Der Büchereulen-Adventskalender 2025

Die tiefgreifenden System-Arbeiten sind soweit abgeschlossen. Weitere Arbeiten können - wie bisher - am laufenden System erfolgen und werden bis auf weiteres zu keinen Einschränkungen im Forenbetrieb führen.
  • Der 1. Dezember von Tom


    Weihnachten auf Chinesisch


    Mendy müsste eigentlich längst Ursu an der Kasse ablösen, aber wenn noch einmal beim Glücksrad die goldene Winkekatze kommt, kriegt sie zehn Prozent Rabatt extra auf die Projektionslampe mit rotierendem Weihnachtsmotiv, die sich wunderbar auf Leons Nachttisch machen würde. Okay, die Lampe kostet sowieso nur sieben neunundfünfzig, was ein unfassbarer Preis ist, aber mit weiteren zehn Prozent Rabatt wären es weniger als sieben Euro, und dann würde sie vielleicht gleich zwei davon kaufen und dabei fast einsfünfzig sparen.

    Auf den Fotos sieht die Lampe voll schick aus.

    Während das Glücksrad noch rattert, ertönt zum dritten Mal die Ansage, und dieses Mal ist die leise Wut von Jutta Kritschek, der Marktleiterin, nicht zu überhören. „Frau Meier bitte an Kasse drei.“

    Fast gleichzeitig erklingt eine Melodie, die Winkekatze erscheint und winkt fröhlich los, außerdem fliegen sternförmige Konfetti über den Smartphone-Bildschirm. Mendy hat nicht nur die zehn weiteren Rabattpunkte gewonnen, sondern eine einmalige Chance auf den völlig echt wirkenden, siebzig Zentimeter hohen, künstlich beschneiten, beleuchteten und vollständig geschmückten Weihnachtsbaum aus Kunststoff für nur vierzehn neunundvierzig, der regulär fast dreißig Euro kostet und super auf der Kommode im Flur aussehen würde, und außerdem dürfte sie jetzt noch dreimal am Glücksrad drehen. Dreimal! Dabei könnte sie vielleicht sogar ... aber plötzlich steht die Kritschek neben ihr. Vor Schreck fällt ihr das Handy beinahe ins Waschbecken.


    Weil sie etwas Arbeitszeit ranhängen musste – die Marktleiterin war echt kurz davor, Mendy rauszuwerfen, und das drei Wochen vor Weihnachten –, hat Mendy den Bus verpasst und muss laufen, weil der nächste Bus erst in dreißig Minuten kommt und Harry in einer Dreiviertelstunde zu Hause ist, und wenn dann noch nicht der Abendbrottisch für ihn gedeckt ist, dreht Harry am Rad, aber an einem ohne Winkekatze. Mendy muss bei dem Gedanken lächeln. Zum Glück sind es nur knapp zwanzig Minuten zu Fuß, aber es schneit, und zwar diese dicken, nassen, schweren Flocken, und Mendy hat weder eine Kapuze an der Jacke, noch eine Mütze dabei, und einen Schirm sowieso nicht, den könnte sie kaum halten mit den vier Einkaufstüten in den Händen. Ihre Haare werden nachher aussehen als wenn sie versuchte hätte, sich einen Afro zu machen. Und der Shopping-Abend bei Ela geht schon in einer Stunde los, da wird sie es kaum noch schaffen, sich die Haare zu machen.


    Flo und Leon sind nicht zu Hause, also sind sie unten bei Juli und Ben oder oben bei Finn, denn ihre Telefone liegen in der Ladestation auf der Kommode, und das Haus würden sie ohne die Handys niemals verlassen. Mendy räumt rasch die Tüten aus und die frischen Sachen in den Kühlschrank, schneidet Brot, Wurst und ein bisschen Gemüse für Harry auf, stellt die Bierflasche neben das Glas und legt den Öffner quer vor den Teller, dann will sie ins Bad, um zu schauen, was bei den Haaren zu retten ist, da klingelt es an der Tür. Sie wirft einen gehetzten Blick auf ihr Handy, obwohl sie die Zeit vor wenigen Augenblicken abgelesen hat, denn sie ist natürlich ununterbrochen online, auf TikTok, in der WhatsApp-Gruppe von Ela, aber parallel auch in der Tschiangdao-App, wo eigentlich gleich die heutigen, streng limitierten Superspar-Überraschungs-Weihnachtsangebote kommen müssten, aber das könnte natürlich der Paketbote sein, und den darf sie auf keinen Fall verpassen.


