Schreibwettbewerb April 2006 - Thema: "Werbung"

  • Thema April 2006:


    "Werbung"


    Vom 01. bis 20. April 2006 könnt Ihr uns Eure Beiträge für den Schreibwettbewerb April 2006 zu o.g. Thema per Email an webmistress@buechereule.de oder über das Kontakt-Formular (s.o. im Forum) zukommen lassen. Euer Beitrag wird von uns dann anonym eingestellt.


    Den Ablauf und die Regeln könnt Ihr hier noch einmal nachlesen.


    Bitte achtet darauf, nicht mehr als 500 Wörter zu verwenden. Jeder Beitrag mit mehr als 500 Wörtern wird nicht zum Wettbewerb zugelassen!


    Nur für registrierte Mitglieder mit mindestens 50 Beiträgen!


    Eine Bitte: Schickt uns Eure Beiträge als .doc oder .rtf und sendet sie uns als Anhang in einer Mail. Damit kommen dann auch Zeilenumbrüche, etc. richtig bei uns an. In Word könnt ihr dann auch die Rechtschreibhilfe nutzen und unter „Extras“ habt ihr die Möglichkeit „Wörter zählen“.


    Wir wünschen Euch viel Spaß und viel Erfolg!

  • von Tom



    Klaus Brause steht vorne in der Menge, die ihn schiebt und gegen die MediaMarkt-Türen drückt, er riecht Schweiß, spürt Agressionen, auch in den Gesichtern der Angestellten, die um punkt neun die Türen aufschließen und aus dem Weg sprinten. Die Menschenmenge ergießt sich in den Elektronik-Discount, allen voran Klaus Brause, der seit zwei Stunden wartet, um sich das Sonderangebots-Glätteisen für vierfünfundneunzig zu schnappen und wenig später triumphierend vor der Tür zu stehen. Er atmet durch, schwenkt die Tüte. Er hat schon seit zwölf Jahren keine Haare mehr, aber ein Glätteisen für vierfünfundneunzig, das muß man haben, so oder so. Geiz ist geil.
    Bei Plus hat er das Montagsangebot vorbestellt, das kann er ruhiger angehen, nur die Ware abholen, ein Zweimannzelt für schlappe elf Euro, regen- und winddicht, da muß man zuschlagen, und Klaus Brause tut es. Camping hat er zuletzt als Kind gemacht, und auch da hat er es nicht gemocht, aber elf Mücken für ein Zweimannzelt, da gibt es keine Diskussionen. Das Zelt wandert zum Glätteisen. Klaus Brause fühlt sich als König der Schnäppchenjäger.
    Bei Saturn gibt es einen Run auf die letzte Depeche-Mode-CD, die jetzt für vierfünfundneunzig zu haben ist. Klaus muß Ellenbogen und Knie einsetzen, aber schließlich schnappt er sich die letzten drei Exemplare, kurz bevor so ein häßliches Punkding zuschlagen kann, Geiz ist megagigageil; er wischt sich den Schweiß von der Glatze, notiert sich beim Zahlen in Gedanken, jemanden zu fragen, wer oder was Depeche Mode eigentlich ist, packt die CDs zu Glätteisen und Zelt in die Tüte. Das war die Pflicht, jetzt kommt die Kür, bei Tchibo steht das neue TCM-Sortiment in den Regalen, und auf die Angora-Skiunterwäsche im Set für zwölf Euro hat er beide Augen und die auf den Zehen geworfen, sackt rasch ein, was noch zu haben ist. Nicht, daß sich Klaus Brause für skifahren interessieren würde, aber, heiliger Strohsack, winddichte Angora-Unterwäsche für zwölf Euro, da kann man einfach nichts falsch machen.
    In der U-Bahn streicht er seine Tagesziele vom Notizblock, als er ein Gespräch belauscht. Am Stutti, sagt ein Mann zum anderen, gibt es Sex für vierzehn Euro, wenn man Hartz-IV-Empfänger ist. Klaus Brause denkt nicht lange nach, so ein Angebot, das würde den Tag abrunden, Sex für vierzehn Euro, billiger geht’s nun wirklich nicht, also rasch umgestiegen und ab in Richtung Stutti. Die Bar ist schnell gefunden, da gibt es ein Wartezimmer, und erstmals an diesem Tag kommt sich Klaus Brause ein bißchen seltsam vor, aber nicht lange. Denn eine abgetakelte, schminktechnisch aufgemotzte Endvierzigerin namens Janine zieht ihn an der Hand in ein miefiges Zimmer, stopft ihm einen Kondom auf den Hängeschwengel und spreizt die Beine. Klaus hat bezahlt, also rauf, rein, raus und runter, die mühselig mit wenig Sperma befüllte Tüte nimmt er mit und packt sie in die andere zu seinem Tagesfang.
    Vor der Tür hält er inne. Er blickt auf seinen Erwerb, zählt kurz zusammen, betrachtet das Kondom. Da war doch was. Stimmt. Eigentlich nämlich ist Klaus Brause homosexuell. Egal. Nur Geiz ist wirklich geil.

