle Rolle als Ehefrau und Mutter nicht akzeptieren wollen. Ein bißchen Queerness ist auch noch dabei, um den Bruch mit herkömmlichen Lebens- und Verhaltensmustern zu verstärken. Manches ist ein bißchen dick aufgetragen, etwa die Dämonen, die de Polizisten Rheydt plagen. Trotz kleiner Schwächen aber ein Auftakt, der neugierig auf die Folgebände macht.