    Er ist es. Sie versteht den kräftigen, schwitzenden, glatzköpfigen Mann mit den riesigen Ohren nicht und er sie ebenso wenig, denn er ist irgendwie Russe oder so und kann kein Deutsch und nur ein paar Brocken Englisch. Er ist gerade dabei, den Stapel aus purpurfarbenen Paketen mit dem Tschiangdao-Logo (einer weißen Maske) wieder anzuheben, als Mendy die Tür öffnet, also lässt er die Kartons einfach fallen, holt das Unterschriftsding aus seiner Brusttasche und hält es Mendy wortlos entgegen. Noch während sie unterschreibt, zieht er das Gerät weg und poltert die Treppe runter, und der Einfachheit halber geht Mendy ins Treppenhaus und schiebt den Paketestapel mit den Füßen in die Wohnung. Sie hat ein bisschen den Überblick verloren, aber da könnten die Lichterketten drin sein, das Einweg-Weihnachtsgeschirr, die drei megacoolen Bastelsets (Ela wird Augen machen – die hat nämlich keines mehr abbekommen, obwohl sie Platinstatus bei Tschiangdao hat!), die Bettwäsche, die Weihnachts-Schlafanzüge und die vier oder fünf nachgemachten Legosets für die Jungs, die es zwar hassen, wenn die dämlichen Klemmbausteine nicht original sind, aber erstens ersticken sie sowieso in dem Zeug und wollen trotzdem immer mehr davon, und zweitens kostet das bei Tschiangdao nur ein Fünftel von dem, was es bei Lego kosten würde, aber wenn es aufgebaut ist, sieht man null Unterschiede, das sagt sogar Flo.

    Sie bugsiert die Kartons zu den anderen, die noch nicht ausgepackt sind, in die Speisekammer, damit ihr Mann sie nicht sieht, weil der ihr sonst den Kopf abreißt. Er versteht das echt nicht, aber alleine mit den Sachen in diesen fünf Paketen hat sie ihnen über zweihundert Euro gespart. Sie ist mit sich zufrieden, als sie die Speisekammertür zugedrückt hat – eine Tür, die Harry definitiv niemals öffnet.


    Auf dem Weg zum Bad wirft Mendy einen Blick aus dem Flurfenster in den Hof. Die beiden großen, blauen Tonnen quillen natürlich schon wieder über, aber Abholung ist erst in vier Tagen, und in diesem Augenblick kommt Ela in den Hof. Sie trägt einen Haufen in Stücke gerissener, purpurfarbener Kartons, das ist gut zu erkennen. Ela bleibt vor den Tonnen stehen, aus denen die gleichfarbigen Pappteile herausragen, als wenn es schnellwachsende Pflanzen wären und die Tonnen Pflanzgefäße. Ela schaut sich kurz um, lässt dann den Stapel einfach neben die Tonnen fallen und hastet zurück zur Hoftür. Mendy muss lächeln. Das hatte sie auch schon mal im Sinn, aber die Adressaufkleber von Tschiangdao kriegt man kaum abgepopelt, also steht auf irgendeinem der Pappreste mit Sicherheit Elas Name, und wenn Ergün, der Hausmeister, das sieht, geht das sofort weiter an die Hausverwaltung. Vermutlich ist Ela inzwischen auch dieser Gedanke gekommen, denn sie stiefelt wieder in den Hof, sammelt die jetzt nassen Kartonabfälle ein und stapft damit zurück zum Haus, wahrscheinlich in Richtung Keller. Mendy winkt sicherheitshalber, aber Ela schaut nicht hoch.