  • von Sinela



    Mit zügigen Schritten eilten die beiden Männer in weiß den Gang entlang, um vor der letzten Tür stehen zu bleiben.
    „Bevor wir mit der Patientin reden, schildern Sie mir bitte, warum die Frau hier ist.“
    Dr. Kerner schaute in die Krankenakte.
    „Frau Gäbler war im Aldi einkaufen. Als sie ein bestimmtes Produkt nicht bekam, hat sie die Kontrolle über sich verloren. Sie schmiss mit im Laden angebotenen Waren um sich und schrie immerzu: Ich will Müller Milchreis, ich will Müller Milchreis. Einer Verkäuferin, die sie beruhigen wollte, schlug sie ihre Handtasche ins Gesicht. Der Marktleiter bekam eine Dose Pfirsiche an den Kopf und zwar mit solcher Wucht, dass er k.o. ging. Erst als Frau Gäbler vom herbeigerufenen Arzt unter Zuhilfenahme der Polizei eine Valiumspritze bekam, konnte sie gebändigt werden. Sie wurde dann zur weiteren Beobachtung eingewiesen.“
    „Gut, dann lassen sie uns mal reingehen.“


    „Frau Gäbler, wir sind hier, um mit Ihnen....“
    „Kaufen Sie Milram Frühlings-Quark, gesund und lecker. Mit frischen Kräutern.“
    „Würden Sie bitte...“
    „Rotkäppchen Sekt, für besondere Momente. – Kellogs Cornflakes. Aus gesundem Mais, das Beste, was die Natur zu bieten hat. – Haribo macht Kinder froh und Erwachsene ebenso.“
    Die Frau, die völlig abwesend auf einem Stuhl saß und mit leiser Stimme Werbesprüche vor sich hin betete, beachtete die Ärzte überhaupt nicht. Dr. Kerner packte sie an den Schultern und schüttelte sie leicht.
    „Frau Gäbler, wissen Sie, warum Sie hier sind?“
    Irritiert schaute die Frau auf.
    „Haben Sie mir mein Müsli mitgebracht? Ich brauche es dringend, sonst überstehe ich den Tag nicht. Aber es muss von Seitenbacher sein, denn Seitenbacher Müsli...“
    „Nun lassen Sie endlich mal diese dummen Werbesprüche sein und sagen uns, wie es ihnen geht.“
    „Aspirin – und der Schmerz verschwindet.“
    Dr. Eberwein verlor langsam die Geduld.
    „Nun hören Sie sofort auf mit diesem Scheiß! Sagen Sie uns, was Sie belastet, damit wir Ihnen helfen können.“
    Mit verklärtem Gesichtsausdruck schaute Frau Gäbler die beiden Männer an.
    „ Giotto, nichts schmeckt besser zu Kaffee. – Milka Schokolade, unvergleichlich zart. – Du darfst, ich will so bleiben wie ich bin.“
    „Kommen Sie, Dr. Kerner, es hat keinen Sinn.“
    Mit einem letzten nachdenklichen Blick auf die Patientin verließen die Ärzte das Zimmer und schlossen es ab.


    Mit besorgtem Gesichtsausdruck blieben die Ärzte vor der geschlossenen Tür stehen und schauten durch das eingebaute kleine Fenster in den Raum hinein.
    „Das ist der schlimmste Fall von Werbemanie, der mir je untergekommen ist. Und die verabreichten Medikamente schlagen überhaupt nicht an. Haben Sie eine Idee, wie wir weiterverfahren könnten?“
    Fragend und doch auch voller Hoffnung schaute Dr. Kerner den Oberarzt an.
    „Wie wäre es mit Ratiopharm? Die haben doch für alles ein passendes Mittel.“
    Seinem Gegenüber stockte der Atem. Diese Sache war ansteckend! Nichts wie weg!, schrie sein Gehirn. Er wirbelte herum und rannte mit seinem Schatten auf dem Flur der Psychatrie um die Wette, verfolgt von dem lauten Lachen Dr. Eberweins.

  • von Lotta



    Sie saß im Schneidersitz auf dem grauen Teppich und studierte mit gerunzelter Stirn den Anzeigenteil der Tageszeitung, die sorgfältig ausgebreitet auf dem Fußboden lag, während ihr die dunkelblonden Locken wie ein Vorhang ins Gesicht fielen. Es klopfte. Einem genauen Beobachter wäre vielleicht das leichte Zusammensacken ihres Körpers aufgefallen, bevor ihre Lippen ein dünnes „Ja?“ formten, das verzögert an die Oberfläche zu gelangen schien, beinahe so als wolle das Wort in Wahrheit gar nicht ausgesprochen werden. Eine Frau trat ins Zimmer, deren Gesichtszüge angespannt wirkten. Ihr Haar war zu einem strengen Dutt zusammen gezogen.
    „Bernd ist da. Wir essen gleich“
    Das Mädchen nickte, scheinbar ohne jegliche Gefühlsregung, und bewegte sich erst, als die Tür zufiel. Überrascht senkte es den Blick und stellte fest, dass sich seine Fingernägel fest in die Handinnenflächen gebohrt hatten. Die Abdrücke verblassten zögerlich, während das Blut in die für einen Moment kalkweißen Knöchel zurück kehrte. Unten wurde eine Männerstimme laut. Entschlossen griff sie nach dem Telefonhörer. Gleichmäßige Pfeiftöne in der Leitung, ihr Atem regulierte sich. Eine junge Frau meldete sich mit einem auswendig gelernten Text, der zwitschernd an ihr Ohr gelangte. Sie holte Luft.
    „Guten Tag, ich rufe an wegen der Werbeprospekte…“
    Ein paar Minuten später legte sie auf und ließ sich nach hinten sinken, lag rücklings auf dem Boden und starrte die Decke an. In ihrem Bauch kribbelte es. Für den Bruchteil einer Sekunde huschte ein Lächeln über ihre Lippen und verschwand sogleich, als hätte sie Angst jemand könnte es ihr nehmen, falls sie es zu lange auf ihrem Gesicht verweilen ließ.


