Der Büchereulen-Adventskalender 2008

  • 1. Dezember 2008 von Kytha



    Die Zeit der Gerechten


    Die Kirchenglocken läuten. Nur leise dringt ihr Schall an mein Ohr. Jetzt ist es schon um zwölf. Ich sitze an meinem Schreibtisch, gut gerüstet diese Adventskalendersache, warum musste ich mich für den ersten Tag eintragen lassen? Der Cappuccino steht in Reichweite. Jetzt könnte es eigentlich losgehen
    Was ist das heute wieder für ein Wetter draußen! Leise rieseln die Flocken auf mein Dachfenster und stehlen mir die letzten Sonnenstrahlen.
    Nun gut, wo war ich stehen geblieben? Ach ja, wollte ich jetzt eine Kurzgeschichte mit Ortwitz über die Grausamkeiten des Winters oder lieber ein Gedicht über unmögliche Vermarktung von Weihnachten verfassen? Beides ist nicht so gut und was noch wichtiger ist, ich hab’ keine Idee wie ich das anstellen soll. Wo sind die verrückten Ideen wenn man sie mal braucht?
    Gähnend strecke ich die Arme in die Luft. Gestern Abend war es vielleicht doch schon spät gewesen. Etwas zupft an meinem Ohr. Ärgerlich streiche ich darüber. Wieder zieht es. Konzentriere dich, sonst wirst du nie fertig.
    Jemand tippt an meine Schulter. Das hab’ ich mir jetzt nicht eingebildet!
    Suchend drehe ich mich um. Doch da steht niemand. Also, an die Arbeit.
    Ich drehe mich zum Monitor. Dort sitzt die freche Göre. Auf ihre Hände abgestützt lässt sie ihre Beine in die Schrift auf dem Bildschirm baumeln.
    Wütend schimpfe ich: „Gwynden! Geh zurück ins Feenreich und lass mich in Ruhe arbeiten.“
    „Nein, warte!“, Gwynden gestikuliert heftig mit ihren Armen und verliert das Gleichgewicht. Bevor sie auf meiner Tastatur landet fängt sie sich mit ihren hauchzarten Flügeln auf.
    „Du musst unbedingt kommen. Luitor ist wahnsinnig geworden. Er schlägt alles kurz und klein. Nur du kannst uns retten.“
    Ich blase die Luft aus meinen Lungen. Etwas zu stark. Gwynden muss heftig mit ihren Flügeln schlagen um nicht gegen den Monitor zu krachen.
    „Das ihr euch so was immer in den lästigsten Zeiten einfallen lassen müsst.“
    Ich hole Mantel, Stiefel, Bogen und Köcher aus meinem Schrank. Durch die alte Linde folge ich Gwynden in ihr Reich. Eigentlich bin ich ja stolz darauf, hier der einzige Mensch sein zu dürfen. Der Himmel überdeckt die grünen Hügel mit sanftem Blau. Hoch oben fliegt ein Adler. Ich bleibe stehen und genieße diesen Anblick. Ewig könnte ich so stehen bleiben.
    „Komm schon“, Gwynden zieht mich am Ohr, „Sonst hat Luitor schon alles zerstört.“
    Ohne Zweifel ist sie die nervigste Fee überhaupt. Am Ahorn gehe ich nach links.
    Scheppernd lässt jemand den Schlüssel auf die Anrichte fallen.
    Da vorn ist schon die Brücke von Rochlea, jetzt ist es nicht mehr weit.
    Laut fällt die Tür ins Schloss.
    Irritiert drehe ich mich um. Hinter mir sind nur die Hügel von Lorda.
    Es riecht nach Cappuccino. Etwas tutet in gleichmäßigen Abständen.
    „Ich habe uns Essen mitgebracht.“
    Vorsichtig öffne ich die Augen. Auf dem Monitor sind wirre Wörter zu erkennen.
    Meine Schwester steht vor mir: „Mit Zwiebeln oder ohne?“
    Müde schüttele ich den Kopf. Wie kann man nur so schnell einschlafen?!

