Beiträge von KLTR

    Teil II


    Gern nimmt sich Boyd auch Nabokovs despektierlicher Formulierungen an, wie man oben sehen kann oder zum Beispiel, als Boyd Rezensenten, die Nabokov nicht feierten, als „Schreiberlinge“ verunglimpft.

    Gegenteilige Meinungen zu N.s Ansichten, Arbeiten, Wahrnehmungen etc. klassifiziert Boyd in schöner Regelmäßigkeit als Attacke (wenn auch nur einmal mit genau diesem Wort.)


    N.s außerordentliche Fähigkeit zur genauen Beobachtung und dessen präzises Gedächtnis setzt Boyd immer in das Licht einer Leistung, die zu bewundern und eben auch als Leistung anzuerkennen wäre.

    Da will er für seinen N. wohl zu viel des Guten. Der hätte es sicherlich nicht gemocht, dass eine Fähigkeit bereits als Leistung zu Markte getragen wird. Dass er diese Fähigkeiten zu nutzen wusste, um seine Kunst zu vollbringen, stellt einen anderen Sachverhalt dar.

    Es hat eine geraume Weile gebraucht. Auf Seite 777 war es dann soweit, dass es mich leicht angeödet hat. Und nicht nur das, auch Boyds lobpreisende Tendenzen erregten zunehmend meinen Widerwillen.


    Exkurs - Nabokov und sein Dostojewski

    Ein Wort, das ich mag: ambivalent.

    Vielleicht ist es daneben die treffendste Entsprechung für N.s Verhältnis zu Dostojewski. In Folge sind einige gesammelte und von mir kommentierte Fragmente aufgeführt, die einen solchen Schluss nahelegen könnten.

    Das Interessanteste erscheint mir jedoch, in was diese Ambivalenz begründet ist.


    „Nabokov hielt (…) wenig von Dostojewskij, und er bestand darauf, dass er zu wenig Akademiker sei, um Bücher zu behandeln, die er nicht mochte.“ S. 486

    Er tat es indessen dennoch. Weshalb?


    „Wenn ein Autor seine belanglose und willkürliche philosophische Phantasie einer wehrlosen Person aufbürdet, die er eigens zu diesem Zweck erschaffen hat, bedürfte es einer Menge Talent, damit das Kunststück gelingt.“ S. 214

    So hat Dostojewski natürlich schlechte Karten, da all seine Personen personifizierte Ideen gewesen sind. Damit übertraf Dostojewski in gewisser Weiser sogar Belinskis Auffassung von der Aufgabe der Literatur.


    Will man manchen Einschätzungen folgen, die D.s „Aufzeichnungen aus dem Untergrund“ als

    Replik auf Tschernyschewskis „Was tun“ zu begreifen, kommt natürlich einiges von Nabokovs Vorwürfen zum Tragen. In N.s Ausschließlichkeit sollte man jedoch über solch ein Stück Literatur nicht den künstlerischen Bann aussprechen!

    In Anmerkungen zu einem Lenskij-Gedicht spricht N. von „Journalisten des Belinski-Dostojewski-Sidorow-Typs“.


    Von Dostojewski nimmt sich sowieso jeder als das was er mag.

    N. nahm ihn sich als Künstler vor. Und von dem was Kunst ist, hatte N. bekanntermaßen

    seine eigenen engen Maßstäbe, die er eben „Ordnung der Dinge“ betitelte:

    Dostojewski ist für N. bestenfalls “schlechte Kunst“ und die hat bei N. „keinen Platz in der

    Ordnung der Dinge.“ S. 172 Konkreter formuliert in Nabokovs Ordnung.


    N. spricht bereits von zweitklassigen Schriftstellern. Als Steigerung formuliert er in einer

    Vorlesung „und im Hintergrund schimmert auch noch der ärgste Dostojewski hindurch.“ S. 214


    Er nutzt Dostojewski als Pseudonym, für alles, was keinesfalls Kunst sein kann.

    Vielleicht liegt in Nabokovs egozentrischem Kunstbegriff die Ursache für meine unterstellte Ambivalenz: Als Künstler ist Dostojewski nicht von Belang. Als schriftstellerischen Handwerker achtet er ihn und erkennt Dostojewskis kompositorische Fähigkeiten hoch an.

    Den Missbrauch von Kunst / Literatur verabscheut N. geradezu. Moralische Wirkung von Kunst wolle Nabokov keinesfalls bestreiten. Bis zum „letzten Tintentropfen“ wolle er hingegen das „absichtsvolle Moralisieren“ bekämpfen, da es „jede Spur von Kunst abtötet“.

    S.90 „Die Kunst wurde zu oft in ein Werkzeug zur Verbreitung von Theorien – politischen wie moralischen – verkehrt, …“ S. 172

    Moralisch könnte N. jedoch vom Grundsatz her das ein oder andere von Dostojewskis

    Intentionen unterschreiben.Wenn es sich derart verhalten sollte, bliebe immerhin festzuhalten, dass Dostojewski N. durchaus erreicht hat, denn N. hat es nicht vermocht, Dostojewski mit Ignoranz zu strafen.

    Und dass er so etwas konnte, ist unbestritten.


    Neid als Triebfeder für die auszumachende Ambivalenz halte ich für ausgeschlossen.


    In seinen Vorlesungen zum Überblick über russische Literatur, wurde Dostojewski vonNabokov überhaupt nicht erwähnt. (Vgl. S. 469)


    Ein Mit-Professor der Slawischen Abteilung an Harvard nannte N.s Ansichten über D.schrullig. S. 461 Dostojewski war demnach öfters Gegenstand N.s, als man aufgrund seinerVorlesung meinen sollte.