    Wie spät es wohl ist? Wo hat sie nur ihr Telefon? Aber sie hat ja eine Armbanduhr, eine kleine goldene, die auch fast echt aussieht, wenn man nicht zu nahe rangeht. Harry hat die Nase gerümpft, als er die gesehen hat, weil das keine gute Qualität wäre, eher im Gegentum, wie er so sagt, und vermutlich würde sie auch nicht genau laufen, womit er recht hat, doch Mendy hat sie ja nicht wirklich fürs Uhrzeitablesen gekauft, aber Harry war wohl auch sauer, weil er ihr eigentlich eine schicke Uhr aus dem Laden schenken wollte, in dem er arbeitet. Er nörgelt in letzter Zeit viel über sowas, der Spielverderber, außerdem spart Mendy für sie alle eine irre Menge Geld – Geld, das sie brauchen können, wenn sie im neuen Jahr den Vertrag für das Haus unterschreiben wollen, und da macht es auch nichts, wenn es zwei Wochen dauert, bis die Pakete ankommen, jedenfalls die, die es durch den Zoll schaffen. Wobei. Bis wann kann sie eigentlich noch bestellen, damit die Sachen rechtzeitig noch vor Weihnachten da sind? Dieser russische Paketbote kommt immerhin bis zehn Uhr abends, aber irgendwann wird das nicht mehr zu schaffen sein, oder? Das muss sie Ela gleich mal fragen.


    Sie entscheidet sich für einen Zopf und das Glitzerhaarband, obwohl das ein bisschen komisch riecht, genau wie das Lipgloss, das außerdem ganz schön klebrig ist und ihre Haut austrocknet, aber ihre Lippen sehen damit viel voller aus und glänzen echt lange. Mendy will gerade zur Tür rausstürmen, sendet die WhatsApp-Statusnachricht an die Jungs und checkt einen Wimpernschlag später, ob die Superspar-Überraschungs-Weihnachtsangebote schon in der Tschiangdao-App sind, und dabei prallt sie mit Harry zusammen, der draußen steht und seine Wohnungsschlüssel anschaut, als wüsste er nicht genau, wozu man die benutzt. Er schaut auf, dann wieder auf die Schlüssel und auf die große Tüte in seiner Hand, eine Tüte mit dem Logo des Kaufhauses, in dem er arbeitet, wo er sogar Abteilungsleiter ist. Mendy will ihn küssen und ihm erklären, dass sie zu Ela zum Shopping-Abend geht, vielleicht das letzte Mal vor Weihnachten, eine echte Supergelegenheit, aber dann sieht sie, dass er zu weinen beginnt.

    „Wir schließen“, sagt Harry und atmet zitternd aus. „Gleich nach Weihnachten.“

  • Der 2. Dezember von Dorit


    Ich hab ja nein gesagt…


    „Was soll das?“, fragte mich meine Freundin. Ihr verärgerter Tonfall sagt mir, sie meint es ernst. Ich habe es wieder getan. Natürlich hätte ich es sein lassen können, aber da war etwas in mir, das mich zu dieser Tat gedrängt hat: Meiner Freundin ein Geschenk machen. Und dabei ist es egal, ob zu Weihnachten, zum Geburtstag oder einfach mal so zwischendurch.

    „Du weißt doch, dass ich das nicht mag!“ Meine Freundin meint nicht mein Geschenk an sich, sie meint das Beschenktwerden. Ihr Blick ist unerbittlich und mir wird klar, dass es eigentlich nur einen Menschen gibt, der sich mit diesem Geschenk einen Gefallen getan hat, und der war ich im Moment des Kaufes.

    Behutsamer geht da schon meine Kollegin vor, die mich vorsichtshalber fragt: „Was wünschst du dir?“ Sie besucht mich des Öfteren spontan zum Kaffee und möchte mir etwas Gutes tun. „Ein heiles Kabel für meine Kopfleuchte wäre super“, erwidere ich. Ihr Blick wird traurig. Mein Wunsch enttäuscht sie. „Ach … ich würde dir lieber was Schönes schenken.“

    Aber das ist doch schön, denke ich und schweige.