  • 2. Dezember 2008 von Leserättin


    Die Kisten mit dem Weihnachtsbaumschmuck hatten ein ordentliches Gewicht und mit einem leisen „Uff, geschafft“ setzte Linda sie im Wohnzimmer ab. Sie streckte sich kurz, trank einen Schluck Kräutertee und schob sich einen Anismond zwischen die Zähne, dann begann sie mit dem Schmücken. Diesmal sollte der Baum ganz besonders schön werden und sie gab sich deshalb alle Mühe. Das Lametta vom letzten Jahr war größtenteils verknotet und Linda war froh, gestern im Supermarkt zwei neue Päckchen mitgenommen zu haben. Auch eine neue Kugel hatte sie erstanden; weiß mit blauem Glitter in Form einer Kirche.
    Sie summte einige Weihnachtsmelodien, während sie die Girlanden, Kugeln und Zapfen anbrachte und einige Süßigkeiten an den oberen Zweigen befestigte. Zwar war Tapsi gut erzogen und nahm nie etwas vom Tisch, doch sie wollte die Hündin gar nicht erst in Versuchung führen.
    Nachdem nun der Baum fertig war und die elektrischen Kerzen ihr sanftes Licht verbreiteten, ging Linda ins Schlafzimmer hinüber.
    „Ist der Baum geschmückt?“
    „Ja, Großvater.“ Sie lächelte und half ihm in den Rollstuhl. Sein Leiden hatte sich in den letzten Wochen rapide verschlimmert und er war zu schwach, um mehr als ein paar Schritte selbst zu laufen.
    Er rückte seine Brille zurecht, während Linda ihn ins Wohnzimmer rollte. „Wie wunderbar der Baum aussieht.“
    Linda beugte sich hinab, um ihre Hündin zu streicheln, die sich sofort an sie schmiegte. Den Baum beachtete sie nicht weiter, drückte ihre Nase aber an jene Hosentasche, in der immer Leckerlis waren. Leise lachend gab Linda ihr eines, dann ging sie zum Wassernapf, goss ihn aus und ließ frisches Wasser hineinlaufen. Beim Bücken fühlte sie in ihrer Hosentasche den Brief ihrer älteren Schwester. Cornelia hatte eigentlich mit ihrem Mann und den Kindern kommen und das Fest gemeinsam mit Linda, dem Großvater und den anderen Eingeladenen verbringen wollen. Doch nun hatte Cornelia geschrieben, dass sie mit ihrer Familie über die Feiertage in den Süden fliegen würde. Eine kurze Nachricht auf einer im Supermarkt gekauft Weihnachtskarte. Sicher, um sich nicht am Telefon erklären zu müssen.
    Auch Ruth, ihre andere Schwester, konnte nicht kommen. Sie hatte schon vorgestern angerufen und abgesagt, die lange Anreise war ihr bei dem Winterwetter zu stressig, sie wollte sich in ihrem Urlaub lieber erholen. Blieb noch Johannes, der Bruder, doch dessen Frau erwartete in diesen Tagen ihr zweites Kind. So hatte er schon vor Monaten gesagt, dass seine Teilnahme am Familienfest sehr unwahrscheinlich sein würde. Auch die Eltern waren verhindert, eine Konferenz in Japan - „Sehr wichtig!“, wie ihr Vater ihr gesagt hatte. Auf ihr näheres Nachfragen hatte er lachend geantwortet: „Zerbrich dir darüber nicht deinen hübschen Kopf, Schätzchen, das verstehst du sowieso nicht.“
    Und so stand Linda nun allein am 23. Dezember da und sah einem Heiligabend entgegen, den sie mit ihrem Großvater und ihrer Hündin verbringen würde. Sie hatte beim Fischhändler den Karpfen wieder abbestellt, es würde kein Festmahl geben ohne die Familie.
