Helga Schubert über Tschechow - Volker Weidermann (Hrsg)

  • Helga Schubert über Tschechow


    Kiepenheuer&Witsch, 2023


    Kurzbeschreibung:

    Helga Schubert erzählt in diesem persönlichen, traurig-schönen Buch von ihrer ersten Begegnung mit Tschechow, ihrer ersten Lektüre seiner Erzählung »Gram«, die sie erschüttert und gerettet hat. Sie schaut genau: Wie hat er das gemacht? Was ist die Kunst seines Schreibens, wie funktioniert sein Handwerk? Sie berichtet von seinem Leben, davon, wie er als Arzt für seine Patienten, wie er als Familienmensch für seine Eltern und Geschwister da war.


    Wie er die Gesellschaft anderer brauchte für seine Geschichten, und wie sie ihn vom Arbeiten abhielt. Es war ein Leben zwischen Überforderung und Mitleid mit allen, mit den Menschen, den Tieren, der Kreatur. Helga Schubert war auf Spurensuche in Jalta auf der Krim, in Moskau und in ihrem eigenen Leben und Schreiben. Entstanden ist ein unglaublich intensives, literarisches Porträt ihres Tschechows.


    Über die Autorin:

    Helga Schubert, geboren 1940 in Berlin, studierte an der Humboldt-Universität Psychologie. Sie arbeitete als Psychotherapeutin und freie Schriftstellerin in der DDR und bereitete als Pressesprecherin des Zentralen Runden Tisches die ersten freien Wahlen mit vor. Nach zahlreichen Buchveröffentlichungen zog sie sich aus der literarischen Öffentlichkeit zurück, bis sie 2020 mit der Geschichte ›Vom Aufstehen‹ den Ingeborg-Bachmann-Preis gewann.


    Mein Eindruck:

    Helga Schubert hat ein Buch über den russischen Schriftsteller Anton Tschechow (1866 – 1904) geschrieben. Es ist aber ein Text über sie selbst. Sie sieht Verbindungen zwischen sich und Tschechow, was das Schreiben angeht. Sie schreibt auch von ihren Erfahrungen und den Reisen nach Russland.


    Das schmale Buch stammt aus der neuen Reihe „Bücher meines Lebens“, die von Volker Weidermann herausgegeben wird.


    Es ist ein kluges Buch, in einem bewundernswert eleganten Stil.



    ASIN/ISBN: 346200378X

  • Meine Gedanken zu dem Buch:

    Diese Reihe "Bücher meines Lebens" war mir bislang bedauerlicherweise nicht bekannt. Zum Glück habe ich die mit dem Buch von Helga Schubert über Anton Tschechow kennengelernt und möchte die mir fehlenden Bücher der Reihe unbedingt nachlesen.


    Bei Anton Tschechow bin ich hängen geblieben, weil ich diesen russischen Autor sehr mag. Schon als Kind habe ich meine erste Geschichte von dem Autor "Kaschtanka" zum ersten Mal gelesen. Auch Helga Schubert berichtet, dass ihre Bekanntschaft mit dem großartigen Schriftsteller mit dieser Erzählung begann. Diese habe die Frau Schubert so sehr beeindruckt, dass die Bekanntschaft mit dem Autor vertieft wurde. Da sehe ich für mich persönlich klare Parallelen. Nach "Kaschtanka" kamen nach und nach fast alle Werke des Autors.


    Die Erzählung "Gram", manchmal auch als "Der Kummer" und "Die Erzählung des Kutschers" übersetzt, hat bleibende Eindrucke bei der Autorin hinterlassen. Für mich waren es die Theaterstücke, die ich immer wieder las. Besonders "Die Möwe" hat es mir angetan. In den späteren Jahren hat die Autorin mit Begeisterung den Reisebericht "Die Insel Sachalin" gelesen. Was ich für mich noch nachholen möchte.


    In diesem schmalen Buch geht es darum, was dieser großartige Autor für die Frau Schubert als Leserin und Schriftstellerin bedeutete, was sie von ihm lernen konnte, wie wirkte er auf sie als Mensch und Schriftsteller. Diese Art der Reflexion über einen Schriftsteller und eine persönliche Erfahrung hat mir sehr gut gefallen. Für mich persönlich hätte dieses Essay gerne viel ausführlicher sein können, denn Stoff genug bietet der sehr produktive und vielschichtige Mensch und Autor Anton Tschechow. Von mir gibt es 8 Punkte und eine Empfehlung.

    Nicht wer Zeit hat, liest Bücher, sondern wer Lust hat, Bücher zu lesen,

    der liest, ob er viel Zeit hat oder wenig. :lesend
    Ernst R. Hauschka

    Liebe Grüße von Estha :blume

  • ASIN/ISBN: 346200378X



    Verlagsinformation:


    Wie hilft uns Literatur in den dunkelsten und einsamsten Momenten des Lebens? Und wie schreibe ich selbst über den Schmerz ohne Pathos, einfach und klar? Helga Schubert hat so viel bei Anton Tschechow gelernt. Über das Leben und das Schreiben.

