Beiträge von bartimaeus

    Zitat

    Original von Uta
    Die angesprochene politische Parallele von damals zu jetzt interessiert mich sehr. Jetzt hab ich mir die DVD auf die Merkliste gesetzt und werde auch nach Theateraufführungen Ausschau halten. :bonk :lache Falls jemand was findet, kann er ja die anderen informieren. ;-)



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    Ich muss ja gestehen, dass ich mit geschichtlich-politischen Aspekten meistens gejagt werden kann - und mir schlicht das Wissen fehlt um eine Analogie zwischen den damaligen und jetzigen politischen Verhältnissen zu ziehen.


    Ich fand sehr viel eindrücklicher (-ich wurde aber auch von einem leichten Anflug des Weltenschmerzes heimgesucht-) wie sehr die Stimmung übertragbar ist. Der Blick auf den Fortschritt und eine Welt, die sich so entwickelt hat, dass sich selbst ihr Schöpfer von ihr losgesagt hätte... Ich finde die Gedanken Harpers außerordentlich klug.



    und um ein neues Buch in den Thread zu bringen:


    Jim Grimsley - Dream Boy


    In den 70er Jahren entwickelt sich zwischen den Nachbarsjungen Roy und Nathan eine Beziehung, die einerseits außerordentlich anrührend geschildert wird, aber schon zu Beginn des Buches unter einem schlechten Stern zu stehen scheint. Die gesellschaftliche Ablehnung der Homosexualität wird erfreulicherweise nicht so ausgiebigst und vordergründig diskutiert wie in anderen Romanen, vielmehr konzentriert sich das Buch auf die Atmosphäre und die beiden Jungen.
    Nathans Familie kann man schwerlich noch Familie nennen. Die Mutter verschließt die Augen und flieht vor Problemen, der Vater schwebt wie ein drohender Schatten über dem Jungen. Roy hingegen, zwei Jahre älter und Anführer einer Dreierclique, in die Nathan integriert wird, lebt in einer Welt, die heiler nicht sein könnte - als Konfliktpotential bietet sich der strenge Glaube der Eltern und die Freundin, die er in seiner Kirchengemeinde hat.


    Von einem durchaus beschwingten Start und den ersten magischen Momenten des Glücks wird der Roman zunehmend düsterer, entschwindet über Friedhöfe, Lagerfeuer und Geisterhäuser immer mehr in eine Welt, in der Traum, Vergangenheit und Realität verschwinden. Das leicht abrupte Ende ist dementsprechend mehrdeutig und bietet sowohl die Katastrophe als auch die leicht schale Hoffnung, dass der Traum siegt.

    Zitat

    Original von Uta


    Ich glaube, in der Filmversion hat mich Al Pacino "gestört" und weitere Rollen waren ja auch mit Stars besetzt. Und diese angesprochene "Verwebung von Traum/Halluzination und Wirklichkeit" wird in einem Theaterstück ja ganz anders umgesetzt, viel stilisierter, als dies bei einem / dem Film der Fall ist. Und das Theaterstück zu lesen, erfüllt wieder eine Art der Wahrnehmung.


    Stimmt, ich kann mir vorstellen, dass das Theaterstück anders wirkt, ich würde eine Theaterinszenierung gerne zum Vergleich sehen, um die Wirkung beurteilen zu können. Die Dimension fehlt mir noch.
    Dass man jene bewusste Inszenierung - der Autor nennt meines Wissens ja auch Brecht als Einfluss im Nachwort - schlecht filmisch realisieren kann, ist ein Problem - eine der bei wikipedia verlinkten Kritiken streicht das besonders hervor. Aber ich finde den Film - auch wenn er dem nicht gerecht wird(/werden kann?) - immer noch sehr sehenswert. (bzg. Al Pacino schwanke ich noch, die anderen fielen mir nicht negativ auf)


    Beim Text allein fehlte mir entscheidend das Audiovisuelle, gerade in den Szenen mit Prior/Louis & Harper/Joe der Fall, die ursprünglich parallel stattfinden sollen ging für mich zu sehr durcheinander, wer spricht, ich blieb im Dialog stecken, weil ich anhand der Namen ausklamüserte, in welchem Gespräch ich mich gerade befinde.

