Der Sommer am Ende der Welt - Eva Völler

  • Klappentext (Amazon):


    Es soll der persönlichste Artikel ihres Lebens werden – beharrlich verfolgt die Journalistin Hanna ihren Plan, über die traumatischen Erfahrungen früherer Verschickungskinder auf Borkum zu berichten, denn auch ihre Mutter hat dort bei einer solchen Kinderkur einst Schlimmes erlebt. Doch vor Ort erhebt sich Widerstand, als Hanna die damaligen Missstände aufdecken will. Nur der Inselarzt Ole steht ihr bei ihren Nachforschungen zur Seite, beide verlieben sich Hals über Kopf. Dann wird Hanna das alte Tagebuch einer ehemaligen Kinderbetreuerin zugespielt, aus dem sich Hinweise auf ein vertuschtes Verbrechen ergeben. Dabei gerät Hanna in ein verstörendes Dilemma, denn nach und nach zeichnet sich ab, dass in Oles Familie ein schreckliches Geheimnis gehütet wird ...



    Meine Rezension:


    Der Kinderkur auf der Spur


    Um mehr über das schreckliche Schicksal der Verschickungskinder zu erfahren, über die unvorstellbaren Erziehungsmethoden der gestrengen und kaltherzigen „Tanten“, über die Unbarmherzigkeit, der einst auch ihre eigene Mutter ausgesetzt gewesen ist, reist Journalistin Hanna gemeinsam mit ihrer fast sechzehnjährigen Tochter Katie auf die Nordseeinsel Borkum. Während sie für ihren Artikel recherchiert, sieht sie sich einerseits so mancher Anfeindung ausgesetzt, andererseits entwickelt sie romantische Gefühle für den charmanten Inselarzt.


    Ein heiterer Rahmen in Form einer leicht knisternden Liebesgeschichte fasst das tragische Geschehen rund um die Kurkinder in ihren Erholungsstätten ein, sodass das Lesen stets abwechslungsreich bleibt und die Beschreibung der Gräueltaten in einem erträglichen Ausmaß gehalten wird. Kurz wird auch das Thema Lebensborn angeschnitten, sodass an dieser Stelle jedenfalls eine Triggerwarnung zu den beiden genannten Punkten ausgesprochen werden darf. Besonders gut gelungen finde ich den Aufbau der Handlung: in erster Linie geht es um unsere 40jährige Journalistin Hanna, deren einzelne Tage auf Borkum beleuchtet und sehr warmherzig erzählt werden. Für ihre Nachforschungen interviewt sie Sabine, die selbst als Kind sechs Wochen im Borkumer Heim Villa Aurelia zugebracht hat und schildert, woran sie sich Jahrzehnte später noch erinnert. Dazu kommen Tagebucheinträge aus der Sicht einer Erzieherin und ein süßer kurzer Schulaufsatz, der mich zum Schmunzeln bringt. Diese geschickte Verknüpfung unterschiedlicher Handlungsstränge bewirkt ein gutes Gleichgewicht zwischen Freud und Leid und lässt durchaus auch heitere Szenen zu in all den komplizierten Verstrickungen, die sich in kurzer Zeit auftun.


    Lebensnahe Figuren mit vielfältigen Gedanken und Gefühlen, eine Handlung, die enorm großen Bezug zu realen Geschehnissen setzt und nicht zuletzt ein geschliffener Schreibstil bieten bewegende Momente, die in ein unterhaltsames Umfeld eingebettet sind. Wer sich also für Verschickungskinder und die Aufarbeitung familiär verwurzelter Schuld interessiert, wird hier anregende Stunden finden, von mir gibt es eine Leseempfehlung.



    Titel Der Sommer am Ende der Welt

    Autor Eva Völler

    ASIN B0F49Y8GYR

    Sprache Deutsch

    Ausgabe ebook, ebenfalls erhältlich als Taschenbuch (400 Seiten) und Hörbuch

    Erscheinungsdatum 1. Juli 2025

    Verlag Droemer


    ASIN/ISBN: B0F49Y8GYR

  • Die 40-jährige Journalistin Hanna reist mit ihrer fast 16-jährigen Tochter Katie auf die Insel Borkum. Dort war vor 60 Jahren ihre Mutter als Verschickungs(klein)kind zur Kur. In den letzten Jahren, auch dank der sozialen Medien, haben ehem. Verschickungskinder ihre Stimme erhoben und neben dem Austausch untereinander, auch mediale Aufmerksamkeit gefunden. Der vermeintliche Aufenthalt am Meer mit frischer Luft, hat durch Gewalt unterschiedlichster Art, bei vielen früheren Kurheimkindern Traumata hinterlassen.


    Hanna recherchiert vor Ort und Sabine, die zur gleichen Zeit mit Hannas Mutter damals dort war, erzählt ihr in Videogesprächen von ihren Erinnerungen. Einquartiert hat sich Hanna im chicen Hotel Dünenschloss, welches als Villa Aurelia das frühere Kinderkurheim beherbergte. Als Journalistin ist sie dem Hotelbetreibergeschwisterpaar zunächst willkommen, als diese allerdings mitbekommen, dass sie die unrühmliche Vergangenheit des Hauses und der Betreiber interessiert, wendet sich dies. Unerklärlich ist, wer ihr das Tagebuch einer früheren Kinderbetreuerin vor ihre Suitetür gelegt hat. Hanna und Katie lesen beide sehr interessiert die Notizen, die im Zusammenspiel mit Sabines Berichten, bald noch weitere Geschehnisse und Verwicklungen andeuten. Es ist spannend.