    „Da er noch sechsundfünfzig Aufsätze über Dostojewski zu zensieren hatte…“ S. 181

    N. wollte von seinem Studenten auf keinen Fall Informationen nach dem Motto Was will uns der Dichter damit sagen. Alles, nur das nicht. So stellt sich die Frage, weshalb lässt er dann die Studenten einen Aufsatz über Dostojewski schreiben? Die Aufgabenstellung(en) würden mich mal interessieren.


    Weshalb ist Dostojewski klar benannter Gegenstand seiner Vorlesung?! Wenn N. was für Schrott erklärt hatte, dann hatte es auch keinen Platz in seiner Ordnung. Insofern räumt er Dostojewski, sollten seine Abfälligkeiten ernst gemeint gewesen sein, eigentlich zu viel Raum ein.


    N. soll Dostojewski, nach Boyd, „völlig abgetan“ haben. S. 720

    Das bisweilen allerdings mit einer Menge Arbeit und Interesse und nicht nur in einer Lebens-

    bzw. Schaffensphase. Seiten weiter gibt Boyd dann an, dass N. gleichfalls bezüglich Dostojewskis Werk gegenüberFreunden die Stärke der Bücher hervorgehoben haben soll. Diese Diskrepanz sehe ich in der Biographie nicht aufgelöst.


    Es fällt auf, dass sich Dostojewski durch die gesamte Biographie zieht und D. bei N. oft und bei verschiedensten Gegebenheiten auftaucht. Selbst als Begrüßung von Kollegen bzw.Bekannten: „Glauben Sie, dass irgendein ernstzunehmender Schriftsteller heute noch immer meint, dass Dostojewski schreiben konnte?“ S. 443


    N. kann / will Dostojewski nicht ausblenden:

    1917 schrieb N. auf der Krim sogar ein kleines Poem über Dostojewski

    1923 will N. Dostojewski mit Gleb Struve übersetzen

    1930 Vortrag N.s „Dostojewski ohne Dostojewski-itis“

    1932 im Werk Verzweiflung finden sich mehrere Bezüge zu Dostojewski

    Selbst im Titel sollte es einen Bezug geben - wurde dann aber verworfen

    1946 N. liest Dostojewski zum wiederholten Mal

    1947 Dostojewski lässt seine Studenten Aufsätze über Dostojewski schreiben

    1950 Im Rahmen seiner Lehrtätigkeit ist Dostojewski gleichberechtigter Teil neben Tolstoi, Puschkin, Turgenjew, Tschechow und Gogol (also Schriftstellern die er hoch schätzte)

    1951 will N. Dostojewskis Aufzeichnungen aus einem Kellerloch in den Lehrplan aufnehmen nannte es dabei für sich despektierlich Aufzeichnungen aus einem Mauseloch

    1953 ist Dostojewski wieder Teil des Lehrplans

    1964 schreibt er an Wilson: „Letzterer (Dostojewski) ist ein Drittklassiger Schriftsteller, und sein Ruhm ist mir unbegreiflich.“


    Fragen

    Weshalb steht N. auf den ausgesprochen lehrmeisterhaften Tolstoi?

    Er passt in N.s Vorstellung von Kunst. Und seine lehrmeisterhafte Umtriebigkeit durchzieht

    vermutlich eher Tolstois Leben als dessen Werk. Das wär ein Unterschied zu Dostojewski.


    Die Dostojewski-Vorlesung als Profilierungsmittel?

    Hatte er zu diesem Zeitpunkt es noch nötig, zu solchen Mitteln zu greifen. Kann man sich an der Uni eine solche Vorlesung als aussichtsreiche Methode vorstellen?

    War es N. vielleicht sogar ein tieferes inneres Bedürfnis, sich mal richtig über Dostojewski

    „auszukotzen“, weil er nicht von ihm loskam?

    Dostojewski-Exkurs Ende



    Stückwerk

    N. wies darauf hin, dass ein Leben im Hotel „von der Unannehmlichkeit privaten Besitztums enthebt“. Hier spricht er mir aus der Seele! Leider kann ich ihm nicht aus Erfahrung zustimmen. Aber könnte ich, täte ich es.


    Amüsante Bemerkung eines „Konkurrenten“ Nabokovs auf die Fürsprache pro Nabokov für einen Lehrstuhl und dass Nabokov ja ein wichtiger Schriftsteller wäre: „Selbst wenn man berücksichtigt, dass er ein wichtiger Schriftsteller ist, stellt sich doch die Frage, ob wir als nächstes einen Elefanten bitten, die Professur für Zoologie zu übernehmen.“ S. 461


    Das Polemisieren gegen Dostojewski in seinen Vorlesungen empfand ich recht erfrischend.

    N. konnte freilich auch schlichter. Über „Catch 22“ von Joseph Heller lässt er sich wie folgt aus: „Dieses Buch überflutet einen mit Kitsch, dialogischer Diarrhö, dem automatischen Ausstoß eines weitschweifigen Schreibmaschinenschreibers.“

    Da war ich kurz angeschlagen, da mich Catch 22 und alle weitere Bücher von Joseph Heller begeistern.

    Es wäre wissenswert, was er den von Kurt Schwitters & Co. gehalten hätte. Hat N. in seiner

    Herablassung diese Entwicklung etwa gar nicht wahr/ ernstgenommen?


    Überdies irgendwie generell vernachlässigt: Entwicklung N.s und seiner Kunst im Kontext

    gesellschaftlicher Verhältnisse und künstlerischer Strömungen und Entwicklungen.


    Fazit

    Im Klappentext des zweiten Bandes wird die Biographie eine „herausragende Biographie“ betitelt. Trotz meiner sinkenden Begeisterung beim Lesen (ab der zweiten Hälfte des zweiten Bands) und den obigen Nörgeleien kann ich diese Einschätzung in der Gesamtschau gelten lassen. Das Lesen war keine vertane Zeit.

