Schreibwettbewerb 01.06.2022 - 31.07.2022 Thema: "Angst"

  • Thema 01.06.2022 - 31.07.2022:


    "Angst"


    Vom 01.06.2022 bis 31.07.2022 23:59 Uhr könnt Ihr uns Eure Beiträge für den aktuellen Schreibwettbewerb zum Thema „Angst“ per PN (Sprechblasensymbol, „Konversationen“) zukommen lassen. Euer Beitrag wird von uns dann anonym am 01.08.2022 eingestellt.


    Wer mitschreiben möchte, sendet bitte eine PN an den Account SchreibwettbewerbOrg. Wir schicken euch dann die Zugangsdaten für den Account Schreibwettbewerb. Das Passwort bitte vertraulich behandeln! Ihr meldet euch als Schreibwettbewerb an und sendet euren Beitrag an SchreibwettbewerbOrg. Dadurch sind alle Beiträge anonym. Nach der Veröffentlichung (nach dem 31.07.2022) sendet bitte eine zweite PN mit dem Titel eures Beitrags und eurem Namen an SchreibwettbewerbOrg, damit wir die Beiträge zuordnen können. Das Orga-Team wird erst nach der eigenen Punktevergabe in diese Beiträge schauen.


    Regeln:

    - Die Grenze für die Beiträge ist bei 600 Wörtern.

    - Abgabeschluss ist um Mitternacht.

    - Mitschreiben darf, wer mindestens 50 buchrelevante Beiträge hat oder seit mehr als 6 Monaten Mitglied ist.

    - Abstimmen darf, wer mindestens 25 buchrelevante Beiträge hat oder seit mehr als 3 Monaten Mitglied ist.

    - Als Thema vorgegeben werden kann ein Wort, ein Satz oder ein (selbstgeknipstes/gezeichnetes) Bild (ihr müsst das Urheberrecht haben).


    Bitte achtet darauf, nicht mehr als 600 Wörter zu verwenden. Wir behalten uns vor, Beiträge mit mehr als 600 Wörtern nicht zum Wettbewerb zuzulassen!

  • Befreiungsschlag

    Inkslinger


    »Wir dürfen das nicht tun.«

    Norman ignorierte das eindringliche Flüstern seiner Schwester und ging unbeirrt weiter.

    Rebecca umklammerte seine Hand und zerrte an ihm. »Bitte, bleib stehen. Es ist zu gefährlich.«

    Genervt schüttelte er ihren Griff ab. »Brauchst ja nicht mitzukommen«, zischte er. »Hab dich nicht eingeladen.«

    »Irgendwer muss dich ja aufhalten.«

    Normans gehässiges Lachen hallte von den Felswänden wider.

    Rebecca blieb wie festgetackert stehen und schlug die Hände vor den Mund. »Zu laut«, murmelte sie panisch. »Zu laut, zu laut.«

    Norman fuhr zu ihr herum. Nur mit Mühe konnte er seine Stimme senken. »Du nervst echt! Du bist genauso ein Schaf wie alle in diesem verdammten Kaff! Darum muss ich was tun. Ich halt’s nicht mehr aus. Du kannst mich nicht aufhalten. Geh nach Hause, sonst kriegst du noch Ärger.«

    Rebecca ließ ihre Hände sinken. »Das ist nichts im Vergleich zu dem, was dir bevorsteht, wenn du das wirklich durchziehst.«

    Norman ging auf sie zu und umarmte sie. »Mach dir keine Sorgen. Das wird schon.«


    Zwanzig Minuten später kam Norman an seinem Ziel an: Die Hütte des Dorfvorstehers.

    Die Fenster waren dunkel. War der Alte etwa nicht zu Hause?

    Norman ging um die Hütte herum.

    Dorfvorsteher Markus stand mit dem Rücken zu ihm an der Klippe und beobachtete den Sonnenuntergang über den Gipfeln.

    Norman würdigte das Naturspektakel keines Blickes. Er konzentrierte sich auf den Rücken des Alten. Noch zwei Schritte, und er könnte ...

    »Guten Abend.«

    Norman blieb abrupt stehen, als hätte der Mann vor ihm ihn angeschrien, obwohl seine Begrüßung wie immer leise war. Wie bei allen in diesem gottverlassenen Ort.

