Beiträge von Kati Naumann

    Wie versprochen, möchte ich euch auch zu diesem Abschnitt noch ein paar zusätzliche Informationen liefern. Ihr seht hier Ausschnitte aus Werbeheften der "Völkerfreundschaft" und einen Erinnerungsteller von der Völkerfreundschaft, auf dem man auch gleich ein Menü ablesen kann. Diese Prospekte waren eine tolle Quelle, aber ich habe von ehemaligen Schiffsbesatzungsmitgliedern auch zahlreiche private Fotos der Inneneinrichtung und von den Außenanlagen bekommen. Die kann ich euch leider aus rechtlichen Gründen nur als "Haufen" zeigen, damit ihr einen Eindruck davon bekommt.

    Deinen ersten Satz hatte ich mit meinen Worten so notiert:
    Warum geben sich die Deutschen nicht zu erkennen beim Kapitänsdinner?


    Habe ihn dann nicht im Leseabschnitt gepostet, weil zumindest Henri eine Erklärung im Buch gibt. Als ehem. DDR Bürger fühlt er sich nach 30 Jahren noch nicht als Deutscher angesprochen.

    Meine Notiz bezog sich jedoch auf alle Schiffspassagiere, so hätte ich sie auch doch hier anbringen können. Sind die beiden als einzige Deutsche an Bord oder warum meldet sich keiner?

    Das Schiff ist ja in Poole gestartet, also sind dort eher keine Deutschen zugestiegen und es ist auch keins von den extrem großen Schiffen, darauf passen nur 550 Passagiere. Sie könnten also durchaus die einzigen Deutschen gewesen sein.

    Das erscheint mir total logisch. Ich vermute mal, wenn ich so deine umfangreichen Recherchen und die zwei Zeit-Handlungsstränge angucke, du bist sehr strukturiert in deiner Arbeit. :)

    Eigentlich bin ich gar nicht so strukturiert, sondern eher intuitiv. Aber für diese Bücher habe mir im Laufe der Zeit einige Strukturen angewöhnt, die sich bewährt haben, die Arbeit erleichtern und Fehler vermeiden. Dazu gehören Lebensläufe meiner Figuren, Zeichnungen ihr Wohnungen, Zeitübersichten über historische Ereignisse, Veränderungen in den Handlungsorten (Straßenpflasterung, Straßenbeleuchtung, Abwasser usw), Meine Recherchebücher haben Seitenzahlen und Klebereiter, so finde ich bestimmte Themen schneller wieder usw.

    Für mich hätten die Ereignisse der Dresdner Bombennacht gerne noch intensiver und ausführlicher geschildert werden können.

    Ich habe hier wirklich lange überlegt, wie ich das schildere, mehrere Varianten ausprobiert und dann entschieden, es konsequent von der Position aus dem nahen Kötzschenbroda zu betrachten. Ich finde, es ist ein so großes und grauenhaftes Thema, dass es aus der Dresdner Perspektive viel mehr Raum und einen eigenen Roman gebraucht hätte.

    Wie ist das denn mit den Lektoren? Mauscheln die da am Text sehr viel mit oder schauen die mehr, ob alles Sinn ergibt?

    Und musst du deren "Vorschläge" dann immer umsetzen oder kannst du da totzdem noch sagen: nein ich will, dass das hier so stehen bleibt?

    Ich habe eine ganz, ganz tolle Lektorin. Aber es gibt solche und solche und ich habe schon mit jeder Sorte Erfahrungen gemacht. Ich hatte schon mal eine, die jeden Satz hinterfragt und schon aus Prinzip nochmal umgestellt hat. Das hat dann auch keinen Sinn und wir haben nur einmal zusammen gearbeitet. Jetzt habe ich unglaubliches Glück, sowohl im Erwachsenen- als auch im Kinderbereich. Meine Lektorin für diese Romane bekommt mein Exposé und meist geht das dann einfach so durch, da kommen nur Zuspruch und Anregungen, welche Richtung noch gut wäre. Ich gebe meine Romanmanuskripte immer schon mehrmals überarbeitet ab und kürze auch sehr viel schon selbst, sodass daran bisher immer nur Kleinigkeiten zu ändern waren und wir uns auf den Feinschliff konzentrieren konnten. Meine Lektorin prüft nochmal alle Fakten, soweit für sie möglich, schaut auf kleine Logikfehler oder Unverständlichkeiten und von ihr kommen meist nur wenige Anmerkungen, mit denen sie aber immer recht hat. Es wird nie etwas prinzipiell in Frage gestellt, da ist viel Vertrauen in mich und das ist großartig, dafür bin ich sehr dankbar. Ich habe aber schon von anderen Autoren gehört, dass sie beim Lektorat nochmal alles umwerfen mussten.

