'Der Tribun' - Seiten 124 - 283

  • Hab den zweiten Teil fast fertig. Die Entwicklungen der unterschiedlichen Mentalitäten ist Super. Man fühlt richtig mit, wie die einzelnen Personen die andere aus einer anderen Sicht anschauen. Vor allem die Erörterungen über Erziehung und allgemeine Lebensart sind Super.


    Hier muss ich ein Lob an Iris aussprechen, da sich besonders hier eine Heidenarbeit (Recherche) dahinter steckt, dies zu schreiben!


    Politisch gesehen hoffe ich ja für alle, daß es eine Annäherung gigt, und Cinna bestimmt seinen Teil dazu beitragen wird!


    Also bis jetzt, war ich nicht enttäuscht über das Buch.

    Gruss Hoffis :taenzchen
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    :lesend Der fünfte Tag - Jake Woodhouse
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  • Ich bin nun auch weitergekommen.
    Der Teil läuft ausgezeichnet.
    Die Folterszene ist beeindruckend gut.
    Was ich persönlich interessant finde, ist die Art, wie Du bislang gearbeitet hast.
    Die sehr detaillierte Auslage der Szenerie, die Einführung der Personen und nun die allmähliche Verengung des Blicks auf die Personen, ihre Motive, die Interaktion und die dadurch bedingte Weiterentwicklung der Gesamthandlung.
    Nun bist Du im Fluß und, siehe da, die Partizipien schwinden. Es wird erzählt. So soll's sein.
    Entwicklungsroman kann ich nicht ganz befürworten eher Roman mit Motiven des Entwicklunsgromans.
    Ein Problem sehe ich in der Beziehung Hraban-Cinna. Die Balance zu halten ist schwer, im Moment hat Cinna das Übergewicht, erzähltechnisch geshen. Hraban bleibt ein bißchen blaß.
    Saldir ist mir immer noch nicht grün, einfach zu süß, aber ich warte.
    Ich bin echt gespannt auf weiteres von Liuba.
    Insgesamt kommst Du mit dieser doch recht großen Gruppe von Personen gut hin.
    Dir Arbeit, die da drin steckt, merkt man überhaupt nicht mehr.


    Was mich gestört hat, war natürlich, daß sich die römische Kultur wieder als Leitkultur vorarbeitet. Das hatte ich schon befürchtet, als mir aufging, daß Sunja Latein spricht. Aber das ist die Entscheidung der Autorin, deswegen ist es kein schlechtes Buch.


    Dein oben irgendwo angeführter Vergleich Arminius-Castro hat mich verunsichert. Du hast nicht vor, mir sechstündige Non-Stop-Reden unter glühender Sonne zu liefern, oder????
    Hilfee!
    ;-)

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus

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  • Zitat

    Original von magali
    Die Folterszene ist beeindruckend gut.


    Danke! :anbet


    Zitat

    Entwicklungsroman kann ich nicht ganz befürworten eher Roman mit Motiven des Entwicklunsgromans.


    Es gibt ohnehin keine Reinformen der einzelnen Romantypen oder -genres, alles ist Mischung. Allerdings spielt die persönliche Entwicklung eine große Rolle -- zugegeben, nicht wie im Roman des 20.Jhs. die zentralste, aber nur die Entwicklung der Hauptfigur (und die der Nebenfiguren) macht die Entwicklung der Handlung möglich. :-)


    Zitat

    Insgesamt kommst Du mit dieser doch recht großen Gruppe von Personen gut hin.
    Dir Arbeit, die da drin steckt, merkt man überhaupt nicht mehr.


    Was mir beides sehr wichtig war ... Deshalb gibt es auch keine starken Sprünge, was Orte und Zeiten angeht, denn das würde die Handlung zu Lasten der Figuren verzetteln.


    Zitat

    Was mich gestört hat, war natürlich, daß sich die römische Kultur wieder als Leitkultur vorarbeitet. Das hatte ich schon befürchtet, als mir aufging, daß Sunja Latein spricht. Aber das ist die Entscheidung der Autorin, deswegen ist es kein schlechtes Buch.


    Das soll keine Verteidigung einer "gottgegebenen Überlegenheit" sein, sondern schlichtweg eine Bestandsaufnahme des damaligen, über mehrere Jahrhunderte währenden status quo.
    Man kann einfach nicht so tun, als hätten die Menschen in der wilden Germania davon unbeeindruckt ihre eigene Lebensweise weitergeführt -- das wäre eine sehr moderne, "romantische" Sichtweise.