    Vladimir Nabokov, Die amerikanischen Jahre 1940 - 1977


    Exil



    Nabokov und seine Biographie

    Boyds Biographie hätte der Titel von Fields erster Biographie recht gut angestanden: Nabokov. His Life in Art. Das wäre von Beginn an ein Hinweis auf den maßgeblichen Schwerpunkt der Biographie gewesen.

    Auf Seite 912 kann man den Schlüssel für Boyds Schwerpunktsetzung in der Biographie finden.

    Nabokov schrieb im August 1972 in einem Brief an seinen ersten Biographen, mit dem er im Hader lag: „Die einzig vernünftige und künstlerische Art, die Geschichte eines Individuum von so trüber Art, wie ich es bin, zu schreiben, wäre es, seiner Entwicklung als Schriftsteller zu folgen, und zwar von seinem ersten undurchsichtigen Gedichten bis hin zu Durchsichtige Dinge.“


    „Immer wieder erklärte Nabokov, er sei nicht darauf aus, Autoren zu attackieren, sondern die literarische Kunst zu verteidigen und zu erweitern.“ S. 50

    Er verteidigte literarische Kunst nur wenn ER sie zu selbiger zuvor erhoben hatte. Anderenfalls war er schlau genug, um abzuschwächen, und legt so nebenher fest, dass er nicht meint, sondern meint zu wissen: „Ich empfinde für Literatur eine so tiefe Liebe und für schlechtere Literatur einen so bitteren Hass, dass meine Ausdrucksweise vielleicht etwas schroffer ist, als sie sein sollte.“ S.50

    Der Mann der Interwies nicht „in echt“ geben will oder kann, weiß was er sagt und hier benutzt er das vielleicht, um die Konventionen nicht zu sprengen. ER bräuchte das vielleicht bestimmt nicht.


    Mit N.s Zeit in Montreux beginnt Boyds Biographie zu ruckeln. Es werden nur noch gelegentlich biographische Fragmente in den Text eingeworfen. Die fragliche Faktenschwemme seiner Ortsveränderungen, hätte auch in Form eines Kursbuches niedergeschrieben werden können. Beide Varianten sind vermutlich gleich ermüdend.

    In Ergänzung hätte man eventuell noch N.s Terminplaner veröffentlichen können. Diejenigen, die für eine Auseinandersetzung mit seinem Werk Interesse zeigen, besteht immerhin noch ein Angebot, das kompensierend wirken kann. Die Spannungsbögen, die Boyd im ersten Band noch entwickelte, vernachlässigt er im zweiten Band zusehends. Sicherlich, N.s Leben wies zunehmend immer weniger Spannendes auf. Da ist dann der Autor gefragt und der sollte sich eben nicht angehalten fühlen, in den Modus Masse statt Klasse umzuschalten.


    Nabokov soll seine Frau Vera abgöttisch geliebt haben. Sie hat ihn zudem ein halbes Leben lang begleitet. In seiner Biographie findet sie sich lediglich als Nabokovs Schatten wieder. Und dass sie ein selten schöner und ausgesprochen kluger Schatten gewesen sein soll, ist in einer Biographie, wie ich finde, zweifelsfrei zu wenig.

    N.s Sohn, in immerhin einigen Sachverhalten nicht auf Papas Linie, erscheint auch nur gelegentlich als ein Fixpunkt, wie irgendeine Ferienhütte der Nabokovs. Alles ein bisschen dünn. Hier muss es doch Reibung gegeben haben, die N. als Mensch geprägt oder zumindest beeinflusst haben sollte.

    N.s “Prüfungen“ und „Tests“ anderer Personen, haben für mich einen leicht bitteren Beigeschmack. Geschehen sie doch nicht selten, aus einer Position des sich für den überlegenen Haltenden.


    Nabokov und sein Werk

    Wunderbar: Boyds Zitat in Bezug auf N.s Buch über Gogol: „Seine Verbundenheit hat nicht so sehr mit dem vielschichtigen Konglomerat des wirklichen Gogols zu tun, sondern mit dem Proto-Nabokov, den er aus diesem Material herausmeißeln kann.“ S.82

    Mir scheint es fast DEN Grundsatz für Nabokovs Schaffen auf den Punkt zu bringen.

    N.s Anmerkung zu seinem ersten und wohl zugleich letzten Interview, bei dem er frei gesprochen hatte: „… aber ich bin mir sicher, dass Sie verstehen, dass ich ja fast ausschließlich ein Schriftsteller bin und mein Stil alles ist, was ich habe.“ S. 757 Ich sehe darin übrigens keinerlei Koketterie, denn überspitzt formuliert: Kunst = Stil.


    Exkurs - Das Bastardzeichen

    Ich erwähnte zum ersten Band, dass ich Boyds Exkurse zu Nabokovs Werk zunehmend überflogen habe. In dem neuen Band habe ich es mal wieder versucht und den Text zum Roman „Das Bastardzeichen“ interessiert aufgegriffen. Auf Seite 164 erwischt mich Boyd dann wieder: „Das Bastardzeichen ist ein ambitioniertes Werk“ … „empfänglich für die Forderungen des Tages“ … „weniger gelungen als viele andere“ … „zu mager“

    Da war ich nun neugierig. . . Bestellt habe ich es dann trotzdem. Ein erstes Reinlesen war zugleich auch mein letztes. Die ersten Seiten waren nur für sich selbst geschrieben. Würden sie fehlen; der Erstleser würde es kaum bemerken. Durch seine Liebe zum Detail, verlangsamt N. den Fluss der Idee und Handlung. Für mich jedenfalls wird sie zu zähflüssig. All meine Mutmaßungen zu seinem Stil bekomme ich dort bestätigt. Ein Versuch war es wert. Ich kann mich des Eindruckes nicht erwehren, dass N. sein stilistisches Gezirkel etwas überstrapaziert hat. Sicherlich hohe Kunst, nur in Verbindung mit einer Thematik wie im Bastardzeichen; für meinen Geschmack eine gewagte Kombination. Rokoko lässt grüßen. Sollte ich also etwas „Gelungeneres“ testen?! Nein. Wie hätte gegebenenfalls Nabokov gesagt, it`s not my cup of tea. Ende Exkurs.