    Oh, das klingt spannend, mich faszinieren Sprachen. Ich habe spontan mal gesucht, ob meine Universität das auch anbietet, anscheinend leider immer nur zum beginnenden Wintersemester... Hm. Und ich stelle mir den Aufwand immens vor, ich schimpfe ja jetzt schon über Isländisch manchmal :rolleyes

    Alexander Pope
    The Rape of the Lock (1714, 1715, 1717)

    Meine Rezension bezieht sich auf die online verfügbare Ausgabe auf "Cummings Study Guides": klick


    Es existieren deutsche Übersetzungen unter dem Titel "Der Lockenraub".


    Wir befinden uns im Großbritannien des begonnenen 18. Jahrhunderts, eine Katastrophe hat sich ereignet: Lady Arabella wurde heimtückisch von ihrem Verehrer Lord Petre eine Locke ihres prächtigen Haares abgeschnitten. Ob dieser ungeheuren und nicht entschuldbaren Tat brechen die Familien miteinander.


    An Alexander Pope, über seinen Freund Caryll mit dem Vorfall vertraut, wird nun die Bitte herangetragen, die Situation zu entschärfen. So entsteht "The Rape of the Lock", ein antike Epentraditionen satirisch aufgreifendes Gedicht.


    Zuvorderst ist dieses Gedicht erstmal zum Kringeln. Die stolze Schöne, in Belinda umgetauft, und das Problem, Wesentliches nicht von Unwesentlichem trennen zu können, sorgen für verschmitztes Schmunzeln. Auf ihrem Ankleidetisch, an denen sie - von mystischen Luftwesen beschützt - sich mit den Waffen einer Frau für die kommende Schlacht rüstet (d.h. Makeup), liegt ein buntes Durcheinander Gewürze und Pasten aus fernen Ländern, Kämmen, aber auch einige Bibeln.
    In Bezug auf die "cosmetic powers" schleicht sich auch schon erste Kritik ein, ihre Augen machen zwar in unzähligen Vergleichen der Sonne Konkurrenz, aber ihr Lächeln und hübsches Gesichtchen müssen des Morgens doch ein wenig repariert werden...


    Die ganze Zeit ist sie umschwirrt von kleinen Geisterwesen, v.a. Sylphen, die ihr helfen, die anscheinend nichts Besseres zu tun haben, als holde Maiden vor den Unwegsamkeiten des gesellschaftlichen Lebens zu schützen - gesellschaftliche Missstände hingegen werden mit einem Zweizeiler angeprangert - die Relationen sind durcheinandergeraten.


    Das wird auch im weiteren Verlauf und der fortwährende Überhöhung auf epische Dimensionen durch das Gedicht immer deutlicher: Belinda reagiert unangemessen. In ihrem übermenschlicher Zorn schert sich Belinda nicht um die Stimme der Vernunft in Form der Freundin Clarissa, sondern stürzt sich in eine Wattebällchenschlacht der tötenden Blicke und Haarnadeln...


    Eingeordnet als mock-heroic, liegt bei diesem epischen Gedicht (das mit seiner Länge zum Glück nicht an alte Epen heranreicht, aber mit 5 Gesängen à 5-7 Strophen doch genügend Lesestoff bietet) das Vergnügen mehr an der Machart als am Inhalt. Wer also mal wieder die weltbewegende Frage, ob er das weiße Hemd mit der karierten Krawatte oder doch das karierte Hemd mit der einfarbigen Krawatte, oder ob sie die schwarzen Schuhe mit Absatz mit dem roten Kleid oder doch lieber die braunen Schuhe mit dem neuen Kleid kombinieren soll, dem/der wird auf freundliche Weise klar gemacht, dass es Wichtigeres gibt.
    Wer sich komplett von jenen kleinen Eitelkeiten des Lebens frei sieht, und somit dem Einfluss der Sylphen (-wir sind ja nicht die Schuldigen, sondern von Einflüsterungen fehlgeleitet-) entkommen ist, wird vergnügt den Kopf schütteln können und sich an mal leicht augenzwinkernden, mal etwas bissigen Hieben auf Belinda und ihre kleine Welt erfreuen.


    Lady Arabella mochte das Gedicht übrigens und ließ ein Porträt sogar mit zitierten Versen schmücken.



    LG
    bartimaeus



    [Interessante weitere Informationen:
    - Hinweise auf aufgegriffene Epentraditionen (s. Link der von mir verwendeten Version; die Anmerkungen zum Text sind jedoch teilweise nicht richtig zutreffend)
    - satirische, antikatholische Interpretation des (selbst katholischen) Verfassers: "A Key to the Lock" klick]

    *schnappt sich den Staubwedel und macht sich daran, sein Zimmer bei den Eulen zu entstauben*


    So, jetzt ists wieder wohnlich, jetzt nur noch die in der Zwischenzeit gekauften Bücher (ab jetzt alles erlaubt, da für ein Literaturstudium unabdingbar :grin) hereinschaffen, und ein wenig wieder im Forum einlesen :-)


    Möchte jemand ein Stückchen Kuchen?

