Beiträge von Buchdoktor

    Wenn ein Autor in einem deutschen Verlag veröffentlicht wurde, könntest du den Verlag um Auskunft bitten.


    In diesem Fall hat der Verfasser mehrere Titel mit Reincarnation im Titel veröffentlicht:

    goodreads


    Zitat

    Dass man aus einem Titel wie "Reincarnation and Biology" einfach "Reinkarnationsbeweise" macht, ist ja nicht gerade klar. Wenn es denn stimmt.

    Die DNB katalogisiert nach dem physisch vorliegenden Buch. D. h. der verlinkte Eintrag wurde von einem Mitarbeiter erstellt, der das Buch vorliegen hatte und den englischen Originaltitel dem Buch entnommen hat.

    Siehe Blick ins Buch bei amazon

    Ich halte es hier auch für denkbar, dass der Autor über Jahre hinweg unterschiedliche Ausgaben mit unterschiedlicher Seitenzahl veröffentlicht hat. Ursprünglich war das ein zweibändiges wissenschaftliches Werk, das wohl kaum mit den 280 Seiten der deutschen Ausgabe identisch sein kann.


    P.S.: Aus dem Wikipedia-Eintrag geht eindeutig hervor, dass das eine die populäre Kurzfassung des anderen ist:

    • Reincarnation and Biology: A Contribution to the Etiology of Birthmarks and Birth Defects. (2 Bände). 1997 (Stevensons wissenschaftliches Hauptwerk)
    • Where Reincarnation and Biology Intersect. 1997, ISBN 0275-95188-X (Eine Kurzform des zweibändigen wissenschaftlichen Werkes für Leser ohne medizinische Vorbildung)

    Sieht gut aus. Beim Probieren wurde bei der Hälfte der Titel die ISBN13 nicht angenommen, aber die ISBN10. Könnte also sein, dass die ISBN10 immer dafür genutzt werden muss.

    Akte 113

    ASIN/ISBN: B00AKNQ2RW
    Man sollte nicht meinen, wie viele Krimis mit gelbem Cover es gibt.

    Ein Leckerbissen für Krimifreunde: Die Krimireihe mit dem Detektiv Lecoq spielt in den 1860er Jahren in und um Paris, kann sich jedoch in Spannung, Rafinesse und Ideenreichtum problemlos mit einem Henning Mankell oder einer Donna Leon messen.

    Der Tresor des Bankhauses Fauvel wurde über Nacht leer geräumt, Einbruchspuren: keine. Außer dem Besitzer hat nur noch der Kassierer Bertomy Schlüssel und Codewort. Doch der beteuert seine Unschuld. Monsieur Lecoq beleuchtet die Fauvelschen Familienverhältnisse etwas genauer und macht gleich mehrere erstaunliche Entdeckungen...

    Madame ist leider verschieden

    ASIN/ISBN: B00VJVVYCC

    Ein rätselhafter Tod auf dem Eiffelturm, der umstrittenen Attraktion der Pariser Weltausstellung des Jahres 1889: Eine der vielen Besucherinnen haucht dort, in luftiger Höhe, ihr Leben aus. Der Buchhändler Victor Legris wird ungewollt zum Zeugen und schließlich zum Ermittler. Denn es gibt noch weitere Opfer, die stets einem mysteriösen Bienenstich erliegen. Und jedes Mal ist Victor dem Tatort nicht fern …

    ASIN/ISBN: 3896675737

    Kann es LeFloch sein?


    »Ein neuer Maigret wurde geboren: Nicolas Le Floch… Der Roman ist mit einem Realismus von halluzinatorischer Suggestivkraft geschrieben.« Le Figaro

    Der erste Roman in der Commissaire-Le-Floch-Reihe.

    Paris, 1761: Als ein Polizeibeamter der Korruption verdächtig wird, betreut man den jungen Nicolas Le Floch mit dem Fall. Was als Bagatelle beginnt, wird schon bald zum Mordfall, da der verdächtigte Beamte verschwindet, und zu einem Skandal, der auch König Ludwig XV und seinen Hofstaat treffen könnte. Während die Pariser Gesellschaft sich dem wilden Treiben des Karnevals hingibt, führen Nachforschungen Nicolas Le Floch in Spielhöllen, Abdeckereien, Edelbordelle und die Verliese der Bastille. Wird er das Geheimnis lüften und den König retten?

    Schon der erste Band zeigt, warum die Reihe um Commissaire Nicolas Le Floch in vielen Ländern Bestseller wurden: rasante Plots, geheimnisvolle Charaktere und detailgenaue atmosphärische Beschreibungen, die uns das Paris des 18. Jahrhunderts sehen, schmecken, riechen und fühlen lassen.

    Hilbig: Ich

    ASIN/ISBN: 3100336178

    Der Schriftsteller und Stasi-Spitzel »Cambert« soll einen mysteriösen Autor beschatten, der »feindlich-negativer« Ziele verdächtigt wird. Da dieser Autor nie den Versuch macht, seine Texte zu veröffentlichen, ist der Verdacht jedoch schwer zu erhärten. »Camberts« Zweifel an der Notwendigkeit seiner Aufgabe, die ihn zu unheimlichen Expeditionen durch Berliner Kellergewölbe zwingt, wachsen mit der Unsicherheit, ob sich das Ministerium für Staatssicherheit für seine Berichte überhaupt interessiert. Immer öfter plagt ihn die Ahnung, nicht einmal seine Person werde ernst genommen. In dem muffigen Zimmer zur Untermiete bei Frau Falbe, die ihm keineswegs nur Kaffee kocht, verschwimmen ihm Dichtung und Spitzelbericht so sehr, daß er bald nichts mehr zu Papier bringen kann. Tief sitzt die Angst, unter dem Deckmantel »Cambert« könnte der lebendige Mensch längst verschwunden sein. Hilbigs Thema in diesem Roman ist die Verwicklung von Geist und Macht. Er untersucht sie am Beispiel eines Literaten, der zu einem Spitzel der Staatsgewalt geworden ist.