    Diese Sichtweisen (Boyd würde es gleich wieder pikiert Angriff nennen) waren wohl auch anderen vertraut.

    Nabokovs Stil mit einem wahrscheinlich zu ausgeprägtem Schwerpunkt auf Struktur und die zu starke Zurücksetzung des Inhalts, ist zudem auch nicht nur die Sicht von Rezensenten. Bereits in der Fakultät Cornell war diese Ansicht unter seinen „Kollegen“ weit verbreitet.


    Überdies eine anschauliche Stelle auf Seite 730. Dort findet man eine kleine Gegenüberstellung aus seinem russischen Werk „Der Späher“ und wie sie nach Nabokovs Übersetzung ins Englische aussah.

    Das sind zwei Welten! Die russische Variante sagt mir weitaus mehr zu. Man könnte fast meinen, dass er im Englischen etwas „aufgedreht“ hat, um sicher darzustellen, dass er auch seine „Nicht- Muttersprache“ ausgezeichnet beherrscht. Eine Art Kompensation für eine eigene innere Unsicherheit? Wer weiß.


    Eventuell mit einem Verweis auf sein Gedicht „The Softest of Tongues“ S. 64 vorstellbar. Ich empfand es nahezu ergreifend. Die lyrische Essenz einer Problematik, die ich mir in ihrer umfänglichen Brutalität kaum vorzustellen vermag.

    Nabokov: „Meine private Tragödie, die niemanden etwas angehen kann, ja niemanden etwas angehen sollte, besteht darin, dass ich mein natürliches Idiom aufgeben musste . . .“ S. 68

    Bewegend.


    Boyd und sein Nabokov

    Boyd scheint den Eindruck vermitteln zu wollen oder tatsächlich der Meinung zu sein, N. wäre ein unpolitischer Mensch gewesen.

    N. agitierte nicht, wie man es womöglich von jemandem mit solch einer Vita annehmen könnte.

    Dabei besaß er durchaus ein politisches Bewusstsein. Nur setzte er es eben nicht so vordergründig agitativ ein. „Bastardzeichen“ zum Beispiel als unpolitisch bezeichnen zu wollen, wäre gewagt.

    Der augenscheinlichste Hinweis, nein eigentlich Beleg, darauf ist möglicher Weise sein Telegramm an Präsidenten Johnson, in dem er u. a. dessen Flächenbombardierung Vietnams als „bewundernswerte Arbeit“ lobt. S. 758 An dieser Stelle hoffte ich, dass das Wesen N.s etwas Farbe annehmen würde. Leider nein. Diese zehn lapidar hingeworfenen Zeilen Boyds bleiben völlig losgelöst vom Text davor und danach im Buch hängen. Das war beim Lesen der Biographie ein sehr enttäuschender Moment für mich. Nicht vorrangig N.s Ansichten, sondern wegen der Unvermitteltheit dieser Zeilen.


    Boyds Universalschlüssel zur Erklärung Nabokovs elitärem Gehabe:

    „Aber in den sechziger und siebziger Jahren, als er für die literarische Welt einfach nur VN war, entschied er sich, der Persona Nabokov das Image eines Menschen zuzulegen, der unendlich von sich eingenommen war und häufig unendliche Verachtung für andere empfand.“ S. 694

    Jaja, vor Nabokovs „Entscheidung“ war er ja ganz anders unterwegs.

    Nabokov wäre von Boyd hier enttäuscht gewesen, denn dies ist nicht mehr als ein

    Allgemeinplatz in Form einer Floskel. Wenn ich es recht verstehe, dann hasste N. genau solches Zeugs.

    Für mich widerspricht eine solche „Erklärung“ zudem auch N.s Grundzügen. So wie sich Nabokov noch zu Zaren`s Zeiten mit dem Auto in der Schule hat vorfahren lassen, weil er meinte so sei es recht, so hat er es sein ganzes Leben eigentlich gehandhabt.

    Da wird dem Boyd die Rigorosität Nabokovs etwas zu haarsträubend und er schiebt dann solch ein Geschreibsel vor.


    Boyd fühlt sich ebenfalls angehalten, N.s wahres, eigentlich immer dem Menschen zugewandtes Gesicht zu beschwören, wie mit Zitaten N.s ala er konnte „die aufmerksamen und intelligenten Leute“ schätzen, „die mir Obst und Wein bringen oder meine Heizung und mein Radio reparieren.“

    Ob Boyd weiß was ein Snob ist?

    Das N. ein guter Gesprächspartner / Unterhalter gewesen ist und sich zu benehmen wusste, wird ebenso gern betont wiederholt, was mit Sicherheit auch an dem war. Die Kunst ist es doch nicht, Menschen, die in meinem Interesse agieren oder begreifen, unbefangen entgegenzukommen, sondern jedem einen gewissen Grundsatz an Respekt entgegenbringen zu können oder zumindest es zu versuchen.

    Solche Beispiele hätte Boyd auf den Tisch legen sollen und nicht seine Interpretationen, wenn jemand N. sich gegenüber vorteilhaft benahm, den sich N. zuvor „auserkoren“ hatte, seiner Gegenwart würdig zu sein.


    Boyd klettet sich öfters distanzlos und undifferenziert an N.s Meinungen und Einschätzungen. Mutet teilweise wie das Echo von N. an. Als Nabokov mit einer Puschkin-Übersetzung von Arndt unzufrieden war, kommt auch Boyd persönlich zu der Einschätzung, dass „ein weiterer Reimeschmied Puschkin verstümmelt hatte.“ S. 721


    Ende erster Teil

    E.T.A. Hoffmann - Der goldene Topf



    Es ist ein Graus - ein gar garstiger. Ein wahrlich wirres Geschreibsel.