    Markus drehte sich um. »Ich bin nicht überrascht, dich zu sehen. Eigentlich habe ich schon eher mit deinem Besuch gerechnet...« Er hielt inne und zeigte auf Normans Kinn. »Wo ist dein Stimmenbewältiger?«

    Norman starrte angewidert auf den Apparat, der sich um Markus` Nacken nach vorn vor sein Gesicht wand und jeden Ton, der aus seinem Mund kam, auf 30 Dezibel drosselte. Niemand durfte ohne das Haus verlassen.

    »Ich werde dieses Instrument der Unterdrückung nicht mehr tragen! Dieses Terrorregime –«

    Markus packte ihn am Arm und zerrte ihn in die Hütte, wo er die Kellertür aufstieß und den Jungen unsanft die Treppe runter bugsierte.

    Nachdem die zehn Zentimeter dicke Stahltür hinter ihnen zugefallen war, legte Markus seinen Stimmenbändiger ab. »Was fällt dir ein?! Was ist bloß in dich gefahren?!«

    »Nichts. Nur die Erkenntnis, dass du ein Diktator der übelsten Sorte bist!«

    »Ich tue das alles zu eurem Schutz!«

    »Schutz am Arsch! Du willst uns kleinhalten! Ausgangssperren, Stimmdrossler, Grenzwachen...«

    »So war es schon immer und wird es ewig sein. So halten wir unser Dorf am Leben. Wenn du achtzehn bist, darfst du gehen, wohin du willst.«

    »Das sind noch drei Jahre! Drei Jahre eingesperrt werden, zum amüsieren in den Keller gehen und niemals laut sprechen!«

    Markus legte ihm seine Hand auf die Schulter. »Ich verstehe dich. Mir ging es in deinem Alter genauso.«

    Als er sah, dass Norman sich wieder beruhigt hatte, öffnete er die Stahltür. »Geh nach Hause und kühl dich ab. Es wird besser. Versprochen.«

    Ohne was zu erwidern, verließ Norman die Hütte.

    Es wird besser? Wie kann dieser Blödmann das behaupten? Er war doch nie in seinem Alter! Drei lange Jahre in diesem Gefängnis ... Nein!

    Norman rannte zur Klippe, wo der Alte vor ein paar Minuten noch gestanden hatte, und schrie.

    All der Frust, die Angst und aufgestaute Wut entluden sich in einem langen, ohrenbetäubenden Laut. Er schrie, bis seine Stimme versagte. Er fühlte sich so frei wie noch nie. Und glücklich.


    Von den Berggipfeln ertönte ein Grollen. Der kalte Tod kam zu ihnen.

  • Diesmal wird es gelingen!

    Sinela


    Die junge Frau wälzte sich unruhig von einer Seite des Bettes auf die andere. Wieso konnte sie nicht einschlafen? Sie war doch extra früh ins Bett gegangen, damit sie am nächsten Morgen ausgeschlafen hatte. Wenigstens sechs Stunden wären schon toll gewesen, aber selbst die würde sie nicht mehr zusammen bekommen, zeigte der Wecker doch schon fast zwei Uhr. Mit einem Seufzer drehte sie sich ein weiteres mal um und das Wunder geschah – die Augen fielen ihr zu und sie begann leise zu schnarchen.


