Später Erfolg
Erst wenige Tage lag die Veröffentlichung ihres jüngsten Buchs mit dem Titel "Luft zum Leben: Geschichten vom Übergang" zurück und gestern Abend schien es beinahe so, dass die mittlerweile 85-jährige Autorin ihre Zeit bis zum Übergang arbeitsreich und intensiv nutzen wolle und sich deshalb Lesungen nahtlos an den Erscheinungstermin anschlossen.
Bereits im Vorhinein wusste ich um die ausverkaufte Veranstaltung im Hamburger Literaturhaus und obwohl ich überpünktlich zur Lesung eintraf, fand ich nur noch einen freien Platz unter einem von zwei geschmückten Weihnachtsbäumen. Nach kurzem Ablegen besorgte ich mir schnell ein Buch und die neue Inhaberin der Buchhandlung wies mich auf die im Anschluss an die Lesung stattfindende Signierrunde mit dem Hinweis hin, dass Helga Schubert im Unterschreiben Übung haben dürfe, da sie in Berlin an die 200 Bücher nach einer Lesung signiert hätte.
Den Abend eröffnete die neue Leiterin des Literaturhauses Dr. Antje Flemming mit einer liebenswerten Erinnerung an einen Besuch im Garten Helga Schuberts im vergangenen Jahr, ein Geschenk von Flemmings Freundinnen anlässlich ihres 50.Geburtstags, bei dem auch die Moderatorin des Abends, Natascha Geier, anwesend war.
Entgegen meiner Erwartung wurde in den folgenden anderthalb Stunden tatsächlich mehr geplaudert als gelesen und Helga Schubert erklärte freimütig, dass Natascha Geier an diesem Abend das Heft in den Händen halte und die Moderatorin die Bestimmerin über die Textauszüge sei.
Ausgehend vom Vorwort führte die Autorin in die unterschiedlichen Texte und deren zeitliche Entstehung ein. Am Anfang stand ein später vorgetragenes Gedicht, das Bezug auf Schuberts ersten Ehemann nahm, der sie betrog und den sie später mit ihrem Sohn im Kleinkindalter verließ.
Stand zuvor noch die Idee einer Flucht in den Westen im Raum, so kam für Helga Schubert eine Flucht nach der Trennung nicht mehr in Frage. Von Bedeutung sei für sie allerdings immer eine finanzielle Unabhängigkeit gewesen. Ihr Beruf als Psychologin hätte sie nicht nur ausgefüllt, sondern auch unabhängig gemacht und ihr das Schreiben ermöglicht, das sie seit jungen Jahren tagtäglich praktiziere.
Auch ihr zweiter Ehemann spielte in ihrem Leben eine Rolle, eine größere, wie schnell klar wurde. Bis zu seinem Tod im vergangenen August pflegte Helga Schubert ihren hochbetagten demenzkranken Mann, was der Bachmannpreisträgerin und in der DDR gemiedenen Schriftstellerin kaum Zeit ließ, noch produktiver zu schreiben, da sie nach eigenen Worten die Lebensversicherung für ihren Mann gewesen sei und sie sich immer in seine Situation versetzt habe.
Der Klagenfurter Wettbewerb, die Haltung der Parteifunktionäre zur Teilnahme von DDR-Schriftstellern daran und auch die Rolle der ostdeutschen Verlagslandschaft mit ihren systemtreuen Verlagsverantwortlichen nahmen in den Erzählungen an diesem Abend einen erheblichen Raum ein.
In einer weiteren Geschichte ging es um eine der Großmütter der Autorin. Beide Frauen hätten im Leben Helga Schuberts eine wegweisende Rolle gespielt und im Hinblick auf weitere drei Buchverträge verriet sie, dass es in einem der Bücher auch um die Frauen in ihrer Familie gehen werde.
Am Ende dieser Lesung mit vielen humorvollen, klugen und zuweilen ausschweifenden Anekdoten wirkte Helga Schubert keinesfalls müde und schloss mit Blick auf ihre DDR-Vergangenheit mit den Worten: "Wie soll man das alles ohne Humor ertragen? Das ist doch irre, da wird man verrückt."
Neben vielen anderen stand ich später in der Reihe der Leser, die sich ein Buch signieren ließen. Als die Dame vor mir in der Reihe gegenüber Helga Schubert gestand, den Spiegel Bestseller Aufkleber entfernt zu haben, verriet die Autorin nicht ohne Stolz, dass "Luft zum Leben" bereits jetzt in der 6.Auflage erhältlich sei.