Beiträge von SchreibwettbewerbOrg

    (K)ein Kaffee am Morgen


    Werktags, 6:30 Uhr. Sonjas Radiowecker begann SWR3 zu spielen. Zehn Minuten später, nach den Nachrichten und den ersten zwei Liedern, ging sie gähnend in die Küche, füllte Wasser und gemahlenen Kaffee in ihre Kaffeemaschine und schaltete sie ein. Während sie im Bad ihren morgendlichen Verrichtungen nachging, lief der Kaffee durch, und bevor sie sich Frühstück machte, gönnte sie sich die erste Tasse.


    Nicht so heute. Das Licht an der Kaffeemaschine leuchtete rot, aber das war‘s dann auch. Das Wasser wurde nicht heiß, und kein Kaffee wollte in die Kanne laufen. Traurig goss sie sich ein Glas Milch ein und wünschte, sie wäre koffeinhaltig. Dann eben Kaffee to go auf dem Weg ins Büro.


    Als sie beim Bäcker hielt, um sich einen Becher Cappuccino mitzunehmen, wurde ihr erklärt, dass es derzeit nur Tee gäbe. Die Kaffeemaschine wäre ausgefallen, der Reparaturdienst schon benachrichtigt. ‚Wieviel Pech konnte man haben?‘, dachte sie und ging weiter.


    Bei Starbucks – ihr normalerweise zu teuer und ihrer Meinung nach völlig überbewertet – hing ein Schild an der Tür: „Kaffeemaschinen defekt, nur Speisen und Tee“ Im Ernst? Fielen die jetzt reihenweise aus?


    Ohne Kaffee, müde und genervt, bestieg sie ihren Bus. Der Busfahrer gähnte, und auch die Fahrgäste sahen nicht sonderlich munter aus. Vor ihr saßen zwei Frauen, die sich unterhielten, statt auf ihr Handy zu starren. „Ich brauch `ne neue Kaffeemaschine. Meine hat heute Morgen den Geist aufgegeben.“ „Komisch, meine auch. Zum Glück habe ich noch die French Press, die nutze ich sonst nur wenn ich Besuch bekomme.“


    Sonja stutzte. Überall kaputte Kaffeemaschinen? Ob es eine Spannungsspitze im Stromnetz gegeben hatte, welche die Kaffeemaschinen zerstört hatte? Aber warum gab es dann noch Tee, und müssten dann nicht auch andere Elektrogeräte betroffen sein?


    Im Büro das gleiche Bild: Gähnende Kolleginnen und Kollegen. Nur die Teetrinker waren vom allgemeinen Koffeinmangel nicht betroffen. In der Kaffeeküche hatte jemand ein Post-it mit der Aufschrift „defekt“ an die Kaffeemaschine geklebt. Auf dem Display stand „Im Streik“. Wie bitte? Sollte das nicht „Außer Betrieb“ heißen? Schließlich wurde es ihr zu viel und sie ging in der kaffeelosen Kaffeepause zum nächstgelegenen Discounter. Zu spät: das Regal mit dem Instantkaffee war leergefegt. Es wäre sowieso nur eine Notlösung gewesen, aber wenigstens heißes Koffein.


    Unaufmerksam und fahrig lief sie fast in jemanden hinein, der genauso unfit wirkte. Dabei geriet sie vom Bürgersteig auf die Fahrbahn, was einen Autofahrer zu lautem Hupen veranlasste. Sie schreckte auf und sah, dass es bereits zu Unfällen gekommen war. Die Polizei hatte alle Hände voll zu tun, die Blechschäden aufzunehmen, und Notärzte kümmerten sich um die Verletzten. Wie eine Seuche hatte der kalte Koffeinentzug die Stadt heimgesucht.


