Freiheit in Krähwinkel" von Johann Nestroy

  • Derzeit scheint es nur Reclam-Hefte zu geben.


    Zum Inhalt: "Freiheit in Krähwinkel" wurde 1848 geschrieben, während des kurzen zensurfreien Zeitraums in Österreich. Durchaus mit Hintergedanken bringt der Journalist und Freiheitsverfechter Ultra dem noch immer in dumpfer Reaktion verharrenden Krähwinkel die Revolution ("wir haben sogar Gedankenfreiheit g'habt, insofern wir die Gedanken bei uns behalten haben. Es war nämlich für die Gedanken eine Art Hundsverordnung. Man hat's haben dürfen, aber am Schnürl führen"). Beißende Satire! Noch immer gültige Betrachtungen zur Ungleichheit in der Gesellschaft! Einerseits.
    In erster Linie ist das Ganze aber eine Posse. Die Freiheit dienert sich an, in diesem sagenhaften Nest, ich bin so frei. Alles wird zerredet und ins Chaos gekalauert. Der Ultra ist manchmal ein verkleideter Russe; der "Revolutionär" eine verliebte junge Frau, die nicht erkannt werden will. Es geht drunter und drüber, es gibt Verwechslungen, Testament-Ärger, und irgendwie steht über allem wieder einmal Nestroys lebenslanger Wahlspruch: "Lachen soll das Volk".


    Der Autor wurde in "Der Zerrissene" vorgestellt.



    Was will er uns sagen? Zunächst einmal: gar nix. Unterhalten will er. Es geht ihm - allem Anschein zum Trotz - nicht darum, etwas zu verändern. Er glaubt nämlich nicht daran, dass sich irgendetwas - und schon gar nicht der Mensch selbst - wirklich ändern kann. Und so dient seine Satire allein der Unterhaltung des Publikums und der eigenen Sprachbesessenheit. Eine Außenwirkung ist möglich, aber eben nicht das eigentliche Ziel.
    Natürlich haben einige seiner bösen, kleinen Spitzen anderen später gute Dienste geleistet: "Es is' übrigens bei keinem Hund noch entdeckt, was er denkt, wann er d'Hand seines Schläggebers schleckt"; "Nur der geistlose Mensch kann den Harm übersehen, der überall durch die fadenscheinige Gemütlichkeit durchblickt". Oder auch "Na, sein S' so gut und wer'n S' noch empfindlich auch! Ein armer Mensch darf nix empfinden als den Hunger, und für den woll'n wir heute sorgen." Nestroy zeigt immer wieder, wie dumm und wie brutal die Reichen sind, indem er sie laut aussprechen lässt, was sie denken - diese Reichen sind nun mal ganz besonders dankbare Satireopfer. Wenn er sich aber auf ein Ziel eingeschossen hat, hält er bereits nach einem anderen Ausschau, dem er sich bei nächstbester Gelegenheit widmet. Selbst im Revolutionsstück "Freiheit in Krähwinkel" steht Kloster- und Kirchenkritik mindestens gleichberechigt neben dem Bekenntnis zum liberal-bürgerlichen Aufstand. Das während der Märzrevolution aufgeführte "Freiheit in Krähwinkel" fällt über die Reaktionäre her, "Lady und Schneider", nach dem Einmarsch der Kaiserlichen, mit derselben Vehemenz über die Revolutionäre. Mit Opportunismus hat das wenig bis nichts zu tun; es entsprach der Stimmung in Wien und Nestroys Tendenz zu eben jener politischen Gesinnungslosigkeit, die ihm seine Feinde damals unterstellt haben. Allenfalls gewisse bürgerliche Ablehnung des Adels lässt sich erkennen, und Konsequenz, wo es um zutiefst Menschliches geht, auch um Schuld, um das Mitfühlen und Mitleiden mit dem Volk, für das er schrieb. Und doch triumphiert schlussendlich immer wieder das Satirische, das Groteske.


    Wer sich durch eine ganze Reihe seiner Stücke grinst und lacht, weiß, warum all die Nestroy-Vermerke in den Polizeiakten niemals ein "Tendenztheater" oder umstürzlerische Umtriebe melden. Dass er beinahe unablässig Ärger mit den Behörden hatte, ist nicht so sehr auf Gesellschaftskritik zurückzuführen, als viel vielmehr auf seine Hanswurst-Rolle, die so gar nicht zum biedermeierlichen Takt- und Schicklichkeitsgefühl passen wollte. Seine Weiberwirschaft, die Zoten, die Blasphemien, die vor allem wurden ihm übel genommen. Solche Dinge entstanden oft spontan. Das - verbotene - Improvisieren auf der Bühne hat Nestroy immer wieder Geld- und Haftstrafen eingetragen, war aber in erster Linie Ausdruck seiner Sprachbesessenheit. Denn die Sprache ist der einzige gemeinsame Nenner seiner "Ausfälle".
    Was auf den ersten Blick aussieht wie eine Abkehr vom Volkstheater, das damals schon bewusst bodenständig, kleinbürgerlich und sehr, sehr moralisch gehalten war, ist in Wirklichkeit eine Rückbesinnung auf dessen Wurzeln, die sehr stark von Satire und Ironie geprägt waren.
    Die in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts immer noch nachklingende Barock-Tradition garantierte ihm einen letzten Rest der alten Narrenfreiheit und sorgte dafür, dass er, der in gewisser Weise ein Volksheld war, am Hof ebenfalls respektiert wurde. Auch das Wien-Element, das typisch Österreichische mag eine Rolle gespielt haben. Im protestantisch-deutschen Berlin wäre Nestroy wohl nicht denkbar gewesen.
    An so vielen Stellen seiner Stücke zeigt Nestroy, wie unerträglich ihm die Seelensprache seiner Zeit ist, die er nur als Grundlage für seine Parodien braucht. "Schmachtträne", "Wallungsbusen" etc. haben mit empfindsamer Liebe aber auch gar nichts mehr zu tun. Sie machen einfach Spaß. Wie die "millionärrische Gewinnvermehrungspassion" oder der "Nixdavorkönner". Er ist ein Spaßmacher - man möge sich nur einmal seinen Lumpazivagabundus anschauen. Der Mann hat die Sprache, den Wort- und Zitatenschatz Wiens auf Jahre, Jahrzehnte hinaus verändert. Und wer ihn liest, wer ihn lieben lernt, wird ihn unweigerlich ebenfalls zitieren.
    Nostalgie für den Vormärz, so hat mal jemand geschrieben, macht heute aus Nestroy eine mythische Figur, über die er selbst sich wohl kringelig gelacht hätte.


    (Vergebliche Suche nach einer Reclam-Alternative; ein schönes Buch in der Hand zu halten, ist ein sinnliches Vergnügen. Aber besser Reclam als gar keinen Nestroy)