Mörderinnen? Opfer der Umstände?
Das Buch beginnt für Evie, die junge Nachhilfelehrerin, mit einem Albtraum. Zuerst findet sie ihre Arbeitgeber ermordet im Garten vor, danach entdeckt sie im Haus eine gefesselte junge Frau. Als die Tochter des Hauses Evie schreiend angreift, wehrt sich Evie und tötet dabei das Mädchen. Was für Evie eine schreckliche Lage ist, ist für uns, die Leser, eine sehr spannende Ausgangssituation.
Es beginnt eine rasante Flucht, kreuz und quer durch die USA und nach Kanada. Sie versuchen möglichst unter dem Radar zu bleiben, werden aber immer wieder entdeckt und müssen weiter fliehen. Empörend fand ich, dass die Männer, die die beiden jungen Frauen entdeckten, sich danach vor Polizei und Presse als Opfer aufspielten, zahlreiche Interviews in dieser Rolle gaben. Die Nachrichtensender griffen diese gefakten Geschichten auf, bauschten sie auf, machten aus der Mücke nicht einen Elefanten, sondern gleich eine ganze Elefantenherde. Das ganze Land blies zum großen Halali, zur Hetzjagd auf “Bonnie und Bonnie”.
Evie wird zuerst verhaftet, in Kanada, wo sie eigentlich kein Verbrechen begangen hat. Sie wird in die USA überstellt, wo sich gleich mehrere Bundesstaaten um sie bemühen. Es geht soweit, der Gouverneur von Kalifornien will Evie eine lebenslange Haftstrafe verdonnern noch vor der Beginn der Verhandlung und der Gouverneur von Florida antwortet tags darauf: “Keine Sorge, mein Freund. Wenn ihr sie in eurem Staat nicht umbringen dürft, machen wir das.” (S. 362-363) Dies alles bevor Evie angehört wurde, bevor ein Gericht sie für schuldig befunden hatt. Diese Vorverurteilung ist entsetzlich. Verhöre, Haft, erneut Verhöre, Isolation in der Haft, Evie erträgt alles stoisch und sagt kein Wort über Jae. Auch nachdem sich Jae gestellt hat und sämtliche Verbrechen auf sich genommen hat, ist Evie Gordon in den Augen der Öffentlichkeit immer noch schuldig.
Nach ihrer Entlassung aus dem Gefängnis geht die Hetze weiter: “In den ersten drei Wochen fanden auf der Straße vor dem Haus Demonstrationen statt. Wenn man einmal einen Mob geschaffen hat, wird man ihn nur schwer wieder los. Der Hass auf mich war zur Religion geworden: Vielen Menschen schenkte er eine Aufgabe und ein Gefühl, einer Gemeinschaft anzugehören, sogar Freundschaften entstanden - vielleicht sogar Romanzen. Ich bin sicher, dass einige Affären mir zu verdanken waren, zum Beispiel wenn ein Verfechter von #EvieDidIt, ein deprimierter, einsamer Blödmann, seiner wund gerubbelten rechten Hand überdrüssig, seinesgleichen vor meinem Haus begegnete.” (S.377). Nach einem Monat kampierten nur noch fünf Demonstranten vor Evies Haus, lauter Anhänger der evangelikalen Kirche, die dann letztlich auch aufgaben. Evie konnte nirgends Arbeit finden, das angefangene Studium musste sie aufgeben, als bekannt wurde, wer sie ist.
Im letzten Teil wird das Ganze abwechselnd aus Evies und Jaes Perspektive erzählt, kommentiert und interpretiert, das fand ich auch interessant. Zwei Blickwinkel und doch so ähnlich in manchen Punkten.
Der Thriller lebt von rasanten Fluchten, Niederschlagen von Männern, die sie erkannt haben und daraus Kapital schlagen wollen, unglaublichen Überlebensstrategien (leerstehende Häuser, Bankrott gegangene Möbelläden, Baumärkten, Motels, usw. und der Liebesgeschichte zwischen den beiden Protagonistinnen, Evie und Jae. Aber irgendwann wird es etwas langatmig, die Verschnaufpause für die beiden Frauen und implizite für uns, die Leserschaft, ist etwas zu lang. Doch dann bringt eine erneute Flucht wieder Energie in das Geschehen.
Fazit: Zwei intelligente Frauen auf einen wilden und manchmal bizarren Roadtrip
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