    Was war nur los mit der Welt? Warum waren überall die Kaffeemaschinen kaputt? Das konnte doch gar nicht sein! Sie kam an einem Radio vorbei, welches ein Kioskbesitzer laut genug gestellt hatte, dass sie mithören konnte. „Es ist unerklärlich, aber anscheinend sind weltweit die Kaffeemaschinen ausgefallen. Nur noch Instantkaffee oder nichtautomatische Zubereitungsmethoden funktionieren noch. Eine Welle an Unfällen überzieht die westliche Welt. Wer nicht zur Arbeit muss, wird gebeten, zuhause zu bleiben.“


    War das ein Alptraum? Sonja kniff sich in den Arm. Aua! Also musste es eine logische Erklärung geben. Aber nichts daran war logisch!


    Wieder im Büro stand sie in der Kaffeeküche und betrachtete die Maschine. Tee? Sie nahm sich eine Tasse und murmelte leise „Liebe Kaffeemaschine, ich vermisse dich so sehr. Ich wünschte, Du würdest mir einen Kaffee machen …“ Plötzlich brummte es, das Display blinkte und die Anzeige wechselte. Statt „Im Streik“ stand da plötzlich „Danke für ihre Wertschätzung. Genießen Sie Ihren Kaffee.“

    Endstation


    Als der Bus unvermittelt langsamer wurde, blickte ich von meinem Buch auf. Ringsum waren nur Felder und einige verstreute Häuser zu sehen. Eigentlich hätten auch Steppenläufer über die Straße wehen müssen. Aber da wir uns in Ostfriesland befanden, waren die wohl gerade Tee trinken.

    „So, mein Herr. Der Streik beginnt. Bitte aussteigen.“ Der Busfahrer winkte mir zu. Gleichzeitig öffneten sich die Türen mit einem leisen Zischen.

    „Was? Mitten in der Fahrt? Ich dachte, sie machen ihre Tour noch zuende?“ empörte ich mich.

    „Aber nicht doch. Heutige Endstation: Das liebliche Dorf Doodmööi. Bitte Aussteigen.“

    Stirnrunzelnd raffte ich meinen Aktenkoffer an mich und blickte den Mann böse an. Dann stieg ich aus und blickte mich um. Das hier war nicht einmal ein Dorf. Eher ein Weiler. Das einzige lebende Wesen das ich sah, war ein Schäferhund, der hinter einem Zaun vor sich hin schnarchte.

    Der Bus machte sich vom Acker und ich stand alleine an der Straße.

    Eventuell hätte ich Trampen können. Dem widersprach, dass hier keinerlei Verkehr herrschte. Zumindest wenn man von dem Adler absah, der am Himmel seine Kreise zog. Aber der hätte sich wohl bedankt, wenn ich mich mit meinen Achtzig Kilo an ihn gehängt hätte. Also stiefelte ich los. Die nächste Stadt war schließlich nur 12 Kilometer entfernt.


    Nach einer halben Stunde stellte ich fest, dass zarte Managerfüße nicht zum Wandern geeignet waren. Die feinen Lackschuhe vermutlich auch nicht. Schnaufend lehnte ich mich an einen Baum. Er lag in einer Kurve und wäre an normalen Landstraßen wohl von Schrammen verziert worden. Aber wo keiner ist, kann es auch keine Unfälle geben. Nur etwas Harz sickerte aus der Rinde. Vermutlich wollte es sich in die aufregendere Stadt aufmachen.

    Plötzlich vernahm ich das Geräusch eines Motors und wandte mich um. Ja, da kam eine Harley angeknattert. Voller Hoffnung, hielt ich den Daumen raus. Doch das Motorrad raste an mir vorbei. Auf ihm saß eine alte Frau und im Seitenkasten hockte allen Ernstes der Schäferhund von vorhin und ließ seine Zunge im Wind wehen und kläffte mich an, als sie vorüber fuhren. Dann kehrte wieder Stille ein.

    Ich stand noch immer mit gerecktem Daumen dort. Alle Hoffnung war von mir gewichen. Also entschied ich, einfach so stehen zu bleiben, bis mich Jemand mitnahm. Und wenn es Tage dauern sollte.

    Nach kurzer Zeit hörte ich ein seltsames Geräusch.


    Es gibt solche Tage und solche. Dieser war einer der Letzteren. Wenn man es positiv betrachten möchte, war ich auf dem Weg in eine Stadt. Sogar in eine wahre Metropole. Doch während ich nun aus dem Fenster blickte, stellte sich die Frage, ob es die richtige Entscheidung gewesen war, das Angebot anzunehmen.