    Sie saß im Schneidersitz auf dem grauen Teppich und hatte die Prospekte auf dem Fußboden ausgebreitet, Werbung für einen Möbelmarkt, auffällige Schriftzüge auf buntem Papier. Einrichtungen leuchteten ihr entgegen, Sofas mit passender Stehlampe, Küchengarnituren aus Ahornholz, sauber und glänzend. Jemand, der flüchtig einen Blick in das Zimmer geworfen hätte, wäre wohl zu der Annahme gekommen, das junge Mädchen hatte lediglich einen Faible für Möbel. Doch ein genaueres Hinsehen hätte gezeigt, dass die blauen Augen nur dann aufleuchteten, wenn zwischen Couchecken und Büroausstattungen Familien abgebildet waren. Hochgewachsene Männer, die den Arm um strahlende Frauen legten und mit der anderen Hand ihr Kind festhielten, das sich glücklich an die Eltern schmiegte. Manchmal gab es noch einen Hund, mit wachem Blick und heraushängender Zunge, der das Familienglück abrundete. Sie beugte sich darüber und ein Hauch von Sehnsucht erschien in dem schmalen Gesicht. Es klopfte. Sie reagierte nicht, verharrte regungslos über den vielen Zettelchen, und träumte sich in eine bunte Wohnhauswelt hinein, in der die Menschen immerzu nur lächelten. Ein Mann trat ein und musterte sie spöttisch.
    „Verteilt man die Dinger nicht?“
    Eisiges Schweigen.
    „Bist du taub?“
    „Ich will sie behalten.“
    „Wozu? Ist doch nur Werbung“
    Die Tür fiel zu und während sich der Satz in ihr Gehirn hämmerte, zerriss sie das nächstliegende Prospekt und ließ zu, dass ihr die Tränen heiß in die Augen stiegen. Wieder lag sie rücklings auf dem Boden, traumzerfetzt inmitten von bunten Papierschnipseln und zerstörten Idyllen. Unten wurden die Stimmen laut.

  • von Ikarus



    „Na? Haben wir heute noch Zeit für einen Kaffee und eine gemütliche Tratsch-Zigarette, be-vor wir in die Tretmühle müssen?“
    Svenja grinste frech und zwängte sich an Anna vorbei in Richtung Küche.


    „Du kannst es einfach nicht lassen,“ verdrehte Anna in gespielter Entrüstung die Augen und griff sich den kleinen Stapel Hochglanz-Reiseprospekte vom Flurtisch, „setz Dich schon hin. Ich will nur noch schnell noch die Sachen rüberbringen.“ Svenjas Kopf schoss augenblicklich aus dem Küchentürrahmen hervor: „Haben wir schon wieder Mittwoch? Beeil' Dich bloß!“


    Bei ihrer Rückkehr erntete sie einen missbilligenden, besorgten Blick ihrer Freundin.
    „Anna, ich weiß, mit Dir kann man nicht lästern,“ begann Svenja, „Du weißt ja, dass ich dich nur zu gerne deswegen aufziehe.“ Sie machte eine Pause und nahm einen tiefen Zug von ihrer Zigarette. „Sag mir doch endlich mal bitte, was er damit macht?“
    „Nun, lesen oder anschauen, denke ich,“ grinste Anna, „das macht man doch gewöhnlich mit unseren Reiseprospekten.“


    „Pah,“ wischte Svenja den Einwurf beiseite, beugte sich vor und legte eine Hand sanft und vertraulich auf Annas Arm.
    „Mir ist dieser Mann nicht ganz geheuer,“ sagte sie, „irgendwie unheimlich ist der. Jedenfalls überkommt mich immer eine Gänsehaut, wenn ich den sehe. Nicht, dass es einen direkten An-laß dafür gäbe. Ich sehe seine aufgetakelte Karriere-Tussi jeden Morgen aus dem Haus rau-schen; das Haus kann man auch nicht gerade als Bruchbude bezeichnen.
    Die Tochter schwebt offenbar nur alle paar Wochen ein, wenn sie die Kohle für ihre Extrava-ganzen aus Papa-Bär herausschleimen will. Nun, das alles kommt in den besten Familien vor.“


    Svenja grinste über Annas entrüsteten Gesichtsausdruck: „Hab dich nicht so, Anna. Ich bin nunmal nicht blind. Und ich bin auch nicht so ein gutmütiges Schäflein wie du. Das ganze Viertel bekommt hier durch die Aufkleber auf den Briefkästen schon längst keine Werbung mehr und behindert ist er auch nicht. Also? Warum bringst Du ihm immer dieses Zeug und was macht er damit?“


    „Nun, wir werfen sie doch eh weg, wenn sie abgelaufen sind,“ antwortete Anna widerstre-bend, „ er fertigt Collagen. Nichts besonders Künstlerisches, oder so. Sehr einfache Bilder: blauer Himmel, ein Dorf im Schnee. Heile-Welt-Bilder, nichts weiter. Er hat sie mir einmal gezeigt,“ Anna trank, nach einem Blick auf die Küchenuhr, hastig ihren Kaffee aus und griff zu ihrer Tasche, „ein ganzer Ordner voll mit Collagen. Bilder wie auf Werbepostern eben. Für Träume, die sich sowieso niemand jemals leisten kann,“ sie lächelte Svenja beruhigend an, „komm, wir müssen los. Lass ihm doch sein harmloses Vergnügen.“


    Beim Abschließen der Haustür schob sie schnell und energisch den Gedanken beiseite, dass die Bilder auf sie einen ganz anderen Eindruck gemacht hatten. Hell und freundlich waren die wenigsten gewesen. Wirr und surrealistisch und für ihren Geschmack oft viel zu düster. Auch die Erinnerung daran, dass sie das Wort „Anna“ gerade vorhin auf dem Aufkleber gelesen hatte, als der Ordner-Rücken für einen winzigen Moment nicht von seiner Hand verdeckt war, würde sie bestimmt bald vergessen können.