    Gute Frage!
    Das vorherige Cover von "Wo wir Kinder waren" mag ich sehr und es passt für mich auch zu dem Buch. Das neue Cover zeigt nur wenig.

    Das Cover mit der Frau bei "Was uns erinnern lässt" vor dem Seepanorama, hat mich wenig angesprochen. Ich mochte es nicht. Das Neue mit der Mohnblüte ist prägnant und neutraler, wirkt auf mich angenehmer und ist moderner.


    Stadtansicht in "Die Sehnsucht nach Licht" - hier passt zum Klappentext und um sich im Buchhandel abzuheben, das neue Cover besser.

    Es wird auch mit den Vertriebsleuten gesprochen, die bekommen die Cover gezeigt und diskutierend darüber und geben Empfehlungen an. Sie haben ein sehr gutes Gefühl dafür, was ankommt und was die Leute gern in die Hand nehmen.

    Hattest Du Mitspracherecht, als Harper Collins die Gestaltung der Buchcover verändert hat?


    Auch wenn ich erst vor einem Monat den Roman "Als wir Kinder waren" gelesen habe, hatte das Cover mit der Straßenansicht

    ASIN/ISBN: 3749900000
    und hier mit der Frau bei "Was uns erinnern lässt" vor dem Seepanorama
    ASIN/ISBN: 3959672470
    , die Stadtansicht in "Die Sehnsucht nach Licht"
    ASIN/ISBN: 3365001174
    sich bei mir im Kopf eingeprägt. Als - die letzten beiden vor "Fernwehland" erschienenen Buchcover für die Taschenbuchausgabe - dann überarbeitet wurden, verwirrte mich dies erst einmal, denn ich dachte kurz: "so viele neue Bücher in kurzer Zeit geschrieben?"

    Ja, ich habe ein Mitspracherecht. Und zwar dahingehend, dass ich Entwürfe vorgelegt bekomme und dann zustimme oder ablehne. Mein Verlag möchte natürlich, dass mir das Cover gefällt. Da ich aber von Grafik nicht viel Ahnung habe und auch nicht einschätzen kann, was meinem Publikum gefällt, vertraue ich da den Fachleuten komplett. Der erste Roman mit HarperCollins ist ja nun schon einige Jahre her. Da kann es natürlich sein, dass ein Verlag die Optik dem Zeitgeschmack ein wenig anpassen möchte. Ich finde es toll, dass nun alle meine Bücher bei HarperCollins noch einmal ein neues Gewand bekommen. Mir gefallen die neuen Cover unheimlich gut und noch besser als die alten. Vor allem das von Fernwehland finde ich so stimmungsvoll und Sehnsucht weckend..

    Ich frage mich, warum sie sich beim Captains Dinner nicht als Deutsche zu erkennen gegeben haben. Besonders Henri hadert mit seiner Herkunft. Das dachte ich mir auch, als er gegen Ende des Abschnitts mürrisch ist, weil der neue Passagier Elli sie einfach auf deutsch anspricht.

    DDR-Bürgern ist das "Deutschsein" regelrecht abtrainiert worden. Wir waren DDR-Bürger, keine Deutschen. Deutsche, das waren in der offiziellen Staatsversion die kapitalistischen und damit bösen Westdeutschen. Die Deutsche Seereederei der DDR wurde in Deutfracht umbenannt, damit bloß nicht mehr das Wort "deutsch" im Namen vorkam. So mancher spürt das bis heute und es wirkt sich bei den einen so aus, dass sie endlich stolz auf ihr Land sein wollen und bei den anderen, dass sie noch immer damit fremdeln.