    Die hatten früher vermutlich andere härtere Drogen als die Kifferei. Auch zu damaliger Zeit kann das nicht der Durchschnitt gewesen sein. Dagegen besitzen die Goethe/Schiller-Briefe ja die Stilklarheit ala Bauhaus. Ein Märchen wird es genannt. Waren Grimms Märchen für die Behindertenwerkstatt oder Hoffmanns für selbstverliebte Intellektuelle?!

    Selbst Emilia Galotti von Lessing besitzt dagegen die Klarheit eines Gebirgsbaches und das kam mir schon befremdend vor.

    Wie muss man gestrickt sein, um so etwas HEUTE lesen und genießen zu können?

    Um mit Helge Schneider zu sprechen: Das ist einfach eine ganz andere Generation.

    Oder eben mit der Floskel: Dazu habe ich keinen Zugang.


    Weshalb ich zum Inhalt nichts angebe? Ich verstehe kein Wort. Auch wenn ich damit den fetten Sterneverteilern auf Amazon nicht das Wasser reichen kann.

    Wozu dann hier zu Wort gemeldet? Als Ansporn zum Lesen, für diejenigen, die über mein Unverständnis blasiert den Kopf schütteln. Oder als Hinweis in die Klassik nicht unbedingt mit diesen, ja sicherlich, Filetstück großer Dichterkunst zu beginnen.

    Schönen Dank auch E.T.A.!

    Harry Rowohlt - In Schlucken zwei Spechte



    Ausgesprochen unterhaltsam und kurzweilig. Aber diese Unsicherheit, ob er es mit seinem Esprit tatsächlich schafft, einem sympathisch zu sein, kann ich nachvollziehen. Abstoßend finde ich ihn nicht. Hmm, vielleicht ist er nicht wirklich immer cool, sondern ein Hauch zu überheblich. Und diese Tendenz steht dann etwas im Gegensatz zu seiner irgendwie subtil deklamierten Bescheidenheit. Die wiederum ist sicherlich, aber auch wiederum nur etwas, echt. Trotz Kumpelhaftigkeit schwingt eine gewisse Unnahbarkeit mit.


    Hängengeblieben:

    „In der Albert-Schweitzer-Schule ging es ein bisschen anthroposophisch zu, das heißt, man machte mit ungeheurem pädagogischen Aufwand nichts.“

    Das Peter-Prinzip; L. J. Peter / Raymond Hull



    Es handelt sich um eine satirische Soziologiestudie. Es ist über viele Jahre meine Bibel gewesen. Allgemeingültige unumstößliche Erkenntnisse.

    Es ist eines der zefledersten Bücher(neben Irvings Gottes Werk und Teufels Beitrag). Das liegt daran, dass ich es ständig Leuten aufgenötigt habe.

    Ich wollte bekehren, den Menschen das Licht der Erkenntnis ermöglichen.

    Der Alternativtitel offenbart bereits schon die Richtung. Er lautet „Die Hierarchie der Unfähigen“.

    Darum geht es. Jeder erreicht, wenn er nicht gezielt und aktiv dagegen anarbeitet, seine Stufe der Unfähigkeit. Ein Beispiel: Der beste Autoschlosser wird Meister in der Werkstatt. Plötzlich hat er einen anderen Job. Er muss Rechnungen schreiben, Kundenkontakte führen etc. Er hat nicht aufgepasst; den

    Bereich seine Fähigkeit hat er verlassen.


    Das Buch ist systematisch aufgebaut und gegliedert – also keine Aneinanderreihung von Geschichtchen. Die Grenzen zwischen Faktischem und Satirischem sind fließend.

    Ein Vermeidungsmittel ist zum Beispiel die „schöpferische Unfähigkeit“ ; sich also derart geschickt ins Abseits zu stellen ohne an Anerkennung zu verlieren und sich für gewisse Arbeitsdelegation sich jedoch disqualifiziert haben. Auch ein Thema: Leute die die Stufe ihrer Unfähigkeit erreicht haben muss man auch wieder loswerden. Da wird zum Beispiel die „seitliche Arabeske“ als Mittel empfohlen.


    Trotz unentwegtem Schalk bietet das Buch auch pragmatisches, aber eben eher auf der „philosophischen“ Ebene. Ich bilde mir ein, dass es gut war, es gelesen zu haben. Mir ist bereits mehrfach angetragen worden, Dinge zu tun, bei denen ich mit Sicherheit meine Stufe der Unfähigkeit erreicht hätte.


    Vielleicht das Vorwort noch:

    „Dieses Buch ist all denen gewidmet,

    die auf ihrer Stufe der Unfähigkeit arbeiten,

    spielen, leben, lieben und sterben

    und damit das Forschungsmaterial für Entstehung

    und Entwicklung der Hierarchologie,

    der rettenden Wissenschaft, bereitstellten.

    Sie retteten andere,

    sich selbst konnten sie nicht helfen.“


    Man kann auch alles für profanes Zeug halten. Viel Freude erscheint mir garantiert.


    ASIN/ISBN: 3499613514

    Edit: ISBN ergänzt, zwecks Verlinkung. Gruß Herrr Palomar

    Walter Gropius - Der Architekt seines Ruhms Bernd Polster



    Eine absolut lesenswerte Biographie. Fundiert ohne Ende. Unterhaltsam und trotzdem sachlich gehalten. Eine Biographie, die nicht auf dem letzten Drittel, wie nicht selten, schwächelt. Sie ist hoch informativ und spannend. Wirklich spannend, man will unentwegt wissen, wie es weiter gehen wird.


    Vieles scheint auch unglaublich, insbesondere die Essenz. Pointiert doch in der Nähe von Wahrheit: Gropius war ein Hochstapler. Ein verdammt guter. Er war eloquent aber kein Sympathieträger. Viele erstaunliche bis unglaubliche Aspekte wirft das Buch auf.