  • von Doc Hollywood



    Ihre Hüften waren zu breit; ihre Mutter nannte das ein gebärfreudiges Becken. Der Busen war viel zu groß und hatte rein gar nichts von den gleichmäßig geformten, straffen Brüsten aus den Hochglanzmagazinen. Mit einer Hand fuhr sie durch das schulterlange Haar, das ihr ins Gesicht hing; spröde, formlos, wie ihr ganzer Körper. Die Zähne vergruben sich in der Unterlippe, während sie sich vor dem Spiegel langsam zur Seite drehte. Viel zu dick, sie war schon immer viel zu dick gewesen, der Bauch war nach vorne gewölbt. Sie sah an sich hinunter ohne den dichten Schamhaaransatz erkennen zu können. Tief luftholend zog sie den Bauch ein, sah zwischen ihren Brüsten hindurch noch einmal an sich herab und reckte den Kopf dabei weit nach vorne. So hatte alles angefangen.


    „Rubens hatte von seinen weiblichen Modellen stets verlangt, dass sie ihre Fußspitzen nicht mehr sehen durften, wenn sie zu Boden schauten.“
    Sie zuckte zusammen, die Stimme hinter ihr hatte sie völlig überrascht. Ruckartig drehte sie sich herum, weg von den drei Grazien des alten Meisters. Sein Gesicht war nicht wirklich mehr jung, aber sein verschmitztes Lächeln und sein offener Blick strahlten etwas Jungenhaftes aus. Sie konnte nicht anders, als dieses Lächeln zu erwidern.
    Kurze Zeit später saß sie mit ihm im Museumscafe und kippte Zucker in ihren Capuccino. Er trank seinen Kaffee schwarz, ungesüßt.
    „Warum sitze ich eigentlich hier mit Ihnen?“, fragte sie, ohne ihn dabei anzusehen. Mit beiden Händen hob sie die Tasse hoch und nippte daran. Dann trafen ihre Augen doch noch seinen interessierten Blick.
    „Vielleicht machen Sie das öfter so?“, erwiderte er grinsend.
    „Dass ich mich rubensgemäß rausputze und warte, bis interessierte Kunstkenner eine verblüffende Ähnlichkeit feststellen?“
    Ihre Stimme klang eine Spur zu ironisch, zu hart. Einen Augenblick lang zogen sich seine Brauen zusammen; sie presste die Lippen aufeinander und atmete hörbar aus.
    „Fangen wir einfach nochmal an?“ Seine Fingerspitzen zogen unsichtbare Linien und Muster über den Tisch, pickten dabei verstreuten Zucker auf.
    Sie nickte und einen Moment später erwiderte sie sein Lächeln. Er kostete den Zucker von einem seiner Finger und nahm dann einen Schluck Kaffee.
    „Daran könnte man sich gewöhnen.“
    „An was?“ Neugierig beobachtete sie ihn, versuchte aus diesem jungenhaften Gesicht etwas herauszulesen.
    „An solche verregneten, aber irgendwie sehr süßen Nachmittage.“


    Viel zu lange war sie bereits alleine gewesen. Ihre Mutter lag ihr in den Ohren damit, ihre Freundinnen, natürlich alle rank und schlank, waren längst verheiratet und hatten Kinder. Sie war sich nicht sicher, ob der Mann, der sich im Zimmer nebenan in ihre Laken gekuschelt hatte, bleiben würde, ob seine Gefühle für sie und ihre Leibesfülle echt waren oder nicht, aber er gab ihr ein gutes Gefühl. Ein Gefühl, das ihr weder die zu teure Bauchweg-Miederhose des Homeshoppingkanals, noch die vielen Pflege- und Diätprodukte in ihrem Badezimmerschrank geben konnten. Sie war entschlossen seine Aufmerksamkeit, seinen Charme zu genießen, so lange es andauerte.
    „Willkommen im echten Leben“, sagte sie zu ihrem Spiegelbild und lächelte, dann ging sie wieder zu ihm ins Schlafzimmer.