    Die Situation hat Ähnlichkeit mit heutigen Zuständen -- unbestritten gibt es eine ökonomische, militärische und kulturelle Hegemonie der USA. Die Frage ist, wie geht man damit um? Kämpfen ist ziemlich sinnlos, Selbstaufgabe geradezu selbstmörderisch, und den Kopf in den Sand zu stecken ...?



    Und keine Bange! Ich schicke niemanden in die Karibik -- zumindest nicht in diesem Roman! :lache

  • Danke für die ausführliche Antwort.


    In welchem Maß die Begegnung mit den Römern die Völkerschaften in der Germania geprägt haben, ist sicher nicht leicht zu beantworten. Ich nehme an, daß jede Variante vorkam, je nach Ort und Zeit. Abwehr, Übernahme, langsames Einfließen, echter Austausch, Aufzwingen, ganz unberührt bleiben, wieder in Vergessenheit geraten, und, wie es realiter geschieht, alles dicht nebeneinander. Der Zeitfaktor muß auch miteinbezogen werden, hast Du ja in Deiner Antwort schon getan.
    Begegnung von Kulturen in einem Roman zu thematisieren ist immer spannend.
    Worüber ich stolpere, ist das, was wir in unserem 20.-Jahrhundert-Kopf haben und was dann automatisch beim Schreiben einfließt.
    Bitte mißverstehe das Folgende jetzt nicht als Kritik an dem Text, sondern nur als eine Art theoretische Grundüberlegung:
    Wenn Cinna unter der Folter Homer 'denkt', frage ich mich: warum Homer?
    Erst frage ich mich sachlich: war diese Dichtung so zentral in der Ausbildung?
    Auf jeden Fall ist der Protagonist - 'Philhellene' kann ich nicht sagen - , philo-graek? Okay, wirf was nach mir wegen des Ausdrucks! Aber Du verstehst, was ich meine, ja? Also, er hat eine Schwäche für griechische Kultur, hat seinen Lieblingsdichter gefunden, von daher ist seine Reaktion legitim.
    Dann aber fällt mir ein, welchen Stellenwert Homer in unserem Bildungshorizont hat und ich frage mich: ist das Cinna? Oder die Autorin? Oder 100 Jahre bürgerliche Schul - resp. Universitätsbildung?
    Ich versichere Dir noch einmal, daß das der Güte Deiner Beschreibung keinen Abbruch tut.
    Aber warum Homer?
    Ich weiß, daß es darauf keine einfache Antwort gibt, Du bekommst nur mal meine Überlegungen als Leserin.
    Anderes Beispiel: das Sonnwend-Kapitel.


    Die Götterstatuen sind 'roh' gezimmert.


    'Roh' hat für mich hier eine leicht negative Konnotation.
    Ich weiß, wie sie aussahen, ja, sie waren 'roh'. Aber meine Frage wäre in einem solchen Fall, ob man ein anderes Wort wählen müßte, um auszudrücken, daß es für die Menschen, die da beten, eine rein positive Erfahrung war.


    Ebenso: die jungen Männer beteten die Taten... herunter.


    Hier kamen für mich, sehr zurückgenommen, aber erkennbar, falsche Töne ins Spiel. Es kann deshalb geschehen sein, weil Cinna als Perspektive nicht verwendet wird. Hier spricht eine Art objektiver Erzähler außerhalb von Cinna.
    Auch das bitte nicht als Vorwurf verstehen.
    Perspektivwechsel in einem umfangreichen Text ist ja immer auch Mittel.
    Von daher also kam mein 'Vorwurf' der Leitkultur.
    Ich hoffe, das war klar verständlich. Es geht hier nicht um die einfache Textarbeit, sondern wirklich um die Feinheiten der Feinheiten. Die Profi-Fallstricke ;-)
    Da, wo man ernsthaft überlegen muß, was man denn nun eigentlich aussagt.


    Die Wiederholung von 'Sonnwend' und die Verwendung zahlreicher Adjektive in dem Kapitel klappt ausgezeichnet ;-)


    Und irgendwann werde ich es lernen zu tippen ohne 17 Fehler!! :fetch

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    K. Kraus

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  • Zitat

    Original von magali
    Wenn Cinna unter der Folter Homer 'denkt', frage ich mich: warum Homer?
    Erst frage ich mich sachlich: war diese Dichtung so zentral in der Ausbildung?


