Reichlich spät - Claire Keegan

  • Steidl-Verlag, 2024

    OT: So late in the Day

    Aus dem Englischen von Hans-Christian Oeser


    Kurzbeschreibung:

    Freitag, der 29. Juli in Dublin. Das Wetter ist wie vorhergesagt, die Stadt vor Cathals Bürofenster liegt in gleißendem Sonnenschein. Nach einem scheinbar ereignislosen Tag mit Budgetlisten und Bürokaffee nimmt Cathal den Bus nach Hause. Die Landschaft zieht an ihm vorüber, die waldigen Hügel, auf denen er noch nie gewesen ist, und er denkt an Sabine. Die ein bisschen schielt und die gut kochen kann, die auch im Winter barfuß am Strand spazieren geht, die die Hügel besteigt. Die zu viel Geld ausgibt und zu viel Raum einnimmt und zumindest über die Hälfte von allem bestimmen will. Die Frau, mit der er hätte sein Leben verbringen können, wäre er ein anderer Mann gewesen.


    Über die Autorin:

    Claire Keegan, geboren 1968, wuchs auf einer Farm in der irischen Grafschaft Wicklow auf. Sie hat in New Orleans, Cardiff und Dublin studiert. Bei Steidl sind von der vielfach ausgezeichneten Autorin bereits die Erzählungsbände Wo das Wasser am tiefsten ist und Durch die blauen Felder (in einem Band: Liebe im hohen Gras, 2022) erschienen. Ihre Erzählung Kleine Dinge wie diese (2022) stand auf der Shortlist des Booker Prize.


    Mein Eindruck:

    Das Buch mit den Kirschen auf den Cover hat nur 4 Kapitel auf 48 Seiten und ist doch ein inhaltsreiches Werk, dass eine gescheiterte Beziehung in aller Deutlichkeit zeigt.


    Schon das erste Kapitel zeigt einen Tag im Leben des Protagonisten in Dublin und Claire Keegans wunderbare Sprache.

    Ab den zweiten Kapitel geht es dann um seine Beziehung zu Sabine. Sie ziehen zusammen, wollen sogar heiraten. Doch dann stellt Sabine ein paar grundsätzliche Fragen.


    Claire Keegan schreibt sparsam, sehr genau und verdichtet, ohne dass das die gute Lesbarkeit beeinträchtigt.


    ASIN/ISBN: 3969993253

  • Kirschenzeit - oder zu spät für Tarte Clafoutis


    Bei "Reichlich spät" (Originaltitel 'So late in the day') von Claire Keegan; übersetzt ins Deutsche von Hans-Christian Oeser, erschien (HC, geb., 64 Seiten) handelt es sich um eine Erzählung, die im Steidl-Verlag, Göttingen 2024 erschienen ist.

    Vorausschicken möchte ich, dass ich von "Kleine Dinge wie diese" mehr als begeistert war und den glasklaren, perlenden Schreibstil der Autorin faszinierend finde: In "Reichlich spät" findet sich zwar kein Bill Furlong, aber dafür zwei Hauptprotagonisten, die reichlich Grund dazu geben, zwischen den Zeilen zu lesen (was ich sehr mag) und sich eigene Gedanken zur recht kurzen Erzählung zu machen: Trotz der Kürze bietet Claire Keegan hier jede Menge Interpretationsmöglichkeiten und Spielraum, die sie dem geneigten Leser anbietet...


    Man begleitet Cathal, der einen recht eintönigen Bürojob ausübt, an einem sonnigen Tag Ende Juli in Dublin, wo die Geschichte spielt: Sein Chef (10 Jahre jünger als Cathal und stets korrekt gekleidet) rät ihm, nach Hause zu gehen und fragt ihn, ob es ihm gut gehe. Auch einer Kollegin gegenüber (er meidet Menschen und Konversation, besonders Frauen) äußert er sich auf diese Frage mit einem "bestens": Dem Leser bzw. der Leserin dürfte bald klar werden, dass sich seine wahren Gefühle nicht mit dieser Aussage decken: Er hatte sich diesen Tag vermutlich gänzlich anders vorgestellt.


    Vor zwei Jahren hatte er Sabine, eine zierliche brünette Frau bei einer Konferenz in Toulouse kennengelernt; wie sich herausstellte, arbeitete sie auch in Dublin (Gallery) und beide freundeten sich an: Sabine schien ihm "in sich selbst zu ruhen und gleichzeitig für alles um sie herum empfänglich zu sein" (Zitat), was ihn sofort für sie einnahm. Wie sich herausstellte - er wollte, dass sie zu ihm zog, konnte fabelhaft kochen; auch wenn sie den Einkauf teurer Lebensmittel nicht scheute. Cathal spielte mit der Möglichkeit, Sabine zu heiraten und fragte sie eines Tages....


    Der erste Streit bahnt sich wegen recht teurer Kirschen an, aus denen Sabine (in der Normandie aufgewachsen) Tarte Clafoutis backen wollte; später nörgelt Cathal über den Verlobungsring, der (Sonderanfertigung des Juweliers) einen Aufpreis beinhaltete.....


    Mit Cathal lernen wir einen wütenden Mann kennen, der das absolute Gegenteil von Bill Furlong zu sein scheint: Selbst in einem frauenverachtenden Haushalt aufgewachsen, passt ihm nicht, dass "sie (Sabine) nicht hören wollte und gut die Hälfte der Dinge auf ihre Weise tun wollte" (S. 35); das war für Cathal Teil des Problems. Der Dialog zwischen den beiden, was im Kern Frauenfeindlichkeit ausmache (Frage von Sabine an Cathal), fand ich sehr interessant und richtig. Eine Kollegin von Cathal beschreibt die irischen Männer, die hierbei nicht sonderlich gut abschneiden (was ich nicht beurteilen kann, jedoch annehme, dass sich diese Aussage nicht nur auf irische Männer beschränkt). Leider kann Cathal das Muster nicht erkennen, mit dem er selbst aufwuchs und das er in seiner Beziehung zu Sabine lebt; daher hält sich mein Mitleid sehr in Grenzen, würde ihm aber Veränderung wünschen. Sabine wiederum kann ich nur zu ihrer Entscheidung beglückwünschen.


    Der Stil von Claire Keegan, die hier das Scheitern einer Beziehung skizziert und jedes Wort treffend gewählt, keines zuviel ist, gefällt mir sehr: Sie schreibt pointiert, unaufdringlich und doch beharrlich in Sätzen durchscheinender Klarheit. Ich kann diese Erzählung absolut weiterempfehlen und hoffe, dass sie eine gute Diskussionsgrundlage z.B. in Paarbeziehungen ist, in denen es vielleicht gerade 'kriselt' und finde besonders positiv, dass die Autorin hier viel Spielraum für eigene Interpretationsmöglichkeiten und Gedanken gegeben hat. Dies ist in wenigen Worten das Markenzeichen von Claire Keegan.


    ASIN/ISBN: 3969993253

    Nicht der Wind bestimmt die Richtung, sondern das Segel (aus China)

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