"Der Vorleser" von Bernhard Schlink


  • Sicher, die allermeisten Bücher enthalten Beschreibungen, sei es nun eine Häuserwand oder eine Blumenwiese. Das muss einem nicht gefallen, ganz klar. Und beschrieben wurde auch im Vorleser. Allerdings meiner Meinung nach nicht übertrieben viel. Aber das nimmt jeder anders wahr.
    Geschichte ruhen lassen? In manchen Fällen, sicher. Beim dritten Reich: Definitiv Blödsinn! Ich habe irgendwo in mir die Hoffnung, dass diese Geschichte einfach so krass war, dass sie sich so nie wieder wiederholen wird. Aber das geht nur, wenn wir uns erinnern!
    Schau, vielleicht gibt es Menschen, denen es wehtut, diese Bilder wieder vor Augen gefühlt zu kommen. Aber ebenso gibt es Menschen, denen es wehtut, wenn alles vergessen wird (denk z.B. an Angehörige von Leuten die in einem KZ gestorben sind oder so) - und was soll man da stärker gewichten? Nun, da hilft nur, einen Mittelweg zu finden. Aber einfach alles ruhen lassen und sich nicht damit beschäftigen ist in meinen Augen absolut der falsche Weg.
    Nebenbei bemerkt haben Schulnoten oft wenig mit Interesse zu tun, wie du auch schon bemerkt hast.

    "Ich bin dreimal angeschossen worden – was soll man da machen." (Robert Enke)


    "Accidents" happen in the dark.

  • Zitat

    Original von Fran-87



    Geschichte ruhen lassen? In manchen Fällen, sicher. Beim dritten Reich: Definitiv Blödsinn! Ich habe irgendwo in mir die Hoffnung, dass diese Geschichte einfach so krass war, dass sie sich so nie wieder wiederholen wird. Aber das geht nur, wenn wir uns erinnern!
    Schau, vielleicht gibt es Menschen, denen es wehtut, diese Bilder wieder vor Augen gefühlt zu kommen. Aber ebenso gibt es Menschen, denen es wehtut, wenn alles vergessen wird (denk z.B. an Angehörige von Leuten die in einem KZ gestorben sind oder so) - und was soll man da stärker gewichten? Nun, da hilft nur, einen Mittelweg zu finden. Aber einfach alles ruhen lassen und sich nicht damit beschäftigen ist in meinen Augen absolut der falsche Weg.


    Wenn du das aber so auslegst, dann dürfte man gar nichts, was in der Geschichte passiert ist ruhen lassen. Pearl Harbor, die französischen Revolution, die in manchen Ländern noch nicht mal etwas gebracht hat. Du weißt was ich meine.
    Und wenn man an all die Zeitem zurückdenken würde und an die Angehörigen denken würde, die es heute immer noch weh tut, so welche Bilder zu sehen oder eben die Angst davor, dass die Menschen sowas vergessen. Aber jeder Mensch verarbeitet so ein Schicksal anders. Das ist doch genau das gleiche, wie wenn einer aus deiner Familie stirbt. Entweder geht man arbeiten ohne Ende um nicht mit den Tod konfrontiert zu werden. Wieder andere verschließen sich in einem Zimmer und wollen mit niemanden reden oder gar irgendjemanden sehen.
    Sicher war/ist das dritte Reich in wichtiger Faktor in der deutschen Geschichte, und auch jeder Deutsche sollte wissen wie es zu stande gekommen ist und was genau daran so schlimm war. Und auch bin ich dafür, dass man das im Geschichtsunterricht mal aufgreifen und besprechen sollte.
    Jedoch in meiner Freizeit muss ich mich dafür nicht interessieren und auch nicht wirklich ein Buch darüber lesen. Dies war ja auch noch eine Schullektüre. Und wie schon gesagt habe ich eigentlich kein Problem mit Schullektüren. Ich lese sie sogar recht gerne. Und bestimmt gibt es noch schlimmere Schullektüren als den Vorleser.
    Aber wie ich auch schon gesagt habe, finde ich die "Liebesgeschichte" nicht sonderlich ansprechend. Die ist 36 und schläft mit einem 15 jährigen Jugen.
    Vielleicht bin ich in der Hinsicht ja auch sehr Konservativ, mag sein. Aber sowas finde ich abstoßend. Das wäre das gleiche, als wenn ich damals mit 15 Jahren mit meine 36 Jahre alten Patenonkel geschlafen hätte.