    Nachdem ich jetzt endlich den Zweiteiler dazu gesehen habe, habe ich die zwei Theaterstücke wieder herausgekramt und gelesen. Und da ich gerade begeistert bin, für eine Rezension aber nicht genug Ordnung in meine Gedanken bekomme, muss dieser Thread herhalten (auch wenn sie wohl eher nicht in die Kategorie Liebesgeschichte fallen) :grin


    Tony Kushner: Angels in America
    (Millenium Approaches / Perestroika)


    Vor dem Hintergrund der Reagan-Ära werden in den Stücken Ausblicke auf das nahende Millennium diskutiert, Vorfreude und Optimismus, wird gebrochen von gegenläufigen Tendenzen: AIDS, zu starke Fortschrittsgläubigkeit, Umweltzerstörung, Korruption. Es werden Zukunftsvorstellungen, Ansichten zum Leben angeschnitten, die mit dem Eintritt in ein neues Jahrtausend nicht grundlegend anders geworden sind, und immer noch zum Nachdenken anregen.


    Schwule Thematik kommt durch die Hauptfiguren hinein: Louis und sein an AIDS erkrankter Freund Prior, deren Beziehung erschüttert wird, sowie der seine Sexualität unterdrückende Mormone Joe, der versucht seine 'sündigen Gedanken' in der Ehe mit Harper zu besiegen, die unter der Situation besonders leidet und sich in eine Tablettensucht und Traumwelten flüchtet.


    Besonders interessant finde ich die Verwebung von Traum/Halluzination und Wirklichkeit, die viele Figuren berührt sowie auch die religiösen Aspekte: Prior wird von einer himmlischen Botin heimgesucht, der Himmel ist erschüttert und Gott scheint sich abgewendet zu haben von einer dahinrasenden Welt - jüdische und christliche Sichtweisen finden gleichermaßen Berücksichtigung.


    Äußerst empfehlenswert!

    Ich möchte auch gerne wieder teilnehmen, wenn ich noch nicht zu spät dran bin.
    Nach dem ganzen Anfangsstress hier ist das genau das Richtige :)


    Sind die Zimmer schon gebucht? Wenn ich noch Glück habe, kannst du dann für mich noch ein Einzelzimmer von Samstag auf Sonntag mitbuchen, Wolke, meine Adresse bekommst du per PN.

    Ja, ich lebe noch, durchaus. Und ich werde sicher auch wieder auftauchen, wenn ich wieder mehr Zeit und Muße habe.


    Ich bin momentan ein wenig im Stress, da ich mir noch eine Unterkunft in Bonn suchen darf, und mich das alles ein wenig in Schach hält. :-)

    Life of Pi
    Yann Martel, 2001

    Meine Rezension bezieht sich auf die Ausgabe:
    Harvest Book/Harcourt, ISBN: 978-0156030205


    Es existiert eine deutsche Ausgabe unter dem Titel "Schiffbruch mit Tiger" bei Fischer Tb (ISBN: 978-3596156658).



    Selten gibt es sie, aber es gibt sie doch: jene Bücher, bei denen man das Buch zuschlägt, ein wenig verstört, ein wenig verwirrt, in Grübellaune - und doch furchtbar glücklich, dass man das Buch nicht verpasst hat. Die Dankesmail an die Person, die mir das Buch noch einmal ins Gedächtnis gerufen hat, ist schon geschrieben.


    Aber was ist so faszinierend an diesem Buch? Der englische Klappentext gefällt sich in Schlagworten: "Ein Junge, der sich zu vielen Religionen bekennt. Ein Bengalischer Tiger von 450 Pfund. Ein Schiffbruch. Ein Rettungsboot. Der Pazifik." oder "Glaube und Wahrheit, Fakt und Fiktion, Mensch gegen Natur, und Unschuld und Erfahrungen"[1] - und die Vorstellung von einer Mischung aus Religion und der irren Situation mit einem Tiger auf einem Rettungsboot war der Anreiz für den Kauf.