    Einen Tag später bekomme ich dann eine Packung Merci von ihr, weil eine andere schon in meiner Anrichte lag und wohl den Eindruck erweckte, gemocht zu werden. Allerdings lungert sie dort schon seit Monaten herum, weil sie niemand essen will. Nun sind die beiden Schachteln zu zweit.

    Das mit dem Schenken ist nicht einfach. Neulich unterhielt ich mich mit einer Bettlerin über das Thema. „Magst du diesen Becher Kaffee und die Tüte Trockenfrüchte?“, flüstert sie mir zu. „Die habe ich gerade bekommen, aber ich vertrage gar keinen Kaffee und die Aprikosen sind nicht gut für meine Zähne“. Unsicher blickt sie sich um, ob die Geberin noch irgendwo in der Nähe ist. „Ich hab´ ja nein gesagt, aber die Frau hat gemeint, ich solle nicht so schüchtern sein.“

    Meinen Kaffeedurst hatte ich zu Hause schon gestillt, aber ihre Tüte nahm ich gern an, denn ich mag Aprikosen gern, und habe mich sehr gefreut, obwohl ich sie mir gar nicht gewünscht hatte.

  • Der 3. Dezember von Michael Höfler


    Baumhaare und Haarbäume


    Haarige Wortspiele halten die verkopfte Profession der Haarbeschneidung im Schwitzkasten. Aber festliche Weihnachts-Frisuren entstehen nicht durch hairbeigezoge Bilder, sondern durch haargenaue Beschreibungen. Der frisurtragende Kopf fungiert sogar als Weihnachtsbaum fürs ganze Jahr, denn von der Opolenz von Strähnchen, Klammern, Reifen und Diademen könnte manch Weihnachtsbaum noch etwas lernen. Dabei reden wir noch

    nicht über Extensions, Pferdeschwänze und Wasserfallzöpfe.


    Wir reden über eine Frau, einen Mann wie einen Baum. Über Haarkugeln, Baumkämme und die längere Haltbarkeit durch Einsprühen. Wir reden aber auch über die Chancen, die Baum und Haar trotz Vergänglichkeit bleiben. Über Mittel, um brüchig gesprühte Strähnen, Schütter-Haar und teilbenadelte Baumgerippe gleichwohl festlich zu gestalten. Am Restbestand sehen Weihnachtskugeln und Holzfiguren nicht aus; und doch lässt sich das Nadelhaar in goldene Mikroringe hüllen, in Kristallstäbchen, Spiral-Ornamente und Schokoröllchen. Für die Lücken wurde neulich Streuhaar erfunden. Wie Schneeflocken legt es sich auf Haarinseln, und grünes Streuhaar dient als selbstklebender Nadelersatz. Bliebe noch über Einzelhaar- und Einzelnadel-Schmuck zu reden. Aber nicht in diesem Jahr.

  • Der 4. Dezember von Paradise Lost


    Das Weihnachtsfest des alten Königs


    Der alte König öffnet langsam seine Augen. Es dauert, bis die Umrisse sich zu klaren Bildern formen. Sein Bart ist lang und weiß, seine Glieder starr. Vorsichtig hebt er den Kopf und schwerfällig setzt er sich auf. Viele Jahre sind an ihm vorbeigegangen, viele Winter. Und viele Menschen hat er kommen und gehen sehen. Seine Gedanken kreisen. Heute ist ein besonderer Tag. Er muss seine Pflichten wahrnehmen. Die Gäste kommen von fern und nah.


    Er erhebt sich, schreitet durch die steinernen Hallen seiner Festung. Seine Schritte hallen von den Mauern wider. Goldgerahmte Bilder seiner altehrwürdigen Familie zieren die Wände und berichten in von Fackeln erleuchteten Farben von ihrer Geschichte. Glänzend geputzte Rüstungen flankieren den Weg. Geräusche dringen an sein Ohr, Gerüche locken. Das Festmahl und die großen Feierlichkeiten, die seit Wochen vorbereitet wurden, sie beginnen endlich und sollen mehrere Tage andauern. Er folgt den Klängen zur großen Festhalle.