    Draußen huschte gerade der Saturn vorbei.

    „Alles in Ordnung, Erdling?“ fragte mein Fahrer. Er hatte Drei Augen, eine Schweinsnase und war bis auf eine karierte Krawatte nackt.

    „Alles bestens.“ behauptete ich und rang mir ein Lächeln ab.

    Gut, es würde mich in eine andere Galaxie verschlagen. Von dort aus zurück zur Erde zu kommen, würde sich schwer gestalten.

    Auf der anderen Seite war alles besser, als Doodmööi.

    Ich warf einen Blick auf die Uhr. Mitternacht. Ab sofort würden die Busse wieder fahren. Tja, immerhin ein Problem weniger.

    Eine Handvoll Streik


    Der rote Punkt neben dem Glockensymbol in der Menüleiste der Website zeigt einen neuen Beitrag in einem beobachteten Thema an. Ich klicke: Jemand hat auf das Thema Schreibwettbewerb geantwortet. Das ist so eine Tradition im Forum, in regelmäßigen Abständen werden Geschichten gesammelt, im Forum veröffentlicht und von den Lesern preisverliehen. Gibt nichts zu gewinnen außer virtuellen Blumensträußen, aber es geht ja um den Spaß. Mitmachen kann jeder, der Lust hat.


    Das Stichwort für die nächste Runde ist draußen: Streik. Woher die Idee kommt, liegt auf der Hand, in den letzten Wochen wurde ja gefühlt überall gestreikt. Wahrscheinlich stand die Mitschreiberin, die sich das ausgedacht hat, gerade auf dem Bahnsteig, und was auch stand, waren die Züge. Oder sie war am Flughafen und wurde mit einer Ansage abgefertigt, dass heute niemand abgefertigt wird.


    Aber so nah der Streik als Thema liegt, so schwierig ist er auch. Was soll man darüber schreiben? Eine Geschichte, wie jemand nicht nach Hause kommt, weil die Bahn bestreikt wird, und im Hotel, in dem er gezwungenermaßen übernachtet, die große Liebe findet? Ein Stück über irgendjemanden, der dringend etwas besorgen müsste, aber nicht kann, weil im Handel gestreikt wird, und kreative Lösungen finden muss? Könnte man schon machen, ein paar Möglichkeiten gäb’s da bestimmt, aber lesen will das doch niemand, schätze ich.


    Vielleicht ist es ja ein Wink, mal auszusetzen, zu streiken sozusagen. Denn mal ganz ehrlich – lohnt es sich überhaupt noch? Ich meine nicht, weil es nichts zu gewinnen gibt, was sich in Sach- oder Geldwert messen lässt. Aber wir sind doch eh nur noch eine Handvoll, manchmal sorgt man sich, ob genug Beiträge zusammenkommen, dass überhaupt ein Wettbewerb daraus werden kann. Wie viele die Geschichten lesen, weiß man natürlich nicht so genau, das geht auch, ohne im Forum angemeldet zu sein. Rückmeldungen gibt es jedenfalls immer nur wenige, ein paar Unbeugsame, die sich das nicht nehmen lassen. Und dafür investiert man ja doch einiges an Zeit – erst mal überhaupt eine Idee finden, dann die Geschichte schreiben, schließlich redigieren und korrigieren, das läppert sich. Einfach mal streiken, vielleicht auch, um ein Zeichen zu setzen?


    Aber ich kenne mich, das wird nichts. Ich bin einer dieser Menschen, die ständig Geschichten ausbrüten, und ich liebe es, dabei auch mal völlig verrückte Sachen zu machen. Die kleine Gruppe, die mitmacht, ist es wert, und sie sind ja auch die Letzten, die etwas dafür können, dass wir nicht mehr sind. Ohne uns wären es noch weniger, bei Licht betrachtet, dann wären wir als Gruppe nämlich gar nicht mehr. Also Frage beantwortet, kein Streik.


