Eva Maria Nielsen - Auf Wiedersehen, kleiner Bruder

  • Eva Maria Nielsen, Jahrgang 1967, studierte Theologie und Religionswissenschaft,in Münster, Paris und Århus. Sie lebt seit 1994 in Dänemark, wo sie in Krankenhausseelsorge, Jugendseelsorge und Evangelisierung tätig war. Sie gehört zur Teresianischen Karmel Gemeinde in Birkenwerder und bietet regelmäßig in Birkenwerder und in Dänemark karmelitanische Exerzitien an. Heute lebt sie als freischaffende Autorin in Kopenhagen.


    Es ist ok traurig zu sein


    "Plötzlich vermisse ich ihn so sehr, dass die Tränen einfach so aus den Augen kullern." (Buchauszug)

    Leo lebt mit seinen Eltern, dem kleinen Bruder Paul und Nesthäkchen Anna auch liebevoll Annanas genannt an der Küste Dänemarks. Dort wohnt auch seine beste Freundin Josie, mit der er gerne in ihrem Geheimversteck sitzt. Dann erkrankt kurz vor den Sommerferien der 7-jährige Paul, ständig ist er müde und hat Kopfschmerzen. Als die Ärzte einen Tumor feststellen, machen sich noch alle Hoffnung, dass Paul gesund wird. Doch Paul geht es immer schlechter. Wie soll Leo nur ohne seinen kleinen Bruder Paul weiterleben?


    Meine Meinung:

    Das bunte kindgerechte Cover springt mir sofort ins Auge, besonders da es hier um ein Thema geht, was oftmals lieber verdrängt wird. Es geht um die Erkrankung des kleinen Pauls, die so schwerwiegend ist, dass er nicht wieder gesund wird. Wir begleiten in diesem Buch vor allem seinen älteren Bruder Leo, wie er mit dieser ganzen Situation umgeht. Der Schreibstil ist durchaus kindgerecht und für Kinder von 6 bis 12 Jahre geeignet. Wobei ich vermute, dass es für 12-Jährige etwas zu anspruchslos sein könnte, da die sicher mehr Fragen haben als hier Leo. So eignet sich dieses Buch nicht nur zu vorlesen, sondern auch für ältere Kinder zum Selbstlesen. Im Anhang am Ende finden sich noch 10 Tipps, wie man Kinder in ihrer Trauer begleiten kann. Die Illustrationen des Buchs sind einfach und schwarz-weiß gehalten, hier hätte dem Buch etwas Farbe sicher gutgetan. Leos Eltern sind sehr verständnisvoll und erzählen vor allem ihm viel über Pauls Erkrankung, Glauben und den Tod. Wobei das Thema Glaube doch recht dezent gehalten wird. Dafür kommt Leos Traurigkeit umso mehr zum Tragen, Paul dagegen bleibt eher im Hintergrund, selbst wenn er eigentlich die tragische Rolle einnimmt. Die Charaktere sind für mich alle stimmig und ich kann mich sehr gut in die Familie hineinversetzen. Besonders da die Eltern hier als sehr verständnisvoll und einfühlsam aufgezeigt werden. Ganz toll fand ich die Erinnerungsschachtel, die hier ebenfalls erwähnt wurde und in dem Josie viel über Paul gesammelt hat. Die Geschichte selbst hat auch mich emotional zu Tränen gerührt und ist von daher nicht ganz einfach zu lesen. Weshalb ich eher empfehle, das Buch mit den Kindern gemeinsam zu lesen, um sofort Fragen aufzugreifen und zu trösten. Von mir bekommt das Buch 5 von 5 Sterne und eine Leseempfehlung für alle trauernden Familien. :thumbup:


    ASIN/ISBN: 3897109387

    "Lebe jeden Tag so, als ob du dein ganzes Leben lang nur für diesen einen Tag gelebt hättest."

  • Eva Maria Nielsen: Auf Wiedersehen, kleiner Bruder (6 bis 12 J.). Ein tröstliches Vorlesebuch über Krankheit und Tod, Paderborn 2022, Bonifatius GmbH Druck | Buch | Verlag, ISBN 978-3-89710-938-4, Hardcover, 165 Seiten mit s/w-Illustrationen von Rebecca Meyer, Format: 14,1 x 1,8 x 21,9 cm, Buch: EUR 18,00 (D), EUR 18,50 (A).


    „Ich kann nicht schlafen, bin so wütend auf Paul. Klar, er kann nichts dafür, dass er den Tumor bekommen hat. Trotzdem bin ich sauer. Stinksauer. Warum musste ausgerechnet Paul krank werden? Mein kleiner Bruder? Jetzt haben Mama und Papa nur Zeit für ihn.“ (Seite 107)


    Es könnte alles so schön sein! Die Schulferien beginnen und Leo (9) und seine Familie müssen nicht einmal verreisen, um ihre freie Zeit am Meer verbringen zu können.


    Leos kleiner Bruder ist schwer krank


    Doch dann kommt alles anders. Auf einmal fühlen sich die Ferien gar nicht mehr wie Ferien an, sondern wie ein nicht enden wollender Albtraum. Leos Bruder wird krank, und bald stellt sich heraus, dass das nicht nur ein Sonnenstich oder eine Sommergrippe ist. Es ist was wirklich Schlimmes. Von da an geht’s in raschem Wechsel rein ins Krankenhaus und raus aus dem Krankenhaus. Und wieder rein und wieder raus …


    Die Eltern sind natürlich immer um Paul herum und versorgen auch das jüngste Geschwisterchen, Baby Anna – nur Leo kommt zu kurz. Er sieht schon ein, dass die Eltern sich vordringlich um den kranken Paul kümmern müssen, aber er selbst ist ja auch noch ein Kind, das die Eltern braucht. Oder sonst einen erwachsenen Ansprechpartner, dem er vertraut.