    Lange blieb das Buch liegen, einfach weil ich zweifelte, wie man die lange Zeit der Einsamkeit auf dem Ozean umsetzen sollte, bis ein Lehrer mir das Buch dann empfahl - und schon etwas vom Ende vorwegnahm. Daraufhin musste ich es lesen.


    Und war überrascht. Weil es nicht das war, was ich erwartet habe - es ist nicht, wie so vollmundig behauptet wird, eine Geschichte, die einen zum Glauben bringt. Es ist nciht die reine Abenteuergeschichte, die der Mittelteil manchmal vermuten lässt. Aber es ist etwas Eigenes, dass sich nicht einordnen lässt, eine Geschichte, die in den Menschen führt, die Haltung des Menschen des Menschen zu Themen wie Religion und das Verhalten des Menschen in Extremsituationen.


    Es beginnt harmlos, mit einem Jungen, der in einem Zoo aufwächst und sich gleichermaßen zum Christentum, Hinduismus und Islam hingezogen fühlt - in allen drei Glaubensrichtungen, die Anbetung des gleichen Gottes und seiner Schöpfung sieht. Es läuft langsam an, bis seine Eltern die Entscheidung treffen, nach Kanada zu ziehen - und unglücklicher Weise die Tsimtsum, mitsamt den Tieren an Bord, sinkt und zu jener unglücklichen Schiffbruchssituation führt: Ein Rettungsboot mit Orang-Utan, Zebra, Hyäne, dem Tiger Richard Parker und dem jungen Piscine Molitor "Pi" Patel.


    Und auch in dieser Situation, in der die Fleischfresser nach und nach die Anzahl der Rettungsbootinsassen dezimieren, wird das Buch nicht rasant. Es ist eine Erzählung, die sich vor allem Zeit lässt. 227 Tage auf dem Pazifik verstreichen langsam. Das merkt auch der Leser manchmal. Selbst wenn es zu blutigen Situationen kommt. Dennoch wird es nicht langweilig - mir kam es eher vor, als sei ich diese Art langsamer Entfaltung nicht mehr gewohnt. Zudem liegt in jener Langsamkeit eine Anspannung, die fesselt - solange mit einem Tiger auf einem Boot, es ist kein Wunder, dass manchmal die Sekunden gefrieren und die Zeit in einigen Momenten einfach stillsteht. Yann Martel hat diesen Zustand gut eingefangen, und ich vermute, dass es, eher an der ungewohnt langsamen Handlung als am Schreibstil liegt, wenn man damit nichts anfangen kann.


    Und doch war in all dieser Zeit bei mir das Gefühl da, dass irgendwas nicht stimmt, dass irgendetwas fehlt in dieser Geschichte - obwohl sie mich so in den Bann zog. Ich weiß gar nicht, wovon sich dieses Gefühl genährt hat - von der Frage nach Fakt und Fiktion? Von Pi Patel, dessen Schicksal man nicht ungläubig, aber doch immer erstaunter verfolgte?


    Denn Pi Patel ist einer der sympathischsten Erzähler, die mir seit langem begegnet sind, nett, sympathisch, und vor allem menschlich - wenn auch sein Verhalten der Lage geschuldet nicht immer der typischen Interpretation des Wortes folgt. Und ein begnadeter Geschichtenerzähler. Einer der Geschichten zum Leben bringt, dessen Berichte so klar sind, dass man gar nicht zweifeln kann.
    Wichtig ist jedoch die Passage: "Wenn man über etwas berichtet - Wörter benutzt, seien es englische oder japanische - hat das nicht schon etwas von einer 'Erfindung'? [...] Die Welt ist nicht einfach so, wie ist. Sie ist so, wie wir sie verstehen, nicht? Macht das das Leben nicht zu einer Geschichte?" [2]
    Es hat immer etwas mit unserer Haltung zu den Dingen zu tun, unserer Verarbeitung von Geschehnissen. Des einen Glück ist des anderen Leid - und es ist ein Buch, dass zutiefst subjektiv ist, das nur subjektiv sein kann - weil das Leben subjektiv ist und das gerade in dieser Subjektivität Generelles aufdeckt.
    Auch wenn Mr. Okamoto es nicht versteht, Pi ist klug, er hat Unglaubliches erlebt, und er hat es auf seine Art verarbeitet. Eine bewundernswerte Art. Möge doch jeder solche Geschichten erzählen, in denen hinter der Geschichte noch Erkenntnis steckt.


