ZitatOriginal von John Dowland
Worum geht es in den ersten 19 Kapiteln? Aus meiner Sicht sind zwei Hauptthemen zu unterscheiden. Zum einen hat Musil viel über Österreich in der Zeit vor dem ersten Weltkrieg geschrieben; zum anderen ist es natürlich ein Text über den "Mann ohne Eigenschaften".
Über Kakanien gibt es zwar das eigene Kapitel, aber ich habe den Eindruck, dass wir in die Beschreibung der österreichisch-ungarischen Doppelmonarchie und ihrer Vertreter erst im nächsten Abschnitt eintreten, wenn es um die Parallelaktion geht.
ZitatOriginal von John Dowland
Was mich beunruhigt: während der ersten Kapitel habe ich Ulrich als sympathischen Sonderling erlebt, einen unangepassten Außenseiter, der den Mut hat, seine Meinung zu äußern und zu den Folgen zu stehen (so als Schüler und so als Soldat - bemerkenswert finde ich beispielsweise auch den schonungslos offenen Umgangston, den Ulrich mit seinen Freunden Walter und Clarisse pflegt). Wenn Ulrich entdeckt, dass er sich auf einem Irrweg befindet, nimmt er ohne zu Zögern Kurskorrekturen vor und unterscheidet sich damit insgesamt wohltuend von den einfachen Mitläufern aller Gesellschaftsschichten. Nach dem Plädoyer Walters und der Lektüre des „Moosbrugger-Kapitels“ bin ich mir in meinem (positiven) Urteil allerdings nicht mehr so sicher. Denn in Walters Augen ist Ulrich kein Sonderling, sondern im Gegenteil Repräsentant der breiten Masse („Das gibt es heute in Millionen.“ [...] „Das ist der Menschenschlag, den die Gegenwart hervorgebracht hat.“ – Seite 64). Seiner Ansicht nach stellen Menschen wie Ulrich eine ernstzunehmende Gefahr dar. Und Moosbrugger – das ist ein Ungeheuer in der Maske des erdverbundenen „von Gott gesegneten“ Handwerkers. Ulrich ist gerade von seiner „Verteidigungsstrategie“ angetan, die den Mord als „Unglücksfall“, als Folge gar des „verdächtigen Benehmens“ der Frau darstellen möchte. Was von außen als Mord erscheint, trägt im Innern mit einem Mal die Züge einer (begründbaren) Notwehrhandlung... Ein wenig habe ich mich gefragt, ob Walter mit seiner Einschätzung richtig liegt und man sich vor Ulrich, dem Moosbruggers Argumentationsmuster nicht fremd sind, in Acht nehmen sollte.
Das ist interessant, mir ist Ulrich als Figur von Anfang an weniger sympathisch gelesen (das hat sich auch diesmal nicht geändert). Er ist zwar auf der Suche und sicherlich bereit zu Kurskorrekturen, doch die geschehen doch eher aus einem unspezifischen enttäuschten Ehrgeiz heraus. Ulrich ist kein Mann der Sache, sondern einer, der Erfolg um des Erfolgs willen haben will.
Die Engführung mit Moosbrugger ist auch sehr auffällig. Zum einen ist Ulrich von seiner Argumentation beeindruckt, zum anderen wird er sich aber im nächsten Abschnitt vor Graf Stallburg für Moosbrugger verwenden und sagen, dass er ihn für wahnsinnig hält. Auch hier scheint die herausstechendste Eigenschaft Ulrichs wieder zu sein, dass er sich nicht entscheidet, dass er unspezifisch fasziniert ist, erst Dinge tut und denkt, und dann andere Dinge tut und denkt, die zu den ersten gar nicht zu passen scheinen.
Wichtig ist der Hinweis auf den Unfall. Der Text beginnt mit einem Unfall und dieses Hineinschliddern in Tatsachen bleibt ein wichtiges Thema des Textes: Bei Ulrich und Bonadea z.B. oder eben bei Mossbrugger oder später, als Ulrich irgendwie in die Parallelaktion hineingerät, ohne es zu wollen oder nicht zu wollen. Das Zufällige, Unfallhafte ist eben etwas, das Eigenschaften nicht erfordert. Man wird tatsächlich beobachten müssen, inwieweit Ulrich hier von Musil als Vertreter seiner Zeit beschrieben wird.