    Ich war erst neulich in Dessau und habe mir den ganzen Bauhaus-Kram reingezogen. Parallel dazu las ich das Buch. Einfach der Hammer. Der Typ war gnadenlos und hat selbst faktisch nichts auf die Reihe bekommen, „außer“ sich zu verkaufen und die Leistungen anderer zu usurpieren.


    Zu weiten Teilen ein Quacksalber, mit unsäglichem Talent, alles geschickt laufen zu lassen und einzufädeln. Er war eiskalt und rücksichtslos. Und gescheit.


    Keine von den 652 Seiten war zu viel.


    So gut wie es war, legt es die Latte leider sehr hoch für alle weiteren Biographien.

    Vandalismus – Gewalt gegen Kultur; Alexander Demandt


    Kunst ist ja immer ein Stück Aushängeschild (und wenn noch klein)der Zeit, in der sie entsteht; verkörpert sie also. Und neue Zeiten verkörpern etwas anderes und meist nichts Gleichberechtigtes sondern etwas Besseres. Somit besteht das vermeintliche Recht, das Bessere noch nachdrücklicher zum Ausdruck zu bringen in dem man das "Schlechtere" oder "Falschere" schleift.


    Was hängenblieb ist, dass man ein Blick dafür bekommt, wieso Vandalismus auch eine Art Kultur sein kann. Diese Gedankengänge fand ich interessant. Hatte ich so noch nicht gelesen bzw. gesehen. Ebenso wird Vandalsimus auch "verständlicher". Es sind eben nicht immer Banausen und Ignoranten, die zerstören. Motivation und Ausübung befinden sich in einer komplexen Mengenlage. Die zu beleuchten schafft das Buch. Es gibt jedenfalls Anregungen dahingehnd, dass auch beim Vandalismus wie es IMMER gilt: Es ist vieles anders als es scheint und NIE! so einfach. Gut und Böse gibt es nicht.

    BAND I Biographie Brian Boyd - Vladimir Nabokov



    Die Biographie glänzt mit recht eloquenten Formulierungen. Wie soll es auch anders sein, bei jemandem der Nabokovs gedrechselten Stil mag.


    „Von der Neigung her hätte Russland am liebsten weitergeschlafen, sein Verstand und seine Muskeln dagegen strebten immer wieder zum Sprung nach vorn.“ (S. 72)

    Eines von vielen schönen Bildern, die Boyd gebraucht. Ebenso bringt Boyd immer wieder anregende Wortkreationen in seinem Text unter, wie zum Beispiel „Verkleidungen machten die Winterzeit buntscheckiger.“


    Trotz allem findet man in der Regel einen stringenten Text, der dicht am Thema ist und zugleich aber Kontexte ausführlich zur Geltung bringt. Er verliert sich nicht in mutmaßende und allzu vordergründige Bewunderung. Sie spricht emotional an und weiß zugleich immer nüchtern daherzukommen. Sie weist kontinuierlich Spannungsbögen auf, die aber nicht zu weit gespannt werden. Das Ziel zudem ein spannendes Buch zu schreiben ist augenscheinlich. Zum Glück wird jedoch auf eine überzeichnete Dramatisierung verzichtet. Recht ausgewogen.

    Nach den besagten 400 Seiten trat dann jedoch zunehmend das ein, was ich am Anfang vermutete: ein sich verstärkender Fokus auf sein Werk.


    Die Biographie trat nicht unerheblich in den Hintergrund und es entwickelte sich eine Art umfangreich kommentierte Bibliographie, bis dahin, dass sich ganze Kapitel ausschließlich den einzelnen Werken widmeten. Das kann oder muss nicht schlecht sein. Für jemanden, der von Nabokovs Werk jedoch noch nichts gelesen hat, wirkt es leicht irritierend, überladen. In der ersten Hälfte fanden sich ebenfalls Bezüge zum Schaffen (muss ja auch sein), jedoch in einem Maß, dass mir sehr zusagte. Sicherlich kann man diese zunehmende Fokusverschiebung als Anregungen zum Lesen von Nabokovs Werken begreifen. Schlicht formuliert: mir passten sie in ihrer Umfänglichkeit jedenfalls nicht in den Kram. Nachdem ich anfangs noch ganz diszipliniert alles gelesen habe, zeigte ich mich zunehmend ignorant und habe die Ausführungen zum Werk lediglich überflogen. Sie haben mich in keiner Weise für sein Werk eingenommen bzw. Neugier geweckt.

    Weiterhin sind die Zwanziger Jahre Nabokovs in Deutschland recht unterbelichtet, insbesondere auch der Kontext, von der Emigrations-Enklave abgesehen, der zuvor immer ausführlich und plastisch geschildert wurde.

    Überhaupt scheint sich Nabokov nach seiner Zeit in Russland zunehmend im „luftleeren Raum“ zu bewegen.


    Im 13. Kapitel gibt der erste Satz eine recht genaue Beschreibung für das weitere Hauptaugenmerk der Biographie, auch über dieses Kapitel hinaus:
    „Die wahre Geschichte von Nabokovs Kunst handelt davon, wie er seine formale und fiktionale Erfindungsgabe weiterentwickelte, um die von seiner Philosophie aufgeworfenen Probleme adäquat auszudrücken.“



    Nabokov


    Nabokovs Leben scheint sich mehrheitlich wie bei seinen Schmetterlingsraupen vollzogen zu haben. Abgeschirmt in einer Art Kokon. Teil der Welt, aber immer auf gewisse Weise, gleich in welchem Land, losgelöst. Emigrant halt – aber irgendwie noch etwas mehr.