    Und gerade deshalb, weil Pi am Ende interviewt wird, von Leuten auf der Suche nach absoluter Objektivität, lachhaft objektiv nach dem, was Pi erlebte, gibt es jene für das Buch notwendige Perspektiverweiterung - diejenige, die das Buch erst in eine Reihe mit den ganz besonderen Büchern stellt. Es war ein seltsames Gefühl, als ich so viel schon gelesen hatte und schon das Ende vor Augen hatte, einen neuen Ansatzpunkt dazuzugewinnen, aber ich verzeihe es dem Buch gerne. Um ehrlich zu sein, ist es der Aspekt der mich tagelang hat nachgrübeln lassen über Pi Patel - und den Tiger Richard Parker, der uns vielleicht näher ist, als wir im ersten Moment denken.


    10/10 Pkt.


    :wave bartimaeus


    1 Klappentext o.g. Ausgabe, Übersetzung von mir
    2 Originaltext S. 380, o.g. Ausgabe, Übersetzung von mir

    La mécanique du cœur
    Mathias Malzieu, 2007

    Meine Rezension bezieht sich auf die Ausgabe:
    J'ai Lu, ISBN: 978-2290012451


    Er wird am kältesten Tag seit Menschengedenken geboren, so kalt, dass die Vögel im Flug gefrieren und mit einem unendlich zarten und traurigen Geräusch ihr Leben aushauchen. Es ist ein so kalter Tag, das Jack sein kleines gebrechliches Herz gefriert - und er eine Kuckucksuhr von der Heilerin Doktor Madeleine eingebaut bekommt, die ihn bei sich in der Hütte vor Edinburgh aufnimmt.


    Ein Märchen beginnt, eine Geschichte voller Metaphern und voller Traurigkeit, karg geschrieben, mit dem Anspruch ein wenig über die "Mechanik des Herzens" zu vermitteln. Denn Jack, unser Held verliebt sich Hals über Kopf in das Feuermädchen, die hübsche kleine Andalusierin, die zu stolz ist eine Brille aufzusetzen und wie eine Nachtigall singt.


    Es entspinnt sich eine Geschichte die etwas von einem traurigen Märchen haben könnte. Und auch hat.
    Aber - nicht nur.


    Diese Atmosphäre wirkt nämlich in Teilen bemüht und wird allzu häufig durch den Eindruck getrübt, dass es dem Autor vor allem darum ging einen Merchandizing-Artikel zum gleichnamigen Album seiner Band zu entwerfen. Denn so schön seine Metaphern auch sind - so zart einzelne Sätze eine zarte Traurigkeit heraufbeschwören, wie ich sie auch in Tim Burton's Corpse Bride empfunden habe - so stark findet man Brüche im Buch.


    Es ist durchbrochen von umgangssprachlichen Stilbrüchen, Klischees und Unglaubwürdigkeiten, ab und an Verweisen in aktuelle Popkultur - es wirkt mehr wie eine mündliche Erzählung entlang der einzelnen Songs des Albums, die verschriftlich wurde, denn wie eine Geschichte die für sich stehen und wirken kann.


    Vom Stil sehr einfach, leider im Präsens, was diesen Eindruck noch verstärkt, ist das Buch stark, wenn es um das Erzeugen von Momentbildern und Stimmungen geht, schwach immer dann, wenn es um Charakteranalysen geht. Metaphern reichen nicht aus um das Seelenleben einer Person zu beschreiben, Malzieu scheitert immer daran, den Gefühlen Tiefe zu geben.
    Die große Liebe, die Enttäuschungen, alles ist dahingehaucht. Hübsch anzusehen, aber recht schnell verwischt.


    Ebenso wie Steena habe ich Probleme, das Buch einzuordnen, ebenso wie die Musik der Band nciht für Kinder geeignet ist, ist es das Buch auch nur bedingt. - Anspielungen wie einen Hamster namens Cunnilingus sind weniger geeignet - ich finde ein Kommentar auf der Rückseite meiner Ausgabe fasst es recht gut zusammen:

    Zitat

    "La mécanique du cœur ist die Art von Buch die wir gerne gelesen hätten, als wir Kind waren, mit der Taschenlampe unter der Bettdecke [...]" (Les Inrockuptibles, Übersetzung von mir).


