Schreibwettbewerb 01.09.2021 - 31.10.2021 Thema: "Zufall"

  • Thema 01.09.2021 - 31.10.2021:


    "Zufall"


    Vom 01.09.2021 bis 31.10.2021 23:59 Uhr könnt Ihr uns Eure Beiträge für den aktuellen Schreibwettbewerb zum Thema „Zufall“ per PN (Sprechblasensymbol, „Konversationen“) zukommen lassen. Euer Beitrag wird von uns dann anonym am 01.11.2021 eingestellt.


    Wer mitschreiben möchte, sendet bitte eine PN an den Account SchreibwettbewerbOrg. Wir schicken euch dann die Zugangsdaten für den Account Schreibwettbewerb. Das Passwort bitte vertraulich behandeln! Ihr meldet euch als Schreibwettbewerb an und sendet euren Beitrag an SchreibwettbewerbOrg. Dadurch sind alle Beiträge anonym. Nach der Veröffentlichung (nach dem 31.10.2021) sendet bitte eine zweite PN mit dem Titel eures Beitrags und eurem Namen an SchreibwettbewerbOrg, damit wir die Beiträge zuordnen können. Das Orga-Team wird erst nach der eigenen Punktevergabe in diese Beiträge schauen.


    Regeln:

    - Die Grenze für die Beiträge ist bei 600 Wörtern.

    - Abgabeschluss ist um Mitternacht.

    - Mitschreiben darf, wer mindestens 50 buchrelevante Beiträge hat oder seit mehr als 6 Monaten Mitglied ist.

    - Abstimmen darf, wer mindestens 25 buchrelevante Beiträge hat oder seit mehr als 3 Monaten Mitglied ist.

    - Als Thema vorgegeben werden kann ein Wort, ein Satz oder ein (selbstgeknipstes/gezeichnetes) Bild (ihr müsst das Urheberrecht haben).


    Bitte achtet darauf, nicht mehr als 600 Wörter zu verwenden. Wir behalten uns vor, Beiträge mit mehr als 600 Wörtern nicht zum Wettbewerb zuzulassen!

  • Berg ist Berg

    von R. Bote


    Der Nachtexpress rauschte durch die Dunkelheit. Ab und zu huschte ein Lichtschein durchs Abteil, wenn der Zug durch einen Bahnhof fuhr. Seufzend setzte Alex sich auf und warf einen Blick auf die Uhr: schon nach zwei in der Frühe! Viel geschlafen hatte er noch nicht, es war seine erste Fahrt mit dem Nachtzug, und sein Schlafwagenabteil war zwar bequem, aber doch irgendwie ungewohnt.

    Dabei hatte er sich diesmal bewusst dafür entschieden: reisen ohne Stress, abends ins Bett gehen und morgens in den Schweizer Bergen aufwachen. Er musste einfach mal raus, weg von den Mitbewohnern in der WG, die sich an keine Absprachen hielten, und weg von den Eltern, die nicht akzeptieren wollten, dass er nicht ihre Musikalienhandlung übernehmen würde. Zum Glück konnte er seinen Job als Webdesigner von überall aus erledigen, nur Internet brauchte er halt dafür.

    Vielleicht half ja ein kleiner Absacker, noch ein bisschen Schlaf zu bekommen? Ob das Bordbistro wohl noch geöffnet war? Alex zog sich an, steckte Portemonnaie und Handy ein und machte sich auf den Weg.

    Er hatte Glück, das Bistro war noch geöffnet. Am Tresen holte er sich ein Bier und aus einer spontanen Eingebung heraus eine Brezel. Mit seinem Nach-Mitternachts-Snack setzte er sich an einen freien Tisch und griff nach der Zeitung vom Vortag, die dort lag.

    Eine halbe Stunde lang blätterte er ohne besonderes Interesse in der Zeitung, trank sein Bier und aß die Brezel. Er war der einzige Gast, vielleicht lag es daran, dass das eintönige Rattern der Räder plötzlich einschläfernd wirkte. Er legte die Zeitung weg, brachte das Geschirr zurück und ging zum Durchgang zu seinem Wagen.