    „Wann kommt Cornelia?“
    Die Frage riss sie aus ihren Gedanken und sie schrak zusammen. Mit fahrigen Händen strich sie sich ins Gesicht gefallene Haarsträhnen zurück, bei ihr eine fast automatische Geste, um sich zu sammeln. „Sie kommt nicht, da ist was dazwischen gekommen. Aber sicher wird sie uns nach den Feiertagen besuchen.“
    Ihr Großvater nickte nur. Das Licht war zu schwach, um seine Augen zu erkennen. Doch Linda wusste auch so, dass er enttäuscht war. Möglicherweise hatte er aber wohl schon damit gerechnet, denn nun lächelte er seine Enkelin an und sagte: „Nun, dann machen wir drei uns eben einen schönen Heiligabend. Den Baum hast du ja schon fast perfekt hinbekommen.“
    „Fast?“
    „Der Engel fehlt noch“, erklärte er. „Und ohne den Engel auf der Spitze ist es kein kompletter Weihnachtsbaum. Du weißt doch, welchen Engel ich meine?“
    Ja, das wusste sie genau. Seit sie denken konnte, war der Baum mit einem weiß-silbernen Engel auf der Spitze geschmückt worden. Der Engel war nicht mal besonders hübsch, sein Kopf bestand nur aus einer Holzkugel, an der strohiges Goldhaar angeleimt war und sein Gewand wies einige Flecken auf. Doch er strahlte einen ganz besonderen Zauber aus und ohne ihn war der Baum undenkbar. Doch ausgerechnet dieser Engel war vor einer Woche zu Bruch gegangen. Weil sie die Wohnung schmücken wollte, hatte Linda die Kisten aus dem Keller geholt, dabei war ihr eine aus der Hand gerutscht und scheppernd auf dem Steinboden aufgeschlagen. Die Kugeln waren hinüber und mit ihnen der Engel, der in der gleichen Kiste gewesen war. Die Holzkugel hatte sich vom Rumpf gelöst und das filigrane Gestell war in unzählige Einzelteile zerbrochen. Ihn zu reparieren war unmöglich und verschreckt hatte Linda es ihrem Großvater gebeichtet. Doch der hatte nur gelacht, sie kaufe doch sowieso jedes Jahr neuen Weihnachtsschmuck dazu, solle sie halt einen Engel mitbringen, der genauso aus sah.
    Natürlich hatte Linda sofort beim nächsten Supermarktbesuch die Weihnachtsabteilung gestürmt. Engel gab es zwar, doch waren das entweder ganz winzige aus Papier zum Anhängen oder große Porzellanfiguren. Und dann war der Engel im üblichen Streß in Vergessenheit geraten. Diese Erkenntnis ließ sie blaß werden.
    „Du hast doch einen Engel gekauft oder?“
    „Es gab so einen nicht bei Aldi.“ Linda ging zur Tür. „Aber ich geh sofort los, in der Stadt gibt es zig Geschäfte mit Deko-Zeug.“
    „Das ist lieb von dir.“ Er lächelte ihr zu.
    „Mach ich gern.“ Linda erwiderte sein Lächeln. Er äußerte sonst keine Wünsche. Mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit würde dies sein letztes Weihnachtsfest werden und das wollte sie so schön wie möglich gestalten. Sie hatte ihr Informatikstudium unterbrochen, als seine Krankheit anfing, sich zu verschlechtern und war mit Tapsi zu ihm gezogen. Das war vor knapp einem halben Jahr gewesen und nach sehr kurzer Beratung mit ihrer Familie geschehen. Sie war die einzige, die noch studierte und keiner der anderen war bereit gewesen, einfach so auf den Beruf zu verzichten und sich um den alten kranken Mann zu kümmern. Für Linda war es keine Frage gewesen, dass sie seine Pflege übernahm, solange er sie brauchte und es möglich war, sich zu Hause, in seiner ihm vertrauten Umgebung, um ihn zu kümmern.