    Es ist ein Buch, das Kindheitsfantasien heraufbeschwört für Erwachsene, die sich zurückdenken wollen in eine Kindheit und dennoch kleine Erwachsenen-Anspielungen verstehen: noch einmal den Traum von großer Liebe wie in Disneyfilmen, noch einmal mit Naivität und ohne die Sorgen einer Wirtschaftskrise auf die Welt schauen. Es ist bezeichnend, dass das Buch in der Vergangenheit spielt, aber im Präsens geschrieben ist.


    Und dieses Ziel kann Malzieu erreichen. Es gelingt ihm diese märchenhafte Stimmung der Vergangenheit einzufangen - und auch ihr zu brechen. Es ist ein Coming-of-Age-Roman für Träumer in gewisser Weise, mit einem ebenso unpassenden wie auch im Rücblick notwendigen Ende, das mich im ersten Moment nur verärgerte.
    Es gelingt ihm hingegen nicht, daraus eine durchgehende, immer glaubwürdige Geschichte zu machen. Wie die Nebel der Erinnerungen fehlt auch dem Buch manchmal die Substanz, es bleibt nicht greifbar. Aber man mag ihm das verzeihen. Vielleicht.


    Ich weiß nicht, ob ich es dem Buch verzeihe - in mir kämpfen zwei Meinungen. Die eine Stimme in meinem Kopf regt sich darüber auf, dass ich auf einen cleveren Merchandizing-Artikel hereinfalle, der an einigen Stellen ein wenig unvollständig und hingeschludert wirkte - die zweite Stimme mag das Gefühl, das immer wieder beim Lesen auftauchte und mich in eine kleine Welt entführte trotz all deren Ungereimtheiten - und sie hat sich in das Lied der Andalusierin verliebt. ("Flamme à lunettes", bei youtube zu finden)
    Verschwendet war die Lesezeit auf keinen Fall.


    Ich kann das Buch nicht empfehlen, ich kann auch nicht davon abraten, aber ich kann es denjenigen interessierten Lesern, die Französisch können, ans Herz legen, sich am Original zu probieren. Ich denke nicht, dass eine andere Sprache die Schwermut der Zeilen so einfangen kann, ich habe kurz in die englische Version hineingelesen und finde sie unpassend.


    Empfehlen kann ich aber das Album dazu, auch wenn es ohne das Buch ein wenig inkomplett wirkt. Die Lieder passen besser zu den Momentaufnahmen und die Metaphern wirken ungehäuft besser. Malzieu ist mehr Sänger/Momentkünstler als Autor. Ich freue mich auf die geplante Verfilmung.


    Ich vergebe 7 Punkte


    :wave bartimaeus

    Ich kann das bei mir gar nicht auf einen Stil festlegen, wenn man mich fragen würde. Spontan würde ich sagen, ich mag keine Geschichten mit Ich-Erzähler und schon gar nicht im Präsens, ich mag eigentlich keine Geschichten, die auf wörtliche Rede verzichten oder vollgestopft sind mit Adjektiven und ich mag keine Bücher mit abgehackten Sätzen.


    Das Problem ist, zu jeder dieser aufgestellten Behauptungen fallen mir Gegenbeispiele ein - Dürrenmatts indirekte Rede fand ich toll, mit "Flesh and Spirit" hatte ich einen Icherzähler, der mich begeistert hat und "Die Mitte der Welt" könnte ich mir in einigen Passagen nicht anders als im Präsens vorstellen (Edit: hab grad gemerkt, dass es doch nicht komplett im Präsens geschrieben ist...). Und ich habe schon wundervolle Kurzgeschichten in prägnanten Sätzen gelesen, die gerade von den kurzen Paukenschlägen profitieren.


    Also? Ich denke, dass kann man so generell gar nicht sagen, jeder Autor muss das finden, was zu ihm und dem, was er erzählt passt. Und wenn die Mischung stimmt und eine Prise von dem magischen Etwas dazukommt, dann bin ich begeistert.


    Wobei, ich habe machmal fast das Gefühl, dass diese 'typische' Abneigung gegen Icherzähler oder Präsens daher kommt, dass viele sich daran versuchen und denken, es sei einfach und daran scheitern...


    @Magna
    mir fällt gerade ein, dass ich den hier auch noch liegen habe, ich muss den unbedingt bald angehen :-]

    Die Bastardin
    Juliane Korelski, 2009

    Meine Rezension bezieht sich auf die Ausgabe:
    Piper, ISBN: 978-3492254540


    Juliane Korelski, deren Blog ich übrigens sehr gerne verfolge, hat nach vielen Übersetzungsarbeiten und einem erotischen Roman, der für mich nicht ins Beutschema fiel, im Jahr 2009 mit "Die Bastardin" einen historischen Roman veröffentlicht, der ein wenig Licht in die Zeit der Staufer und Welfen bringt.