    ASIN/ISBN: 3472865423

    Novak: Vogel federlos zeitlich anschließend, hat die Schuljahre in der Nähe von Berlin zum Thema, Jahre, in denen das Bewußtsein der Schüler allein von der Utopie eines sozialistischen Lebens in einem neuen, ganz anderen Deutschland geprägt ist. Gleichzeitig erzählt Helga M. Novak aber, wie dieses Bewußtsein an sich selbst zu zweifeln beginnt, wie gerade das, was die Schüler vor allem lernen und begreifen sollen, mit den Jahren immer fragwürdiger wird.

    Wie kein zweites Werk schildern "Die Eisheiligen" und »Vogel federlos« eine Kindheit und Jugend in Deutschland während des Faschismus und in den frühen Jahren der DDR. Heute, zwanzig Jahre nach dem Ende der DDR, läßt sich bei Helga M. Novak nachlesen, wie dort begann, was vierzig Jahre später zusammenbrach.

    Es ist eine schwierige Suche, weil es solche Wissensbücher teils nur kurzfristig auf dem Markt gibt - und sie sind nur zu finden, wenn jemand darüber geschrieben hat. Mir fällt dazu ein Readers Digest Sammelband, Tessloff u. ä., Tessloff gibt es sowohl einzeln als auch im Sammelband.

    Das glaube ich Dir sofort, dass die Kinder sich da gern mit Dir unterhalten und sehr reif wirken - und die beschützenden Mamas sind dann manchmal wieder gefragt, wenn dann abends vor dem Einschlafen aus der vermeintlichen (?) Reife das heulende Elend wird...

    Genauso ist es - auch bei Jungen ... :*

    Vielleicht könnte man die Suche noch ein wenig eingrenzen?

    War es ein Printbuch oder ein eBook?

    Was heißt "vor zig Jahren"? Vor 5, vor 10, vor 20?

    War es ein Buch für Erwachsene oder eher ein Kinder- oder Jugendbuch?

    Keine schlechte Idee. Janoschs Elektrisches Rotkäppchen ist schon von 1975.


    Wenn sehr viele Bücher nur halb infragekommen, nutze ich gern die google Bildersuche, hier z. B. mit Suchwörtern Märchenroman, Trilogie, grünes Cover. Der Vorteil dabei ist, dass man Titel, die nicht infrage kommen, schneller überfliegen kann als beim Lesen von google-Ergebnissen in Schriftform.

    ASIN/ISBN: 3791504851

    Reckless von Cornelia Funke?

    Treten Sie ein in die Welt hinter dem Spiegel! Obwohl Jacob Reckless immer darauf geachtet hat, die Welt hinter dem Spiegel vor seinem Bruder Will geheimzuhalten, ist dieser ihm gefolgt. Doch in dem wunderbaren Reich lauern tödliche Gefahren: Will wird von einem Goyl angegriffen und beginnt, zu Jade zu versteinern. Verzweifelt will Jacob ihn retten, aber nur die Feen haben die Macht, das Steinerne Fleisch aufzuhalten. Gemeinsam mit Clara, Wills großer Liebe, und der Gestaltwandlerin Fuchs macht Jacob sich auf die gefährliche Reise … Der neue Roman der internationalen Bestsellerautorin Cornelia Funke: ein fesselndes Abenteuer in einer von den Grimmschen Märchen inspirierten Welt.

    Mütter möchten ihre Kinder meist vor traumatischen Ereignissen in Kinderbüchern schützen. Wenn ich mich als Außenstehende mit diesen Kindern unterhalte und sie mir erzählen, warum sie sich für ein Buch interessieren, halte ich sie meist für reifer als ihre Mütter das tun. Kinderbücher bieten ja die Möglichkeit, in der Sicherheit des eigenen Zimmers gedanklich auf Reisen zu gehen, die man selbst noch nicht oder nie unternehmen wird.

    Es kann schon zu früh sein. Das hängt aber auch vom Wissens- und Entwicklungsstand des Kindes ab. "Damals war es Friedrich" und "Als Hitler das rosa Kaninchen stahl" wird ab 14 empfohlen. Das ist dieselbe Thematik.

    Die ganze Trilogie wird ab 14 empfohlen, das rosa Kaninchen kann man problemlos früher lesen, weil es aus sehr kindlicher Perspektive erzählt wird. Das Buch wird in der 5. Klasse als Schullektüre gelesen.

    ASIN/ISBN: 3492059414

    Nicola Karlsson: Licht über dem Wedding

    Verlag 2019. 320 Seiten

    ISBN-10: 3492059414

    ISBN-13: 978-3492059411. 20€


    Verlagstext

    Ein Hochhaus in Berlin. Zwischen S-Bahnhof und tristen Grünanlagen prallen Welten aufeinander. Hannah verdient ihr Geld mit einem Modeblog und lebt erst seit kurzem hier. Dem alleinerziehenden Wolf ist von seiner Zeit im Nachtleben nur der Alkohol geblieben. Und seine Tochter Agnes will weder von ihm noch von dem Püppchen aus dem 10. Stock etwas wissen. Und doch kreuzen sich ihre Wege. Sie verbindet die existenzielle Einsamkeit der Großstadt. Sie sind auf der Flucht und zugleich wie getrieben auf der Suche. Sie ahnen, dass es jemanden gibt, der ist wie sie. Und trotzen dem Leben eine Überraschung ab.


