Mensch Engel - Gunther Geltinger

  • Mensch Engel
    Gunther Geltinger, 2008

    Schöffling, ISBN: 978-3895613661


    Gunter Geltingers "Mensch Engel" ist eines jener Bücher, die man - noch völlig in der Welt des Buches gefangen - genussvoll zuschlägt und die einen nicht so schnell gehen lassen.


    In verschiedenen Erzählerstimmen und -perspektiven erzählt Leonard Engel, schwul und gescheitert, mal chronologisch, mal durchwirbelt von Erinnerungsfetzen oder Geschehen in einer Gegenwart, seine Geschichte und Geschichten. Es beginnt noch recht übersichtlich, doch schon bald wirbeln Engels veschiedene Perspektiven durcheinander, es gibt ein "Er", einen Engel, der distanziert betrachtet wird, wie ein Teil in einem, der zu einem gehört, den man aber doch nicht mit "Ich" betiteln möchte, dieser vergangene Engel, der die Jugendliebe Marius verscheucht, Volker verschreckt und auch sonst einen Fehler nach dem nächsten begangen hat - dann gibt es das "Ich", einen Engel mit einer Hoffnung auf eine Zukunft, in der er fähig ist zu leben und zu lieben - beide Engel schreiben, neue Ichs und Ers werden geboren, oder ein Du - reichen sich die Hand, wirbeln durcheinander, es fällt der bedeutungsschwangere Satz "All diese Geschichten stimmen, doch keine ist wahr".


    Das zeigt, dass es in Engels leben nicht gerade geradlinig verläuft. Das Leben ist eine Herausforderung für ihn, er ist unfähig, es zu meistern oder zu lieben, lässt seine Jugendliebe Marius fallen aus Angst vor der Nähe und Liebe, verstößt den Lückenbüßer Volker oder wird von ihm verlassen und stolpert von Selbstmordversuchen, selbstverständlichem Tablettenmissbrauch und erotischen Misserfolgen begleitet durch seine Erinnerungen. Irgendwann trifft er auf Boris, der ihm seine psychotischen Eskapaden nachsieht, aber dennoch mit seiner Liebe Engels Schmerz nicht stillen kann und Rückschläge hinnehmen muss. Und immer schreibt und erzählt er.


    So lernt man mit Engel Feline kennen, die trotz ihrer Leibesfülle federleicht wirkt, aber gestrandet ist wie Engel selbst, und den Stricher Tiago mit seinem "meu anjo", Engels Mutter mit ihren Kopfschmerzen in ihrem eigenen kleinen Gedankengefängnis, Volker, den schoßhündchenhaften Lückenbüßer, und Engels Schwester mit ihrem französischen cholerischen Arzt und dem Sohn Philippe. All diese Nebenfiguren wirken wie weitere Hauptfiguren, so scharfe Konturen und so viel Lebendigkeit erhalten sie durch Geltingers Beobachtungen und Sprache.


    Denn, wenn auch Erzählperspektiven, Erinnerungen, Realität und Ausgedachtes sich in einem Reigen die Hand geben und ineinander übergehen, konsistent ist der außergewöhnliche Stil Geltingers. Eine Verbindung aus Anspruch und Schwelgen in Sprachbildern, durchbrochen teilweise von umgangssprachlichen Begriffen, wenn es gilt, Dinge beim Namen zu nennen und originellen Stimmen wie dem vulgär wienernden Kellner.


    Lobend muss ich auch das Cover hervorheben - es deutet gleich auf einen außergewöhnlichen Roman hin. Ich werde mir auf jeden Fall nichts mehr von Geltinger entgehen lassen und auch den Verlag, der mir bisher nicht untergekommen ist im Auge behalten.


    Fazit
    Gunther Geltingers Sprache und Protagonist Engel auf der Suche nach sich selbst und dem Leben ziehen einen unweigerlich in ihren Bann und lassen nicht mehr los. Es ist nicht leicht, alles in diesem Buch zu erfassen und ich werde es sicher noch einmal lesen müssen, denn vieles ist nach der Lektüre noch ein wenig durcheinander gewirbelt, aber es lohnt sich auf jeden Fall.
    Ich bin begeistert und freue mich, dieses Buch geschenkt bekommen zu haben, ich hätte es sonst wohl nie entdeckt.


    10/10 Punkten


    bartimaeus


    Edit: Rechtschreibfehler