    Welch eine Pracht erwartet ihn dort.


    Die Halle ist geschmückt mit immergrünen Girlanden, wertvolle rote Bänder durchwirken die Zweige, festlich mit Schleifen verbunden. Misteln schützen vor dem Bösen und bringen Glück, vielleicht sogar Liebe. Die schönsten Wandteppiche waren frisch gesäubert und aufgehangen worden. Das zentrale Herzstück des Raumes ist der große getäfelte Kamin aus dunklem Edelholz. Ein großes Feuer brennt dort und verbreitet köstliche Wärme.

    Die schweren Kronleuchter, allesamt mit weißen Kerzen vollbestückt, lassen ihr Licht erstrahlen und blitzen auf all der Zier in der Halle.


    Goldene Becher voll gesüßtem Wein, silberne Platten auf denen Wild und Geflügel hereingetragen werden, gefüllt mit Gemüsen, Maronen und erlesenen Gewürzen. Die große gedeckte Festtafel verschwindet immer mehr unter den reichhaltigen Speisen.

    Die Augen des Königs wandern weiter, über Brokat, Goldfäden, Samt und Seide. Jeder hat ein Festtagsgewand angelegt. Fürsten aus dem ganzen Reich sind erschienen, haben Geschenke mitgebracht und fügen sich in die stetig wachsende Menge der Gäste. Prüfend mustert er die aufgefahrenen Speisen. Ist auch alles da? Wurde der Pudding nicht vergessen? Die kandierten Früchte? Er blickt zur Küche. Aber nein, dort kommen die Diener mit noch mehr Platten und Schüsseln. Es wird sein wie immer. Ein großes Fest, alle werden glücklich sein. Zu späterer Stunde geht man in die Messe in die Burg-Kapelle. Um zu danken für all das Glück. So wie immer.


    Der König schreckt auf. Er muss länger in Gedanken versunken gewesen sein, denn als sein Blick sich wieder auf die große Halle richtet, sind die Speisen abgetragen und eine freie Fläche zum Tanzen wurde geschaffen. Die Musiker spielen fröhliche Weisen und die Gäste, von Wärme, Wein und gutem Essen schon etwas errötet, sammeln sich zu Reigen. Er lächelt, als ihm ein tanzendes Paar ins Auge fällt, das besonders erstrahlt und heraussticht aus all dem Glanz. Eine Frau mit kastanienfarbenem Haar, gekleidet in grünen, golddurchzogenen Samt. Ihre Hand hält ein stattlicher Mann mit schwarzem Haar und Bart, seine Gewänder sind kostbar und zeugen von hohem Stand. Der Blick der Beiden. Glück, Liebe, Vertrauen. Ist dies nicht das kostbarste von allem?


    Ein kalter Luftzug fährt durch den Gang. Der König fröstelt. Aber er kann sich nicht von den beiden wenden. Der Anblick rührt an sein Herz und doch kann er nicht sagen warum. Kennt er sie? Er versucht ihre Gesichtszüge besser zu erkennen, doch immer wieder verschwimmen sie vor seinen alten Augen. Die Lichter, der Glanz, die Pracht überall, es macht ihn schwindelig. Er muss einen Moment die Augen schließen, nur einen kleinen Moment. Die Musik wird leiser. Als er die Augen wieder öffnet, sieht er nur noch einen vagen Schatten. Er weiß es jetzt. Das glückliche Paar. Seine Königin. Er. Es war ihr schönstes Fest. Er hat sich geschworen, es niemals zu vergessen. Als er nun um sich blickt, ist alles verändert. Die Mauern sind kahl und kalt. Kein Licht, keine Wärme strahlt durch den Saal. Wind pfeift durch das morsche Gebälk und Schnee bedeckt die Fensterbänke, auch den Boden, wo das Dach undicht ist. Teppiche und Fahnen sind fadenscheinig, manche zerrissen, in den Gängen verteilt. Die alte Festung liegt still, Glanz und Größe vergangen.