    Feiner Schneeregen fiel von dem grauen Himmel hinab, und Linda zog ihren Schal bis zur Nase hoch. Es war wirklich kein schönes Weihnachtswetter. Letzte Nacht hatte es zwar richtig geschneit, doch besonders in der Stadt war der Schnee nur noch als schmutziger Rest in den Rindsteinen zu bewundern.
    Im Kaufhaus herrschte eine unbeschreibliche Fülle. Die Luft war überheizt und stickig, doch darauf achtete Linda nicht, als sie sich zwischen Frauen mit vollen Einkaufswagen und quengelnden Kindern zum Stand mit den Engeln drängte. Die Porzellananhänger waren schon ausverkauft, von den großen Plastikfiguren stand nur noch ein einziger Engel da, dessen weißes Gewand bereits recht mitgenommen aussah.
    Linda ging um den Stand herum, auf der Rückseite gab es ebenfalls noch Baumschmuck. Neben den obligatorischen Kugeln, Glocken und Zapfen hingen noch ein paar Figuren. Kleine Schneemänner mit Mini-Besen im Leib, Weihnachtsmänner auf Geschenkeschlitten und Engel. Doch diese Engel waren bunt, hielten Musikinstrumente in den Händen und waren maximal drei Zentimeter groß.
    Über dem nächsten Regal stand ein Schild mit der Aufschrift „Baumschmuck – reduziert“. Das musste sie sich genauer ansehen. In der großen Wühlkiste steckten bereits die Hände drei anderer Frauen, die kleine Elche, Schneemänner und übergroße Eiskristalle in ihre Wagen luden, Figuren zur Seite warfen und tiefer gruben. Beherzt drängte Linda sich dazwischen, suchte nach Flügelwesen und fand schließlich einen Engel, der vor einer schneebedeckten Tanne stand und den Mund zum Gesang geöffnet hatte. Sie schob ihn zur Seite, suchte weiter, erwischte ein Jesuskind, eine Maria (die sie aufgrund des langen Gewandes im ersten Moment für einen Engel gehalten hatte) und heilige Könige.
    Sie gab auf, hier würde sie den gesuchten Engel bestimmt nicht finden. An der Kasse vorbei schlängelte sie sich nach draußen, wohl wissend um die neidischen Blicke, denn wenn sie etwas gekauft hätte, hätte sie trotz der vier geöffneten Kassen mindestens eine halbe Stunde anstehen müssen. Doch das hätte sie für den Engel gern in Kauf genommen.
    Im Geschenkeladen gegenüber versuchte sie als nächstes ihr Glück. Doch auch hier waren es nur noch winzige Papierengel, die an dem bereits arg leergeräumten Ständer hingen.
    „Suchen Sie etwas bestimmtes?“, sprach sie der Verkäufer, ein leicht untersetzter Mann mit graumeliertem Haar, an. Der Laden war leer und er wirkte nicht so genervt und hektisch wie die gestreßten Verkäuferinnen in den Supermärkten.
    „Ja, einen Weihnachtsengel, etwa so groß.“ Zur Verdeutlichung hielt Linda ihre Hände entsprechend und beschrieb den Engel genauer.