  • von Magali



    „Ich vermiß’ dich, vermiß’ dich, vermiß’ dich“, sagte sie laut.
    ‚Wäre das ein Roman’, dachte sie, ‚so folgte jetzt die Bemerkung, daß die Hauptperson bedauert, das Rauchen aufgegeben zu haben, weil sie unbedingt eine Zigarette braucht.’
    Es war kein Roman und sie hatte nie geraucht. Was sie vermißte, war keine Zigarette. Auch nicht Chips oder Schokolade. Seine Augen waren schokoladenbraun.
    Sie sah zum Telefon. ‚Niemals einen Mann anrufen, nie-nie-nie.’ Eiserne Regel.
    Sie zog das Telefon heran, wählte. Verwählte sich, sie wußte die Nummer nicht auswendig. Gutes oder schlechtes Zeichen? Sie fischte nach dem Adreßbuch, es öffnete sich von selbst auf der gesuchten Seite. Schlechtes Zeichen.
    Er meldete sich schon nach dem zweiten Klingeln. „Hier ist Karla“, sagte sie. „Wollte mal hören, ob es dich noch gibt.“ War das zu eifrig?
    „Karla! Klar gibt es mich noch.“ Er schien bestens gelaunt.
    „Mich auch“, sagte sie betont.
    Er lachte. Ihre Knie wurden weich, obwohl sie sicher im Sessel saß. „Ich hätte mich auch mal...“
    „Nein, nein“, unterbrach sie hastig. „Kein Problem.“ ‚Blöde Kuh’, schalt sie sich. ‚Immer abwiegeln! Sag ihm, daß er ein herzloser...’. „Ich habe mich gefragt, ob du noch an die Prospekte denkst.“ Lahm. So lahm! Drei Wochen waren vergangen und alles, was ihr einfiel...
    „Bist du doch interessiert? Ich dachte, ein Orgelfestival ist nicht dein Ding.“
    ‚Er hatte es nicht vergessen. Er hatte von den Kirchenmusiktagen geschwärmt, sie hatte ihm ihre heimliche Abscheu vor Orgelmusik gestanden. Deswegen hatte er sich nicht gemeldet, er hatte Rücksicht genommen. Auf sie!’
    „Ich bin im Mai in der Gegend, Auftrag der Redaktion, da dachte ich, ich schau’ mal bei euch vorbei.“ Ihr Herz klopfte wild, sie hörte ihre eigenen Worte kaum. Egal, es war ohnehin gelogen. Aber es war erst März, bis Mai würde ihr ein Auftrag einfallen.
    „Fein. Sag Bescheid, für einen Kaffee hab ich immer Zeit.“
    Hatte er gesagt ‚für einen Kaffee’ oder ‚für einen Kaffee mit dir’? In ihren Ohren rauschte es jetzt so laut, daß seine Stimme verschwamm.
    „Stimmt deine E-mail-Adresse noch? Ich habe ein paarmal gemailt, aber keine Antwort bekommen.“ Ihre Stimme klang fiepsig. Sie räusperte sich.
    „Ach, genau, wir hatten einen Providerwechsel. Ich schick’ dir die neue.“
    „Heute noch.“
    Wieder lachte er. Es war das gleiche warme Lachen wie in der Nacht vor dem Lokal. Warm wie seine Umarmung in dem kalten Februarwind und wie seine Lippen, als sie über ihre Wangen gehuscht waren.
    „Heute noch!“ wiederholte sie.
    „Drängelliese“, spottete er. „Aber du hast recht, kennst mich ja, mir muß man alles siebenmal sagen. Jetzt muß ich aber weiterarbei..“
    „Ja, ich auch“, unterbrach sie sofort. „War schön mit dir zu reden. Und denk an die neue...“
    „Mach ich!“ Es klickte.
    Sie ließ sich in den Sessel zurückfallen. ‚Kennst mich ja.’ Für einen Augenblick sah sie ihn ganz deutlich vor sich. Sie griff zur Maus und öffnete ihr E-mail-Fach. Vielleicht hatte er es schon abgeschickt. Sie starrte auf den Bildschirm. Alles eine Frage des Willens. Eiserne Regel.

  • von Luc



    „Absätze steil wie die Eigernordwand“ pries der Schuhladen die roten Pumps an. Wenn Jochen noch einen Funken Begehren für sie empfand, würde er Nelli am Abend zu Füssen liegen. Sie trank die Piccoloflasche aus, warf den Werbeprospekt in den Abfalleimer und fuhr mit ihrem Audi in Richtung Einkaufszentrum.


    Der Himmel war wolkenlos. Sie erkannte einen rötlichen Saum am Horizont, der wie ein Hoffnungsschimmer in der Ferne schwebte. Sie setzte ihre Sonnenbrille auf. Über dreißig Grad im Schatten versprach der Radiosprecher.


    Hitze stieg in ihr hoch, als sie an Jochens zupackende Hände und die prickelnden Berührungen seiner Fingernägel zwischen ihren Schenkeln dachte. Ewigkeiten war das her. Er bemerkte nicht einmal, dass sie ihr Idealgewicht wieder erreicht hatte. An diesem Abend würde sich seine Nele, die ihm nachts Sonnenblumenkerne für sein Vollkornmüsli einweichte, in die kokette Nelli zurückverwandeln.


    Sie parkte vor dem Einkaufszentrum ein und hoffte, dass die Zwillinge schliefen, wenn Jochen von seinem Schichtdienst heimkam. Hinter der Schlafzimmertür würde sie warten, verhüllt von einem Trenchcoat, unter dem sie nichts als ihre Dessous und die roten Pumps an den Füßen trug.


    Rasch ging sie in das Gebäude, kaufte Parfüm, ein Fläschchen Prosecco und schlenderte zum Dessousladen. Passte weiße Wäsche am besten zu den Schuhen? Nele entschied sich für die schwarzen Dessous aus Samt. Im Schuhladen prüfte sie die roten Pumps vor dem Spiegel. Nelli fühlte sich steil, wie die Eigernordwand, wie Claudia Schiffer, wie sonst was. Die Augen würden ihm überlaufen. Sie bat den Kassierer ihre ausgelatschten Mokassins aus den Schwangerschaftszeiten fortzuwerfen und ging auf ein Gläschen in das Bistro gegenüber.


    Ein Latino Mann blickte von der anderen Seite des Tresens zu ihr rüber, als wollte er sie aufessen. Nelli trank den Cognac aus und zahlte. Doch der Barmann servierte ein Glas Sekt.
    „Von dem Herrn dort“, sagte er und deutete hinüber. Ihre Wangen glühten. Durch ein Fenster sah Nelli einen Notarztwagen heranrasen. Sie prostete dem Latino zu. Er rutschte unruhig auf dem Hocker umher. Nelli lächelte ihn an. Sie trank das Glas aus, stand auf und bemerkte triumphierend Enttäuschung in seinem Gesicht, als sie aus dem Lokal stöckelte. Auf der Rolltreppe fuhr sie ins Erdgeschoss und bemerkte den Tumult auf dem Parkplatz.