    Sabine saß auf dem Sofa und nagte an einem Stück Zwieback herum. Nicht, dass sie Hunger gehabt hätte, allein der Verstand zwang sie dazu etwas zu essen. Ein letzter Bissen, dann war der Zwieback Geschichte. Sie spülte die letzten Krümel mit einem Schluck Cola hinunter und sah auf die Uhr. Fast acht, so langsam wurde es Zeit, dass sie sich auf die Socken machte. Sie war frohen Mutes, bis jetzt hatte sie ihre Angst gut unter Kontrolle. Sie hatte zwar schon auf die Toilette gemusst, aber alles lief im normalen Rahmen ab. Diesmal würde es ganz sicher gelingen, sie würde in die Stadt zu ihrem Orthopäden fahren. Das war bereits ihr dritter Versuch, aber diesmal würde sie es schaffen, da war sie sich ganz sicher! Ihre Physiotherapeutin hatte mit ihr geübt, sie hatten den Ablauf, das Aufstehen am Morgen, anziehen, frühstücken, das Fahren mit der Straßenbahn, das Umsteigen, einfach alles, visualisiert und so hatte sie es ein um das andere mal erlebt. Zumindest in Gedanken, da war auch alles gut gegangen. Als Rettungsanker hatte ihr Frau Seidel Singen mitgegeben. Wenn die Angst übermächtig werden sollte, dann sollte sie singen. Leise, nur für sich. Ein weiterer Blick auf die Uhr, Sabine erschrak – es wurde höchste Zeit, dass sie sich anzog und ging. Voller Elan und Zuversicht stand sie auf, ging zur Garderobe – und krümmte sich vor Schmerz. Ihr Bauch krampfte, ihr wurde schlecht und schwindlig, ihr Herz raste. Die Beine gaben unter ihr nach und sie fiel auf den Boden, um dort mit angezogenen Beinen und hektisch atmend liegenzubleiben. Die Angst schlug über ihr zusammen wie eine Welle am Meer über dem unvorsichtigen Schwimmer. Sabine bekam keine Luft mehr, sie fing an zu hecheln, sie hatte Todesangst! Die Bauchschmerzen wurden immer schlimmer, sie musste auf die Toilette und sie versuchte mit letzter Kraft aufzustehen, aber der Schwindel packte sie sofort und sie ließ sich wieder auf den Boden sinken. Sie würde sterben, dessen war sie sich sicher. Sabine fing an zu heulen, die Tränen liefen ihr über die Wangen und fielen dann zu Boden. Sie japste verzweifelt nach Luft und bekam so gar nicht mit, wie sich ihr Bauch langsam wieder beruhigte, der Stuhlgangdrang weniger wurde und letztlich ganz verschwand. Nach einigen Minuten ließ die Panikattacke dann komplett nach und die junge Frau konnte wieder problemlos atmen. Völlig erschöpft lag sie im Flur, die Tränen versiegten langsam. Sabine setzte sich vorsichtig auf, wischte sich die Wangen ab und atmete tief durch. Ihr war immer noch nach heulen zumute, doch sie hatte keine Tränen mehr. Sie hatte wieder versagt, wieder was die Angst stärker als sie gewesen. Warum musste ihr Körper nur immer so heftig auf diese reagieren? Wären es wenigstens nur das Herzrasen gewesen, das hatte sie inzwischen unter Kontrolle, das machte ihr keine Angst mehr. Aber die anderen Beschwerden bremsten sie regelmäßig aus. Sie seufzte. Es half nichts, sie musste aufstehen und beim Orthopäden anrufen. Sie würde wieder nicht kommen, sie hatte wieder versagt, die Angst hatte erneut gewonnen!

  • Freizeithexen

    Marlowe


    Die Haustür war noch nicht ganz zu. Da hätte Karl noch die Gelegenheit gehabt sich umzudrehen und die Flucht zu ergreifen. Aber unentschlossen wie immer zögerte er etwas zulange. Spontane Entscheidungen waren nun mal nicht sein Ding. Das Stimmengewirr im Wohnzimmer war verstummt. Sie hatten bemerkt, dass er da war.


    Sie, das waren seine Frau Sophie und ihre Freundinnen Merle, Anna und Rosie. Wie er sie alle hasste. Ja alle, seine Sophie eingeschlossen.


    Nach dreißig langen Jahren an ihrer Seite wusste er nun, wie sie wirklich war. Gemein, hinterlistig, bösartig, das waren noch die nettesten Beschreibungen, die ihm einfielen. Sie gönnte den anderen Mitmenschen nicht mal den Dreck unter den Fingernägeln. So beschrieb er sie jedenfalls, wenn sie nicht anwesend war.


    Inzwischen hatte er die Tür sachte geschlossen und ging in sein Arbeitszimmer. Am Schreibtisch sitzend hörte er das Gemurmel der vier Frauen, die sich in den letzten Wochen immer öfter trafen. Jede Woche bei einer anderen, diese Woche eben wieder bei Sophie. Diese Freizeithexen, wie er sie nannte, seit er mitbekommen hatte, dass sie sich mit Zauberei, mit Hexenmagie beschäftigten. Und das voller Ernst und Hingabe.