    Ein tiefer Seufzer entringt sich der Brust des Alten. So ist es also auch in diesem Jahr. Wie seit vielen hundert Jahren. Leere, Kälte. Er wandelt allein, durch die Hallen aus Stein. Blickt durch die unverhangenen Fenster. Lichter in der Ferne. Vielleicht andere Festungen. Er ersteigt mühevoll die Turmtreppen. Er spürt ein Gewicht, das an ihm zieht, das seine Schritte verlangsamt. Oben auf der Zinne späht er hinaus ins Land. Die Wälder sind vom Schnee bedeckt. Lichter dazwischen, wo Ortschaften sind, Kirchen, große Gebäude die er nicht kennt. Er weiß, dort sind andere. Ob auch sie allein sind? Erschöpft? Das Tageslicht dunkelt bereits. Und auch seine Zeit neigt sich dem Ende zu. Für ein weiteres Jahr. Er will sich bereits abwenden...


    Doch plötzlich: Der König horcht auf. Musik dringt wieder an sein Ohr. Es verwirrt ihn. Spielen seine Erinnerungen ihm wieder Possen? Er neigt den Kopf, lauscht. Ihm fällt auf, dass die Zugbrücke herabgelassen ist. Das erste Mal seit ungezählten Jahren. Die Ketten, die den Durchgang versperrten, wurden gelöst und singen nicht mehr verloren im Wind. Im Innenhof der Festung stehen zu seiner Überraschung nun kleine Hütten aus Holz und Tuch. Umwickelt mit Immergrün und roten Bändern. Lichter umrahmen sie. Als wäre ein kleines Dorf erschienen, oder ein Markt. Dampfwolken steigen von manchen der Hütten auf und er riecht kandierte Früchte, Gebratenes, gewürzten Wein. Und da sind die Musiker. Sie spielen auf Posaunen feierliche Lieder. Überall sind Menschen, in und vor den Hütten. Kinder rennen herum, freuen sich und lachen, bunten Tand schwingend.


    Der König spürt eine Wärme in sich, die er seit so vielen Jahren vermisst. Die Menschen haben das Leuchten in den Augen, das auch er kennt. Darf er tatsächlich wieder an einem Weihnachtsfest teilhaben? Nach so langer Zeit. Die Schwere weicht langsam von ihm. Eine ganze Weile lang steht er so da, betrachtet die Gäste, lauscht und ist verzaubert von dem lebendigen Treiben zu seinen Füßen.

    Schließlich läutet eine Kirchenglocke in der Ferne zur Messe.

    Der König fühlt eine Leichtigkeit in sich aufsteigen, die ihm unbekannt ist.

    Ein Lächeln mildert seine verhärmten Züge. Sein Wunsch wurde ihm gewährt. Er ist glücklich.


    Ein Licht durchleuchtet jäh die Nacht. Der Geist des alten Königs schließt geblendet die Augen und kann das Licht trotzdem noch sehen. Es wird heller und immer heller, bis er selbst vollkommen davon eingehüllt ist. Gefühle durchfluten ihn: Zufriedenheit, Dankbarkeit, Erleichterung. Es ist an der Zeit. Endlich.


    Als das Licht verblasst, ist der alte König verschwunden.

  • Der 5. Dezember von bonsaispitzen


    Das Weihnachtsmäuschen


    Es war einmal eine kleine Maus,

    die putzte im Dezember ihr ganzes Haus

    um es zum Entzücken

    der Gäste dann zu schmücken.


    Bunte Kugeln, gross und klein,

    glänzten da im Lichterschein,

    von tausend kleinen Sternen

    und winzigen Laternen.


    Für den Duft sorgten Tannenzweige,

    die Grille spielte dazu Geige,

    Zimt und Kardamom stiegen in die Nasen,

    würzige Lebkuchen für den Hasen.


    Sie buck und packte unzählige Geschenke,

    zum Zeichen, dass sie an alle denke.