    Die Sonne brannte. Gott, wie lange war sie in dem Einkaufszentrum gewesen? Nellis Schritte wurden schneller. Sie sah einen Polizeiwagen. Im Fond des Autos musste eine Gluthitze herrschen. Eine Fensterscheibe war an ihrem Audi eingeschlagen. Nellis Knie wurden weich.


    Sie drängte sich zwischen den Schaulustigen hindurch, entdeckte zu ihren Füßen eine Trage, auf der ihre Zwillinge friedlich mit rot gebackenen Gesichtern lagen. Ein Sanitäter beugte sich über sie, daneben Jochen in seiner Polizeiuniform.


    „Zu spät“, sagte der Sanitäter. Nelli starrte auf ihre toten Kinder und Jochen, der auf dem Boden hockte und schluchzte. Eine Kollegin bückte sich hinunter und versuchte ihn zu beruhigen. Er warf seine Polizeimütze zu Boden und erhob den Kopf. Die Augen quollen hervor.
    „Nele“, sagte er.
    „Jochen“, flüsterte sie und senkte den Blick auf ihre roten Pumps, vor denen Tränen zu Boden tropften.

  • von Idgie



    Du bist Deutschland! Ach! Dieser Slogan brüllt mich seit neustem überall von
    meterhohen Plakatwänden an. Wer denn jetzt? Ich, oder du auch, und jeder,
    der diesen Beitrag auch noch lesen wird? Sind wir alle gemeint?
    Moment mal, waren wir nicht erst gestern noch Pabst? Jetzt sind wir also
    Deutschland. Und was ist denn das überhaupt für ein Deutsch? Egal,
    schließlich sind wir aus der Ecke ja schon einiges gewohnt. Fragen wir also
    einfach bei der Auskunft nach, denn: Da werden Sie geholfen!
    Hat mich jemand gefragt, ob ich das überhaupt will, Deutschland sein?
    Vielleicht will ich einfach so bleiben, wie ich bin. Ich darf ja. Sagt
    wenigstens die Frau mit den kalorienreduzierten Leckereien.


    Andererseits, kann ich mir wirklich aussuchen, ob ich bleibe, wie ich bin,
    wenn ab Juni die Welt zu Gast bei Freunden ist? Was macht man mit Freunden?
    Ach ja, Freunden schenkt man ein Küsschen. Oder auch zwei. Nein, nein, das
    geht zu weit! Heißt das, die Gäste der Fußball-WM dürfen mich jetzt alle
    küssen? Auf keinen Fall, so freigiebig bin ich beim Küssen nicht. Muss ich
    auch nicht, denn Geiz ist ja geil.
    Die Blaufrau mit der Wahnsinnsschminke hat diesen Gedanken durch penetrantes
    Wiederholen inzwischen fest in mein Gehirn implantiert. Bei der täglichen
    Schnäppchenjagd nach nützlichem oder auch total überflüssigem Kram sparen
    uns noch doof und dämlich. Sogar bei der Gastfreundschaft. Und mit der
    Gastfreundschaft lassen sich sowieso die geilsten Geschäfte machen. Wohnst
    du noch, oder vermietest du schon? Zum Beispiel dein Wohnzimmer an
    Fußballfans. Coole Sache, da muss man einfach mitmachen. Ich entdecke die
    Möglichkeiten! Da kann man innerhalb kürzester Zeit die Jahresmiete wieder
    reinholen. Wenn die Mediaknechte die vielen WM-Gäste jeden Tag in ihren
    Spots nach allen Regeln der Kunst verarschen dürfen, dann muss ich da auch
    mitmachen dürfen. Ich bin ja nicht blöd!
    Vielleicht kann ich auch gleich zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen, denn
    ich bin ein bekennender Ballallergiker und wenn ich es geschickt anstelle,
    dann vermiete ich die Wohnung zimmerweise für die ganze Saison. Nichts ist
    unmöhöglich! Schon gar nicht, dass mir jemand hierfür Punkte gibt. ;-)

  • von Spreequell70



    Andreas sitzt am Seeufer. Er wirft Steine in den See und beobachtet, wie sie über die Wasseroberfläche hüpfen. Andreas ist Mitarbeiter einer Werbeagentur. Er hat heute einen Termin am Schloss Fleesensee. Eigentlich macht er computeranimierte Werbung z.B. für „Saturn“. Was für ein Aufstand, als er den Erstentwurf für „Geiz ist geil“ vorstellte. Sein Chef meinte tobend: „ Das ist niveaulos!“ Über Niveaus macht sich Andreas keine Gedanken. Er mag Provokation. Was interessieren ihn die Kinder, für die „geil“ inzwischen zum alltäglichen Wortschatz gehört. Er hat keine Kinder.