  • Dagegen dass du die Liebesgeschichte nicht magst, hab ich ja auch gar nichts gesagt. Ob man jemanden verurteilt, der mit einem (viel) älteren Menschen zusammen ist (oder auch nur Sex hat) muss jeder selber wissen, ich tu's nicht.
    Du musstest das Buch in der Schule lesen, und nicht privat, also sieh es doch auch so. Im Zusammenhang mit dem dritten Reich liest jeder wohl andere Bücher in der Schule (bei mir waren es "Damals war es Friedrich" und "Sansibar"), und jedes Buch spricht einen unterschiedlich stark an. Das ist doch klar. Das habe ich nie bestritten.
    Genauso habe ich auch gesagt, dass jeder mit vergangenen Dingen aus der eigenen Erfahrung anders umgeht und man deshalb einen Mittelweg finden muss. Was genau widerspricht daran jetzt dem, was du in deinem Beitrag geschrieben hast?
    Und nein, ich gewichte nicht jedes Ereignis in der Geschichte gleich - dementsprechend weiß kein Mensch, was für ein Sack Reis sechzechnhundertblablabla in China umgefallen ist, aber jeder weiß, dass es den zweiten Weltkrieg gegeben hat. Und so finde ich es auch richtig. In gewisser Weise ist immer subjektiv, was als "wichtig" eingestuft wird, aber bei gewissen geschichtlichen Ereignissen würde da eine breite Masse zustimmen.

    "Ich bin dreimal angeschossen worden – was soll man da machen." (Robert Enke)


    "Accidents" happen in the dark.

  • Zitat

    Original von JustMeNico


    Aber wie ich auch schon gesagt habe, finde ich die "Liebesgeschichte" nicht sonderlich ansprechend. Die ist 36 und schläft mit einem 15 jährigen Jugen.
    Vielleicht bin ich in der Hinsicht ja auch sehr Konservativ, mag sein. Aber sowas finde ich abstoßend. Das wäre das gleiche, als wenn ich damals mit 15 Jahren mit meine 36 Jahre alten Patenonkel geschlafen hätte.


    Schlink hat diese "Liebesgeschichte" doch absichtlich so geschrieben, dass sie auf gemischte Gefuehle beim Leser stoesst. Sie ist doch auch als Metapher fuer das schwierige Verhaeltnis zwischen den Generationen der Nazizeit und der Nachkriegszeit gedacht. Wenn ich mit meiner Oma geredet hab ueber ihre Erfahrungen in der Kriegszeit, da kommen mir auch sehr gemischte Gedanken. Einerseits lieb ich sie natuerlich, andererseits frag ich mich auch ob sie nicht einfach nicht sehen wollte warum die Juden in ihrem Dorf nach und nach "verschwanden" ... und kann ihr auch nicht direkt einen Vorwurf machen. Das jetzt nur als kleines Beispiel, in anderen Familien sieht es sicherlich noch "abstossender" aus ....

    Gruss aus Calgary, Canada
    Beatrix


    "Well behaved women rarely make history" -- Laura Thatcher Ulrich

    Dieser Beitrag wurde bereits 1 Mal editiert, zuletzt von Beatrix ()

  • Richtig. Mein Großvater hat voller Überzeugung im Krieg gekämpft. Sowas ist nicht leicht zu verstehen, wenn man nicht selber erlebt hat, wie zwingend Hitlers Autorität war und wie groß auch der "Gruppenzwang" war. Natürlich, sowas ruft immer gemischte Gefühle hervor. Und genau das wird super in diesem Buch umgesetzt, das sehe ich auch so.

    "Ich bin dreimal angeschossen worden – was soll man da machen." (Robert Enke)


    "Accidents" happen in the dark.

  • Das Thema im Vorleser ist ja nicht an allererster Stelle die Zeit des 3. Reiches an sich, sondern die Frage wie wir mit der Schuld darueber heute umgehen. Dazu moechte ich auch einen anderen Titel von Schlink empfehlen, wo er in mehreren Essays die Frage der Vergangenheitsschuld beleuchtet. Es ist ein Sachbuch, das auf einer Vorlesungsreihe basiert, die er 2008 in Oxford hielt. Fuer mich ist Vergangenheitsschuld: Beiträge zu einem deutschen Thema eine logische Folge zum Vorleser.