    Das Buch erzählt eine Geschichte, die doch etwas betulicher ist als es der reißerische Klappentext vermuten lässt. Wir begleiten die naive Agnes - ihre Naivität ist durchaus passend, sie kommt ja gerade erst aus dem Kloster, nicht entführt sondern als Opfer der Verheiratungspolitik des Königs - durch das Regensburg des Jahres 1147, kurz vor den Kreuzzügen.
    Dort soll sie den lüsternen alten Grafen von Ortenburg heiraten, verliebt sich Hals über Kopf in Heinrich, den Welfen, und wird plötzlich mit dem Tod ihres Gatten in spe konfrontiert.


    Es entspinnt sich eine leicht kriminalistische Handlung, die zwar die Liebesgeschichte unumstößlich auf ein Happy End hinführt und das Buch irgendwie zusammenhält, aber im Großen und Ganzen doch etwas nebensächlich und misslungen wirkt. Was für viele so schön war, der Genremix aus Krimi, Historischem und zarter Liebesgeschichte, funktioniert für mich gar nicht.
    Mehr oder minder planlos stochern Agnes und ihr Halbbruder Friedrich, der spätere Barbarossa, nach einem Mörder - das ein ums andere Mal habe ich den Kopf geschüttelt - stolpern von einer Szene in die nächste. Und das alles, damit Agnes in Friedrichs Munt übergeht und mit Heinrich verheiratet werden könnte.
    Dabei arbeitet die Aufklärung immer mehr auf einen Mörder hin, der sich aufgrund der eindeutigen Gut-/Böse-Zuordnung der Figuren schon ziemlich früh abzeichnet, ohne jedoch groß Anhaltspunkte für die Motive zu geben.
    Nachdem nach etlichem Durch-die-Gassen-Stolpern dann schließlich der Mörder samt Hintergründen enthüllt werden soll, geschieht dies in einer großen Aufklärungsrunde - an zwei Orten parallel und blöderweise mitten in einen eigentlich ziemlich spannenden Handlungsteil gesetzt. Man fühlt sich gleich auf zwei Ebenen betrogen - einmal wie in denjenigen Tatortfolgen, die schon schnell auf einen Mörder hinarbeiten und die Motive praktisch im Abspann nachreichen, und zum Zweiten, weil die Spannung der parallel stattfindenden Actionhandlung (ich will ja nichts Genaueres verraten) ziemlich ausgebremst wird. Anscheinend machen Böse und Gut geduldig Kaffepause, bis auch jeder Leser die Hintergründe verstanden hat.


    Der historische Aspekt dient - meines Erachtens - vor allem als Kulisse für die Handlung, eine sehr schöne, atmosphärische Kulisse zwar, die aber dennoch manchmal ein wenig der Handlung gebeugt wird und vor allem, was den Hintergrund der Staufer und Welfen angeht, noch ein wenig tiefergehend und über die Verwandtschaftsbeziehungen hinausreichend hätte sein können.
    Ansonsten gefiel mir die Atmosphäre eigentlich recht schön. Wenn man vom Ende absieht, hatte es was von Kurzurlaub im Mittelalter, ein wenig fachkundig umhergeführt werden, Gebäude und fremdes Geschehen bewundern, und nicht immer mit der Nase auf die schlechten Seiten gestoßen werden.


    Besonders positiv hervorzuheben ist im Buch jedoch der Sympathiegrad der Personen, viele sind auf ihre Art sehr freundlich, ich mochte vor allem - Kinder sind ja immer Sympathiegaranten - den Jungen ohne Stimme und schließe mich den in der Leserunde geäußerten Wünschen nach einer Verschriftlichung seiner Geschichte an.
    Aber auch die Liebe zwischen Agnes und Heinrich, die zwar etwas plötzlich, aber nachvollziehbar entflammte, ist etwas, was mir gefiel, auch als Motiv für weitere Verwicklungen. Es finden sich schöne, zärtliche Szenen, in denen Heinrich und Agnes verliebte Worte wechseln.
    Auf explizitere Schilderungen wurde verzichtet - es hätte einfach nicht gepasst. Es liegt etwas Ideelles und Zartes in der Liebe zwischen den beiden, wollen sie doch vielleicht sogar gemeinsam fliehen, da ihnen der Streit zwischen Staufern und Welfen im Weg steht. Etwas, das sich abgrenzt von der Rohheit des Ortenburgers. Da hätte eine Pflicht-Sexszene, wie man sie in vielen historischen Romanen findet, geschadet und zerstört.
    Stattdessen sitzen sie harmlos am Fluss, weinen und halten Händchen. Niedlich. Etwas losgelöst vielleicht von dem Bild, das ich mir von Heinrich in seiner etwas polternden Art gemacht habe, aber Verliebte sind schon seltsame, zarte Wesen. Auch ein Welfenherzog.


