Nun ja, liebe magali, ich fürchte, das gestaltet sich dann für mich zu schwierig.
Angenommen, ich schriebe in einer Rezension von Charakteren, weil ich eben weiß, was damit gemeint ist, woher soll nun der Leser meiner Rezension wissen, dass ich das weiß? Möglicherweise würde er nicht weiterlesen, weil er glaubt, ich verwende einen falsch angewandten Anglizismus, der die Sache nicht trifft, obwohl er die gleiche Form hat wie der literaturwissenschaftliche Begriff, der die Sache sehr wohl trifft. Er würde mich als dumm und unfähig beschimpfen, bis ich ihm nachweisen könnte (falls ich dazu die Gelegenheit bekäme), dass ich vom wissenschaftlichen Hintergrund an die Sache gegangen bin.
Möglicherweise würde ich aber auch glauben, dass derjenige meine Rezension deshalb nicht weiterliest, weil er der literaturwissenschaftlichen Begrifflichkeiten nicht mächtig ist, und ihn nun seinerseits als dumm bezeichnen. Welch großes Missverständnis!
Da unterstelle ich einem Rezensenten, der eigentlich korrekte Begriffe aus vermeintlicher Unkenntnis vermeintlich nur zufällig korrekt verwendet, lieber gar nicht erst, dass er solches tut, sondern erfreue mich einfach an einer hoffentlich ansonsten gut geschriebenen Rezension, die möglicherweise auch noch inhaltlich etwas zu bieten hat. Zumal ja, wenn auch vielleicht nur zufällig, gar kein Fehler vorliegt.
Im Übrigen wollte ich weder der einen Seite noch der anderen unterstellen, sie seien verkappte LWler oder aber Laien. Ich sage lediglich, dass Charakter durchaus der korrekte Terminus ist. Und zwar letztlich vollkommen unabhängig davon, von wem er verwendet wird. Eben als Unterbegriff des literaturwissenschaftlichen Begriffs der Figur (nicht des Typus!!!).
Und selbst diejenigen, die nicht wirklich wissen, wie sich ein Charakter von einem Typus unterscheidet, dürften in den allerseltensten Fällen falsch liegen, weil Typen nun mal in der gängigen Literatur kaum noch vorkommen.
Zitat
Vielen lieben Dank! Dass es Typen gibt, war mir bekannt, und wenn diese gehäuft in der Unterhaltungsliteratur auftreten, wird wohl von Trivialliteratur gesprochen.
Nein, so kann man das nicht sagen, Newmoon. Klischee ist nicht gleich Typus und Typen zu verwenden alles andere als trivial. Ich darf mal einen Text von meinem Alter-Ego BennoP zitieren:
Zitat
Der Ältere und der Jüngere
Ein Mann hatte zwei Söhne. Er liebte sie beide. Der Ältere war ihm wohlgeraten, der Jüngere aber zeigte sich schon früh als Sorgenkind. Als dieser es wieder einmal gar zu arg getrieben hatte, beschloss der Mann seine sparsame Zeit fortan vor allem für ihn aufzuwenden, wusste er doch, dass der Ältere seiner kaum bedurfte, um sich den Stolz des Vaters zu verdienen.
Viel Aufmerksamkeit schenkte er nun dem anderen, unternahm dies und jenes mit ihm, sprach lange und oft mit ihm über seine Verfehlungen und vergaß auch nicht, ihm den Bruder als Vorbild zu erwähnen. Doch gerade, als er glaubte, sein Tun zeige Wirkung, steckte man den Älteren ins Gefängnis.
In diesem Text gibt es keine Charaktere. Keine der auftretenden Figuren hat individuelle Eigenschaften. Wir haben den Typ Vater und zwei verschiedene Typen Sohn, von denen einer dem Typ Sorgenkind entspricht.
Typen haben wir z. B. immer dann, wenn ein Text nicht individualisieren, sondern Allgemeines zum Ausdruck bringen will. Das trifft häufig auf Märchen zu (die Hexe, der Zwerg, …) auf Sagen, aber auch auf Texte der sogenannten Ernsten oder Hochliteratur (Begriffe, die mir gar nicht gefallen).
In Geschichten, die vor allem unterhalten wollen, finden wir sie deshalb eher als Statisten, weil wir dort ansonsten an Charakteren interessiert sind. Aber ein Bote, der nur mal eben einen Brief bringt, um dann wieder zu verschwinden, muss eben nur als Bote zu erkennen sein. Er wird daher nicht als Charakter, sondern als Typus auftreten.
Zum Hauptprotagonisten:
Meine Güte, die Hauptsache ist doch letztlich, dass du verstanden wirst.
Aber ja, eigentlich bedeutet Protagonist bereits so viel wie "der Erste", er oder sie ist also die Figur, um die sich alles dreht und die alles dreht, die zentrale Figur, deren Konflikt der zentrale der Geschichte ist. Sie duldet also bestenfalls dann einen weiteren Protagonisten neben sich, wenn beide gleichermaßen an diesem zentralen Konflikt beteiligt sind. Das ist nicht nur selten, sondern auch schwer umzusetzen.
In der Regel haben wir also den Protagonisten und mehrere Hauptfiguren.
Wenn wir nun aber mehrere Stränge in einer Geschichte haben, würde ich es zumindest nachvollziehbar finden, in jedem Strang einen Protagonisten dieser Handlungsebene zu haben. Eigentlich nennt man die Handlungsträger, aber was solls? Wir betreiben ja hier eben keine Wissenschaft (denn dann würden wir auch andere Begriffe, wie etwa die Erzählperspektive, so nicht mehr verwenden dürfen).
Und wenn jeder Strang einen Protagonisten hat, ist logischerweise derjenige des Haupthandlungsstrangs der Hauptprotagonist. Und wen das stört, der hat eben mehrere Handlungsträger und einen Protagonisten.