    Wie war die Schreibarbeit? Hast Du abwechselnd die Handlungsstränge geschrieben oder erst mehrere Kapitel der Vergangenheit und dann die Gegenwart drumherum?

    Ich schreibe immer als erstes komplett die Vergangenheit, ohne mich um die Gegenwart zu kümmern. Meine Figuren sind ja erst durch die Vergangenheit zu dem geworden, was sie heute sind. Und bevor ich das mit ihnen durchlebt habe, kann ich ihr gegenwärtiges Wesen nicht schreiben. Erst wenn die Vergangenheitsebene komplett mit Kürzungen und Überarbeitungen fertig ist, mache ich mich an die Gegenwartsebene, die vor allem die Aufgabe hat, die Lücken und Sprünge in den Zeiten zu füllen und alles zusammen und bei der Stange zu halten :-)

    Welch ein Drama, beim Nachlesen im Netz hatte ich gelesen, dass ein Passagier der Stockholm ums Leben gekommen ist. Ausgerechnet Per, frisch verheiratet mit der lieben Frida, menno. Stimmt es, dass das Opfer damals tatsächlich in den Flitterwochen war? ist das überliefert?


    Zu der Szene: Ich lese wie Per seine Frida liebevoll zudeckt, er geht zum Rauchen ans Deck, lese "Per hört Orchesterklänge über dem Meer", ich ahne auch in dem Moment nicht das Unglück, dass Frida es miterlebt haben könnte. Obwohl ich gerade erst den wiki Eintrag gelesen hatte, habe ich nicht in Verbindung gebracht, dass der Zusammenstoß in Fridas Flitterwochen passiert sein könnte. Gut gemacht, Kati!

    In Wahrheit sind auf der Stockholm ausschließlich Besatzungsmitglieder und kein Passagier ums Leben gekommen. Es waren fünf Besatzungsmitglieder, die ihre Kabinen ganz vorn im Heck hatten, das komplett zerstört wurde. Da in dieser Nacht viele vom Service zusätzlichen Dienst hatten, gab es glücklicherweise nur wenige, die sich in den vorderen Kabinen aufgehalten hatten. Diese historischen Fakten findet ihr auch ganz hinten im Anhang.

    Die Detailliertheit zeigt auch das Wort Petticoatsessel (so könnte er auch ausgesehen haben) und auf S. 137 steckt ein Croissant in Fridas Handtasche, dazu passend haben wir auf S. 132 Fridas Erinnerung gelesen: Croissant ins Bett krümeln mit Per.

    Im Netz gesucht habe ich auch Saure Flecken

    Die Petticoatsessel sahen so aus:

    Sie haben diese seitliche Aussparung, in die der Petticoat eingeklemmt werden konnte, sodass er nicht hochklappte.

    Batcats beschreibenden Worten kann ich mich nur anschließen. Toll, dass es dieses Video gibt.

    Ja, dieses Video war unglaublich toll für die Beschreibungen. Ich hatte mir natürlich auch die GNTM-Folge reingequält und sämtliche Werbefotos und Broschüren der Astoria angeguckt, aber gerade für die Wirtschaftsräume und die technischen Sachen war das Video sensationell gut und ich sehr dankbar dafür.

    Hier möchte ich euch gern das Bilz-Bad zeigen. Eine Alteingesessene hat mir so lebhaft ihre Kindheitserinnerungen daran geschildert, dass ich mich unglaublich gut in diese Zeit zurückversetzen konnte. Ich fand es einen Glücksfall, dass dieses Wellenbad früher auch mit Dampfantrieb war, so dass ich hier noch einmal die Verbindung zu den Flussdampfern herstellen konnte.

    Um die Gegenwartsebene mit der Vergangenheit verbinden zu können, habe ich die Deckspläne von Stockholm und Astoria miteinander verglichen und die Querschnitte auf Pergament ausgedruckt und übereinander gelegt, damit ich immer gleich sehen konnte, welche Ebene wann wie heißt.

    Danke für die ausführliche Antwort. Das klingt wie eine Art Puzzle und braucht bestimmt auch Geduld. Wenn man unbedingt was besonderes wissen will und man partout noch keinen gefunden hat, der genau das weiss.