    Das hielt sie auf Trab, knapp war die Zeit,

    denn Weihnachten war nicht mehr weit …


    Dann kam der grosse Tag und alles war fein;

    erschöpft schlief unser Mäuslein ein.

    Ihre Gäste sahen es schlafend sitzen

    und schlichen davon auf Zehenspitzen …

  • Der 6. Dezember von mazian


    Weihnachten im LKW


    Nun war es also soweit. Ich würde mein erstes Weihnachtsfest weg von zu Hause in meinem LKW verbringen. Als in unserer WhatsApp Gruppe die Frage nach Verfügbarkeiten zum Jahresende aufkam war für mich die Sache klar. Ich arbeite Weihnachten und habe dafür Silvester frei. Mir ist es doch gleich, ob ich Weihnachten allein zu Hause, oder allein im LKW - meinem zweiten zu Hause - verbringe.


    Heute, am 23. Dezember, lief es echt gut. Ich bin gegen 20 Uhr in Mâcon angekommen, und auch das Liefern ging recht schnell. Meine 45 Minuten Lenkpause habe ich an der Laderampe gemacht. Ich lag wirklich gut in der Zeit und würde gegen 22 Uhr an meinem nächsten Ladepunkt, einem Lager der STG in Villars les Dombes, ankommen. So zeitig war ich noch nie dort.

    Beladen werden sollte ich morgen und am 25. Dezember spät Abends, also gegen 22 Uhr, könnte ich dann meine Lieferfahrt ins Pariser Umland starten.

    Mit dem Direktor des Lagers war alles geklärt, ich durfte die zwei Tage auf dem Gelände stehen, wäre eben nur mal wieder allein mit dem Mann von der Security. Die Organisation an Feiertagen ist dort die Gleiche, wie an Wochenenden. Am 24. Abends gegen 19 Uhr wird das Gelände und die Gebäude geschlossen und die Mitarbeiter kommen erst am Folgetag spätabends wieder. Zugang zu Toilette, Dusche und Kaffeeautomat hätte und habe ich trotzdem. Mehr brauche ich auch nicht.


    Ich war schon sehr oft in Villars laden und habe so meinen Ablauf. Ich fahre auf den Hof, parke den LKW, koppel die Zugmaschine vom Auflieger ab - der steht in seiner Parkbucht und wird bei Bedarf dann von einem Mitarbeiter in einer ihrer Zugmaschinen an die Laderampe manövriert - und parke meine Zugmaschine etwas abseits am Rand. Ich hab dort echt meine Lieblinghaltestelle für die Zugmaschine. Der erste Platz direkt nach der Feuerwehrzufahrt. Auch heute war dieser, mein, Platz frei. Noch schnell meine Arbeitszeit und gefahrenen Kilometer aufschreiben und danach geh ich ins Büro, um mich für meine Ladung anzumelden. Die Mitarbeiter dort sind echte Perlen. Egal, ob man tagsüber, oder in der Nacht auftaucht, die sind immer freundlich und gut gelaunt. Nach einem kurzen Plausch verschwinde ich wieder zu meinem LKW um zu Abend zu essen. Für morgen werde ich mir trotzdem einen Wecker stellen. Damit ich am Vormittag noch einkaufen gehen kann. Ein bisschen festliches Essen sollte es an Weihnachten schon sein.

    Nach dem Essen eule und lese ich ein wenig und schon fallen mir die Augen zu.


    Es ist der 24. Dezember und nach dem Aufstehen gehe ich erstmal einen Kaffee trinken und duschen. Im SuperU neben an kaufe ich mir ein paar Leckereien für mein Festessen. Stopfleber, Lachs, Mousse au chocolat, Brot und eine kleine Flasche Rotwein. Viel mehr brauche ich nicht für heute Abend. Mittags gehe ich im Ort was essen und wenn ich wieder ans Lager komme, trinke ich noch schnell einen Kaffee.