    Doch als er die Tür öffnen wollte, gab sie nicht nach. „Falsche Seite!“, rief ihm der Bahnangestellte zu, der sich mangels Kundschaft hinter dem Tresen langweilte. „Sie müssen drüben raus.“ Dabei deutete er zum anderen Ende des Bistrowagens.

    Alex schüttelte den Kopf. Das konnte nicht sein, denn als er reingekommen war, hatte er den Tresen aus seiner Sicht rechts vor sich gehabt. Wäre er von der anderen Seite gekommen, dann wäre der Tresen für ihn aber logischerweise links gewesen.

    „Wie ist denn Ihre Wagennummer?“, erkundigte sich der Bahnangestellte nach kurzem Überlegen. „Oje!“, meinte er, als Alex sie nannte. „Sie sind im falschen Zugteil. Das hier sind die Wagen nach Innsbruck, die in die Schweiz sind vor einer Viertelstunde abgekoppelt worden.“

    Alex wurde blass. Und was jetzt? Okay, erst mal ganz ruhig! Er zwang sich, tief durchzuatmen, und wägte seine Optionen ab. Am nächsten Bahnhof in Panik aus dem Zug zu springen, würde ihm nicht helfen, den Zugteil in die Schweiz würde er nicht mehr einholen. Also ganz ruhig die Zugverbindungen checken, und der Mann von der Bahn konnte bestimmt telefonisch dafür sorgen, dass sein Gepäck für ihn verwahrt wurde. Immerhin hatte er sein Handy dabei, etwas Bargeld, seinen Ausweis und seine Kreditkarte, das reichte, um über die Runden zu kommen.

    Während er die Fahrplan-App aufrief, kam ihm eine Idee: Warum den Zufall nicht so stehen lassen? Dann eben Tirol, war doch auch eine schöne Ecke! Genau, er würde sich eine nette Pension suchen, jetzt in der Nebensaison war bestimmt auch kurzfristig was zu kriegen, und sein Gepäck würde er sich schicken lassen.


    ***


    Alex betrachtete noch einmal prüfend die eben fertiggestellte Website und lehnte sich zurück. Durchs Fenster schaute er auf die Pension, die er spontan ausgewählt hatte. Auf der Terrasse bediente die Frau, die ihm das erste Essen serviert hatte, und im Garten nebenan schaukelte Marie, die nicht ahnte, dass ihre Geschichte vor vier Jahren mit einem Bier zur falschen Zeit begonnen hatte.

  • Der Wanderer

    von polli


    „He, Sie da! Was machen Sie in meinem Vorgarten?“

    Der Mann zuckte zusammen und zog seine Hand etwas zu schnell aus dem Rosenstrauch. Die Dornen hinterließen zwei lange Schrammen.

    „Ich, äh, suche meinen Würfel.“

    „In meinen Rosen? Im Ernst?“

    „Er ist von der Mauer gefallen. Wenn ich ihn gefunden habe, bin ich gleich wieder weg, entschuldigen Sie bitte.“

    „Erklären Sie mir erst, wie Ihr Würfel in meinen Vorgarten gekommen ist. Falls Ihre Geschichte überhaupt stimmt.“

    Er betrachtete seinen Handrücken und verzog das Gesicht.

    „Haben Sie eventuell ein Pflaster für mich? Danach erzähle ich Ihnen alles.“

    Ella dachte nach. Zumindest brachte dieser Mann in tadelloser Wanderkleidung etwas Abwechslung in ihren Sonntagmorgen. Ein Räuber oder ein Irrer schien er nicht zu sein. Kurz entschlossen bat sie ihn ins Haus.