    Gerade jetzt wieder konnte er die beschwörende Stimme von dieser Merle hören.

    ASKION KATASKION LIX TETRAX ...!“ Den Rest konnte er nicht verstehen, die Stimme hob und senkte sich beschwörend. Aber da, was hatte sie gesagt? Carolus? Das war lateinisch für seinen Vornamen Karl.


    Er hatte gefühlt, das da etwas gegen ihn im Gange war, die Blicke der vier Frauen waren dunkel und verachtungsvoll, wenn sie ihn sahen. Es ging um ihn, es ging gegen ihn. Sein Atem stockte kurz. Er wollte an diesen Hexenwahnsinn nicht wirklich glauben, aber irgendwie legte sich immer eine dunkle Wolke über das Sein, wenn die vier zusammen waren.


    Diese dunkle Wolke nahm ihm gerade jetzt die Luft, Schweiß perlte von seiner Stirn, ein Tropfen lief in sein rechtes Auge und brannte höllisch.


    „SATOR AREPO TENET OPERA ROTAS...!“ Merles Stimme war so laut, sie hätte neben ihm stehen können. Er wollte diese unsichtbare Merle mit seinen Händen wegschieben, aber seine Arme waren wie gelähmt oder am Tisch festgeklebt. Die Worte wurden immer bedrohlicher, sie legten sich um seinen Körper, pressten seine Brust zusammen und sein Herz raste.


    „TOLEDOS CARPUS FULGUR!“ Ein Blitz raste durch ihn durch, rissen seine Hände von der Schreibtischplatte und die Wucht des Schlages schleuderte ihn nach hinten. Im Fallen sah er einen Spalt im Raum und darin erkannte er den Teufel, der ihm winkte. Die Furcht wurde zur Panik.


    „Mama!“ Sein Hilferuf zersprang in kleine Splitter silbriger Sternchen, die langsam vergingen, blass wurden, verschwanden.


    Vier Freizeithexen standen kurz darauf mit dem Notarzt zusammen. „Tja,“ sagte der zu Sophie, „mein Beileid, ehrlich, aber da war leider nichts mehr zu machen.“


    Niemand wusste das besser als Sophie. Aber sie nickte nur. Ihr hinterhältiges Lächeln sahen nur die drei Freundinnen.

  • Tiefschwarzer Abend

    Booklooker


    „Aaaaaaaaaahhhh!“ Schweißgebadet wache ich aus einem Alptraum auf, in dem jemand versucht hat, bei uns einzubrechen.. Als ich realisiere, dass es nur ein Traum ist, bin ich erleichtert.. Wie jeden Abend habe ich die Schlafzimmertür geschlossen, weil ich mich damit sicherer fühle. Steffen ist heute mit seinem Freund unterwegs. Sie wollten erst ins Kino und dann noch etwas in der am Kino angeschlossenen Cocktailbar trinken gehen. Endlich habe ich auch mal Zeit für mich um etwas Ruhe zu finden.


    Doch was ist das? Ich höre ein Kratzen. Möchte da vielleicht doch jemand bei uns einbrechen? Wären wir doch niemals ins Erdgeschoss gezogen! Ich habe dabei immer ein mulmiges Gefühl gehabt. In der Aufregung kann ich gar nicht lokalisieren woher das Geräusch kommt oder was es überhaupt ist. Aber halt! Vielleicht ist es ja draußen stürmisch und ein Ast schrammt am Haus entlang. Das wäre ja nicht das erste Mal. Ein Blick aus dem Fenster sagt mir, dass es windstill ist. Shit! Und jetzt? Wieder dieses Geräusch. Ich gucke mich um, ob ich etwas finde, mit dem ich mich gegen einen Einbrecher wehren könnte. Ein Kissen ist wohl nicht so recht geeignet. Ein Buch? Nein. Da müsste ich dem Kerl ja so nahe kommen, dass er mich packen könnte. Wer weiß schon, ob der nicht vielleicht bewaffnet ist. Ich leere meine Nachttischschublade aus, aber bis auf für die Verteidigung sinnlosen Kram finde ich nichts. Und was jetzt?


