Taubertaltod - Heike Wolpert

  • Heike Wolpert: Taubertaltod. Kriminalroman, Meßkirch 2020, Gmeiner Verlag, ISBN 978-3-8392-2760-2, Softcover, 280 Seiten, Format: 12,2 x 2,5 x 20 cm, Buch: EUR 12,00 (D), EUR 12,40 (A), Kindle: EUR 9,99.


    Die Exfrau nimmt die Trauung vor

    Na, das läuft ja super für die Bad Mergentheimer Standesbeamtin Anke Wardlinger (plusminus 30)! Statt einen Ausflug mit ihren Freundinnen zu unternehmen, muss sie an ihrem freien Tag für ihren spontan erkrankten Kollegen Moritz Mertens einspringen. Dadurch kommt sie in die peinliche Lage, ihren Ex-Gatten mit seiner Neuen trauen zu müssen.


    Den Gatten hat sie ein Jahr nach der Hochzeit in flagranti mit einer anderen erwischt und ihn in einer derart spektakulären Aktion zum Teufel gejagt, dass das seinerzeit sogar den Weg in die Regionalpresse gefunden hat. Kein Wunder, dass Ankes ehemalige Schwiegerfamilie nicht begeistert davon ist, ausgerechnet sie bei der Trauung anzutreffen. Anke hätte auf ein Wiedersehen mit dem untreuen Ex, der zickigen Schwiegermutter und der ewig unzufriedenen Schwägerin liebend gern verzichtet. Aber da müssen jetzt alle durch.


    Verheiratet und tot

    Es kommt noch schlimmer: Der Bräutigam ist mitnichten bei der Hochzeit angetrunken, er leidet unter Vergiftungserscheinungen. Kurz nach der Zeremonie bricht er zusammen – tot! Und wer wird verdächtigt? Natürlich Anke Wardlinger, die Ex-Ehefrau. Dafür sorgt schon ihre ehemalige Schwiegermutter Erika Perlmann.



    Sicherheitshalber geht die verdächtigte Standesbeamtin der Sache selber nach. Sie hat berechtigte Fragen: Wer hat ihren Exmann umgebracht und warum will man ihr den Mord anhängen?


    Jeder kennt jeden

    Einen entscheidenden Vorteil hat die Kommissarin: Sie ist nicht „von hier“. In Bad Mergentheim, das ja so klein gar nicht ist, scheint jeder jeden zu kennen. Zumindest in den betroffenen Stadtteilen ist das so. Gut: Sowohl Perlmanns als auch Wardlingers stammen aus Neunkirchen. Das hat knapp 800 Einwohner. Da ist es kein Wunder, dass dort die örtliche Buschtrommel hervorragend funktioniert und die Gerüchteküche brodelt.


    Jeder, der aus einem Dorf oder einer Kleinstadt stammt, kennt das: Man kann keinen Schritt tun, ohne dass ein neugieriger Verwandter, ein Nachbar oder ein ehemaliger Schulkamerad es mitkriegt und umgehend interessierte Mitbürger*innen davon in Kenntnis setzt.


    Ob Anke mit ihren Freundinnen unterwegs ist, ein Eis isst oder versucht, unauffällig die Hochzeitsgäste auszuhorchen, die überhaupt noch mit ihr reden: erst weiß es die Tante vom Schmiedinger Hansi, danach der ganze Stadtteil. Und Anke muss sich am nächsten Morgen schon vor der Arbeit beim rituellen Anruf ihrer Mutter für ihr Tun rechtfertigen.


    Wenn man nicht gerade selbst davon betroffen ist, sind solche Mechanismen unterhaltsam.



    Dramatische Ereignisse

    Abseits dieser Provinzpossen spielen sich dramatische Ereignisse ab: Es gibt zwei weitere Todesfälle nach demselben Muster wie bei Perlmann. Ein Opfer hat ihn gekannt und war nicht gut auf ihn zu sprechen, beim anderen ist außer dem Modus Operandi keinerlei Verbindung zu den Bad Mergentheimer Fällen erkennbar.


    Vielleicht würde es sich lohnen, die Aktivitäten aller Beteiligten ein bisschen genauer unter die Lupe zu nehmen ...


    Deutlich früher als Anke wissen wir Leser*innen, dass jemand aus ihrem persönlichen Umfeld in die Morde involviert ist. Nur wer das ist, das geht aus den inneren Monologen nicht hervor. Sie würden zu mehreren Personen passen. Und so zittern wir jedes Mal um die Heldin, wenn sie mit jemandem allein unterwegs ist.


    Spät erkennt Anke die Zusammenhänge. Vielleicht sogar zu spät ...


    Ernster Fall und befreiende Komik

    Der Fall ist spannend, ernst, komplex und hat was Gruseliges. Die Vorstellung, jemanden für einen Freund zu halten, der langsam die Bodenhaftung verliert und für ein paar Morde verantwortlich ist, ist zutiefst beunruhigend. Für befreiende Komik sorgt das dörfliche Kommunikationsverhalten. „Falls Ihnen noch etwas einfällt, können Sie es ja Ankes Mutter erzählen“, (Seite 150), sagt eine Freundin der Standesbeamtin im Rahmen ihrer inoffiziellen Ermittlungen zu einem Zeugen. Nicht „rufen Sie die Polizei an“ sondern „informieren Sie die Dorftratschen“. Auf die bewährten informellen Informationskanäle ist hier einfach Verlass.


    Eine herrliche Nebenfigur ist Ankes hypochondrischer Kollege Moritz Mertens. Alles dreht sich um seine Befindlichkeiten. Jeden, der beruflich mit Medizin zu tun hat, textet er erbarmungslos mit seinen gesundheitlichen Problemen zu. Und er kriegt nicht einmal der Spur nach mit, was er mit seinen unbedachten Aktionen lostritt. Doch in seiner naiven Trampeligkeit ist er sehr amüsant.


    Nicht nur für Kenner*innen des Taubertals

    Natürlich hat man ein bisschen mehr von der Geschichte, wenn einem die Gegend vertraut ist und man und sich die Orte der Handlung spontan in Erinnerung rufen kann. Aber selbst, wenn man noch nie im Taubertal war oder die Region nur oberflächlich kennt, kann man der Handlung folgen und die Lektüre genießen. Vor allem, wenn man weiß, wie’s in kleinen Gemeinden zugeht.


    Wieder einmal habe ich verblüfft festgestellt, dass ich mich problemlos mit der Heldin identifiziert habe, die halb so alt ist wie ich – und nicht mit ihrer Mutter, die altersmäßig mehr in meiner Liga spielt. Wahrscheinlich erkennt man sich lieber in einer patenten jungen Amateurdetektivin wieder als in einer übergriffigen Klatschbase im Rentenalter. :-D


    Die Autorin

    Heike Wolpert wurde 1966 in Bad Mergentheim geboren. Inzwischen lebt und arbeitet sie in Hannover. Abwechslung von ihrem Alltag als Businessanalystin bei einer großen Landesbank findet sie im Schreiben von Krimis und Kurzgeschichten. An ihrer Reihe rund um den tierischen Schnüffler Kater Socke, erfreuen sich Katzen- und Krimifreunde gleichermaßen. 2019 wirkte sie außerdem an dem kriminellen Freizeitführer "Mörderisches aus Hannover" mit. Mit "Taubertaltod" kehrt sie schreibend in ihre Geburtsregion zurück, in der sie bis zu ihrem 19. Lebensjahr lebte.


    ASIN/ISBN: 3839227607

    Und was die Autofahrer denken,
    das würd’ die Marder furchtbar kränken.
    Ingo Baumgartner