    „Tut mir leid, so einen habe ich nicht mehr. Aber warten Sie mal einen Moment, Sie haben doch kurz Zeit?“ Bevor sie darauf überhaupt antworten konnte, war er unter die Theke getaucht und kam dann mit einem Katalog wieder hervor. Er begann rasch zu blättern und stoppte dann plötzlich. „Hier, das ist das gesamte Engel-Sortiment.“
    Linda blickte auf die aufgeschlagenen Seiten des Katalogs, den er zu ihr hingeschoben hatte. Ja, da war ihr Engel abgebildet, gleich in der obersten Reihe. „Genau das ist er!“
    Ihr strahlendes Lächeln musste ansteckend wirken, denn auch der Ladenbesitzer lächelte nun übers ganze Gesicht und griff nach Kugelschreiber und Block. „Ich bestell ihn gern für Sie. Wie oft?“
    „Einmal.“
    Er notierte es und schrieb die Bestellnummer der Figur daneben. „Ihr Name?“
    „Linda Peters.“ Sie blickte weiterhin auf den Katalog. „Klappt das bis morgen früh?“
    „Bis morgen früh?“, wiederholte er und starrte sie fast entsetzt an. „Junge Dame, dieser Engel liegt im Zentrallager, schauen Sie bitte mal auf die Uhr, dort arbeitet um diese Zeit niemand mehr. Ich faxe die Bestellung sofort hin, dann wird sie mit ziemlicher Sicherheit morgen als eine der ersten bearbeitet und so um den 30. rum können Sie herkommen, dann müsste der Engel da sein. Aber wenn Sie mir Ihre Telefonnummer geben, rufe ich Sie an, sollte er schon vorher eintreffen.“
    „Aber ich brauche den Engel sofort! Morgen ist doch schon Heiligabend.“
    Er machte eine bedauernde Geste mit den Händen. „Da hätten Sie eher kommen müssen.“
    Vor Enttäuschung spürte Linda, wie ihr Tränen in die Augen schossen. Sie wandte sich ab. „Danke für Ihre Mühe“, murmelte sie beherrscht.
    Er schob ihr die Plätzchenschale zu, die süßen Duft verströmend auf der Theke stand. „Na na, kommen Sie, das ist doch kein Grund zum Weinen. Nehmen Sie erstmal einen Keks und dann schauen Sie sich ein bißchen um, vielleicht finden Sie ja was anderes für Ihren Baum, das Ihnen gefällt.“
    „Danke.“ Linda nahm einen Zimtstern und kaute langsam. „Es ist nur so, dass ich unbedingt diesen Engel haben muß. Er ist nicht für mich, sondern für meinen Großvater.“ Und sie erzählte ihm die ganze Geschichte, dass ihr Großvater todkrank, dies womöglich sein letztes Fest war und sie den Engel, der für ihn zum Weihnachtsfest gehörte, zerbrochen hatte. Wenn sie nachgedacht hätte, hätte sie sofort peinlich berührt geschwiegen, denn normalerweise war es nicht ihre Art, andere mit ihren Problemen zu belasten, noch dazu völlig Fremde. Doch vielleicht war es gerade die Tatsache, dass dieser ältere Herr mit den freundlichen hellbraunen Augen gar nichts von ihr wusste, die sie zum Reden veranlaßte.
    Er hörte zu, ohne dreinzureden, und erst als sie länger schwieg, sprach auch er. „Ich würde Ihnen wirklich gern helfen und bestell den Engel gern, doch wie gesagt, das dauert. Aber Sie könnten es bei einem anderen Laden probieren, der von dem gleichen Lager seine Waren bezieht. Möglicherweise haben Sie da Glück. Soll ich Ihnen die Adressen raussuchen?“
    „Das wäre sehr freundlich.“ Sie schniefte und nahm mit einem gemurmelten Dankeschön das Taschentuch an, das er ihr reichte.
    Unterdessen tippte er auf der Tastatur des Computers herum und hielt kurz darauf einen Ausdruck in den Händen. „Hier, das ist die Liste der Ladenkette, zu der auch mein Geschäft gehört.“
    Linda bedankte sich und überflog die Liste. Die meisten befanden sich in näherem Umkreis und sie lief gleich los, kratzte die Scheiben ihres VW frei und reihte sich in den Stau an der Autobahnauffahrt ein. Auf dem Armaturenbrett hatte sie die Liste liegen, wenn der erste Laden nichts hatte, würde sie eben den nächsten ansteuern – bis sie den Engel hatte.
    Im ersten Geschäft herrschte eine unbeschreibliche Fülle, der kleine überheizte Raum flirrte fast vor den unterschiedlichen Stimmen und Gerüchen. Die Regale waren größtenteils leer geräumt und das, was noch übrig war, waren Kugeln und Glocken in so unmöglichen Farben, dass man sie nur kaufte, wenn man wirklich keine andere Wahl hatte oder einen sehr ungewöhnlichen Geschmack.