    Manchmal komme ich auch an den Punkt, an dem ich einsehen muss, dass es gerade bei Kleinigkeiten einfach nicht mehr herauszufinden ist. Dann muss ich mich zur Ordnung rufen und mir sagen, dass ich keine Doktorarbeit schreibe, sondern einen fiktiven Roman (der ein Abgabedatum hat) und mir durchaus Dinge ausdenken darf. Bei historischen Ereignissen widerstrebt mir das aber sehr.

    Hört sich total spannend an, die Recherche. Und ist ja eigentlich ein ganz eigener Job. Also der Autorenjob kommt eigentlich erst danach. :/

    Ich finde jeden Teil meiner Arbeit toll. Die Recherche liegt immer vor dem Schreiben und macht ungefähr ein reichliches Drittel aus. Große amerikanische Autoren beschäftigen dafür eigene Mitarbeiter. Ich würde das aber nicht auslagern wollen, weil ich die Begegnungen so bereichernd finde. Bei diesen Gesprächen komme ich oft auf ganz neue, ungewöhnliche Ideen, erfahre winzige Details, die eigentlich unwichtig sind, aber so gut die Vergangenheit spürbar machen, und ich bekomme ein inniges Gefühl für den Ort und seine Bewohner, das macht alles viel lebendiger.

    Um die Fahrten der Stockholm beschreiben zu können, habe ich nach alten Werbeprospekten, Menüplänen, Cocktailkarten und ähnlichem in Auktionshäusern gesucht. Die sind dort zum Glück immer gut abgebildet. sodass ich nicht alles kaufen musste! Aber einen alten originalen Decksplan musste ich unbedingt haben, das ist so inspirierend! Die Speisen, Getränke und die Vergnügungen auf dem Schiff habe ich alten Menükarten und Programmheften entnommen.

    Den Greta-Garbo-Cocktail hat mein Verlag übrigens bei der Vorstellung des Romans für die norddeutschen Buchhändler gemixt und ich kann euch sagen, es wurde eine sehr lustige Veranstaltung, denn das Zeug ist stark.

    Hier könnt ihr die alten Filmaufnahmen vom Untergang der Andrea Doria ansehen und dort seht ihr auch Aufnahmen der stark beschädigten Stockholm.

    https://www.youtube.com/watch?v=DYjfSwRIqNQ

    Für die Dampfschifffahrt habe ich bei der Recherchefahrt auf einem historischen Dampfer einen der letzten Dampfmaschinisten kennengelernt, dessen Großvater schon bei der Sächsisch-Böhmischen Dampfschiffahrt gearbeitet hatte. Er hat mir ganz viele Bilder zur Verfügung gestellt und wusste unzählige Episoden und Erinnerungen. Für die Stockholm habe ich Kontakt zu schwedischen Archiven und Museen aufgenommen, da es keine Filmaufnahmen oder Fotos von der Schiffstaufe gibt. Alles, was man dazu im Internet und in Bildarchiven findet, sind Aufnahmen der Vorgängerschiffe mit selbem Namen. Ich hatte dann riesiges Glück... Nach ewiger Suche habe ich vom schwedischen Reichsarchiv eine Kopie des Protokolls der Schiffstaufe zugeschickt bekommen. Vom Bau der Stockholm gibt es nur ein einziges Bild. Ich habe es einem Werftarbeiter und einem Matrosen gezeigt und die haben anhand der Hintergründe herausgefunden, dass das Schiff im Trockendock gebaut worden sein musste. Damit wusste ich, wie der Stapellauf abgelaufen war. Die Zeitzeugen habe ich kleckerweise gefunden. Ich bin direkt in Kötzschenbroda ins Heimatmuseum gegangen, habe nach Alteingesessenen gefragt, und dann überall gestreut, dass ich Werftarbeiter der Warnow-Werft und ehemalige Besatzungsmitglieder und Passagiere der "Völkerfreundschaft" suche und bin dann kreuz und quer durchs Land gefahren, um die Leute zu treffen. Und manchmal hatte ich Glück, denn die einen wiederum kannten dann andere...