    Die Autorin

    Nicola Karlsson, geboren 1974, wuchs in Berlin auf. 2013 erschien ihr Debütroman „Tessa“. Sie lebt mit ihrer Familie in Berlin.

    Inhalt Hannah Hoch arbeitet als Model und Internet-Influencerin für Klamotten. Mit dem Fotografen Fabian lebt sie zusammen, den sie für seine Arbeit bezahlt und mit dem ihre Karriere steht und fällt. Fabian behandelt sie herablassend, als wäre sie ein Kind. Sie erträgt es um des Moments willen, in dem sie sich für schön halten darf, obwohl sie daran zweifelt. Hannah hält den Wedding als Stadtviertel für unter ihrer Würde. Schon zu ihrer Schulzeit hielt sie sich für etwas Besseres - und musste die Folgen ihrer Hochnäsigkeit tragen. Heute lebt sie mit Fee zusammen in einer WG. Sie braucht Fee für das Gefühl begehrt sein und ist zugleich eifersüchtig auf sie. Hannah braucht die Honorare für ihre Bloggertätigkeit, um die Miete zu bezahlen. Sie fotografiert sich in Kneipen und kleinen Läden selbst schnell in Klamotten, die ihr Modefirmen unaufgefordert zuschicken - ohne die Ladenbesitzer an ihren Honoraren zu beteiligen. Arbeit als Model ohne Vertrag, ein Leben als Egotrip durch Ausbeutung anderer - das kann nicht lange gutgehen. Als Hannah Mickey kennenlernt, scheint das der erste Kontakt mit so etwas wie Normalität in ihrem Leben zu sein.


    Zwei Welten begegnen sich, als Hannah im Treppenhaus ihres Hochhauses Agnes trifft. Auch Hannah hat es als Jugendliche nicht leicht gehabt. Die beiden Mädchen trennt weniger, als sie annehmen. Agnes, willensstark und sensibel, lebt schon ewig allein mit ihrem Vater, dem gerade sein Leben entgleitet. Wolf wird im Suff gewalttätig. Vater und Tochter wissen, wenn die verletzte Agnes in die Notaufnahme geht und das Krankenhaus Anzeige erstattet, verliert Wolf das Sorgerecht. Agnes hasst arrogante Tussis wie diese Hannah. Sie scheint zu ahnen, dass Mieterinnen wie diese der erste Schritt zur Gentrifizierung eines Sanierungsgebietes sein werden, der Vertreibung der alteingesessenen Mieter aus ihrer gewohnten Umgebung. Agnes ist 15, trägt Doc Martens und Netzstrumpfhose. Ihr Vater ahnt, dass es nichts Gutes bedeuten kann, wenn ein schwieriges, schweigsames Kind plötzlich zu viel redet. Mädchen wie Agnes wünschen sich häufig ein Kind, um „etwas Eigenes“ zu haben. Ein Rückblick in Agnes Kindheit zeigt, dass sie früh gelernt hat, allein klarzukommen und Männer stets bei Laune zu halten. Im Tausch gegen Schutz und Ansehen haben Frauen in Agnes Welt Männer mit Sex zu bezahlen. Der zuständige Sozialarbeiter tut derweil alles andere, als Agnes zu vermitteln, dass sie beim Jugendamt Hilfe bekommen kann. Als ein Brief vom Jugendamt kommt, der Wolf zu einem Termin über das Sorgerecht für Agnes bestellt, bricht das dünne Eis unter ihm. Noch schockierender scheint das Leben von Luca zu sein, die winzig klein und vernachlässigt bei Hannah klingelt.


    Fazit

    Nicola Karlsson erzählt von Menschen, die sich aus der Trostlosigkeit ihres Alltags wegträumen und die Welt so zeichnen, wie sie sie gern hätten. In Wirklichkeit brauchen sie alle jemand, der sie an die Hand nimmt. Doch wer würde wagen, Wolf, Agnes oder Hannah zu fragen, ob sie Hilfe brauchen? Allein Mickey hat die Sache offenbar im Griff: Warte nicht, dass dich jemand rettet, werde endlich erwachsen, sagt er. Mit zahlreichen Rückblenden in die Kindheit von Hannah und Agnes entsteht hier ein komplexer Plot, mit dem das an einigen Stellen durchscheinende Pathos nicht immer harmoniert.