    Langsam schleiche ich zur Zimmertür und lausche. Nichts. Habe ich mir das etwa alles eingebildet? Sind das Nachwirkungen vom Alptraum? Da! Wieder ein Kratzen. Was kann das denn nur sein? Soll ich mich trauen die Tür zu öffnen? Soll er uns doch ausrauben, Hauptsache ich überlebe. Oh nein, jetzt höre ich Schritte. Ich muss mein Handy finden und Hilfe holen. Wo ist es nur? Im Wohnzimmer? Oder habe ich es mit ins Schlafzimmer genommen? Verdammt, das kommt davon, wenn man Dinge tut und schon gedanklich bei der nächsten Sache ist. Kopflos suche ich in jeder Ecke, im Bett und sogar im Kleiderschrank nach meinem Handy. Nichts zu finden. Was mache ich denn jetzt bloß?


    Ok. Ich stelle mich dem einfach. Was soll der mir schon tun? Wenn ich laut schreie, wird mich irgendein Nachbar hören und mir helfen. Immerhin lebe ich mitten in der Stadt. Ich setze schwer atmend einen Schritt vor den anderen um zur Tür zu gelangen. Erst mal gucke ich durchs Schlüsselloch. Niemand zu sehen. Ganz langsam öffne ich die Tür und spähe in den Flur. Da, ein Lichtschein fällt durch die Milchglasscheibe in der Wohnungstür. Jetzt nicht kneifen! Langsam gehe ich immer weiter und halte nun doch vor Angst die Luft an. Oh nein! Da steht jemand vor unserer Wohnungstür. Ich will weglaufen, aber wo hin?


    Plötzlich klopft es leise an der Wohnungstür. Klopfen Einbrecher bevor sie eine Wohnung betreten? Wohl eher nicht. Eine Stimme, die sich verdächtig nach Herrn Müller über uns anhört sagt: „Entschuldigung, dass ich Sie mitten in der Nacht störe. Ich suche seit mehreren Stunden meine Katze und habe gerade als ich die Treppe hoch ging, seltsame Geräusche aus Ihrer Wohnung gehört. Kann es sein, dass Minka bei Ihnen ist?“ Tausend Fragezeichen tanzen in meinem Kopf herum. Eine Katze? Bei mir zu Hause? Ich würde doch keine Katze mit in meine Wohnung nehmen. Erleichtert gehe ich zur Tür, öffne sie und schon saust ein schwarz-weißer Blitz an mir vorbei in den Hausflur. Der Nachbar geht erleichtert in die Knie, krault das kuschelige Fell und sagt: „Minka, du sollst dich nicht immer heimlich weg schleichen und anderen Menschen Angst einjagen.“

  • Tür der Sehnsüchte

    R. Bote


    Mit weichen Knien näherte Eric sich der zweiflügligen Glastür: die verbotene Tür, und die Tür, hinter der all seine Sehnsüchte lagen. Nein, niemand hatte direkt gesagt: „Du darfst nicht!“, aber was sie gesagt hatten, war so gut wie ein Verbot. Worte voller Unverständnis, Worte, in denen schon Verachtung lag, noch ehe irgendetwas passiert war.

    Noch zehn Schritte. Jeder wurde begleitet von einer anderen Stimme, die ihn zur Umkehr zwingen wollte. „Und was ist mit Schule?“ Das war die besorgte Stimme der Mutter. „Die vernachlässigst du doch so schon! Alles, was du jetzt verpasst, holt dich immer wieder ein, und ohne einen guten Abschluss…“

    Eric wischte den Gedanken weg, das Lied kannte er auswendig, von der ersten bis zur letzten Strophe. Doch die nächste Stimme wartete schon auf ihre Chance: „Was hast du davon, Junge? Beschäftige dich mit was Ordentlichem! Geh mal wieder zum Fußball, da hast du mehr von.“ Das war der Vater mit seiner immer etwas brummigen Art. Es war gut gemeint, das wusste Eric, aber trotzdem… Auch der Vater würde ihn nicht verstehen.

