Werner Hechberger - Adel, Ministerialität und Rittertum im Mittelalter

  • Werner Hechberger - Adel, Ministerialität und Rittertum im Mittelalter

    ASIN/ISBN: 3486597582


    Konzeption:

    Wie ist es zu erklären, dass von den mittelalterlichen Lebenswelten, der dörflichen Gemeinschaft, der mittelalterlichen Stadt, des Klerus und dem Möchswesen, ausgerechnet der künstlichste und fremdeste Lebensbereich die höchste Popularität erreichte?

    Das Hofleben, die ständische Adelgesellschaft der ritterlichen Ministerialen, war dabei doch die am wenigsten natürlich gewachsene Lebensform der Epoche. Über die Faszination, die von ihr ausging und die in der Literatur tradiert wurde, aber auch ihre Wirkungsmächtigkeit bis in die kleinsten Strukturen hinein, gibt dieses Buch Auskunft.


    Zunächst muß dabei beachtet werden, die höfische Gesellschaft, die auch tonangebend wurde für das ihr später folgende Bürgertum und sich in Begriffen wie "hoffähig" oder "höflich" noch im heutigen Sprachgebrauch wiederfindet, umfasste im ganzen mittelalterlichen Europa kaum mehr als 25 000 Menschen.


    Im Hinblick auf das 11.- bis 13. Jahrhundert spricht man von einer "neuen" Art von höfisch-ritterlichen Kultur, die sich ausgehend von den Fürstenhöfen Westeuropas während der Stauferzeit installierte.

    Der Hof war dabei mehr als der räumliche Aufenthsltsort der Herrscher, er war auch ein Raum, innerhalb dessen der Adelsgesellschaft soziale Normen und Rangordnung vermittelt und eingeübt wurden. Konstitutiv dafür stand eine beschränkte Anzahl von Personen, die, auf den Herrscher fokussiert, Hofämter innehatten.

    (Kämmerer, Truchsess, Marschall, Mundschenk etc.)

    Diese Ämter wurden zumeist in den Familien dieser Ministerialen erblich. Zu diesen Amtsträgern kam das bewaffnete und das dienende Personal. Diese hatten sich in Verhalten und Habitus an den Maximen des höfischen Lebens auszurichten. Nur durch diese personelle Erweiterung entstand eine eigene, "höfische Kultur".

    Erkennen konnte man ihre Träger durch ihre Kleidung, oder durch Verwendung ähnlicher Wörter in ihrer Sprache. So wurden viele Wörter aus dem Französischen entlehnt, "gestrifelt" nannte man das. ( Gottfried von Straßburg)

    Im 12. Jahrhundert hielt auch die französische Gewandung Einzug, das Oberteil wurde zur Taille hin verengt, die Beinkleider geschlitzt.

    Die Kleidung sollte bunt sein und durch heraldische Muster und Symbole das neu eingeführte System der Wappen unterstützen.

    Die hinter dieser Kultur stehende Ritterideologie wurde nun wie der höfische Ritter zur Leitkultur und für alle Adligen bis hinauf zum Kaiser Leitbild des Verhaltens.

    Der 'Schutz der Schwachen' manifestierte den Herrschaftsanspruch, Minnedienst und Demut das soziale Verhalten und die Fertigkeiten im Kampf das aggressiv virile Ideal der Zeit.

    Zum Erlernen dieses Ideals arbeitete eine eigenständige Literatur, die seit den 1170er Jahren nach französischem Vorbild reflektierte und antizipierte. Der Ritterroman entstand als Spiegel der nun angestrebten Werte und Normen.

    Die Erziehung männlicher Jugendlicher nahm einen breiten Raum ein. Kampftechniken galt es zu erlernen, ritterlichen Zweikampf im Tjost oder im Mehrkampf, dem Buhurt. Der Bildungskanon dieser Erziehung hatte nichts mit dem den Mönchen vorbehaltenen Schulsystem zu tun. Wissenschaftliche Bildung blieb ob dieser Spaltung dem Ritterstand noch bis in die Neuzeit hinein suspekt.



    Beurteilung:

    Hechbergers Analyse formt eine schwierige allgemeingültige Aussage über einen komplexen Gegenstand. Kritisch wäre hier zu äußern, die Tatsache, daß die höfische Kultur nicht im Vakuum existierte, das gesellschaftlicher Austausch zur Welt des Klerus oder den Städten der Normalfall war, kommt dabei zu wenig in Rechnung. So erscheint die. "Hofkultur" eher als sozialwissenschaftliches Experiment, als das, was sie war: ein Krisensymptom auf den zunehmenden Kontroll- und Machtverlust kaiserlicher Herrschaft und der zunehmend mächtiger werdenden merkantilen Macht und der sich parallel entwickelnden städtischen Effizienz.

    Gleichwohl kommt Hechberger auf die entscheidenden Strukturen der höfischen Gesellschaft in extenso zu sprechen, mit stupendem Wissen und dicht bei den Quellen.

    Die Anforderungen an eine Arbeit von wissenschaftlicher Evidenz, keine Aussagen zu treffen ohne Belege, wurden gänzlich erfüllt.

    Davon zeugt das ausführliche und aussagekräftige Literaturverzeichnis und die qualifizierenden Kommentare.

    Mir ist keine andere Arbeit bekannt, die das historische Phänomen der "höfischen Gesellschaftsform" so umfassend behandelt und dabei auch für den interessierten Laien lesbar und verständlich bleibt. Daher kann ich das Buch auch denjenigen Leserinnen und Lesern empfehlen, die ihre Lieblingsautoren (m/w/d) historischer Romane einmal auf die Probe stellen möchten.

    Insgesamt gesehen gute 4 Sterne.



    Werner Hechberger, geb.1963 in Passau, ist Professor für Geschichte des Mittelalters in Koblenz. Er war Mitarbeiter von Erwin Boshof und seine Schwerpunkte sind die mittelalterlichen Gesellschaften und die Dynastie der Staufer.