    Gerade, als ich am Kaffeeautomaten stehe kommt Michel, ein Mitarbeiter des Dispatching und ich biete auch ihm einen Kaffee an. Michel war einer der ersten Mitarbeiter dort, die ich kennen gelernt habe und wir quatschen gern miteinander. Er fragt mich, wann ich starte und ich sage ihm, dass ich heute und morgen hier stehe und dann morgen Nacht losfahre.

    Nach meinen Plänen für heute Abend fragt er mich auch. Dazu muss man wissen, dass hier in Frankreich der 24. Dezember, der so genannte “réveillon” wichtiger ist, als der Feiertag danach. Da wird richtig aufgetafelt und so ein Abendessen kann sich gut und gerne bis nach Mitternacht ziehen. Ich hätte mir Leckeres zum Abendessen besorgt und würde mir einen gemütlichen Abend machen, war meine Antwort.

    Das könne so nicht sein, meinte er und lud mich ein, den Abend mit ihm und seiner Familie zu verbringen. Auf meinen Einwand, dass das doch nicht so einfach gänge, schliesslich wäre der réveillon doch eine Familiensache, meinte er nur, dass er keine Widerrede dulden würde. In einer Stunde hätte er Schluss und dann könnten wir direkt starten.

    So kam es dann auch. Ich hab meine Leckereien eingepackt und mit zu ihm genommen. Denn so ganz mit leeren Händen wollte und konnte ich auch nicht dastehen.


    Michel hatte seine Familie wohl zwischenzeitlich von meiner Anwesenheit informiert und seine Frau Mathilde hat mich sehr offen und freundlich empfangen. Die Kinder Juliette und Laurent waren ein bisschen schüchtern und haben sich hinter ihrer Mutter versteckt.

    Da es noch recht früh war, sind wir ein bisschen durch Michels Wohnort und den anschliessenden Park spazieren gegangen. So konnten die Kinder toben und wir Erwachsenen konnten uns unterhalten und besser kennen lernen.


    Wieder zu Hause angekommen habe ich Mathilde in der Küche geholfen, die Vorspeisen zuzubereiten und Michel und die Kinder haben die Festtafel gedeckt, Kerzen angezündet und die Beleuchtung des Weihnachtsbaumes angemacht. Es sah richtig festlich im Wohnzimmer aus.

    Nun konnte der réveillon beginnen. Auf dem Tisch standen kleine Toast mit Stopfleber, Lachsschnittchen, Wiener Würstchen im Blätterteigmantel, Oliven und Käsewürfel. Wir hatten ja genug Zeit, uns an den Leckereien zu bedienen und unterhielten uns prächtig.

    Ich kenne ja die Weihnachtstraditionen in Frankreich schon ein bisschen, also habe ich erzählt, wie wir in Deutschland feiern. Welche Traditionen wir pflegen, was es dort an den Festtagen zu essen gibt. Ich habe von Weihnachtsmärkten und Glühwein in Deutschland geschwärmt und vergleiche zu Frankreich gezogen.

    Die Kinder sind ein bisschen spielen gegangen und wir konnten die Vorspeisen vom Tisch räumen und den Hauptgang auftafeln. Es gab Pute, grüne Bohnen im Speckmantel, Endiviensalat mit Walnüssen, gemischten grünen Salat, Prinzesskartoffeln und dazu eine sauleckere dunkle Sosse. Mathilde ist wirklich eine sehr gute Köchin.

    Zum Nachtisch gab es eine Bûche chocolat, also Schokoladeneis”torte”. Ich habe so gut gegessen, wie schon lange nicht mehr und auch unsere Gespräche waren schön und wir waren eine gesellige Runde.

    Zu sehr später Stunde durften die Kinder ihre Geschenke auspacken und haben sich über Spielzeug, Schokolade, Geld gefreut und haben gleich das Spielzeug ausprobiert.

    Wir Erwachsenen haben dann noch zusammen gesessen und uns unterhalten.

    Gegen zwei Uhr am Morgen sind wir dann schlafen gegangen und ich wusste, dieses Weihnachtsfest war eines der Schönsten der letzten Jahre und ich werde noch sehr lange an diesen Abend zurück denken.