    „Danke fürs Verarzten“, sagte er eine Weile später. „Ich gehe dann mal wieder. Wenn ich bitte noch meinen Würfel suchen dürfte ...“

    „Halt, erst möchte ich Ihre Geschichte hören, das haben Sie versprochen!“

    „Stimmt. Also, Sie müssen wissen, dass ich, seit ich allein lebe, ein ziemlich langweiliges Leben führe. Werktags Büro, abends Couch, Fernsehen, ein bisschen Internet. An den Wochenenden bemühe ich mich, etwas Bewegung in meinen Alltag zu bringen. Manchmal fahre ich mit dem Rad, manchmal mache ich eine kleine Wanderung. Nichts Besonderes.“

    Er machte eine Pause. Ella nickte.

    „Kenne ich. Job, Feierabend, Haushalt, meine Rosen, das ist wohl ähnlich wie bei Ihnen“, sagte sie. „Kaffee?“

    „Gerne. Ach so, die Geschichte. Heute früh hatte ich einen herben Anflug von Sinnlosigkeit. Radtour oder schon wieder eine Wanderung, runter zum Fluss oder zum tausendsten Mal Richtung Wald. Vor lauter Grübeln habe ich mir irgendwann einen Ruck gegeben und beschlossen, dass ich etwas anders machen muss als sonst. Wenn ich mich nicht entscheiden kann, muss die Entscheidung auf anderem Wege fallen. Also habe ich einen Würfel genommen. Ungerade: Radtour. Gerade Zahl: Wanderung. Zur Haustür raus und nach links: Ungerade. Nach rechts: Gerade. Und immer so weiter. Ich hatte die Hoffnung, dass durch dieses Spiel ein wenig Abwechslung in meinen Alltag kommt. Verstehen Sie?“

    „Oh ja, nur zu gut. Aber wie sind Sie dann in meinen Rosensträuchern gelandet?“

    „Seit heute Morgen bin ich schon mehrmals im Kreis gegangen. Ziemlich öde, die Sache. Vorhin hatte ich einfach keine Lust mehr. Ich habe auf Ihrer Gartenmauer den Würfel entscheiden lassen, ob ich meine Wanderung abbreche. Ungerade. Weitermachen: Gerade. Und dann ist er auf die falsche Seite gekullert. In Ihren Vorgarten. Den Rest kennen Sie. Ich wollte kein Eindringling sein, entschuldigen Sie bitte!“


    Ella nickte. Das klang logisch. Sie hielt einen Moment inne, dann öffnete sie die Kramschublade unter dem Esstisch und holte einen Würfel heraus.

    „Hier, nehmen Sie diesen. Ich brauche ihn nicht mehr, die Kinder sind längst aus dem Haus. Obwohl – einmal würde ich gern Ihr Spiel ausprobieren. Darf ich?“

    Sie notierte ein paar Worte auf einem Zettel und schrieb noch etwas auf die Rückseite, faltete ihn zusammen und würfelte. Eine Vier.

    „Gerade!“

    Sie lächelte.

    „Auf die Gefahr, dass ich Ihnen zu neugierig erscheine: Was bedeutet denn eine gerade Zahl?“

    „Auf die Gefahr, dass ich Ihnen zu abenteuerlustig erscheine: Sie bedeutet, dass ich jetzt ein paar Sachen zusammenpacke, meine Jacke anziehe und mit Ihnen wandere.“


    Nachwort für diejenigen, die wissen möchten, was auf dem Zettel stand:


    Gerade: Mutig sein und mitwandern!


    Ungerade: Bitte wenden!

  • Sweet Dreams

    von Breumel


    "Es muss Schicksal sein dass wir uns heute hier begegnet sind!" Sein Anmachspruch war in Punkto Originalität nicht gerade in den Top Ten.

    "Ich glaube nicht an Schicksal."

    "Nein? Woran glaubst du denn?"

    "An Zufälle."

    "Dann muss es ein glücklicher Zufall gewesen sein."

    "So?"

    "Klar! Du hier, ich hier, keiner von uns hat jemanden mitgebracht und wir beide trinken Gin Tonic. Wir sind füreinander bestimmt!"

    Sie lachte. "Deine Ansprüche an das Schicksal sind ja nicht gerade hoch!"