    Angrenzend an die ehem. Villa Aurelia befindet sich eine Hausarztpraxis, die in dritter Generation von Inselarzt Ole betrieben wird. Sein Großvater hat früher auch das Kinderheim betreut. Es liegt nahe, dass er Zeuge von Misshandlungen an den Schützlingen war. Hat er zugeschaut und ist er durch Schweigen/ Vertuschen Mittäter? Ole hat seine Großeltern kaum kennengelernt, er sucht nach Hinweisen auf dem gut gefüllten Dachboden der Praxis. Seine Mutter ist dement, manchmal hat sie aber lichte Tage und teilt Erinnerungen. Auch in der Villa Aurelia lebt noch eine mögliche Zeitzeugin. Die Großmutter der Hotelbetreiber hat schon damals auf Borkum gelebt. Sie sucht, anders als ihre Enkel, Hannas Ohr.


    Ole und Hanna verlieben sich ineinander, ein Grund, einerseits gemeinsam zu recherchieren, andererseits gefährlich, in Hinblick auf mögl. Entdeckungen zur Vergangenheit von Oles Großvater. Hanna ist nur zu Gast, macht hier eine Beziehung überhaupt Sinn? Wollen sich die beiden nur auf eine Ferienromanze einlassen?


    Eva Völler erzählt die Handlung, verteilt auf die Tage von Hannas Aufenthalt. Wir sind dabei, wenn Hanna Luises Tagebuch liest und die Videointerviews mit Sabine führt. Diese Einschübe sind in anderen Schriftarten dargestellt, das ist wichtig. Luise ist eine mitfühlende und somit bei den Kurkindern beliebte „Tante“. Sie ist unglücklich über die Art des Umgangs mit den kleinen Gästen und eckt natürlich damit bei der Heimleitung an. Tante Angela nimmt z.B. den Kindern ihren Vornamen, sie nummeriert sie nach der Größe und sie sollen sich nur noch die Zahl merken. Wie kleine Sträflinge, gut erkennbar an ihren gestreiften Mützen, werden sie über die Insel spazieren geführt. Der vermeintliche Spaß am Meer, das Buddeln im Sand, kommt viel zu kurz.


    Mir gefällt das Buchcover von „Der Sommer am Ende der Welt“ sehr gut, ABER es zeigt eine Szene, wie sie im Buch nicht vorkommen kann. Das Mädchen trägt private Kleidung, in der Villa Aurelia war jedoch nur Slip und Socken (1 x Woche!) eigene Kleidung. Alle Kinder tragen Einheitskleidung. Die private Garderobe wird geschont und sauber wieder mit nach Hause genommen.


    Vor zwei Monaten wurde „Am Meer ist es schön“ aus der Feder von Barbara Leciejewski veröffentlicht. Nun hat auch Eva Völler einen Roman mit dem Aufhänger Kinderverschickungsheime geschrieben. Beide Autorinnen lese ich gern und auch das dunkle Nachkriegskapitel der Kinderkuren am Meer interessiert mich. Auch meine Mutter war zur Kinderkur und hat Schlimmes davon berichtet.


    Beide Romane sind unterschiedlich und das ist gut so. Ich finde es immer schade, wenn zwei Personen unabhängig voneinander zum Herzensthema recherchieren und irgendwann feststellen, dass ein weiteres Buch, rund um die eigene Veröffentlichung, in den Buchhandlungen landet. Autoren haben ihre Fans, aber die anderen Käufer müssen über Cover und Klappentext sich angesprochen fühlen und sich dann entscheiden. Gut, dass durch diese Romane das dunkle Thema der Kinderkuren eine Leserschaft erreicht.


    Für mich wurde in Barbara Leciejewskis Roman sehr viel eindrücklicher und bedrückender der Alltag der Verschickungskinder geschildert. Eva Völler hat in ihrem Buch noch einen anderen wichtigen Schwerpunkt verfolgt. Wie kam es dazu, dass die Heimleitungen so mit den Kindern umgingen? Diese Generation hatte den zweiten Weltkrieg miterlebt. Dort wurden Menschen auch zu Handlungen gezwungen, manche wurden zu Tätern und vor Gericht gestellt, andere bauten sich eine neue Existenz auf und waren der Gefahr von Erpressung ausgesetzt.


    Beide Romane haben mir sehr gut gefallen. Bei Barbara Leciejewskis Werk hat mir die Gegenwartshandlung nicht so gut gefallen. Bei Eva Völlers Buch hat mir jede Seite gefallen, einzig hatte ich Probleme bei der Schilderung von Hannas Flashbacks.


    Eva Völler hat sehr viel Handlung in ihrem spannenden Buch auf den 400 Seiten untergebracht. Sie hat sich nicht verzettelt. Geschickt und abwechslungsreich führt sie alles am Ende zusammen. In Nachwort erläutert sie, warum ihr das Schreiben dieses Romanes auch ein persönliches Anliegen war.

    Manche Bücher müssen gekostet werden, manche verschlingt man, und nur einige wenige kaut man und verdaut sie ganz.
    (Tintenherz - Cornelia Funke)