    Oh ja! Die Kinder der "gehobenen" Gesellschaft im römischen Herrschaftsbereich wuchsen zweisprachig auf -- griechisch und lateinisch. In der Elementarschule wurde im Falle Latein als Ennius, später Vergil, dazu Cicero gelehrt, im Falle Griechisch Homer und attische Redner wie Isokrates, Gorgias usw. Und zwar gleichwertig nebeneinander ab dem 5. (!) Lebensjahr. Die Römer hielten sich griechische Ammen, Kindermädchen und Erzieher(innen) für ihre Kinder, damit diese von Anfang an Griechisch lernten.
    Zwar war diese griechische Kultur weitgehend schon Vergangenheit, aber man adaptierte sie dennoch.


    Homer war nicht einfach nur "gehobenes Kulturgut" -- er war der Autor, der Stammvater aller Dichtung. Außerdem wurde anhand der homerischen Epen ein Großteil des gesamten Grundschulunterrichts gehalten.
    Die Römer waren sich der kulturellen Überlegenheit Griechenlands vollkommen bewußt; die Vorbilder wurden nahezu grundsätzlich dort gesucht und gepflegt, auch wenn immer mal wieder ein trampeliger Cato auftauchte und über diese "Verweichlichung" der "Sitte der Väter" herzog.


    Zitat

    Auf jeden Fall ist der Protagonist - 'Philhellene' kann ich nicht sagen - , philo-graek? Okay, wirf was nach mir wegen des Ausdrucks!


    Philhellene ist in Ordnung, das Wort ist tatsächlich aus hellenistischer Zeit überliefert. :grin


    Zitat

    ist das Cinna? Oder die Autorin? Oder 100 Jahre bürgerliche Schul - resp. Universitätsbildung?


    Hömma, eine akademische Ausbildung hat Cinna auch genossen, und in der attischen Akademia Platonica wurde ebenfalls sehr viel Wert auf Homer gelegt -- und auf Sappho, die zehnte Muse (jetzt bin ich mal gespannt, ob du die aufspürst ...).


    Diese Elemente sind bei ihm, der damit schon von Kind an auf vertrautem Fuß steht, weitaus tiefer verwurzelt als bei mir, die ich Homer erst als später Teenager kennenlernte, und im Original erst als "Mitteltwen".
    Ich habe mich dabei an Studien aus der Traumaforschung orientiert: Unter Folter hängen sich viele Menschen (nicht alle!) an Altvertrautes. Manch ein später Atheist, der sehr religiös erzogen ist, rezitiert sich endlos Bibelpassagen oder -geschichten. Das ist eine "Realitätsflucht" der Psyche, um diese Erfahrung zu überstehen.


    Noch was -- Achtung! Autor interpretiert sich selbst!


    Zitat

    [Anderes Beispiel: das Sonnwend-Kapitel.
    Die Götterstatuen sind 'roh' gezimmert.
    'Roh' hat für mich hier eine leicht negative Konnotation.
    Ich weiß, wie sie aussahen, ja, sie waren 'roh'. Aber meine Frage wäre in einem solchen Fall, ob man ein anderes Wort wählen müßte, um auszudrücken, daß es für die Menschen, die da beten, eine rein positive Erfahrung war.


    Ich schildere sehr stark aus Cinnas Perspektive. Es ist seine Sicht der Dinge, die sich nun mal nur allmählich wandelt. Er findet diese Götterbilder im Verhältnis zu den (quietschbunten) schicken Statuen, die er gewohnt ist, "roh", während die "Barbaren" das sicherlich anders sehen. Aber dieser Gedanke ist zu diesem Zeitpunkt für ihn noch nicht wirklich relevant. Er fühlt sich immer noch draußen -- obwohl er zu diesem Zeitpunkt im Grunde genommen schon weitaus mehr akzeptiert und integriert ist, als er glaubt. Auch diese Diskrepanz muß berücksichtigt werden.


    Nein, ich empfinde längst nicht alle "Idole" aus dem germanischen Fundgebiet als "roh"; sie sind abstrakter, schlichter, weniger auf Akzidenzien ausgerichtete Darstellungen -- bei diesen Figuren geht es ums Wesentliche, das macht uns heutigen die Interpretation so schwer. Zugleich zeigt es, zu welchem Abstraktionsgrad diese Menschen fähig waren, daß ihre Religion dem Ersten Gebot wesentlich näher stand als die griechisch-römische Religion.