    Die Stufen seines Lebens werden akribisch chronologisch aufgefädelt – begleitet von seinem Werk. Was mir kaum begegnet oder ich vielleicht nicht recht erkennen konnte, ist die Entwicklung des Menschen Nabokov. Das Buch hat es nahezu überhaupt nicht vermocht, mir den Menschen Nabokov näherzubringen, gleich dem ob nun negativ oder positiv. Bis zum letzten Satz des ersten Bandes bleibt er für mich ein Neutrum. Als Mensch bleibt er mir fremd. Gerade weil Boyd meint, dass Nabokov nicht der aalglatte Schnösel ist, für den ihn wohl nicht Wenige gehalten haben, wäre es doch naheliegend gewesen, diesbezüglich einen Schwerpunkt in der Biographie zu setzen. Den kann ich leider nicht erkennen. Ich empfinde für Nabokov absolut nichts. Ich erfahre um die Umstände seines Lebens und seine Entwicklung als Künstler.

    Unbesehen davon ist seine Odyssee schon eine außergewöhnliche und eben auch wieder nicht, wie die Situation der Emigranten-Zentren in Europa erkennen lassen.


    Beziehungen zu seiner Frau oder seiner Mutter, werden bestenfalls angerissen. Thematisiert wohl kaum. Sehr schade. Für mich klafft dort eine erhebliche Lücke. Weiße Flecken treffen es wohl besser.


    Und irgendwie wirkt Nabokovs unglaubliche Intelligenz auf mich etwas beängstigend bis hin zu verstörend.

    Nabokov ist mir nach dem ersten Band schlichtweg ein Rätsel. Nicht mehr und nicht weniger. Meine Sympathien hat er nicht – aber auch nicht meinen Widerwillen.



    Nabokovs Werk

    Ist sicherlich sehr kleinkariert. Mir aber stieß es auf: Boyd usurpiert den Unbefangenen. Ist fragwürdig, denn wenn jemand befangen ist, ist es doch Boyd; was an sich ja vollkommen in Ordnung ist. Der Unbefangene, z. B. ich, fühle mich hier entgegen seinem Text-Erleben unzutreffend vor`s Loch geschoben.


    Das Buch hat noch nicht angefangen und schon bin ich am Rumkritteln. Diese Wahrnehmung hätte ja nach dem weiteren Lesen verschwinden können. Tat es jedoch nicht. Das „Daraufbestehen“ Boyds, dass Navokov nicht so sehr in seinen Stil verliebt war, wie es durchaus anmuten kann, zieht sich subtil durch den gesamten ersten Band.


    Hier behält er eine ähnliche Richtung bei.

    „Weil sich seine stilistische Originalität so machtvoll offenbart, kommen manche zu dem Schluss, dass Nabokov lediglich Stil zu bieten habe.“ (S. 21)


    Nach den reichlichen Zitaten des Bandes aus Nabokovs Werk, will ich nicht ausschließen, dass Boyd „richtig“ liegt. Mit seiner kontinuierlich zu findenden subtilen Feststellung, dass man nicht so sehr auf Nabokovs Stilfülle abstellen solle, drängt mich leicht dazu, Nabokov immer wieder mal gegen den Strich Boyds zu lesen.


    Die zu lesenden Textstellen sind offensichtlich Belege für sein ausgeprägtes Sprachvermögen und die so oft angeführte dezidierte Beobachtungsgabe.


    Mir sind die Textausschnitte zu verspielt. Man möchte fast meinen, dass er vom Lyrischen nur schlecht loskommt. Die Form kann man sicherlich bewundern. Sie ist dabei für nicht wenige ein formelles Hindernis. Ich erlebe seine Texte als zu gekünstelt. Und wenn er in seinen Novellen und Erzählungen dann eben tatsächlich Großes von sich gibt, werde ich wohl nicht in den Genuss kommen. Ist ja nicht verkehrt – eine schlichte Geschmacksfrage.


    Etwas neugierig gemacht hat mich Die Gabe. Konkret das Entfalten eines Blumenstraußes von Geschichten, denen die Blüten fehlen und die erst im Schlusskonzert auf wundersame Weise erscheinen. Ein solcher Aufbau hat mich bereits einmal bei Tante Julia und der Kunstschreiber von Mario Vargas Llosa begeistert.


    „Nabokovs Prosa war von Natur aus geschmeidig und elegant. (…) Aber eine hochentwickelte Empfindlichkeit passt nicht auf die Bühne.“


    Hierin besteht für mich ein Kern, der mir den Weg zum Werk vermutlich versperren wird: „hochentwickelte Empfindlichkeit“ die durch Nabokov nicht wieder ins weltliches Bild gesetzt wird / werden kann. . . . oder eben auf die Bühne.




    Stückwerk


    „Nabokov macht die Probleme der Metaphysik wieder dringlich.“ S. 518

    Effizienter ist ein Sachverhalt wohl kaum auf einen Punkt zu bringen.


    „Für Nabokov irrte sich der gesunde Menschenverstand am meisten darin, dass er das Leben als einen Kampf um den Vorteil auffasste, als ein globales Monopolybrett.“ S. 476

    Schön formuliert, aber nahezu eine Floskel, die man wohl fast jeden, wenn nicht Intellektuellem, so doch jedem Künstler anheften darf.


    Der Titel eines Vortrages von Nabokov: „Dostojewski ohne Dostojewski-itis“ S. 587

    Eventuell ein Hinweis darauf, dass Nobokov auch zu Zeiten, da die Notwendigkeit der Profilierung für ihn nicht so vordergründig bestand, bereits etwas angenervt war von dem Zirkus der in den zwanziger Jahren ja besonders intensiv um Dostojewski gemacht wurde, aber auch von Dostojewskis überzogene Theatralik. Den Vortragstitel (vermutlich auch dessen Inhalt) sehe ich mit den Texten Nobokovs Vorlesungen über Dostojewski auf einer Stufe stehen.