    Helga Schubert erzählt in diesem persönlichen, traurig-schönen Buch von ihrer ersten Begegnung mit Tschechow, ihrer ersten Lektüre seiner Erzählung »Gram«, die sie erschüttert und gerettet hat. Sie schaut genau: Wie hat er das gemacht? Was ist die Kunst seines Schreibens, wie funktioniert sein Handwerk? Sie berichtet von seinem Leben, davon, wie er als Arzt für seine Patienten, wie er als Familienmensch für seine Eltern und Geschwister da war.

    Wie er die Gesellschaft anderer brauchte für seine Geschichten, und wie sie ihn vom Arbeiten abhielt. Es war ein Leben zwischen Überforderung und Mitleid mit allen, mit den Menschen, den Tieren, der Kreatur. Helga Schubert war auf Spurensuche in Jalta auf der Krim, in Moskau und in ihrem eigenen Leben und Schreiben. Entstanden ist ein unglaublich intensives, literarisches Porträt ihres Tschechows.


    Mein Lese-Eindruck:


    „Bücher meines Lebens“ – so lautet der Titel einer Buchreihe, die Volker Weidermann im Verlag Kiepenheuer & Witsch herausgibt. Der Reihentitel macht die Sache spannend. Gibt es Bücher, die das Leben der Autoren maßgeblich beeinflusst haben, es verändert haben? Die ihn langfristig begeistern, aus welchem Grund auch immer? Haben die Verfasser eine besondere Affinität zu einem Autor, und wenn ja, warum? Lassen sie sich künstlerisch in ihrem eigenen Schaffen von seinem Werk beeindrucken? Der Titel lässt das alles offen, aber auf alle Fälle erwartet den Leser eine sehr persönliche Auseinandersetzung.


    Helga Schubert musste nicht überlegen: sie wollte über Tschechow schreiben. Das Werk Tschechows begleitet sie von Kindheit an, und eine seiner Erzählungen hat ihr Leben entscheidend beeinflusst. Diese Erzählung heißt „Gram“, eine kurze Geschichte über einen einfachen russischen Lohnkutscher, der seine Frau und nun seinen einzigen Sohn hat begraben müssen. „Wem klage ich meinen Schmerz...?“ In seiner Not sucht er einen Menschen, dem er sein tiefes Leid klagen kann, aber er wird wiederholt abgewiesen, sodass er schließlich nur bei seinem alten Pferd sein Herz erleichtern kann. Eine schöne Geschichte, kunstvoll mit ihren Wiederholungen, im Märchenton geschrieben, sehr berührend – und diese Geschichte sei es, erzählt sie, die sie von dem Schritt „in den Abgrund“ abgehalten habe. Sie liest diese Geschichte, als sie das Scheitern ihrer Ehe erkennt. Ob man den Tod eines Kindes vergleichen kann mit der Erkenntnis, dass der Ehemann fremdgeht?


    Aber wie man das auch sieht: Frau Schubert hat sich mit dieser Geschichte an den eigenen Haaren aus dem Sumpf gezogen. Sie hat gelernt, nicht in Selbstmitleid zu versinken und niemals eine Situation als aussichtslos zu bewerten. Und darum geht es.


    Helga Schubert nähert sich Tschechow aber nicht als Trostsuchende an, sondern eher auf der handwerklichen und spirituellen Ebene, von Autor zu Autor. Sie will wissen, wie er seine Konzentration sicherte, wie er sein Privatleben organisierte, wie er erzählte und auch, welche menschlich wesentlichen Botschaften er in seinem Werk transportierte.


    Und so gelingt ihr ein sehr persönliches Bild dieses Altmeisters. Sie ist inzwischen doppelt so alt geworden wie Tschechow, der mit nur 44 Jahren starb. Sie bereist seine Wohnorte, trifft seine Nichte, besucht sein Grab, liest seine Notizbücher, besucht die Museen etc. und setzt die Lebensphasen Tschechows immer in Bezug zu ihrer eigenen Lebensphase. Und so entsteht ein sehr persönliches Bild dieses Mannes, der mit seinem Schreiben seine Familie ernährte, der als Arzt die medizinische Versorgung während der Cholera-Epidemie betrieb, Schulen für Arme baute, einen aufrüttelnden Bericht über die Gefängnisinsel Sachalin schrieb und bei dieser Selbstaufopferung ständig Mühe hatte, sich Freiräume für das Schreiben zu schaffen.


    Und immer steht die Frage dahinter: was kann sie von ihm lernen? Wie den Spagat finden zwischen Barmherzigkeit und Mitleid einerseits und einer kühlen Betrachtung andererseits? Und so nennt sie das kleine Buch auch sehr treffend „Eine Brücke zu Anton Pawlowitsch Tschechow“.


    08/10 Pkt.