    Die beiden völlig überforderten und stark gestreßten Verkäuferinnen nahmen sich erst nach gut zehn Minuten Lindas Begehren an und dann bestand die Antwort aus einem knappen „Was wir an Weihnachtsschmuck noch haben, steht da in den Regalen. Wenn da kein Engel bei ist, haben wir auch keine mehr.“
    In den Regalen hatte Linda natürlich zuerst geguckt, also hielt sie sich nicht länger auf und steuerte das nächste Geschäft an. Es lag mitten in der Innenstadt des Nachbarortes und sie musste fast einen Kilometer zu Fuß laufen, da ein näherer Parkplatz nicht zu finden war.
    Der Laden war zwar nicht ganz so mit gestreßten Käufern überfüllt, doch als sie die fast leeren Regale sah, wusste sie, warum. Auch hier hätte sie höchstens noch gelbe Weihnachtskugeln, grüne Glockenanhänger und Christbaumständer in rosa bekommen können.
    Linda hetzte zum Auto zurück, trommelte ungeduldig mit den Fingern auf das Lenkrad und wartete darauf, dass endlich einer ein Einsehen hatte und sie aus der Parklücke ließ.
    Auf der Autobahn war der Verkehr nicht mehr so stark und sie schaltete das Radio ein, ließ sich von Weihnachtsliedern berieseln und summte einige der Melodien mit. Bis zum nächsten Laden fuhr sie fast eine halbe Stunde, doch auch diesmal war es umsonst. Die nächste Adresse war in der gleichen Fußgängerzone nur einige Nummern weiter und so ließ Linda ihr Auto an dem einmal ergatterten Parkplatz stehen und suchte den Laden zu Fuß auf.

  • Das Fenster war mit kleinen Sternenlämpchen beleuchtet. In der Auslage standen Engel aus Pappmache. Das ließ sie neue Hoffnung schöpfen. In den anderen Geschäften war überwiegend schon die Dekoration aus den Schaufenstern verkauft worden.
    Sie trat ein, ging an den leeren Regalen vorbei und fragte eine Verkäuferin. Bedauernd schüttelte die junge blonde Frau den Kopf. „Ja, ich weiß, welche Engel Sie meinen, die hatten wir auch, eine ganze Palette, doch gerade erst vor einer Stunde haben wir den letzten davon verkauft. Aber ich könnte Ihnen einen bestellen, die im Lager sind recht flott, liefern bestimmt noch vor dem Dreikönigstag.“
    Vor Enttäuschung und Wut, dass sie lediglich eine Stunde zu spät dran war, hatte Linda Mühe, die Tränen zurück zu halten. Sie riss sich zusammen, bedankte sich mit knappem Murmeln bei der Verkäuferin und trat in den Dezembernachmittag heraus. Es war nun schon dunkel, die Weihnachtsbeleuchtung über der Einkaufspassage eingeschaltet und in dem Licht konnte sie den Tanz der kleinen Schneeflocken sehen, die beständig vom Himmel fielen und sich mehrten. Instrumentale Weihnachtsmusik erklang aus dem Kaufhaus gegenüber und Werbespots wiederholten sich auf dem großen Schirm über dem Eingangsschild.
    Linda fror, ihre Hose war zu dünn für lange Aufenthalte im Freien und die ledernen Halbschuhe waren ebenfalls nicht für Schneespaziergänge gedacht. Sie reihte sich in die Schlange vor einem der Stände ein, kaufte einen Becher heißen Punsch ohne Alkohol und zwei große Waffeln mit Puderzucker.
    Unter dem Vordach des Kaufhauses aß und trank sie, betrachtete dabei die Schaufenster und die vorbeihastenden Leute. Alle schienen es eilig zu haben und das erinnerte sie daran, dass sie eigentlich ebenfalls keine Zeit für eine Pause hatte. Ihr gegenüber saß eine Frau in zerlumpten Kleidern, der lange braune Mantel war aus grobem Stoff und schon mehrmals geflickt. Ein Hut lag vor ihr, in dem einige wenige Münzen glitzerten und sie spielte auf einer Säge. Die Töne trugen klar durch die kalte Luft.