    Nee, nee, das "roh", das plappert eindeutig der immer noch ein wenig schnöselige römische Aristokrat. :grin

  • Iris,
    erst eine Entschuldigung dafür, daß ich Dir hier Zeit klaue, die Du eigentlich für anderes nötig brauchst.
    Ich bin extrem neugierig und wenn ich an einem Thema bin, hemmungslos egoistisch. Dein Buch ist im Moment leider mein 'Knochen' :grin


    Danke für die Ausführungen über die Bildung, in die Richtung habe ich aufgrund vager Erinnerung an Lateinunterricht und später Gelesenes auch gedacht. Ich hatte mal ein wenig mit Antiken-Rezeption zu tun, aber ich schwöre, daß es wenig war, weil ich gemerkt habe, daß es bei mir nicht funkt.
    Sappho? Hast Du die in der Textstelle versteckt? Ich mußte die sowieso zweimal lesen, weil ich beim ersten Mal einfach an der 'action' klebte, da war kein Platz fürs Denken mehr. Beim zweiten Mal konnte ich dann die sprachliche Ausgestaltung würdigen. (Irgendwas hatte ich zu maulen, fällt mir wieder ein ;-) )
    Realitätsflucht resp. psychisches Zurückziehen ist ganz klar und überzeugend. Brauchen wir kein wort drüber zu verlieren, jedenfalls nicht hier.
    Daß die Wahl der Verse reiner Zufall sind, hätte ich bei Dir nicht auch erwartet ;-) Erkannt habe ich die Stelle allerdings nicht. Ich schlage es auf jeden Fall nach.
    Ich kann auch noch nichts sagen, ob das auf diese Weise ankommt. Die 'action' lenkt doch sehr ab. Es stellt sich - wieder bloß laut gedacht - die Frage, ob man, wenn man einen solchen Anspruch umsetzen will, nicht schon weit früher immer wieder auf ein solches überragendes Motiv hinweisen soll.
    Die Wachstafeln sind mir aufgefallen, aber andere Variationen des Motivs offenbar nicht oder nicht stark genug.
    Von daher gesehen - wieder laut gedacht - ist vielleicht die Verwendung von ungewöhnllichen stilistischen Mitteln, also Partizipien, kein schlechtes Mittel, um LeserInnen zum Langsamlesen zu zwingen.
    Muß ich drüber nachdenken :gruebel


    Was das Sonnwend -Kapitel angeht, muß ich widersprechen. Da kommt Cinnas Perspektive nicht zum Tragen. Da hat man wirklich das Gefühl, man hört die Worte eines objektiv beobachtenden Dritten. Der Protagonist ist da nicht präsent, nicht direkt im Text. Er ist nur da aufgrund eines fast vagen 'Vorwissens' von LeserIn oder Leser. Also, ich muß mir beim Lesen aktiv in Erinnerung rufen, daß das Cinnas Augen sind, durch die ich sehen soll.
    Schwierig :gruebel


    *magali läßt den Knochen für heute los*
    :wave

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    K. Kraus

  • Zitat

    Original von magali
    Sappho? Hast Du die in der Textstelle versteckt?


    Um Gottes willen, nein! In einer anderen, weitaus späteren. Es ist ein nicht völlig unbekanntes Zitat.


    Zitat

    Also, ich muß mir beim Lesen aktiv in Erinnerung rufen, daß das Cinnas Augen sind, durch die ich sehen soll.


    Es ist eine "over the shoulder"-Kamera, die gelegentlich in die Totale geht. Aber die Blickrichtung bleibt. Die Sonnwendzeit ist in seinem Kopf eine Wendezeit, in seinem Kopf stagniert es. Mag sein, daß das nicht in letzter Konsequnz geglückt ist ...

  • Dafür brauchst Du nicht rot zu werden.
    Das ist schon Virginia Wolfe Niveau. Die konnte das, weil sie Virginia Wolfe war.
    Unsereiner muß dafür hart arbeiten. So nach dem siebten, achten Roman...
    Wenn wir dann noch am Leben sind. :lache


    Aber alle Achtung, daß Du das bei Deinem Erstling versucht hast.

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus