Marion Poschmann "Die Kieferninseln"
Gilbert Sylvester, Kulturwissenschaftler und als Drittmitteldozent tätig, erwacht eines Morgens aus einem Traum, der ihn im Glauben zurücklässt, seine Frau betrüge ihn. Kurzerhand kauft er ein Flugticket nach Japan, ein Land, das ihn bislang kaum interessiert hat und steigt mit einem Gedichtband
Matsuo Bashō ins Flugzeug. In Tōkyō angekommen stellt er fest, dass die Stadt der Hochhäuser für Touristen und für ihn zu sauber und aufgeräumt ist.
An einem Bahnsteig trifft Gilbert Sylvester auf den jungen Studenten Yosa Tamagotchi, der sich das Leben nehmen möchte.
Der Fortgang der Geschichte lässt sich für Kenner erahnen: Der vermeintlich gehörnte Ehemann und der lebensmüde Student machen sich auf nach Aokigahara, den über Landesgrenzen hinaus bekannten Wald der Selbstmörder, einem dicht bewachsenen Wald, in den kaum Licht eindringt und geeignet für ein Lebensende erscheint.
Auf dieser Reise des ungleichen Duos erfährt Gilbert Sylvester durch Yosa Tamagotchi viel über Lebensweise, Kultur und Sozialiation Japans, gibt jedoch selbst nicht viel von sich preis.
Aussagekräftiger sind seine einsilbigen Telefonate mit seiner Ehefrau, die unweigerlich die Frage aufwerfen,
ob die beiden sich in besseren Zeiten überhaupt etwas zu sagen hatten.
Der Selbstmord gelingt nicht und die beiden Gestalten reisen noch einige Touristenziele ab und um sich letztlich nach Matsushima, den titelgebenden Kieferninseln, aufzumachen. Wer sich mit Japan und der Literatur diesen fernöstlichen Landes bereits beschäftigt hat, dem dürfte Matsuo Bashō ein Begriff sein.
Matsuo Bashō, Mönch, Wanderer und Haiku-Dichter, wandelte im 17.Jahrhundert auf den Spuren seines Vorbilds Saigyō, der die Schönheit der Kieferinseln im japanischen Hinterland bereits im 12.Jahrhundert poetisch verarbeitete und dessen Gedichte bis heute weit verbreitet sind.
Marion Poschmann, die einige Monate Japan bereist hat, greift in ihrem Roman auf, wonach der Japanreisede stetig sucht: Das gute alte Japan, das aus fernöstlicher Tradition, Naturverbundenheit und mit Buddhismus als auch Shintoismus religiöse Heimat für jedermann bietet.
Doch Gilbert Sylvester muss schnell feststellen, dass vom Japanbild ebenso wenig übrig geblieben ist wie von seinen Lebensvorstellungen.
Das von Matsuo Bashō vor 400 Jahren in seinen Haikus beschriebene Matsushima mit seinen windschiefen Kiefern an der Bucht von Sendai existiert nicht mehr und die von ihm angestrebte Karriere ist ausgeblieben.
Mit "Die Kieferninseln", im Jahr 2017 nominiert für den Deutschen Buchpreis, hat Marion Poschmann sich Großes vor- und teilweise übernommen.
Die Hauptfigur, die ebenso wie ihr Name und als Bartexperte künstlich wirkt und ein Bilderbuchlangweiler par excellence ist, bleibt über weite Strecken fremd und weckt kein Interesse, allerdings Zweifel ob er als Mentor und Lebensretter taugt. Überzeugender sind dagegen die Beschreibungen des Hinterlands und
die Suche nach den Kieferninseln, deren Geschichte überzeugend, lebendig und lyrisch erzählt wird.
Wer über die vorgenannten Punkte hinweglesen kann, den erwartet eine Stück lohnenswerte japanische Kultur- und Literaturgeschichte, die neben der Lust an Poesie auch Interesse an Matsushimas von Wind und Regen geprägten Inseln weckt.