    9 von 10 Punkten

    ASIN/ISBN: 3851794230

    Clarissa Goenawan: Rainbirds

    Verlag: Thiele & Brandstätter 2019. 320 Seiten

    ISBN-10: 3851794230

    ISBN-13: 978-3851794236. 20€

    Originaltitel: Rainbirds

    Übersetzerin: Sabine Lohmann


    Verlagstext

    Ren Ishido hat gerade seinen Abschluss an der Universität von Tokio gemacht, als er die Nachricht vom plötzlichen Tod seiner älteren Schwester erhält. Keiko wurde in einer regnerischen Nacht auf dem Weg nach Hause erstochen, und es gibt keine Anhaltspunkte für diese Tat. Bestürzt reist Ren nach Akakawa, um die Sachen seiner Schwester zu ordnen, die er seit Jahren nicht gesehen hat. Mit Keiko, die von einem Tag auf den anderen der Heimatstadt Tokio und der ganzen Familie den Rücken kehrte, verband ihn in der Kindheit eine enge Beziehung. Inzwischen erscheint ihm das Leben seiner Schwester so mysteriös wie ihr unerklärlicher Tod. Doch dann wird Ren kurioserweise die nun vakante Stelle an der Schule angeboten, in der Keiko unterrichtete, und er kann auch ihr Zimmer im Haus eines enigmatischen Politikers übernehmen, das sie kostenlos bewohnte mit der Auflage, dessen ans Bett gefesselter kranker Frau jeden Tag ein Stunde vorzulesen. Ren lässt sich auf beides ein, in der Hoffnung, das Leben seiner Schwester besser zu verstehen und herauszufinden, was in jener regnerischen Nacht geschah. Als er sich in die rebellische Studentin Rio verliebt, steigen Erinnerungen auf. Und dann sind da immer wieder diese Träume, in denen ihm ein kleines Mädchen mit Zöpfen unbedingt etwas sagen möchte ... »Ein Roman, in dem nicht ein Wort zu viel steht und der einen dennoch packt und nicht mehr loslässt.« PUBLISHERS WEEKLY


    Die Autorin

    Clarissa Goenawan ist eine indonesische Autorin, die mit ihrem Mann und ihren Kindern in Singapur lebt. Sie liebt Regentage, gute Bücher und heißen grünen Tee. Ihre Kurzgeschichten wurden mit internationalen Literaturpreisen ausgezeichnet. Rainbirds, der erster Roman des literarischen Shooting Stars, der mit Haruki Murakami verglichen wird, wurde in mehr als zehn Länder verkauft, erhielt unter anderem den Bath Award und glänzende Rezensionen in den USA, wo das Buch im Frühjahr 2018 erschien.


    Inhalt

    Der junge Japaner Ren Ishido ist mit der Asche seiner Schwester unterwegs in der Kleinstadt, in der Keiko als Englisch-Lehrerin arbeitete. Seiner rund 10 Jahre älteren Schwester stand Ren sehr nahe; sie hat ihm gegenüber die Mutterrolle eingenommen. Mit dem gewaltsamen Tod seiner Schwester konfrontiert, wird Ren bewusst, dass Keiko zwar intensiv Anteil an seinem Leben in Tokio nahm, dass er über sie jedoch kaum etwas weiß. Keikos Leben wirkt wie eine leere Tafel. Dass sie in die Provinz zog, um Abstand von ihren geschiedenen Eltern und einer unglücklichen Liebe zu bekommen, ist noch leicht nachvollziehbar. Warum verleugnete die Mutter danach Keiko und warum lebte Keiko als Single?


    Als Ren vertretungsweise Keikos Stelle an einer privaten Paukschule übernimmt und auch ihr Zimmer bei Familie Katou, stellen sich ihm weitere Fragen. Ren unterrichtet am Nachmittag und Abend und versorgt davor - genau wie Keiko zuvor - die psychisch kranke Frau Katou. Seit er im Haushalt lebt, träumt er sehr intensiv von einem bezopften kleinen Mädchen, vermutlich der als Kind verstorbenen Tochter Miyuki Katou. Indem Ren vorrübergehend in Keikos Rolle schlüpft, scheint er sich von der Frage nach ihren Todesumständen zunächst zu entfernen. In der Schule wird von Ren erwartet, dass er auf der anderen Seite des Pults die Erwachsenen-Rolle des Lehrers ausfüllt. Auf die Probleme seiner erwachsenen Schüler, die sich auf das Abitur vorbereiten, ist er offensichtlich nicht gefasst.


    Fazit

    Aus dem abrupten Übergang eines jungen Mannes von der Großstadt in eine fiktive Kleinstadt und von der Uni ins Berufsleben ergeben sich hier vielfältige Interpretationsmöglichkeiten. Rens Auseinandersetzung mit dem Tod seiner Schwester wird zur Suche nach seiner eigenen Persönlichkeit. Die Schicksale seiner Gastgeberfamilie, Kollegen und Schüler scheinen den Icherzähler zunächst von diesem Ziel fortzuführen, ehe sich ein logisches Ganzes zeigt. Clarissa Goenawan erzählt in einem nahezu technikfreien Setting der 90er Jahre von meist sanften, deprimiert wirkenden Figuren. Im äußeren Rahmen eines Kriminalfalls entwickelt sie eine raffinierte psychologische Studie, deren Sichtweise typisch japanisch wirkt, obwohl die Autorin Indonesierin ist und ihren ersten Roman auf Englisch verfasst hat.


    9 von 10 Punkten

    ASIN/ISBN: 3737356432

    Steve Tasane: Junge ohne Namen

    FISCHER Sauerländer 2019. 144 Seiten

    ISBN-10: 3737356432

    ISBN-13: 978-3737356435

    Vom Verlag empfohlenes Alter: Ab 12 Jahren

    Übersetzer: Henning Ahrens


    Verlagstext

    I hat weder Familie noch Papiere, das Einzige, was er hat, ist ein Buchstabe, I – so wird er genannt. Er lebt in einem Camp für Flüchtlinge, und als minderjähriger unbegleiteter Flüchtling gehört er zu jenen, deren Zukunft am unsichersten ist. Doch die Kinder halten zusammen, und jeder Tag ist eine Zukunft für sich. Und I hofft. Auf einen neuen Namen oder sogar – einen Platz im Leben.