    „Mädchenzeugs!“ Das war die Ansicht des besten Freundes, Angus, auf den er sich sonst immer verlassen konnte. Sonst! Doch diesmal? Keine Spur von Unterstützung und Rückhalt.

    Aber davon wollte Eric sich nicht aufhalten lassen. Dies war seine Sache, es war wichtig, und er würde es schaffen. Mit diesem Mantra bewältigte er die letzten Schritte und legte die Hand an den Griff der Glastür. Ein letzter sichernder Blick in die Runde – nein, es schien niemand in der Nähe zu sein, der ihn kannte. Eric atmete tief ein, zog die Tür auf und trat ein.


    ***


    Als Eric geraume Zeit später wieder ins Freie trat, war sein Rucksack schwer, dafür aber sein Herz leicht: geschafft! Er hatte es durchgezogen, ungeachtet aller Einreden.

    Beseelt vom Erfolg machte er trotz des Gewichts auf seinem Rücken ein paar kleine Hüpfer, ehe er an der nächsten Ecke in einen flotten Schritt verfiel. Er war glücklich, auch stolz, und er freute sich auf all die Möglichkeiten, die er sich selbst erschlossen hatte.

    Doch je mehr er sich seinem Zuhause näherte, desto größer wurden die Zweifel wieder. War es richtig gewesen, hinter dem Rücken aller? Was würden seine Eltern sagen?

    Er beschloss, einen Umweg zu machen, durch die Parallelstraße. So konnte er das Haus von der Seite aus erreichen, wo er sowohl vom Küchen- als auch vom Wohnzimmerfenster aus bis zur Haustür im toten Winkel war. Dann konnten Mutter und Vater ihn erst bemerken, wenn er schon drinnen war, und wenn er Glück hatte, konnte er zunächst den Rucksack in sein Zimmer stellen, ehe er sich bemerkbar machte.

    Leise schob er den Schlüssel ins Schloss, und mit dem Daumen am Rahmen drückte er die Tür behutsam wieder zu. Tatsächlich, Fortuna war auf seiner Seite, die Eltern unterhielten sich und übertönten dabei die leisen Geräusche, die er nicht vermeiden konnte, ohne erkennen zu lassen, dass er jedes Geräusch vermeiden wollte.

    Er stellte den Rucksack ab, meldete sich zurück und packte dann aus, was ihm so wichtig war. Womit anfangen? Ah, hier, das würde das Erste sein! Er setzte sich, und im nächsten Moment war die Welt schon kaum noch existent für ihn. Nur ein kurzer Blick noch zum Schreibtisch, dort lag die Grundlage von allem, was ihm erlauben würde, seine Träume zu erleben: eine Plastikkarte, sein Name in Druckbuchstaben, und darüber, größer und wuchtiger, nicht zu übersehen – „Büchereiausweis“.

  • Wie es wirklich war

    polli


    „Hüte dich vor allen Menschen, sie wollen dir Böses.“ Diesen Rat ihrer Patin beherzigte Elvira ihr Leben lang. Nur einmal nicht.


    Dumpfes Donnergrollen. Elvira kauerte unter dem Eichenholztisch, zog die Wolldecke über den Kopf und wimmerte. Der Novembersturm rüttelte an den Fensterläden und pfiff durch die Ritzen zwischen den Balken. Zumindest waren die Fenster halbwegs dicht. Sie hatte gestern einen Teil der Teigmasse aus dem Bottich genommen und damit die Löcher und Spalten von außen abgedeckt. Fast übermütig hatte sie ihr Werk mit getrockneten Beeren verziert. Doch jetzt, im Dunkeln, kam die Erinnerung an die Hetzjagd zurück. „Hexe, Hexe!“, hatten sie geschrien und sie aus dem Dorf vertrieben.

    Hierher, an diesen einsamen Ort im Inneren des Waldes, verirrte sich kein Mensch. Dennoch fühlte sich nicht sicher in der Hütte. Jederzeit konnte der Sturm die morschen Dachschindeln abheben oder die Tür eindrücken. Auch hatte sie schon das Heulen eines Wolfs vernommen. Und jetzt: ein Schaben und Kratzen unter dem Fenster. Was war das? Ein hungriges Tier?