    "Nun, ich würde aber auch nicht behaupten dass ich anspruchslos bin!" Seine Augen wanderten deutlich erfreut über ihren Körper.

    "Schwerenöter."

    "Kenner!"

    "Kommst du öfter her?"

    "Ja, ich mag die Atmosphäre. Nicht zu dunkel, nicht zu laut, gute Musik und anständige Preise. Und die Cocktails sollen auch gut sein."

    "Noch nicht probiert?"

    Er schüttelte den Kopf. "Ich bin mehr für Gin Tonic oder Whiskey pur."

    "Na denn Prost!" Sie hob ihr Glas und sah ihm in die Augen.

    Die Musik wechselte zum nächsten Lied.

    "Lust zu tanzen?"

    Ihr herausforderndes Grinsen ließ ihm keine Wahl. "Na klar doch!"

    Sie zog ihn an der Hand auf die Tanzfläche, auf der sich leichtbekleidete Körper zu der dunklen Stimme von Annie Lennox im Takt bewegten und von süßen Träumen sangen.

    "Some of them want to use you." Sie tanzte näher an ihn heran.

    "Some of them want to be used by you." Er ging auf sie ein und rieb seinen Körper herausfordernd an ihrem, woraufhin sie die Arme um seinen Hals legte. Engumschlungen tanzen sie zur Musik. Ihre Nase an seiner Halsbeuge sog sie die Luft ein.

    "Du riechst gut."

    "Danke. Egoiste von Chanel."

    Sie lachte leise. "Passt."

    Das nächste Lied war weniger ihr Fall. "Ganz schön warm hier. Hast du Lust kurz raus zu gehen?"

    "Warum nicht?"

    Vor der Tür nahm sie ihn an der Hand und zog ihn in eine kleine Seitengasse.

    Er feixte. "Keine Angst, so allein im Dunkeln?"

    "Warum sollte ich?"

    Sie drückte ihn gegen eine Häuserwand und ihre Gesichter näherten sich einander.

    "Wer weiß was …" Weiter kam er nicht. Ihre spitzen Zähne hatten sich in seinen Hals gebohrt, genau in die Halsschlagader. Gierig begann sie zu trinken. Der Schock hatte ihn gelähmt und er verlor das Bewusstsein.

    Als sie satt war, versiegelte sie die Wunden mit ihrer Zunge und ließ ihn sanft zu Boden gleiten. Morgen würde er einen ziemlichen Kater haben.

    'Zufall – von wegen', dachte sie bei sich. Seit gut einer Woche hatte sie ihn gestalkt. Genauer gesagt, seit sie den unwiderstehlichen Duft von AB negativ bei der Blutspendeaktion am Freitag Abend gerochen hatte.

    Leise vor sich hin summend ging sie in die Nacht. "Some of them want to abuse you…"

  • Warten auf den elften Oktober

    von Inkslinger


    Noch 113 Tage.

    So lange muss ich den Kopf unten halten und mich auf das »Danach« vorbereiten. Ich lese online mal mehr, mal weniger erbauliche Erfahrungsberichte und spiele alle möglichen Szenarien durch. Das macht mich zwar noch nervöser, aber ich weiß nicht, was ich sonst tun soll.

    Ich hoffe, dass die meisten es so sehen wie »Die Ärzte« und es so normal wie Kaugummi kauen finden. Klar, wahrscheinlich sollte es sich nur reimen, aber ich finde den Vergleich echt passend: Die, die es machen, finden es toll. Die, die es nicht machen, sehen den Kauenden entweder angewidert, gleichgültig oder zustimmend zu.


    Die Klingel reißt mich aus meinen Gedanken. Ich muss mich ranhalten, sonst komme ich zu spät zum Rettungsprojekt.

    Die hohen Tiere meinen, unsere Schule ist zu verfallen und wollen sie deswegen nächstes Jahr schließen. Um das zu verhindern, hat der Rektor beschlossen, seine Schüler bis zu den Sommerferien als Aufräum- und Sanierungstrupp einzusetzen. Alle wurden in Arbeitsgruppen eingeteilt und haben schicke Schildchen mit neuem Namen zugelost bekommen, als kleinen Scherz am Rande. Voll gaga.