    Steve Tasane erzählt die Geschichte von I ohne jeden Kitsch und Sentimentalität. I ist kein Opfer, er ist ein zehnjähriger Junge voller kindlichem Optimismus, welcher angesichts des großen Leids, das ihm widerfährt, den Leser gleichermaßen berührt wie aufrüttelt.


    Der Autor

    Steve Tasane wurde in Leeds, England, geboren und einem breiteren Publikum zunächst durch seine Slam-Poetry bekannt, mit der er u.a. auf dem Glastonbury-Festival auftrat. »Junge ohne Namen« ist sein erstes Jugendbuch, das der Sohn eines Flüchtlings vor allem aus seiner Erfahrung einer zerrütteten Kindheit heraus schrieb. Das damalige Gefühl des Ausgeschlossenseins teilt er mit seinem Protagonisten.

    Inhalt

    Heute ist der Schlamm trocken und verkrustet und weht in meine Augen. Heute habe ich Geburtstag. … “ Die Geschichte beginnt, atemlos, gleich auf dem Buchdeckel und setzt sich auf dem Vorsatzpapier fort. Kind I (im Original Child I) hat es eilig. Der junge Erzähler muss heute noch seine Geschichte aufschreiben, ehe er sie vergessen haben könnte – und Papier scheint knapp zu sein. Wenn niemand aus deiner Familie mehr lebt, du keine Geschichten aus deiner Kindheit erzählt bekommst, verschwindet deine Familie aus der Erinnerung. Sein Onkel hat den Jungen in das Boot eines Schleppers gesetzt, er nickt ein, hat kein Geld und keinen Pass mehr, als er aufwacht. Ein Pass erzählt die Geschichte eines Menschen – Biografie, Erinnerung und Identität vereinen sich hier. Wer keinen Pass hat, hat damit kein Buch seines Lebens und auch keinen Geburtstag – darum ist der zehnte Geburtstag des Jungen genau heute.


    Der Junge I lebt in einem Flüchtlingslager und bildet mit den Kindern L, E und V eine eingeschworene Gemeinschaft. Die Buchstaben signalisieren ihre Zusammengehörigkeit. Wachleute sollen die Geflüchteten daran hindern, weiter in den Norden zu reisen. Wer wollte, könnte in sein Heimatdorf zurück – nur sind die Dörfer zerstört und die Bewohner getötet. Wenn Hilfsgüter geliefert werden, drängen Erwachsene die Kinder zur Seite, so dass sie nicht jeden Tag etwas zu essen bekommen. Der Junge I schließt sich einer freiwilligen Helferin an, die in einem Doppeldeckerbus einen Treff für Frauen und Kindern organisiert. Verantwortung für andere bringt wenigstens etwas Abwechslung in den öden Alltag im Lager. Auch wenn Schule hier sinnlos zu sein scheint und jeder eine andere Sprache spricht, wer seine Geschichte aufschreiben will, muss unbedingt Schreiben lernen.


    Fazit

    Steve Tasane erzählt Geschichten, die in Flüchtlingslagern genauso passiert sind. Er gibt den namenlosen Kindern ihre Geschichte zurück und motiviert damit andere, ihre Geschichte zu erzählen.


    10 von 10 Punkten

    ASIN/ISBN: 3103974086

    Reinhard Kaiser-Mühlecker: Enteignung

    Verlag: S. FISCHER 2019. 224 Seiten

    ISBN-10: 3103974086

    ISBN-13: 978-3103974089. 21€


    Verlagstext

    Nach seinem erfolgreichen Roman ›Fremde Seele, dunkler Wald‹, der auf der Shortlist des deutschen Buchpreises stand, schreibt Reinhard Kaiser-Mühlecker über die Umbrüche unserer Gegenwart. Nach Jahren auf Reisen kehrt ein Journalist in den Ort seiner Kindheit zurück, an dem er nie heimisch war. Er schreibt für das kriselnde Lokalblatt, er beginnt eine Affäre und arbeitet auf dem Hof eines Mastbauern, dessen Land enteignet wurde. Rätselhaft und faszinierend sind sie, Ines, Hemma, Flor, und sie ziehen ihn hinein in die Kämpfe um ihr Leben, das ihnen weggenommen wird. Ein existentieller und aufwühlender Roman darüber, wie diese Welt im Umbruch unsere Gefühle und Beziehungen verändert. Reinhard Kaiser-Mühlecker erzählt von einer Zeit tiefer Verunsicherung – er erzählt von unserer Gegenwart.


    Der Autor

    Reinhard Kaiser-Mühlecker wurde 1982 in Kirchdorf an der Krems geboren und wuchs in Eberstalzell, Oberösterreich, auf. Er studierte Landwirtschaft, Geschichte und Internationale Entwicklung in Wien.

    Sein Debütroman ›Der lange Gang über die Stationen‹ erschien 2008, es folgten ›Magdalenaberg‹ (2009), ›Wiedersehen in Fiumicino‹ (2011), ›Roter Flieder‹ (2012) und ›Schwarzer Flieder‹ (2014) sowie ›Zeichnungen. Drei Erzählungen‹ (2015). Für sein Werk wurde er mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet. Zuletzt erschien der Roman ›Fremde Seele, dunkler Wald‹ (2016), der für die Shortlist des Deutschen Buchpreises nominiert wurde.


