Die kleine Kartäuserin - Pierre Péju

  • Handlung:
    Eine französische Kleinstadt im November, kalter Regen fällt auf den Boulevard. Wie in Zeitlupe sieht der Buchhändler Etienne Vollard das Mädchen im roten Anorak auf seine Kühlerhaube aufschlagen. Ihn trifft keine Schuld, das Kind ist nach der Schule einfach auf die Straße gerannt. Eva überlebt schwerverletzt und liegt wochenlang im Koma, und während ihre Mutter die Besuche im Krankenhaus kaum erträgt, schafft Etienne, was sonst nur ein Vater könnte: Er, der ein kultivierter Sonderling ist und schon lange niemanden mehr im Arm gehalten hat, spricht mit dem bewußtlosen Mädchen, erzählt ihm unermüdlich Geschichten, liest ihm die schönsten Texte vor, die er in seinem kleinen Buchladen »Wort und Sein« finden kann. Nach Wochen erwacht Eva endlich - doch ohne jemals wieder sprechen zu können. Und dann wird sie in ein weit entferntes Sanatorium verlegt.


    Autor:
    Pierre Péju, 1950 geboren, ist Dozent für Philosophie, Essayist und Autor mehrerer Biographien, u.a. über Tieck, Chamisso und Bonaventura. „Die kleine Kartäuserin“ ist sein erster Roman, der auf deutsch erscheint; in Frankreich war er einer der größten Bucherfolge der letzten Jahre.


    Meine Meinung:
    Dieses dünne Buch hat so viele schöne, berührende, philosophische Ansätze, ich müsste fast jeden Satz des Buches zitieren.
    Wir lernen diesen liebenswerten Buchhändler kennen, der fast keine Beziehung zu Menschen hat, dafür ein gutes Gedächtnis und dessen ganze Liebe in Büchern verschwindet. Bis zu dem Tag als der Unfall geschah
    Wie er dann, mit Textpassagen die kleine Eva aus dem Koma holt und so den Tod zum ersten mal besiegt.
    Wir erfahren von seiner Schulzeit die er, Etiennne Vollard, durchleben musste, wie er gepiesackt wurde.
    Die Mutter Therese ist so etwas von gleichgültig und so kalt, mir brach es fast das Herz.
    Vollard kämpfte statt ihrer, bis zur letzten Seite. Er kam auch wieder aus dem Schneckenhaus heraus, in das ich ihn dazwischen schlüpfen sah. Der Buchhändler gewann einiges und verlor vieles.


    Ich möchte nicht zu viel schreiben, denn dieses Buch ist Lesenswert! 10 Punkte

  • @ Leonardo : Schön, dass Du dieses tolle Buch vorgestellt hast! :knuddel1
    Noch kurz zu meiner Meinung:


    "Die kleine Kartäuserin" ist ein sehr vielschichtiges Buch.
    Zum einen eine Liebeserklärung an die Literatur, die gleichzeitig auch eine Warnung vor dem Missbrauch derselben, zur Realitätsflucht, ist.
    Zum anderen ein teils skuriller Roman, der seine Protagonisten, in ihrem tiefsten Inneren und in vielen ungewöhnlichen Perspektiven darstellt.
    Es ist ein trauriges Buch, die Schicksale der Figuren sind alle in sich tragisch. Das führt sie auch irgendwie zusammen.
    Da ist zum einen der Buchhändler Vollard, der massige, rothaarige Hüne, mit seiner schrecklichen Kindheit, der sein Leben lang vor sich selbst nur noch in die Welt der Bücher flüchten kann und sich in diesem Zustand eingerichtet hat. Durch den Unfall mit der "kleinen Kartäuserin" wird im seine Lage jedoch bewusst. Seine innerer Schmerz und seine unterdrückten Gefühle kommen in ihm hoch. Er versucht davor zu fliehen, doch er hat diesen Weg beschritten und es gibt kein zurück mehr. Immer wieder zieht es ihn zu der kleinen Eva und somit zu seiner Auseinandersetzung mit sich selbst hin.
    Dann ist da das kleine verlorene Mädchen Eva und seine psychisch kranke Mutter, die ebenfalls ständig auf der Flucht vor sich ist. Diese Flucht äußert sich bei ihr jedoch räumlich, sie kann nicht lange an einem Ort sein, nur in der Bewegung,wird sie "unsichtbar" und kann sich verlieren. Eva ist ihr Anker in einem geregelten Leben, doch sie schafft es mehr schlecht als recht ihrer Rolle als Mutter gerecht zu werden, all das ist unwirklich für sie. Nach Evas Unfall spitzt sich die Lage zu.


    Péju lässt viel von seinem eigenen Leben in diese Geschichte fließen, er selbst stammt ja aus einer Buchhändlerfamilie und dieses "Insiderwissen" kann man auch in jeder Zeile spüren.
    Auch die Studentenunruhen, die im Buch der Erzähler erlebt, hat er selbst erfahren und eingearbeitet.
    Sein Stil ist ausgefeilt und zudem doch sehr emotional.
    "Die kleine Kartäuserin" ist insgesamt ein sehr gelungenes Werk. :anbet

  • Ich fand es auch wunderbar. :-]
    Ein wahres Schätzchen, leicht zu lesen, aber mit viel, viel Inhalt
    Es ist zwar schrecklich traurig, aber gibt auch an einigen Stellen viel
    Hoffnung.