    Ich stapfe die Treppe zum Dachgeschoss hoch und bleibe am Absatz stehen, um auf meine Gruppe zu warten. Da sie aus jeweils einer Person pro Jahrgangsstufe bestehen, war klar, dass ich die Älteste sein würde. Doch dass die Jüngeren so winzig sind, habe ich nicht erwartet. Die vier sehen aus wie Zehnjährige. Da muss ich ja aufpassen, dass die nicht von Wollmäusen entführt werden.

    »Da fehlt doch noch jemand«, murmle ich.

    Prompt wird die Aulatür aufgestoßen und sie kommt auf mich zu. Lange, rote Locken, Sommersprossen bis zum Scheitel und ein verzauberndes Gitterlächeln. »Hi, bist du auch römisch fünf?«

    Ich muss ein paarmal schlucken, bis ich ihr antworten kann. »Mmh.«

    Sie lacht und mustert mein Namensschild. »Alles klar, Daisy, dann lass uns loslegen.«

    Peach steht auf ihrem, aber ich kenne ihren richtigen Namen. Sie ist mir schon vor zwei Jahren aufgefallen, als sie auf unsere Schule gewechselt ist. Sie anzusprechen habe ich mich nie getraut. Jetzt verbringen wir zwei Wochen auf engstem Raum – mit vier anderen, aber die zählen nicht. Nur sie.



    Noch nie ist die Zeit vor den Sommerferien so schnell verflogen. Wir verstehen uns super. Mit ihr macht sogar Aufräumen Spaß. Ich wünschte, unsere Schule wäre in einem schlimmeren Zustand, damit wir mehr zu tun haben. Doch uns bleiben nur drei Tage.


    Als wir am Mittwoch unseren Kram zusammenpacken, guckt sie mich lange an.

    Mir wird ganz heiß, aber ich spiele die Coole. »Was’n?«

    »Kennst du meinen richtigen Namen? Du sagst immer nur Peach zu mir.«

    Bevor ich entscheiden kann, ob ich ihr die erbärmliche Wahrheit oder eine souveräne Halblüge auftische, kommt unser Aufsichtslehrer in die Abstellkammer.

    »Hey, Peach, deine Eltern sind da. Lass sie nicht warten.«

    Hilflos muss ich mit ansehen, wie sie ihren Rucksack nimmt und sich über die Schulter wirft. »Na, ist ja auch egal. Ich dachte nur, wir könnten mehr als Aufräumgefährtinnen sein. Ich wünsche dir schöne Sommerferien.«

    Sie umarmt mich lange, und dann ist sie weg.

    Völlig überrumpelt stehe ich im Staub. Als mein Gehirn wieder einsetzt, renne ich hinterher. Ich will ihren Namen sagen und mehr für sie sein.

    Schnaufend komme ich auf dem Parkplatz an, wo sie gerade in einen Wagen einsteigt.

    Ich schreie los. »Kira Plauenberg! Ich steh' auf dich!«

    Sie schaut auf und grinst mich an, bevor sie im Heck verschwindet.

    Hinter mir höre ich Gegröle und Gelächter. Ich drehe mich um. Am Fenster vom Kunstraum hat sich eine Meute versammelt und beobachtet mich amüsiert.

    Tja, soviel zu meinen Plänen, bis zum Coming-Out-Tag zu warten...

  • Weil es notwendig war

    von Marlowe


    Er wartete auf eine Eingebung. Dann, vor fünf Minuten, hatte er zur Zigarettenschachtel und in ihr ins Leere gegriffen.


    Die zusammengeknüllte Schachtel warf er Richtung Türe, sie flog bis in den Flur. Seufzend war er aufgestanden, es war zwar spät und seine Frau lag im Bett, aber eine zusammengeknüllte Zigarettenschachtel im Flur war irgendwie ein störendes Wissen für eine gedachte Welt, die in Ordnung war.