    Die Eltern, besonders die sehr gläubige Mutter, versuchen, Zuversicht zu verströmen, aber Leo hat ein feines Ohr für falsche Töne. Er ahnt, dass die Erwachsenen selbst nicht so recht daran glauben, dass sein Bruder wieder gesund werden wird. Vielleicht hat Nachbarstochter Josie, selbst eine Halbwaise, ja recht, wenn sie sagt, dass er sich vorsichtshalber darauf einstellen solle, dass Paul an der Krankheit sterben könne. Für diesen Fall bietet sie ihm an, ihn zu einer Gruppe für trauernde Kinder mitzunehmen.


    Wird jetzt alles wieder gut?


    Leo will das aber nicht wahrhaben. Für kurze Zeit sieht es auch wirklich so aus, als ob alles gut werden könnte. Paul kommt nach Hause.


    Doch dann geht’s Paul wieder schlechter und das ganze Spiel geht von vorne los. Als Paul seinem großen Bruder schließlich anvertraut, dass er es wohl nicht schaffen wird, wieder gesund zu werden, dass er aber nicht wisse, wie er es den Eltern beibringen soll, weiß Leo, womit er zu rechnen hat.


    Leo wird zum „Schattenkind“


    In Hospizschwester Bea, die Paul jetzt zuhause pflegt, findet Leo zum ersten Mal seit langer Zeit einen Erwachsenen, der ihn zur Kenntnis nimmt, ihm Aufmerksamkeit schenkt und ihm etwas Gutes tun will. Na ja, sie ist ein Profi und dürfte das Phänomen der „Schattenkinder“ nur zu gut kennen. Wer den Begriff noch nie gehört hat: Das sind Kinder, deren Geschwister eine Behinderung haben oder schwer erkrankt sind, wodurch sich die Aufmerksamkeit der Erwachsenen allein auf diese richtet. Die Nöte und Bedürfnisse der gesunden Geschwister werden dabei oft übersehen.


    Eltern und Großeltern haben diese professionelle Erfahrung natürlich nicht. Sie sind mit der Situation genauso überfordert wie Leo. Ebenso bezeichnend wie herzzerreißend fand ich, wie Leo von den Großeltern betreut wird, während seine Eltern bei Paul im Krankenhaus sind. Und statt sich dem ältesten Enkel zu widmen, räumt Oma den Haushalt ihrer etwas chaotischen Schwiegertochter um und der Opa jätet wie besessen das Unkraut im Garten. Ja, sicher, sie meinen es gut. Das ist eben ihre Art, Ordnung in einer Welt zu schaffen, die komplett aus den Fugen geraten ist. Aber Küchenschränke und Giersch sind in diesem Fall vermutlich die falschen Prioritäten.


    Trauerbegleitung für Kinder: Was man wissen sollte


    Damit andere nicht dieselben Fehler machen wie die Romanfiguren, findet man im Anhang „Die zehn wichtigsten Dinge für alle, die Kinder in ihrer Trauer begleiten“. Für diese Zielgruppe – Geschwisterkinder, Eltern, Pädagogen, Freunde und vertraute Menschen – ist das Buch gedacht. Es ist traurig und zutiefst berührend. Das liest man nicht einfach so zum Spaß, dazu braucht’s einen ernsten Anlass.


    Im Nachwort schreibt Beate Danlowski, Leiterin des Kinderhospizdienstes des Caritasverbandes in Berlin:

    „Eva Maria Nielsen […] greift in ihrem Buch alle Themen auf, die für Geschwisterkinder wichtig sind. Alle Familienangehörigen leiden auf ihre Weise, was in dem Buch empathisch und für Kinder sehr verständlich thematisiert ist.“ (Seite 164)


    So traurig die Geschichte vom sterbenden kleinen Bruder ist: Ein bisschen gibt das Buch auch Hoffnung. Das Leben wird natürlich nie mehr so sein wie früher, aber es wird auch wieder schöne und glückliche Momente geben. Auch wenn man sich das im Augenblick noch gar nicht vorstellen kann.


    Die Autorin


    Eva Maria Nielsen, Jahrgang 1967, studierte Theologie und Religionswissenschaft in Münster, Paris und Århus. Sie lebt seit 1994 in Dänemark, wo sie in Krankenhausseelsorge, Jugendseelsorge und Evangelisierung tätig war. Sie gehört zur Teresianischen Karmel Gemeinde in Birkenwerder und bietet regelmäßig in Birkenwerder und in Dänemark karmelitanische Exerzitien an. Heute lebt sie als freischaffende Autorin in Kopenhagen.


    Die Illustratorin


    Rebecca Meyer hat Design in Dortmund studiert und ist seit 2004 als freischaffende Illustratorin, Cartoonistin und Karikaturistin tätig.


    ASIN/ISBN: 3897109387

    Und was die Autofahrer denken,
    das würd’ die Marder furchtbar kränken.
    Ingo Baumgartner