    Ich hätte auch nie gedacht, daß ich dem alten Kauz einmal
    soviel Zuneigung entgegenbringen könnte. :grin


    Leonardo ,


    ich habe überlegt, ob es nicht besser wäre, wenn Du das Ende
    spoilern würdest :gruebel
    Kannst Du Dir ja überlegen :-)


    Ansonsten stimme ich Dir voll und ganz zu ein wunderschönes Buch!!


    Morgendliche Grüße von Elbereth :wave

    “In my opinion, we don't devote nearly enough scientific research to finding a cure for jerks.”

    ― Bill Watterson

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  • Ich hatte den Rezensionen nach ein anderes Buch erwartet, als das, was ich dann tatsächlich gelesen habe. :wow


    Die Sprache ist tatsächlich wunderbar, kein Satz wirkt dahin geschrieben, jeder ist kunstvoll ausgearbeitet, die Erzählung ist durchsetzt mit Metaphern und Vergleichen. Eigentlich liebe ich sowas, finde es toll, Gedanken nachzufühlen, Bedeutungen zu suchen. Nur hier war es manchmal beinahe zu viel, ich ertappte mich bei Gedanken wie: ja, das klingt natürlich wirklich schön, aber was heißt das? Wie passt das in die Geschichte?


    Viele der philosophischen Ansätze waren interessant, ich mag Philosophie in Romanen, kleine Exkurse, wie zuletzt bei Nachtzug nach Lissabon gelesen (wobei da von klein nicht die Rede sein kann), allerdings war ich hier manchmal verwirrt. Dann entstehen Brüche, hier setzt plötzlich ein Erzähler ein, von dem vorher nie die Rede war, dort denkt der Protagonist plötzlich Sachen, die anmuten wie ein kurzzeitiges Delirium. Das Buch ist so ... schlüpfrig. Die Geschichte an sich ist berührend, ergreifend, tieftraurig; manche Passagen sind zum Festhalten schön, aber dann schlüpft es wieder aus meinem Kopf heraus, es passieren Dinge, bei denen ich mich frage, wie der Autor denn jetzt darauf kommt.


    All die Dinge, die ich mir erhoffte, Liebe, Kraft der Literatur ... habe ich nicht gefunden. Hoffnung? Die habe ich wohl überlesen.


    Was bleibt, ist eine schöne Sprache ... und eine schöne Idee, ein interessanter Protagonist, alles wunderbare Ansätze. Ich will nicht sagen, dass die Geschichte mir nicht nahe gegangen wäre. Aber letztendlich hat irgendwas leider nicht so ganz funktioniert ...

  • Titel: Die kleine Kartäuserin
    OT: La petite Chartreuse
    Autor: Pierre Peju
    Verlag: Piper
    Erschienen: Mai 2007 (2. Taschenbuchauflage)
    Seitenzahl: 189
    ISBN-10: 3492248713
    ISBN-13: 978-3492248716
    Preis: 8.00 EUR


    Zum Inhalt:
    Wie in Zeitlupe sieht der Buchhändler Etienne Vollard das Mädchen im roten Anorak auf seine Kühlerhaube aufschlagen. Ihn trifft keine Schuld. Eva liegt wochenlang im Koma, was ihre Mutter kaum erträgt. Etienne dagegen, ein Sonderling, besucht sie täglich, erzählt dem bewusstlosen Mädchen unermüdlich Geschichten und liest ihm die schönsten Bücher vor, die er in seinem kleinen Laden finden kann. Nach Wochen erwacht Eva endlich - doch ohne jemals wieder sprechen zu können ...


    Der Autor:
    Pierre Peju wurde 1950 geboren und ist Dozent für Philosophie, Essayist und Autor mehrerer Biographien unter anderem über Tieck, Chamisso und Bonaventura. Sein Roman „Die kleine Kartäuserin“ war einer der größten Bucherfolge der letzten Jahre in Frankreich.


    Meine Meinung:
    Pierre Peju hat ohne Frage ein bemerkenswertes Buch geschrieben, ein Buch das durch seine ruhige Emotionalität besticht. Es ist ein Buch über menschliches Verhalten, es ist aber auch Buch über die Literatur, über die Faszination der Literatur. Peju macht deutlich, dass die Literatur etwas sehr Schönes im Leben sein kann, aber eben das leben des Lebens nicht ersetzen kann. Die Literatur ist eben auch nicht der Ersatz für menschliche Nähe, sie kann menschliche Nähe allenfalls ergänzen. Das Vergraben in Bücherbergen ist nichts anderes als eine Flucht vor den Dingen, die Leben bedeuten. Peju zeigt aber auch, dass von der Literatur eine ungeheure Faszination ausgeht. All das schildert Peju mit großer Ruhe und großem Verständnis für menschliches Verhalten. Aber es ist sehr beredte Ruhe, der sich Peju bedient. Es ist ein Buch der etwas leiseren Töne und das sein Anliegen eben nicht marktschreierisch unter die Leute bringt. Sehr lesenswert.

    Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst. (Evelyn Beatrice Hall)


    Allenfalls bin ich höflich - freundlich bin ich nicht.


    Eigentlich mag ich gar keine Menschen.