    Inhalt

    Ein Journalist von Mitte 40 kehrt nach Jahren im Ausland in die Kleinstadt und in das Haus zurück, in dem er als Kind bei seiner Tante aufwuchs. Sein Leben und seine Beziehungen liegen in der Vergangenheit, seine Gegenwart findet auf Facebook statt. Die berufliche Zukunft des Mannes bei der Lokalzeitung ist ungewiss, denn wer abonniert heute noch eine Zeitung? Erwartet wird von ihm, dass er das Dorf in seinen Berichten geschickt vermarktet und dem wirtschaftlichen Niedergang etwas entgegensetzt. Die Lokalzeitung befindet sich trotz Sparmaßnahmen in der Krise. Chefredakteur und Erzähler wirken wie die Letzten auf einem sinkenden Schiff. Auch eine Gruppierung im Ort, die den Staat für überflüssig hält, markiert die allgemeine Sinnkrise.


    Im drückend heißen Sommer ist ein betagter Landwirt tödlich verunglückt. Der Icherzähler wird für „Die Rundschau“ an den Unfallort geschickt. Der Sohn und Erbe des Toten scheint ihn nicht wiederzuerkennen. Der Altbauer war in der Kindheit des Erzählers als Ökobauer Außenseiter im Dorf. Statt der wirtschaftlich nötigen Erweiterung droht dem Hof aktuell Enteignung von Flächen für einen geplanten Windpark. Der Journalist beginnt, noch immer unerkannt, ein Praktikum in Flors Schweinezucht. Zaghaft hatte er zuvor eine Beziehung mit einer alleinerziehenden Mutter aufgenommen, mit der auch der verheiratete Flor eine Affäre hat. Die Paare scheinen sich gegenseitig zu belauern, bis einer der Beteiligten Schwäche zeigt.


    Landwirtschaft und Journalismus zeigt Kaiser-Mühlecker als Branchen im Abstieg und als beinahe reine Männerwelt. Der namenlose Icherzähler irrt in dieser Welt umher, unfähig zur Entscheidung oder zur Kommunikation. Die männlichen Figuren scheinen große Schweiger zu sein, darauf wartend, dass ihnen Entscheidungen abgenommen werden. So wie es auf Flors Hof keinen überflüssigen Gegenstand gibt, scheint selbst Sprache ein überflüssiger Luxus zu sein. Die Unentschlossenheit des namenlosen Icherzählers in der Mitte seines Lebens hat auf mich absolut überzeugend gewirkt. Enteignet wird jede der Figuren, die Arbeit, Vermögen, Partner, Gesundheit und Identität verlieren. Eine Geschichte wie ein klarer Föhntag, die mit wenigen Sätzen die Ereignisse näher an den Betrachter heranholt.


    8 von 10 Punkten

    ASIN/ISBN: 310397342X

    Dawn O’Porter: Cows. Folge nicht der Herde

    Verlag: S. FISCHER 2019. 464 Seiten

    ISBN-10: 310397342X

    ISBN-13: 978-3103973426. 18€

    als Kindle-Ausgabe zurzeit 6,99€


    Verlagstext

    Tara muss sich als berufstätige Single-Mum Anfang 40 und einzige Frau in ihrem Job einiges anhören. Auch die Feministin Cam, die aus Überzeugung Single und kinderlos ist, wird von ihrem Umfeld nicht gerade gefeiert. Die Mittzwanzigerin Stella wünscht sich sehnlichst ein Kind, doch um an einen Erzeuger zu kommen, muss sie tief in die Trickkiste greifen.

    Als ein haarsträubender Fehltritt von Tara die selbstbewusste Single-Mum zum Gespött der Nation macht, knüpfen sich unsichtbare Bande der Freundschaft zwischen den drei Londonerinnen.

    Ein Roman über Frauen, die ihren eigenen Weg gehen, und sich nicht dafür entschuldigen.

    Kühe müssen nicht der Herde folgen!


    Die Autorin

    Dawn O’Porter ist Romanautorin, Kolumnistin, Radiomoderatorin und Designerin. Sie lebt mit ihrem Mann, ihrem Sohn Art, ihrer Katze Lilu und ihrem Hund Potato in Los Angeles. Dawn O’Porter hat zahlreiche Dokumentationen über verschiedenste Themen gemacht: Polygamie, Geburt, Geishas, Körperwahrnehmung, Brustkrebs, den Film »Dirty Dancing«. »Cows« ist ihr dritter Roman und ihr dritter Bestseller in England. 2015 gründete O'Porter »Help Refugees«, eine Organisation, die sich für schnelle Hilfe für Flüchtlinge in Europa einsetzt.


    Inhalt

    Tara ist Dokumentarfilmerin und erzieht allein eine sechsjährige Tochter. Frauen in ihrer Branche machen die Arbeit, damit auf dem Film-Abspann später die Namen anderer zu lesen sind. In einer Männerdomäne hat sie den täglichen Drahtseilakt zwischen Kindergartenzeiten und Drehterminen bisher mit Unterstützung ihrer Mutter meistern können. Doch wenn beim Auftraggeber das Geld knapp ist, weil Fernsehen durch Streaming-Sehgewohnheiten keine Zukunft mehr hat, steht auch Taras mühsam im Gleichgewicht gehaltener Lebensentwurf infrage.


    Camilla (Cam), Feministin und Partnerin eines erheblich jüngeren Mannes, ist aus Überzeugung kinderlos. Ihren Lebensentwurf vermarktet sie erfolgreich als Lifestyle-Bloggerin und Talkshow-Gast. Gelesen werden Cams Texte von Frauen wie Stella, mit Anfang 20 die jüngste der drei Protagonistinnen. Stella arbeitet als Recherche-Assistentin und Antreiberin des Fotografen Jason, der ein Buch veröffentlichen will. Jason sucht dringend eine Partnerin, seine Dating-Strategien sind jedoch zu altmodisch für jene Frauen, die ihn interessieren. Stella lebt die Trauer um ihre jungverstorbene Schwester in den sozialen Medien aus und will unbedingt ein Kind. Wenn die beste Freundin gerade schwanger ist, fällt es schwer, nicht neidisch darauf zu sein.