    Also war er aufgestanden um die Schachtel aufzuheben und sein Blick auf die Handtasche seiner Eva gefallen. Die Tasche lag am Couchende und verlockend hatte er die Schachtel Zigaretten darin gesehen. Erleichtert griff er die Schachtel und riss aus Versehen die Tasche mit. Sie fiel sich weit öffnend auf den Boden. Der ganze Inhalt lag auf dem Boden. Sorgfältig räumte er alles wieder ein.


    Dabei war auch ein lose zusammengefalteter Briefbogen, der nun offen war und ihn angebettelt hatte, ihn zu lesen. Und er hatte ihn gelesen.


    Es war die reinste Pornografie, der Schreiberling schien sich mit Sexpraktiken mehr als gut auszukennen und beschrieb sie auch sehr schön, die, welche sie schon gemacht hatten und welche er bei den nächsten Treffen noch mit ihr machen würde.


    Doch, stellte er fest, die Wahrheit tut schon irgendwie weh. Er sammelte kurz seine Gedanken und versuchsweise auch seine Gefühle, holte tief Luft und dann seine Frau. Er war höflich und bat sie, dringend zu ihm ins Arbeitszimmer zu kommen, es wäre wirklich wichtig.


    Sie saß verschlafen im Stuhl vor seinem Schreibtisch und fragte: „Was ist denn um diese Uhrzeit so wichtig?“


    Er legte den gefunden Brief vor sie hin und meinte dann nur: „Lüge mich jetzt nicht an, sag einfach die Wahrheit. Wie lange geht das schon?“ Jetzt wusste sie, was so wichtig war und die Blässe in ihrem Gesicht verriet es. Eine kurze Pause. „Fünf oder sechs Monate,“ flüsterte sie dann.


    Irgendwie konnte ihn das nicht mehr schockieren, er wunderte sich selbst über seine fast gelassene Haltung. Er gab sich einen Ruck, griff nach dem Festnetztelefon und stellte es vor sie. „Ruf ihn an,“ forderte er sie auf.


    Sie sah ihn erschrocken an. „Was? Warum denn?“


    „Du kannst mit ihm bumsen, dann kannst Du auch bei ihm schlafen. In dreißig Minuten bist draußen. Genau so, wie wir es bei unserer Hochzeit vereinbart haben. Wer den anderen betrügt muss gehen und zwar innerhalb einer halben Stunde. Und jetzt ruf ihn an!“


    Sie wählte eine Nummer und sagte nur: „Er weiß es, hol mich bitte sofort ab. Nein, er hat mich nicht geschlagen. Aber er verlangt ich muss sofort gehen. Bis gleich.“


    „Er kommt in zwanzig Minuten,“ sagte sie dann und schaute auf ihn mit einer Art von Hoffnung in den Augen, als würde er einen Rückzieher machen.


    „Gut,“ antwortete er, “dann pack eine Reisetasche damit Du für ein paar Tage klar kommst, in den nächsten Tagen möchte ich Dich wirklich sehen. Ich rufe Dich an, wenn Du den Rest holen kannst. Und den Hausschlüssel hätte ich auch gern jetzt sofort. Beeil dich, die Zeit läuft.“


    Sie schüttelte ungläubig den Kopf, ging aber ins Schlafzimmer, zog sich rasch an und packte die Reisetasche. Er wartete im Flur bis sie mit der Tasche herauskam. Sie lehnte sich an die Wand und es schien, als würde sie gleich ohnmächtig. Draußen fuhr ein Wagen vor.


    Er öffnete die Tür. „Raus,“ sagte er. Er sah ihr nicht hinterher, schloss sofort die Tür und setzte sich an seinen Schreibtisch. Er überdachte sein Handeln. Es war richtig und so fühlte es sich auch an. Zumindest hatte er sein Achtung noch


    Er schluckte schwer, konnte aber nicht weinen. Vielleicht kam das ja noch.