    Fand ich hochinformativ:

    „ . . . das russische Historische Archiv – jenen erstklassigen Hort an Emigrationsmaterial, den die sowjetischen Truppen später konfiszierten . . .„


    Die Schönheit des oft angeführten Titels von Nabokovs Erinnerungen „Erinnerung, sprich“ wurde mir erst nach ca. 200 Seiten richtig bewusst. Inzwischen steht für mich fest, dass es keine Biographie mit einem schöneren und zugleich prägnanteren Titel wird geben können. Die Inkarnation eines lyrischen Imperativs.

    Aber alles was sich unter diesem Titel verbirgt, wird sich mir wohl nicht offenbaren können. Ich werde es nicht lesen.


    „Er wollte nicht seinen Reichtum zur Schau stellen, sondern weigerte sich nur, die Unterschiede zu vertuschen.“ S. 148

    Ein in meinen Augen ein extrem angenehmer Wesenszug. Bis zum heutigen Tage findet solche Nüchternheit (mehr ist es ja nicht) gesellschaftlich keinen Anklang, geschweige denn Akzeptanz. Mit Armen muss man gemeinsam traurig sein und sie bedauern. Mit Reichen hingegen darf man sich nicht zusammen freuen und sie beneiden. Bigotterie vom Feinsten.


    „Als Autor oder Übersetzer allerdings widmete er sich der russischen Literatur, wie er sie nicht einmal für seine geliebten Shakespeare oder Flaubert aufgebracht hätte.“ S. 53

    Nimmt man Boyd beim Wort, könnte man für die Annahme einen Anhaltspunkt haben, dass Nabokovs Dostojewski-Verriss nicht nur die Projektionsfläche zur eigenen Profilierung gewesen ist. Er hätte es doch nie auf sich genommen, vermeintlich stillos und zudem Substanz vermissend, Dinge von sich zu geben. So jedenfalls derzeit ein Gedanke von mir – aber Band II und damit der entsprechende Kontext steht ja noch aus.


    “Proletarier aller Länder, tretet auseinander. Die alten Bücher sind im Irrtum. An einem Sonntag wurde die Welt geschaffen.“ S. 145

    Solche Knaller erwärmen mein Herz - nein - Geist. Sie sind soo schöön!


    Fazit

    Was mich für das Buch einnimmt, ist das Buch; nicht jedoch Nabokovs Vita, sein Werk oder seine Entwicklung als Schriftsteller.

    Ja, es ist Werbung. Werbung ist doof. Klar. Aber mir ist es ein Bedürfnis für mein Buch zu werben. Steckt Energie und Herz drin. Da MUSS ich werben. Und Werben bedeutet Anpreisen. Werbung, ohne Zuspitzung wäre ja keine. Also stoßt Euch bitte nicht an partiellem Overstatement.


    Der Titel: Dostojewski und die Liebe - Zwischen Dominanz und Demut (12 / 2020)



    Zu Beginn erst einmal was Prof. Dr. Andreas Guski (Autor „Dostojewskij - Eine Biographie“ 2018) zu dem Buch meint:

    „Klaus Trost behandelt in seiner Studie über Dostojewskij und die Frauen einen Themenkomplex, um den Dostojewskij-Biografen sonst eher einen so diskreten wie ehrfürchtigen Bogen schlagen.

    Unter Verzicht auf philologische Rituale, gelingt es dem Autor, eine Forschungslücke zu schließen.“



    Erstmals widmet sich im deutschsprachigen Raum ein Buch umfassend dem Verhältnis des russischen Dichters zur Frau. Leidenschaften, Ehen, Niederlagen, Affären nicht weniger Visionen fädeln sich chronologisch an dem roten Faden seiner Vita auf. Bewusst kritisch gehaltene Ernsthaftigkeit spiegelt das aufreibende Spiel von Auffassung und Wirklichkeit greifbar wider. Durch seine changierenden Wechsel zwischen getrübtem und wachem Blick entweicht der streitbare Romancier wiederholt scheinbaren Gewissheiten. Sein Werdegang wirft stets neue Aspekte auf. Selbst über den Tod hinaus strahlte die Ambivalenz des sonderlichen andererseits genialen Grantlers.

    So mancher Nimbus wird kritisch beäugt, Überlieferungen unter die Lupe genommen, die ein oder andere persönliche Zuschreibung hinterfragt.


    Wer meint, Dostojewski wäre ein Verfechter der Frauenemanzipation, ein respektvoller Ehemann, zweimal verheiratet und deswegen zweimal verliebt und in seiner Jugend asexuell gewesen oder annimmt, ihm habe die Entwicklung seiner Frau am Herzen gelegen und er hätte viel von Treue gehalten, der sollte dieses Buch lesen.

    Die Beziehungen zu den Frauen sind bei Dostojewskij nicht von einer gewissen Unstimmigkeit freizusprechen. Anspruch und Realität fanden Zeit seines Lebens schwer zu einander. Hinreichend Verlockung das Thema einer dezidierten Betrachtung zu unterziehen. Zu seinem 200. Geburtstag ist es lohnend, sich in Umstände seiner Biographie zu vertiefen, die thematisch erstmals umfassend abgehandelt werden. Frauen aus Dostojewskis Umfeld und sein Verhältnis zu ihnen werden näher gebracht. Pro und Kontra Emanzipation ála Dostojewski.

    Das Buch fußt auf umfänglichen Quellen, die sich literarischen Zuschreibungen konsequent versperren. Auf Werk-Analogien wurde bewusst verzichtet.

    Unbesehen davon macht sie neugierig auf eine ausführliche Vita des Großen der russischen Literatur.



    Klaus Trost „Dostojewski und die Liebe“ 420 Seiten, Tredition 2020, Sachbuch

    ISBN 978-3-347-18442-8 (e-Book)

    ISBN 978-3-347-12614-5 (Hardcover)

    ISBN 978-3-347-18367-4 (Paperback)