    Berufstätige Mutter, kinderlose Feministin oder psychisch labile Frau mit Kinderwunsch – jede Lebensweise provoziert Widerspruch und verletzt Frauen, die anders leben. Das Leben der Drei scheint ein neidgetriebener Krieg der Mütter gegen Kinderlose, der Berufstätigen gegen Nur-Hausfrauen. In der Generation zwischen 20 und 40 neiden offenbar noch immer Frauen einander das vermeintlich leichtere Leben. Tara sieht sich am Arbeitsplatz und beim Abholen ihrer Tochter vom Kindergarten unter Rechtfertigungszwang und hat ein schlechtes Gewissen gegenüber ihrer Tochter und der eigenen Mutter. Dass auch auf die kleine Annie der Druck wirkt, anderen Müttern gefallen zu müssen, hat Tara nicht geahnt, als sie sich für ein Kind und gegen dessen Vater entschied.


    Cam riskiert täglich einer ganzen Bevölkerungsgruppe auf den Schlips zu treten, um ihre Follower-Zahlen und damit ihr Einkommen zu halten. Um der Reichweite willen muss sie polarisieren, in ihrer Branche geht es nicht um Inhalte. Als Tara sich einen peinlichen Auftritt in der U-Bahn leistet, der sofort viral geht, kreuzen sich die Wege der Drei. Männer blamieren sich, klopfen den Staub vom Sakko und leben weiter wie zuvor – und Frauen? Plötzlich stehen die drei Lebensentwürfe infrage. Tara scheint zunächst am verletzlichsten, weil sie das Sorgerecht für Annie in Gefahr bringt, aber auch Cam und Stella haben Überraschungen parat. Cam scheint die einzige Person zu sein, die sich nicht auf Taras Kosten in den Shit-Storm einklinkt. Neben den Müttern der Frauen empfand ich gerade Cam als interessante Figur, die Darstellung ihrer Bloggertätigkeit wirkt jedoch als zu unbedarft.


    Fazit

    Dawn O’Porters Roman spielt im Jahr 2016 in England und wird von zwei Icherzählerinnen und einer außenstehenden Stimme erzählt. Die drei Protas sind von ihren Herkunftsfamilien stärker geprägt als sie selbst anfangs wahrnehmen wollen - und müssen erkennen, dass sie selbst Teil des Problems sind, unter dem sie zu leiden haben. Wie die drei Frauen ihrem eigenen Klischeedenken zu entkommen versuchen, stellt die englische Autorin so bizarr dar, dass von der Mitte an die Handlung tüchtig Fahrt aufnimmt. Da Porters Protagonistinnen beinahe klischeehafte Lebensentwürfe verkörpern, fand ich die Einführung der Figuren allerdings zu weitschweifig.


    7 von 10 Punkten

    ASIN/ISBN: 3103973934

    Juan S. Guse: Miami Punk

    Verlag: S. FISCHER 2019. 640 Seiten

    ISBN-10: 3103973934

    ISBN-13: 978-3103973938. 26€


    Verlagstext

    Der Atlantik hat sich über Nacht von der Küste Floridas zurückgezogen und eine Wüste hinterlassen. Kreuzfahrtschiffe rosten im Sand vor Miami, die Hotels bleiben leer, der Hafenbetrieb ist eingestellt und selbst die Dauerwerbesendungsindustrie liegt am Boden. Mittendrin eine überambitionierte Indie-Game-Programmiererin, eine strauchelnde Arbeiterfamilie, eine junge Soziologin und ein E-Sport-Team aus Wuppertal. Witzig und traurig, düster und labyrinthisch: »Miami Punk« ist ein Roman über die Bedeutung von Arbeit, über Herrschaft und Macht und über einsame Nächte vor dem Computer.

    Der Autor

    Juan S. Guse, geboren 1989, studierte Literaturwissenschaften und Soziologie. Sein Debütroman »Lärm und Wälder« erschien 2015 bei S. Fischer. Für seine Arbeit wurde er mehrfach ausgezeichnet, zuletzt mit dem Fellowship der Villa Aurora und dem Literaturpreis der Landeshauptstadt Hannover. Derzeit promoviert er im Bereich der Arbeits- und Organisationssoziologie.


    Inhalt

    Zwischen Miami und den Bahamas hat sich der Atlantik zurückgezogen; im Gegensatz zu allen Klimawandeltheorien ist dort eine Wüste entstanden. Wer es sich leisten konnte, hat die Stadt lange verlassen. Der Norden der USA scheint noch nicht von dem Phänomen betroffen zu sein. Weil Häfen nicht mehr angefahren werden konnten und Touristen ausblieben, brach die gesamte Lebensgrundlage der Region weg. Macht und Wirtschaftskraft liegen inzwischen bei wenigen Konzernen und Interessengruppen. Ein Pizzalieferdienst übernimmt mit seinen Fahrzeugen zugleich die Überwachung der Bevölkerung, ein Chemiekonzern sponsert Bildung und Unterhaltung und die Aufgaben der ehemaligen Polizei und Feuerwehr wurden quasi als Leiharbeit an private Ringervereine ausgegliedert. Von dieser privatisierten Staatsmacht haben sich Todesschwadronen abgespalten, die dem Sicherheitsbedürfnis der Bewohner ganz und gar nicht guttun. Händler und eine japanische Community überdauern erfolgreich in der Wüste und eine Truppe von verurteilten Triebtätern zieht obdachsuchend umher, weil sie die Stadt nicht verlassen dürfen. Die neu entstandene Wüste ist als Rohstofflagerstätte begehrt, Verteilungskämpfe um das Hoheitsgebiet sind zu erwarten.