    „Wer ist da?“, flüsterte sie.

    Der Sturm wurde plötzlich leiser und fast meinte sie, ein kicherndes Stimmchen zu hören, das ihr antwortete: „Der Wind, der Wind, das himmlische Kind!“

    Ja, so weit war es schon gekommen, dass die Naturgewalten zu ihr sprachen. Elvira hielt den Atem an.

    Da, schon wieder! Jemand machte sich am Fenster zu schaffen. „Nicht so laut!“, flüsterte eine helle Stimme. Elviras Anspannung ließ nach. Ein Menschenkind da draußen im Unwetter! Sie verließ mühsam ihren Platz unter dem Tisch und schleppte sich zur Tür. Als sie diese einen Spalt öffnete, sah sie einen schmächtigen kleinen Jungen. Und dahinter ein größeres Mädchen. Ach, die Armen! Mutterseelenallein im Wald allen Gefahren ausgesetzt. Und bestimmt hatten sie seit Tagen nichts gegessen. Sie hatten in ihrer Not wohl den krümeligen Teig von der Hüttenwand abgeschabt. „Kommt, kommt. Ihr müsst hungrig sein!“, rief sie und winkte sie herein. „Oh, Junge, du bist so schrecklich mager, warte, ich werde ich füttern!“, rief sie mitleidig und packte den dünnen Arm des Kindes.

    „Nein!“, kreischte das Mädchen. „Fass ihn nicht an, du, du Hexe!“

    „Ich will doch nur —“

    „Du sollst ihm nichts tun! Lass ihn!“

    „Ich will ihm nichts Böses. Seht her, Kinder, ich werde jetzt den großen Backofen mit Holz und Reisig füllen und ein schönes wärmendes Feuer machen. Dann schiebe ich den Teig in den Ofen, und wenn er fertig ist, dürft ihr den Lebkuchen essen.“

    Das Mädchen sah Elvira misstrauisch an. „Ein Feuer? Wo denn?“

    „Na, da im Backofen. Hilf mir mit dem Holz, dann kannst du sehen, wie ich es entzünde.“

    Elvira schob Holzscheite und Reisig in das Innere des Ofens und zündete die dünnen Äste mit einem Kienspan an. Sie waren noch feucht und qualmten. Elvira hustete.

    „Du musst das trockene Holz dahinter anzünden, nicht die nassen Zweige hier vorn“, bestimmte das Mädchen. Elvira schüttelte den Kopf. „Soweit komme ich nicht mit meinem Arm hinein.“

    „Dann musst du hineinklettern. Warte, ich helfe dir und schiebe dich ein wenig.“

    So geschah es. Elvira entzündete das trockene Holz und versuchte dann, sich rückwärts aus der Öffnung des Backofens zu zwängen. Doch ach, das Mädchen schubste sie tiefer ins Innere und ließ die schwere Eisentür zufallen. Elvira schrie auf, keuchte, hustete, dann schwanden ihr die Sinne.


    Zwei Tage später tauchte ein schmächtiger kleiner Junge im Dorf auf, hinter ihm ein größeres Mädchen mit abweisender Miene. Nie hörte man ihn sprechen. Doch, einmal soll er ein Wort gesagt haben. Er hat auf das Mädchen gezeigt und gesagt: „Hexe.“

  • Wochenend und Mondenschein

    Breumel


    "Ich habe etwas gefunden! Nur 198€ von Freitagabend bis Sonntagmittag, 6 Zimmer, ruhige Lage im Wald, mit Terrasse. Da stören wir keinen, und es ist nur eine Stunde Fahrt von hier."

    "Zeig mal her. – Hey, das sieht doch super aus! Bei dem Preis sollten wir zuschlagen."

    "Okay, dann buche ich solange es noch verfügbar ist."


    -


    "Wenn alle ihr Gepäck in die Zimmer geräumt haben, treffen wir uns im Wohnzimmer!"

    "Okay"

    Lisa, Mark, Rebecca und Hannes gingen die Treppe hinauf, während Roland und Bastian im Erdgeschoss ihre Zimmer bezogen.