    Gruss aus Calgary, Canada
    Beatrix


    "Well behaved women rarely make history" -- Laura Thatcher Ulrich

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  • Zitat

    Original von JustMeNico
    Und bestimmt gibt es noch schlimmere Schullektüren als den Vorleser.
    Aber wie ich auch schon gesagt habe, finde ich die "Liebesgeschichte" nicht sonderlich ansprechend. Die ist 36 und schläft mit einem 15 jährigen Jugen.
    Vielleicht bin ich in der Hinsicht ja auch sehr Konservativ, mag sein. Aber sowas finde ich abstoßend. Das wäre das gleiche, als wenn ich damals mit 15 Jahren mit meine 36 Jahre alten Patenonkel geschlafen hätte.


    Wenn ich so etwas lese, habe ich das Gefühl, dass am Unterricht etwas nicht gestimmt hat.
    Natürlich muss man nicht alles "mögen", aber die Geschichte ist fiktiv und der Autor hatte schon einen Grund, warum er sie so erzählt hat.


    Vielleicht bringen diese Links etwas mehr Klarheit:


    http://www.christoph-schmidt.d…r/content.php?action=home


    http://www.ratsgymnasium-gladb…elerprojekte/dervorleser/


    http://www.teachsam.de/deutsch…vorl/schl_vorl_4_2_2.html

  • Zum Inhalt:


    Michael ist gerade 15 Jahre alt als er Hanna Schmitz begegnet. Sie ist seine erste große Liebe. Doch Hanna ist nicht nur viel älter als Michael, nein, sie hütet auch ein Geheimnis, dass um keinen Preis ans Tageslicht kommen soll.
    Eines Tages ist sie einfach verschwunden. Michael trifft sie erst Jahre später wieder. Doch die Umstände des Wiedersehens sind keine positiven…


    Meine Meinung:


    Für mich gehört „Der Vorleser“ schon jetzt zur klassischen Literatur, die in jedem Deutschunterricht behandelt werden sollte.


    Bernhard Schlink schafft es mit seiner Sprache, die er verwendet, wunderschöne Metaphern und Bilder zu erschaffen. Die Sprache ist zwar etwas gehoben und vielleicht nichts für jederman, aber sie ist sehr malerisch und spielerisch. Wenn man sich darauf einlässt, kann sie einen an einen anderen Ort entführen.


    Die Geschichte von Michael wird in der Ich-Perspektive erzählt und macht so seine Gefühle und Empfindungen deutlich. Von der ersten bis zur letzten Begegnung mit Hanna steht er doch immer zu ihr und kann sich doch nicht von ihr lösen, auch wenn er es vielleicht gerne getan hätte. Der Zwiespalt, der in ihm herrscht, wird so immer wieder deutlich gemacht.


    Ich habe mich so oft während des Lesens gefragt, wie viel anders Michaels Leben doch hätte verlaufen können, wenn er Hanna nicht getroffen hätte. Wäre er glücklich geworden?


    Ein zentrales Thema des Buches ist der Stolz. Hanna, die zu stolz ist sich ihre Schwächen einzugestehen und Michael, der zu stolz ist Hanna zu helfen. Die beiden sind in gewisser Form von einander abhängig und passen doch nicht zusammen.


    Die Geschichte von Michael und Hanna hat mich tief berührt und am Ende musste ich sogar die eine oder andere Träne verdrücken.


    Auch die Themen des Zweiten Weltkrieges und des Analphabetismus sind gut heraus gearbeitet.


    Für mich ein wirklich wunderbares Buch.


    Bewertung: 5/5 Sterne

  • Eine beeindruckende Geschichte.. zuerst fand ich den Altersunterschied zwischen den Protagonisten ziemlich abstoßend. Aber mit der Zeit gibt das Buch einem so viele Denkanstöße, das man das abstoßende einfach übergehen kann...


    Der ruhige Schreibstil hat mir so gut gefallen, das ich das Buch in einem Tag verschlungen habe.


    Die Verfilmung möchte ich mir auch anschauen

  • Interessant, die Diskussion hier!
    Schulpflichtlektüre scheint selten beliebt zu sein, mir sind Grass und Böll dadurch auch "verdorben" worden, während ich Manns "Tonio Kröger" und Storms "Schimmelreiter" später noch mehrmals "privat" gelesen habe.
    Das Thema "Alt liebt Jung" stiess mir nicht sauer auf. Zumal sich die wenigsten Leute aufregen, wenn der männliche Teil der ältere ist. Außerdem gibt es Frauen in Hannas Alter, die innerlich und äußerlich jünger sind als Frauen der nächstjüngeren Generation. Und vor allem: Wenn die Beiden es gut finden, muss ich darüber nicht rechteln.
    Da unsere Zukunft aus dem, was wir heute in der Gegenwart tun, entsteht, und das Heute aus dem entstanden ist, was in der Vergangenheit geschah, finde ich es wichtig, dass man sich mit der Vergangenheit beschäftigt.
    Ich kenne Film und Buch, beides gefällt mir (was sehr selten ist!)!
    Worüber ich immer wieder nachdenken kann (was auch dazu führt, dass mir Buch und Film gefallen), ist das Verhalten von Michael.