    Für das zurückgebliebene Miami fehlt noch ein passender Begriff, es scheint eine Mischung aus Lebewesen, chemischer Reaktion und automatischen Prozessen zu sein. Eine ehemalige Stadt als Augmented Reality. Drängendste - zusammenhängende - Probleme in Guses dystopischem Szenario sind die Ungenießbarkeit des Wassers, eine Alligatorenplage und die Erhaltung der Bausubstanz; denn alle Gebäude wurden einmal auf Betonpfählen im Sumpf errichtet. In einem Hochhaus- und Geschäftskomplex wird als eSport ein Counterstrike-Turnier sattfinden, zu dem als Team Medusa eine Mannschaft aus Deutschland anreist. Die Ego-Shooter-Spezialisten wirken verunsichert, schließlich wurden sie vor der heruntergekommenen Stadt gewarnt.


    In dieser Welt scheint die Zeit in den 90ern stehengeblieben zu sein, als Kinder bereits für die Welt der Online-Spiele lebten, bevor sie richtig Lesen und Schreiben gelernt hatten. Die anreisenden Gamer wirken wie in der Kindheit steckengeblieben; ihren Lebensunterhalt bestreiten sie mit Preisgeldern. In der männlich dominierten Szene der Online-Spiele ungewöhnlich, hat sich die junge Robin seit frühester Kindheit mit der Aufwertung von Spielen durch Inhalte des realen Lebens befasst. Unter dem Arbeitstitel „Das Elend der Welt“ ist die Verschmelzung von Realität und Spiel Robins Lebensaufgabe. Sie will das schwarze Loch beseitigen, die Leere, die Spieler überfällt, nachdem ein Spiel durchgespielt ist und alle Herausforderungen gemeistert sind. Robin hat schon früh erfahren, dass andere ihren Gedankengängen nicht folgen können; im Grunde ist Robin für ihre Welt überqualifiziert. Obwohl die Infrastruktur bereits zusammengebrochen ist, scheinen auch Arbeitskraft und Kompetenzen der anderen Bewohner allein für den Pizza-Lieferdienst gebraucht zu werden. Das Leben wirkt wie ein nicht endendes, von einem mächtigen Konzern gesponsertes Barcamp, solange niemand die Organisation des Alltags in die Hand nimmt.


    Wie Miami als gigantischer Lost Place funktioniert, wirkt nicht unbedingt logisch. Wenn das Wasser ungenießbar ist, müsste Wassergewinnung organisiert und finanziert werden. Wer dort Mehrwert erarbeitet und in den Wirtschaftkreislauf einbringt, ist mir nicht klar geworden. Selbst wenn es ein bedingungsloses Grundeinkommen gäbe, müsste der ausgezahlte Betrag vorher erarbeitet werden – von wem?


    Mehrere Handlungsstränge geben Einblick in die Clique um Robin, blicken zurück auf Robins persönliche Entwicklung und lösen das Rätsel, wer oder was eigentlich Hideo ist. Überwachungs-Protokolle und die Perspektive von Möbelstücken steuern weitere Sichtweisen bei.


    Fazit

    Meist durch die Gamer-Brille gesehen, öffnet Guse seiner in den 80ern geborenen Generation einen Blick in die Zukunft. Was sie geschaffen, entdeckt und gesammelt hat, wird mit ihr verschwinden, seien es Examensarbeiten, Erfindungen, Spielstände oder Projekte. Alles, was man sich wünschen könnte, ist bereits beim Kauf veraltet oder wertlos. Von der Macht weniger Großkonzerne, dem beschränkten Horizont in der eigenen Blase, über Casting-Wahnsinn, Romanschreibende KI, das Framing durch Medien, politisch korrekt mäandernde Sprachhülsen - Guses Welt hält Lesern der Gegenwart gekonnt den Spiegel vor. Auch wenn mir für einen Umfang von 600-Seiten im Roman eine Spannungskurve gefehlt hat, erlebe ich Robin als faszinierende Protagonistin – über die Rolle von Frauen in der Gamer-Szene ist noch längst nicht alles geschrieben.


    8 von 10 Punkten

    Ian Hamilton; Der schottische Bankier von Surabaya (Ava Lee 5.); 2; Leserunde

    Reinhard Kaiser-Mühlecker; Enteignung; 1,5

    John Lanchester; Die Mauer; 3

    Reni Eddo-Lodge; Warum ich nicht länger mit Weißen über Hautfarbe spreche; 3; e-book

    Anett Schaap; Emilia und der Junge aus dem Meer, 1

    Amina Bile/Sofia Nesrine Srour/Nancy Herz; Schamlos; 1,5

    Anita Djafari/Juergen Boos (Hrsg.); Vollmond hinter fahlgelben Wolken. Autorinnen aus vier Kontinenten; 1,5

    Fatima Mirza; Worauf wir hoffen; 2

    Val MacDermid; Das Lied der Sirenen; 3

    Ian Hamilton; Die wilden Bestien von Wuhan (Ava Lee 3.); 2

    Isabel Lehn; Frühlingserwachen; 2,5

    Juan S. Guse; Miami Punk; 2