    Es ruft ihn jemand, dass sie anfangen können. Sie haben nur etwa eine Stunde, in der das Sonnenlicht das Schloss mit der Kutsche in diesen warmen Ton einhüllt. Selbst Andreas muss sich eingestehen, dass es etwas von Romantik hat. Schloss Fleesensee will in einem dieser Hochzeitsmagazine auf sich aufmerksam machen. Schließlich sind es die Frauen, die sich diese Hochglanzmagazine kaufen. Dann wird das Schloßbild den Fastehemännern mit verträumten Augen präsentiert.
    Als Andreas von dem See durch den Eichenhain läuft, hört er schon von weitem die hohe und vor allem laute Stimme von Dörte. Sein Chef hat sie zu diesem Fototermin gemietet. Sie hat mal wieder an allem etwas auszusetzen. Dabei soll sie sich nur mit dem von Reifröcken aufgebauschten Hochzeitskleid samt Bräutigam in die Kutsche setzen und nett gucken. Früher war ihm das Gezicke nicht aufgefallen. Sie haben ab und zu den Abend und mehr nach ihrer Arbeit verbracht. Irgendwann hat sie eine abfallende Bemerkung über ihr Hinterteil aufgeschnappt. Seitdem lehnt sie das ab.


    Andreas tritt aus dem Wäldchen. Er inspiziert jede Person, die sich auf dem Vorplatz aufhält. Er gibt ein mürrisches Brummen von sich. Er hat nicht gefunden, wonach er gesucht hat: Eine zierliche Frau mit einem Pagenschnitt. Er blickt noch einmal in die Runde. Nichts. Als er Ramona vor einer Woche bei Peter auf der Party getroffen hat, war sie kühl und abweisend gewesen. Sie hatten sich über seinen Beruf unterhalten. Und dann ihr Haarschnitt! Er passte gar nicht zu dem Typ Frau, die er sonst ansprach. Eigentlich war sie ihm eher unsympathisch. Das heißt aber nicht, dass es ihn abhalten würde, mit ihr sexuelle Erfahrungen auszutauschen. Andreas ist 34 und es ist ihm egal, dass er immer noch Single ist. Er liebt sein Leben, mag seinen Job.
    Auf der Party wollte er Ramona seine Telefonnummer aufdrängen. Sie wollte nicht. Zum Abschied steckte er ihr vom Rechnungsblock der Kellnerin den Termin mit dem heutigen Fotoshooting zu. Irgendwie hatte er gehofft, sie würde kommen und ihm bei der Arbeit zuschauen. Vielleicht hätte sie dann einen anderen Eindruck von seiner Arbeit. Es ist nämlich nicht alles niveaulos.


    Er lauscht. Ein Dröhnen, dass schnell näher kommt. Es rauscht ein Motorrad um die Ecke und macht eine Vollbremsung. Die Kieselsteine knirschen. Gerade will Andreas dem Halbwüchsigen eine Predigt halten, dass hier Leute arbeiten. Da nimmt der Fahrer den Helm ab. Es verschlägt ihm die Sprache. Vor ihm steht der Pagenkopf. Ja, das ist die Frau, die ihm seit Tagen nicht aus dem Kopf geht.

  • von Polli



    Ruprecht überquerte die Hauptstraße. Der Fahrer eines dunklen Sportwagens missachtete die Geschwindigkeitsbegrenzung und ignorierte den Zebrastreifen. „Das Kennzeichen merke ich mir“, fluchte er. „Drei – zwei – eins – Mainz!“
    Er war froh, der aprilfrischen Kühle zu entkommen und stieß forsch die Eingangstür des Bistros auf. Sie schwang zurück und traf ihn an der Schulter.
    „Autsch, verdammt!“
    „Wer wird denn gleich in die Luft gehen!“, sagte ein Passant spöttisch.
    Ruprecht zog die Tür hinter sich zu. „Ich bin drin“, murmelte er und setzte sich an einen freien Tisch, dann tauschte er seine Brille gegen ein älteres Exemplar, das noch aus der Zeit stammte, in der es keine Gesundheitskasse gab. „Für die habe ich gar nichts dazubezahlt“, erinnerte er sich wehmütig. „Mit der zweiten sieht man besser“, stellte er fest, dann bestellte er ein Bier. „Die Freiheit nehm’ ich mir.“
    „Weizenbier?“, fragte der Kellner.
    „Weizen – find ich gut“, antwortete Ruprecht.
    Simone war noch nicht da. Am Fenstertisch übte eine Gruppe von Touristen Redewendungen.
    „Ich möchte diesen Teppich bitte nicht kaufen!“, rief einer der Männer.
    „Wir haben verstanden“, antwortete der Kellner und brachte Bier für alle.
    Ruprecht wartete eine Viertelstunde. Plötzlich riefen zwei Stimmen: „Hallo, Herr Kaiser!“
    Er staunte. „Simone? Zwillinge? Träume ich?“
    „Nichts ist unmöglich“, trällerten die beiden.
    „Wer von Ihnen ist Simone?“
    „Ich!“, riefen sie gleichzeitig.
    „Unsinn. Ich bin doch nicht blöd“, sagte er irritiert.
    „Künstlernamen“, klärte ihn die linke Simone auf. „Wir arbeiten beim Werbefernsehen“, ergänzte die rechte.
    „Was trinken die Damen?“, fragte der Kellner.
    „Ruprecht weiß, was Frauen wünschen“, sagte er großspurig, „Kaffee!“
    „Was machen Sie beruflich?“, fragte die linke Simone. „Sie sehen wie ein Autohausbesitzer aus.“
    Er winkte verlegen ab. „Isch abe gar kein Auto. Ich arbeite in einem Baumarkt.“
    „Weißt du noch, Eisen-Karl?“, flüsterte die rechte Simone. Die andere kicherte.
    Der Kellner servierte den Kaffee. „Wenn Sie sofort zahlen, gibt es 20 Prozent auf alles.“
    Ruprecht freute sich: „Ich liebe es: Kleine Preise“, und bezahlte.
    Am Nachbartisch löffelten Mutter und Kind Spaghetti-Eis. Das Gör patschte in die Erdbeersoße und kreischte: „Fruchtalarm!!“
    Ruprechts Hemd war mit Fleckenzwergen besprenkelt.
    „Macht nichts, das lenkt vom Grauschleier ab“, sagte Ruprecht und lächelte versöhnlich.
    „Dunkle Flecken entfernt man übrigens ausgezeichnet mit Neger-Perls“, meinte die Mutter.
    „Möchte Ihr Kind vielleicht einen Rachendrachen?“, fragte die rechte Simone.
    „Nimm zwei, du darfst“, meinte die Mutter.
    „Das ist die Krönung!“, fauchten die Simonen-Zwillinge. Reizend sahen sie in ihrem Zorn aus. Mit der wilden Frische von Limonen, meine Simonen, dachte Ruprecht. Er war glücklich: Eine Überraschung – eine zum Spielen, eine zum Vernaschen, das Leben war schön.
    Frühlingssonnenstrahlen fielen auf Ruprechts Gesicht. Er musste niesen:
    „Tsch – tsch – tsch – tsch –“
    „Tscharmin’“, wünschten die Zwillinge. „Heuschnupfen? Da gibt’s doch was von …“
    Munter sprangen sie auf und geleiteten Ruprecht aus dem Bistro.
    Wohin?
    Das dürfte uns routinierten Werbefernsehern klar sein. Bleibt noch die Anzahl der Anspielungen herauszufinden und schließlich zu grübeln:


    Wer hat’s erfunden?

  • von Churchill



    „Hast du mir überhaupt zugehört?“
    Ihre Augen feuern blitzende Fragezeichen in meine Richtung.
    „Natürlich, Schatz. Glaubst du wirklich, du bist zu überhören?“
    Ich beuge mich schnell zur Seite, um dem zwangsläufig folgenden Wurfgeschoss ihrerseits auszuweichen. Diesmal ist es ein Tortenheber, was durchaus logisch zu erklären ist, da sie gerade die Herrentorte für den so bedeutsamen Anlass bereitet. Heute verzichte ich darauf, sie durch lässiges Auffangen des geworfenen Objekts noch mehr zu reizen.


    „Dann wiederhol es bitte!“
    Erwähnte ich, dass es sich bei ihr um eine frisch examinierte Lehrerin für Deutsch und Geschichte handelt?
    „Pass auf, Schatz, du erklärst es mir jetzt noch einmal, und ich verspreche dir, mir das gut zu merken...“ Sanfter Ton und Hundeblick sind angesagt.
    „Ach du...! Du weißt doch genau, wie wichtig mir das heute ist . Papa legt großen Wert darauf, dass du das ganz förmlich machst. Und Mama musst du beeindrucken. Sie hat immer Angst gehabt, dass ich mich in jemand verliebe, der nichts hat und nichts kann. So eine Hochzeit ist doch etwas Wesentliches. Etwas Grundlegendes. Etwas für immer.“


    „Weiß ich doch, mein Schatz“. Anmerkungen zur statistischen Wahrscheinlichkeit von Ehescheidungen oder zu den begrenzten Karrierechancen für Geschichts- und Deutschlehrerinnen schenke ich mir anlässlich dieser historischen Stunde.


    „Sag bloß nicht, dass deine Promotion noch nicht abzusehen ist. Und dass du deine Zeit mit dem Schreiben von Romanen verbringst. Vor allem erwähne nicht, dass du zu “Studienzwecken“ abends ständig in Kneipen herumsitzt, um Atmosphäre aufzusaugen. Du musst dich gut verkaufen. Auf jeden Fall besser als deine Bücher....“
    Ihr ausgeprägter Realitätssinn beeindruckt mich immer neu. Bei allen Anweisungen ist zu berücksichtigen, dass ihr Vater selbstverständlich ebenfalls Lehrer ist. Mathe und Physik. Fast überhöre ich die Fortsetzung des Tagesbefehls.


    „Diskutiere auf keinen Fall über Politik mit Papa. Mama hasst es, wenn man mit vollem Mund spricht. Und behandle mich nicht so...so wie sonst. Wenn der Abend nur schon rum wäre!“ In diesem Punkt treffen sich unsere Wünsche, zumal die Unerfüllbarkeit fast aller ihrer Forderungen mich unweigerlich in die Rolle des Damokles zwängt, die mich die Köstlichkeiten in Form von Mutters Braten und Tochters Torte angesichts des allzu dünnen Fadens eigener Diskutierlust und Pointengier nur eingeschränkt genießen lässt. Lediglich der Zeitpunkt des Fadenrisses und somit der Augenblick der Begegnung des elterlichen Schwertes mit meinem Haupt scheint noch fraglich.


    Schweigend fahren wir zu ihrem Elternhaus. Sie kennt den Weg. „Du brauchst dich nur an den Schildern Richtung “Schlachthof“ zu orientieren.“ „Ich weiß...“


    Die Tür öffnet sich. „Na endlich, Kinder, kommt rein, das Essen wird doch kalt.“
    Ein netter Abend. Ich interessiere mich für das Rezept der Madagaskarpfeffersoße und die Bedeutung der Naturwissenschaften in der Ausbildung unserer noch nicht geplanten Kinder. Und vor allem erfreue ich mich am Augenleuchten Mamas und Papas, als ich ihnen verrate, wie glücklich ich bin, mit der wunderbarsten aller Frauen bald vor den Altar treten zu dürfen. Unter dem Tisch tritt mich diese wunderbarste Frau ans Schienbein. Oberhalb aber strahlt sie genauso wie Mama und Papa. Der Faden hat gehalten.