    Ein wenig schade fand ich aber, dass die negativ besetzten Figuren außer Vitus von Wittelsbach doch etwas tiefgründiger hätten sein können, gerade im Gegensatz zu den sympathischen Hauptfiguren. Sie wirkten in Teilen ein wenig vernachlässigt, was vor allem aufgrund ihres begrenzten Vorhandenseins die Mördersuche zudem nicht allzu schwierig machte. Und Adela war einfach nur nervig.


    Sprachlich ist der Roman gut zu lesen, Caia sprach von einigen Perlen, die man finden kann - und da möchte ich mich anschließen. Einige Sätze haben mich gefangen genommen, sie haben Bilder erzeugt, ich musste sie mir auf der Zunge zergehen lassen. Hätte das Buch nur aus solchen Perlen bestanden, wäre ich begeistert gewesen. Die Sätze dazwischen waren im Großen und Ganzen zwar auch schön melodisch und gingen meistens über den seichten Unterhaltungsroman hinaus, aber leider bin ich doch manchmal durch Stolpersteine aus der sonst so angenehmen Satzmelodie geworfen worden. Ganz zufrieden bin ich trotz schöner Perlen also nicht.


    Abeschließend möchte ich sagen, dass der Roman insgesamt gar nicht schlecht war. Er war eigentlich im Ganzen betrachtet recht solide - mit einigen Macken zwar, aber auch mit einigen schönen Stellen. Wirklich begeistern konnte er mich nicht, als Unterhaltung für zwischendurch ist er aber gut zu lesen.


    5/10


    :wave barti

    Vieles. Am liebsten würd ich einfach Romanistik drauflosstudieren, blöderweise muss ich aber auch ein wenig an Berufschancen denken...
    Und die sehen mit Geisteswissenschaften doch teilweise etwas mau aus (von dem was man hört, liest und auch auf Uni-Seiten mitgeteilt bekommt...), wenn man nicht unbedingt Lehrer werden will.


    Also ein Abwägen zwischen Interessen und Perspektiven. Ich hab da noch ein 'wenig' *hüstel* Recherche und Entscheidungsfindung vor mir...

    Zitat

    Original von Batcat
    Ich hab auch das Kleingedruckte gelesen, Barti! :nono


    Hast Du das Abi denn nun endlich und erfolgreich hinter Dich gebracht?


    Fast. Ich schreibe morgen noch Französisch und hab dann noch die mündliche in Religion. Aber die schlimmen Fächer habe ich hinter mir. :-)


    Die Zukunftsplanung noch nicht... Das wird noch heiter. Aber momentan gönne ich mir eine Woche frei :-)

    Das französische Buch ist gerade bei mir eingetroffen.


    Ich hab mittlerweile in ein paar Lieder des dazugehörigen Albums reingehört und ich finde die haben was.
    Son bisschen fühlte ich mich von der Figurengestaltung sogar an Tim Burtons Corpse Bride erinnert. Und anscheinend wird sogar geplant, aus diesem Buch einen Film zu machen.


    Ich muss ja zugeben, dass ich mich in das Cover verliebt hab, das jedenfalls, das ich in Spanien zuerst gesehen habe und dass die spanische und englische, aber leider nicht die französische Ausgabe ziert.


    Ich hoffe, die Geschichte kann mithalten, notfalls freu ich mich an dem Album, das nebenbei läuft.

    *Guckt auch mal aus seinem Zimmer, nachdem er zwei Tonnen Lernzettel in den Mülleimer befördert und einmal groß staubgesaugt hat.*


    Hmm... wobei, ich glaube fast, ich bin geheilt. Dank Abitur hatte ich keine Zeit zum Lesen mehr...



    [SIZE=7]Und dass es mich furchtbar in den Fingern juckt, alles in einer riesigen Bestellung bei arvelle nachzuholen, zählt doch nicht, oder?[/SIZE] :grin