    Aber, siehe oben, was mache ich aus diesem Thema? Wisst ihr was? Ich hab doch eigentlich schon ganz viel dazu geschrieben, und eine Geschichte erzählen die zusammengewürfelten Gedanken irgendwie auch. Ich mache einfach einen Punkt und streike doch ein bisschen, aber nur diesmal.

    Ein Herz macht Pause


    Dieses Piepsen macht mich wahnsinnig. Entnervt schaue ich zu dem Gerät rüber, das meine Vitalfunktionen überwacht. Eine schnelle Folge von Tönen kündigt die nächste Blutdruckmessung an. Der Blutkreislauf wird kurz durch die Manschette an meinem Oberarm abgeschnürt.

    Eigentlich soll man sich doch auf der Intensivstation erholen, oder? Diese Geräte stressen mich einfach nur. Und Stress ist ja das, was mich hierher gebracht hat – sagen die Ärzte.


    Oh Mann, das kann man auch niemandem erzählen.

    „Och, Bine, was ist dir denn passiert?“

    „Ich hatte Sonntag einen Schwächeanfall beim Eierbraten. Aber keine Sorge, den Eiern ist nix geschehen, die sind weich auf meinem Arm gelandet.“

    Einfach nur peinlich!


    Der Verband an meinem linken Arm juckt schrecklich. Mit spitzen Fingern ziepe ich ein bisschen daran rum. Der Mull scheuert über die Brandblasen, die seit meinem Küchenunfall die Stelle zwischen meiner Armbeuge und dem Handgelenk zieren, und gibt mir wenigstens für den Moment Erleichterung.

    Was soll ich nur tun? Ich fühle mich so nutzlos und fehl am Platz. Ich wäre lieber zu Hause. Oh nein, daheim ist bestimmt die Hölle los! Ich sollte da sein und meine Mutter unterstützen. Die zwei Kleinen können echte Monster sein. Besonders, wenn sie sonntags kein Spiegeleifrühstück bekommen.

    Siedend heiß fällt mir dabei ein, dass Max morgen auf Geschäftsreise fährt. Ich habe seine Tasche noch nicht gepackt. Zwar habe ich ihm seine Klamotten für heute Abend rausgelegt, da er jeden Tag um 19 Uhr duscht, aber diese vermaledeite Tasche dabei voll vergessen.

    Ich habe noch so viel zu tun, ich kann einfach nicht hierbleiben!


    Nervös knibbel ich an den Kabeln, die mich an diese Maschinen ketten. Irgendwo geht ein Alarm los und kurze Zeit später kommt eine Schwester ins Zimmer gerannt.

    „Frau Berg, alles okay bei Ihnen? Was machen Sie denn da?“

    „Meine Familie braucht mich, ich muss hier raus!“

    Schwungvoll rupfe ich alle Stecker raus, die ich in die Finger kriege. Ein aufdringliches Pieporchester hüllt mich von allen Seiten ein.

    „Frau Berg, das geht doch nicht, lassen Sie das!“

    Energisch reißt sie mir die grauen Schlangen aus den Händen und drückt den Rufknopf.

    Ein Pfleger gesellt sich zu uns. In der Hand eine Spritze, die er in meinen Tropf schießt. Sofort überkommt mich ein angenehmer Dusel.

    Die Schwester lullt mich ein. „Wir müssen rauskriegen, was der Auslöser für Ihren Anfall war. Ein verstopftes Gefäß im Gehirn oder ein Aussetzen ihres Herzschlags können wir nicht ausschließen. Erst erholen Sie sich, dann sehen wir weiter.“


    Der Blutkreislauf ist ein seltsames Ding. Täglich laufen zig Liter Blut durch den Körper, ohne dass wir viel davon merken. Bis er nicht mehr funktioniert.

    Ich bin der Kreislauf meiner Familie. Das Herz. Nicht das romantische, sondern das medizinische. Ich schufte und schufte und keiner bemerkt mich. Außer, wenn ich einen Ausfall habe, so wie jetzt. Ein altes, verschrumpeltes Stück Muskelgewebe.

    Doch was ist ein Herz ohne einen Körper?