    Zitat

    Original von Jersey
    Michael wird als der klassische Mitläufer charakterisiert. Obwohl er die Ungerechtigkeit erkennt, wagt er es nicht, aufzustehen und für Gerechtigkeit zu sorgen. Lieber den Mund halten, lieber verleugnen und irgendwelche Ausflüchte, Rechtfertigungen und Ausreden suchen.


    Das habe ich total anders empfunden! Für mich schwieg Michael, weil er Hanna nicht bloßstellen wollte. Er wollte sie schützen. Er akzeptierte, dass sie lieber ins Gefängnis gehen als ihr Analphabetentum offenlegen wollte. Trotzdem hat er diese seine Entscheidung nie komplett als richtig empfunden. Deshalb war es auch für ihn so toll, dass er auf die Idee mit den Cassetten kam. Aber hier wurde mE ohnehin schon viel zu viel vom Inhalt verraten....
    Mir bietet der Stoff jedenfalls immer wieder einmal Anlass zum Nachdenken, inwieweit man in das Leben anderer Menschen eingreifen muss/darf... auch und gerade dann, wenn man meint, es sei zu ihrem Besten.
    Ich habe dem Buch soeben 10 Punkte gegeben.

    “Lieblose Kritik ist ein Schwert, das scheinbar den anderen, in Wirklichkeit aber den eigenen Herrn verstümmelt.”Christian Morgenstern (1871 – 1914)

  • Meine Meinung über den "Vorleser":


    Ich habe schon lange von dem Buch gehört, konnte mir aber nie ein Bild von seinen Inhalten oder den darin behandelten Themen machen und habe es innerlich mehr oder weniger als einen weiteren schnöden Schinken abgekanzelt, der einem ohnehin nicht gefallen würde. Im vergangenen Jahr wurde der Roman dann zur Schulpflichtlektüre, da Primo Levis "Ist das ein Mensch?" in der Buchhandlung nicht verfügbar war und daher dieser Roman nachgerückt ist. Ich hatte mir vorgenommen, ihn in den Herbstferien zu lesen, und habe das Buch innerhalb von drei Tagen verschlungen (was bei meinem langsamen Lesetempo an ein Wunder grenzt). Im Februar/März musste ich es als Vorbereitung für meine mündliche Abiturprüfung erneut lesen und bin dabei erst auf die interessanten, detailiert ausgearbeiteten Feinheiten gestoßen, die Schlink gekonnt in die Geschichte gestreut hat. Letzten Endes habe ich nicht bereut, das Buch gelesen zu haben; erstens, da es sich sehr angenehm lesen lässt; zweitens, da es sehr zum Nachdenken anregt; und drittens, da es meiner Abiturnote auch nicht geschadet hat. :grin


    Metaphern wie eine Blumenwiese oder eine Häuserwand mögen irritierend wirken und gehören sicherlich nicht zu den Stärken des Romans, jedoch sind es gerade die Gedanken des Ich-Erzählers und Protagonisten Michael über die Aufarbeitung der NS-Vergangenheit, die auch den Leser zum Nachdenken anregen. Um ehrlich zu sein, hat es kein anderes Buch in einem solchen Maße wie der "Vorleser" geschafft, mich zur Auseinandersetzung mit der Schuldfrage im Zusammenhang mit dem Zweiten Weltkrieg anzuregen. Wenngleich erst vor zwanzig Jahren erschienen, zählt "Der Vorleser" meiner Meinung nach bereits zu den Klassikern deutscher Literatur und sollte von jedem gelesen werden, da es nicht nur mehrere wichtige Themen miteinander verknüpft, sondern sich auch angenehm lesen lässt und in der Schule daher nicht für weiteren trockenen Lesestoff sorgen sollte, den so gut wie keinen Schüler interessiert. Denn die Beschäftigung mit den Katastrophen des Zweiten Weltkrieges sollte jeden Schüler interessieren resp. wenigstens nicht in Vergessenheit geraten.