    Wenige Minuten später betrat Bastian das Wohnzimmer, dicht gefolgt von seinem Zimmernachbarn.

    "Cool! Sogar mit Kamin. Lass uns mal nachsehen, ob draußen Holz ist."

    An der Hauswand wurden sie fündig, und kurz nachdem sie mit den Armen voller Scheite zurückkehrten, brannte das Feuer. Mittlerweile waren alle im Wohnzimmer versammelt und nahmen auf den gemütlichen Sofas Platz. Solange, bis ein vernehmliches Grummeln die Unterhaltung durchschnitt. Mark wurde rot.

    "Kommt, lasst uns mit dem Kochen anfangen. Ich habe Hunger."

    Er drehte sich um, und die anderen folgen ihm unter Gelächter in die große Wohnküche.


    "Was gibt's heute?"

    Bastian, der eingekauft hatte, zeigte auf den Tisch. "Spaghetti Bolognese. Hackfleisch und Käse habe ich in den Kühlschrank geräumt, alles andere steht hier."

    Während Mark, Rebecca und Roland sich ans Kochen machten, deckten Lisa, Hannes und Bastian den Tisch und kümmerten sich um die Getränke.


    Bei Pasta und Rotwein wurde fröhlich geplaudert, danach setzen sich alle wieder um den Kamin. Das Feuer flackerte fröhlich hinter einem Funkenschutzgitter, und es war mollig warm geworden.


    "Ich muss mir ein T-Shirt anziehen, bin gleich zurück."

    Lisa ging die Treppe hoch. Dann ertönte ein Schrei.

    Mit bleichem Gesicht stürmte sie zurück ins Zimmer.

    "Wer war das! Wer hat mein Zimmer durchwühlt?"

    Ratlosigkeit breitete sich auf den Gesichtern der Anwesenden aus.

    "Jemand ist in meinem Zimmer gewesen! Meine Sachen sind aus dem Koffer gerissen worden und liegen auf dem ganzen Boden verteilt!"

    Alle begannen durcheinander zu reden. Schließlich erhob Roland die Stimme.

    "Lasst uns doch mal nachdenken! Wir waren alle zusammen in der Küche. Ist jemand rausgegangen?"

    Rebecca meldete sich. "Ich war kurz auf dem Klo. Aber nur dort. Und man hört doch, wenn jemand die Treppe raufgeht."

    Lisa hatte sich jetzt von dem ersten Schrecken erholt und wurde langsam wütend.

    "Also, wenn das ein Scherz sein soll, ist er jedenfalls nicht lustig!"

    Alle schwiegen. Schließlich ergriff Bastian das Wort.

    "Wenn es keiner von uns war, muss noch jemand im Haus sein. Wir sollten alle unsere Zimmer überprüfen. Am besten in Zweiergruppen."


    Alle Zimmer im Obergeschoss waren verwüstet worden.

    Und alle waren sich einig, dass niemand die Gruppe lange genug verlassen hatte, um das getan zu haben.


    "Ich bleibe hier nicht länger! Ich würde heute Nacht kein Auge zumachen!"

    Nicht nur Rebecca war bleich und verängstigt.

    Plötzlich rief Hannes: "Da! Da draußen! Ich glaube, ich habe etwas gesehen!"

    Sie stürzten auf die Terrasse.


    Etwas raschelte, und im Mondlicht bewegte sich etwas.

    Lisa schaltete die Taschenlampe ihres Handys ein. Und erschrak: Zwei runde weiße Augenpaare leuchteten ihnen aus dem Gebüsch entgegen.

    Ein Fauchen ertönte, dann waren sie verschwunden.


    Wieder ein Rascheln, diesmal um die Ecke.

    Mark wollte den Geschöpfen folgen, aber Rebecca hielt ihn zurück.

    "Du weißt doch gar nicht, was das ist!"

    "Noch nicht."

    Mit diesen Worten folgte er den Geräuschen.


    Hinter dem Haus flammte ein Licht auf, dann hörten sie Gelächter.

    Nachdem sie um die Ecke gebogen waren, sahen auch sie es: Im Schein von Marks Handy standen geblendet zwei Waschbären, direkt neben der Regenrinne, an deren oberem Ende das offene Flurfenster lag…