"Der Tänzer" - Colum McCann

  • Titel der englischsprachigen Originalausgabe: Dancer
    Übersetzer: Dirk van Gusteren


    Zum Buch


    Dieses Buch nähert sich einem berühmten Mann mit den Mitteln der Kunst, also der Lüge und Invention. Und der Umschreibung: Der Mann ist der Tänzer Rudolph Nurejew, Lichtgestalt des modernen Balletts, kaum sichtbar in all seinem Glanz. Die Lebensdaten sind bekannt, doch McCann interessieren sie nur am Rande. Er lässt den Menschen vor dem Hintergrund seiner Zeit erstehen: diesseits und jenseits des Eisernen Vorhangs. Kalter Krieg und Erstarrung auf der einen, rauschendes Kultur- und Partyleben auf der anderen Seite. Wie in einem lyrisch choreographierten Tanz nähert McCann sich Nurejew, entfernt sich wieder, um ihn erneut zu finden, zu berühren: bei heimlichen Momenten der Vertrautheit mit Freunden; bei der Rückkehr zu seinen Eltern nach jahrelangem Exil, im Größenwahn, in der Einsamkeit. McCann verweilt bei den privaten, den sprechenden Szenen und spart das Gleißen des Ruhms nicht aus. Dies ist die Verwandlung einer Legende in eine greifbare Person durch die Mittel des Romans: poetisch, kraftvoll in Ausdruck und Bewegung, glanzvoll schillernd. Ein literarisches Meisterwerk.


    Zum Autor


    Colum McCann wurde 1965 in Dublin geboren. Er arbeitet als Journalist, Farmarbeiter und Lehrer und unternahm lange Reisen durch Asien, Europa und Amerika. Für seine Romane und Erzählungen erhielt McCann zahlreiche Literaturpreis, unter anderem den Hennessy Award for Irish Literatur und den Rooney Prize. Er ist verheiratet und lebt in New York.


    Meine Meinung


    Ich hab hin und her überlegt, ob ich das Buch unter „Biographien“ einsortieren soll, oder vielleicht lieber unter „Zeitgenössisches“. Klar, es geht um Rudolf Nurejews Leben und die wesentlichen Daten stimmen in etwa, aber der Autor schreibt selbst am Anfang „Dies ist ein Roman. Mit Ausnahme einiger Personen des öffentlichen Lebens, die ihre wirklichen Namen tragen, sind alle hier geschilderten Personen, Namen und Ereignisse frei erfunden.“ Ich hab mich dann aber doch für diese Kategorie entschieden.


    Das Buch beginnt mit einer Liste von Gegenständen, die bei einem Auftritt Nurejews auf die Bühne geworfen wurden und es geht weiter mit wechselnden (Ich-)Erzählern, fiktive Notizen und Tagebucheinträgen von Nurejev, Zeitungsausschnitten, Tagebuchausschnitte von zum Teil Personen, Ausschnitten aus Interviews, Kommentaren von Zeitgenossen, ein Todesurteil, das in seiner Abwesenheit gefällt wurde, Listen mit Dingen, die nach seinem Tod versteigert wurden.


    Im Vordergrund stehen weniger biographische Daten, sondern mehr der Mensch Nurejew. Es ist eine Art Collage, die nicht nur ein vielschichtiges Bild von Rudolf Nurejew zeigt, sondern auch – oder manchmal sogar mehr, von den Menschen, deren Leben an irgendeiner Stelle durch den Ballettänzer berührt wurde. Dabei wechselt der Sprache je nach Erzähler, und das bleibt sogar mal in der Übersetzung erhalten. Die Wechsel zwischen den einzelnen Erzählern erfolgen ohne Hinweis und ich hab sie oft erst nach ein paar Zeilen am Perspektivenwechsel und am veränderten Stil bemerkt. Die Sprache ist mal wunderschön und sehr poetisch und mal sehr vulgär, je nachdem, wer gerade erzählt. Das Buch hat mich total gefesselt und sehr berührt. Den Autor werde ich mir merken auf jeden Fall merken. :anbet


    Link


    http://de.wikipedia.org/wiki/Rudolf_Chametowitsch_Nurejew

  • Eine ganz tolle Rezension, Delphin, Du hast das Buch wirklich treffend als Collage beschrieben.


    Die Perspektivwechesl waren für mich gut nachvollziehbar, auch wenn ich nicht immer genau wusste, aus wessen Perspektive da gerade geschildert wird. Das Bild, was ich von Nurejew hatte, nämlich, dass er ein begnadeter Tänzer gewesen sein musste, hat sich verrückt. Das Bewundernswerte an ihm wurde in den Hintergrund geschoben und es kam ein anderes Bild nach vorn: Das Bild eines ehrgeizigen, egozentrischen Mannes, der nicht unbedingt nett war, aber auch seine schwachen Seiten hatte, speziell, wenn es um seine Familie und seine Vergangenheit ging.


    Von mir bekommt das Buch 7 Punkte, weil mich der Stil doch etwas gestört hat, was aber im nachhinein betrachtet gut zu dem Thema passt. So entstand eine Collage, die Nurejew wie durch ein Kaleidoskop zeigt.