"Ein Meer aus Zeit" - Merete Morken Andersen

  • Amazon-Kurzbeschreibung


    Ausgezeichnet mit dem norwegischen Kritikerpreis, übersetzt in zahlreiche
    Sprachen: Ein berührender Roman über das Lieben und das Abschiednehmen. Es ist Mittsommer in Norwegen. Die Tage werden länger, und auf den Wiesen grünt es. Eine Zeit der Hoffnung und des Neuanfangs. Doch nicht für das 16-jährige Mädchen Ebba, das sich soeben im Wald erhängt hat. Aus welchem Grund hat sie ihrem Leben ein Ende gesetzt? Ihre Eltern, seit langem geschieden, verzweifeln beinahe an dieser Frage. Hätten sie etwas merken müssen? Aufgewachsen ist Ebba in einem kleinen Dorf, am Waldrand in einer ruhigen Nachbarschaft. Am Vorabend der Beerdigung treffen sich ihre Eltern, Judith und Johan, zum ersten Mal seit Jahren. Sie teilen nicht nur ihre Trauer miteinander, sondern sind gezwungen, sich ihrer eigenen Vergangenheit zu stellen. Johan hat Judith und Ebba vor fast dreizehn Jahren wegen Minna, einer Bibliothekarin, mit der er ebenfalls eine Tochter hat, verlassen. Die scheue Judith hat nie wieder geheiratet, seit der Trennung auch keine Männerbekanntschaften mehr gehabt. Warum hat Ebba sich umgebracht? Judith und Johan finden Indizien, es gibt einen Abschiedsbrief und sogar eine unglückliche Liebe. Aber was haben sie selbst dazu beigetragen? Merete Morken Andersen hat einen beeindruckenden Roman über den Tod und unseren Umgang mit ihm geschrieben. »Ein Meer aus Zeit« ist voller trauriger Schönheit und Schmerz, aber auch von inniger Liebe und Mitgefühl durchdrungen.


    Mein Eindruck


    Das Buch schildert die Hintergründe, die zum Selbstmord der jungen Edda geführt haben, aus mehreren Perspektiven. Zunächst kommt der Vater zu Wort. Er hat Frau und Tochter verlassen und eine neue Beziehung begonnen, aus der wiederum eine Tochter hervorgegangen ist. Eindringlich (und nachvollziehbar!) schildert er die Chronologie der Beziehung von der ersten Verliebtheit über das Auseinanderleben bis zur - aus seiner Sicht - unvermeidlichen Trennung.


    Dann kommt die Mutter zu Wort. Sie kommentiert die Verhaltensweisen ihres Mannes. Der Leser ist hierbei im Vorteil, da er die gedanklichen Hintergründe des Vaters ja schon kennt, von denen die Mutter keine Ahnung hat. Schon diese "Doppelgleisigkeit" machte für mich einen Reiz dieses Buches aus.


    Schließlich geht es in "Echtzeit" weiter, wenn sich Vater und Mutter treffen, um den Ablauf der Beerdigung zu besprechen und dabei die Probleme aufzuarbeiten, die zur Trennung geführt haben.


    Nebenbei tritt dann auch noch der Freund des Mädchens auf, der sich eigentlich am Tage des Selbstmordes von ihr trennen wollte...


    Dann taucht noch ein Abschiedsbrief auf, der ein weiteres Kapitel des Buches bildet.


    Welche Gründe haben nun Edda zum Selbstmord motiviert? Letztlich gibt das Buch keine abschließende Antwort, sondern überläßt die endgültige Schlußfolgerung dem Leser.


    Es ist ein Buch, das zum Nach- und Weiterdenken anregt. Ich fand die unterschiedlichen gedanklichen Perspektiven von Mutter und Vater sehr eindringlich und nahegehend geschildert.


    Fazit: Sehr empfehlenswert!


    Grüße
    D.

    "Ein Tag ohne Lesen ist wie eine Sünde.
    Ein Tag ohne den Gang in die Wälder ist ein Versäumnis."
    Peter Handke, Schriftsteller

  • Endlich frei?


    Zum Inhalt:
    Die 16-jährige Ebba hat ihr Glas in die Spülmaschine gestellt, die Spülmaschine angeschaltet und sich dann im Wald erhängt. Sie nahm sich an der Stelle das Leben, an der sie als Kind oft gespielt hat. Ebbas Vater Johan ist auf dem Weg zu seiner geschiedenen Frau Judith, Ebbas Mutter. Sein Leben mit Judith und die gemeinsame Zeit mit Ebba ziehen in einem an seine Tochter gerichteten Monolog an Johan vorbei. Er ist auf der Suche nach Details, möchte alle, auch die banalsten Einzelheiten festhalten. "Ich werde erst Ruhe haben, wenn es mir wieder eingefallen ist." sagt der verwaiste Vater. Johan kreist geschwätzig um seine Erinnerungen, wiederholt sich, ist kaum zu stoppen. Wir erfahren zwar, wo bei Johan und Judith der Korkenzieher gelegen hat, aber kaum etwas über seine Gefühle. Johann will den Tod seiner Tochter noch immer nicht wahrhaben. Vor Johans innerem Auge entfaltet sich die Beziehung zwischen ihm, dem langweiligen Techniker, und der ehrgeizigen Orchester-Musikerin Judith. Es war eine komplizierte Beziehung mit ständigem Kampf um Abgrenzung, mit Wetteifern um die Zuneigung der kleinen Ebba, mit Bündnissen zwischen Vater und Tochter, zwischen Judith und ihrer dominanten, überaus kritischen Mutter. Johan hat Judith verlassen, mit Minna eine neue Familie gegründet und eine zweite Tochter Jennifer bekommen.


    Auch Judith spricht in ihrem Monolog zu Ebba, als sei sie noch am Leben. Judith hat ihre tote Tochter gesehen, darum hofft man zunächst, dass sie Ebbas Tod leichter akzeptieren kann als Johan. Judiths gedankliche und ausgesprochene Vorwürfe richten sich an Ebba, der sie nicht verziehen hat, dass sie sich in den Studenten Erland verliebte und an Johan, dem sie noch immer vorhält, dass er sie verlassen hat. Judith regrediert in ihrer maßlosen Trauer zum Kind. Dem Leser, der auf der Suche nach dem Motiv für Ebbas Selbstmord ist, wird Judith durch diese Darstellung nicht unbedingt sympathisch. Auch Erland und alle anderen, die Ebba kannten, bereiten sich innerlich auf die Beerdigung vor. Jeder lernt für sich, einige auch gemeinsam, Ebbas Tod zu akzeptieren. Für ihre dreijährige Schwester hat Ebba einen verschlossenen Brief hinterlassen, den Jennifer an ihrem 16.Geburtstag öffnen soll. Alle anderen, auch die Leser, bleiben mit ihren unbeantworteten Fragen zurück.


    Fazit:
    Merete Andersen schildert aus mehreren Perspektiven eine gescheiterte Beziehung, die die Partner so verletzte, dass selbst der Tod des gemeinsamen Kindes die in ihrer Trauer isolierten Eltern kaum miteinander versöhnen kann. Sehr bewegend wird die innige Beziehung zwischen einem Vater und seiner kleinen Tochter dargestellt. Obwohl feine Zwischentöne auf mögliche Gründe für Ebbas Selbstmord hinweisen, bleiben die Leser nach der Lektüre ratlos zurück. Der erste Teil des Buches, der die Vater-Tochter-Beziehung schildert, hat auf mich überzeugender gewirkt als die melodramatische Entwicklung Judiths und der rätselhafte Schluss.