    Linda schaute fasziniert zu und spürte, wie der Klang sich in ihrem Körper ausbreitete, etwas in ihr berührte. Sie hatte noch nie live den Gesang einer Säge gehört. Das Weihnachtslied erkannte sie sofort. Sie hätte nicht gedacht, dass mit diesem ungewöhnlichen Instrument derartig klare Töne erzeugt werden konnten, die noch dazu so gefühlvoll klangen, dass Linda blinzeln musste. Sie griff in ihre Tasche, ging zu der Musikantin und warf die Münzen in den Hut. Die Frau lächelte ihr zu und scheu lächelte Linda zurück.
    Durch das heiße Getränk und die überzuckerten Waffeln war ihr warm geworden, außerdem fühlte sie sich nach der kurzen Rast gestärkt. Sie lief zum Auto zurück und nahm sich die Liste vor. Zwei Adressen hatte sie noch darauf stehen, doch die waren mindestens eine Fahrstunde entfernt. Das bedeutete, dass es spät werden würde, bis sie nach Hause kam, zu spät, denn am Abend musste Großvater seine Medikamente pünktlich einnehmen. Und Tapsi musste bald auch raus.
    Andererseits jedoch wollte sie unbedingt den Engel. Sie kramte aus dem Handschuhfach ihr Handy und rief Doreen an. Doreen war schon seit der Schulzeit ihre Freundin, arbeitete als Krankenschwester und kam meist einmal pro Woche vorbei, ein gemütliches Zusammensitzen bei Cappuccino und Keksen. Doreen war es auch gewesen, die Linda in der Anfangszeit der Pflege unterstützt hatte. Linda erwartete sie erst am zweiten Weihnachtsfeiertag und es tat ihr leid, die Freundin in den Festvorbereitungen zu stören, doch sie wusste keine andere Möglichkeit.
    Leicht abgehetzt nahm Doreen nach dem fünften Klingeln das Gespräch an, ließ sich von Linda die Situation erklären und versprach sogleich zu ihrem Großvater zu fahren und ihm auszurichten, dass es bei ihr noch dauern würde. Sie würde bei ihm bleiben bis Linda zurück kam und auch mit der Hündin raus gehen.
    Erleichtert, diese Sorge aus der Welt geschafft zu haben, fuhr Linda wieder auf die Autobahn auf. Sie gab ordentlich Gas, denn bis Geschäftsschluss war nicht mehr viel Zeit.
    Doch es war umsonst; auch im letzten Laden, auf den sie all ihre Hoffnung gesetzt hatte, gab es keinen einzigen Engel. Das Lager, fuhr es Linda wie ein Blitz durch den Kopf. Fast jede der Verkäuferinnen, die sie gefragt hatte, hatte ihr angeboten, den Engel aus dem Warenlager zu bestellen. Also bedeutete das, dass es dort die Engel noch gab, sie musste also bloß direkt zum Warenlager fahren. Warum nur war ihr diese Idee nicht sofort gekommen? Den ganzen Tag hatte sie damit vertan, sinnlos durch die Gegend zu fahren. Die Tankanzeige näherte sich bereits bedrohlich dem roten Bereich.
    Linda nahm die nächste Ausfahrt zur Tankstelle, und während sie an der Kasse wartete, studierte sie im Schein der Leuchtreklame ihre Liste. Die Adresse das Lagers stand ganz zuunterst, kleiner ausgedruckt als die anderen.
    Im nächsten Moment bekam Linda einen Schreck, das Lager war fast 400km entfernt, kein Katzensprung, noch dazu bei Dunkelheit und Glätte auf den Straßen. 400km, das bedeutete eine Fahrt von mindestens vier Stunden, aufgrund der Straßenverhältnisse aber mit ziemlicher Sicherheit mehr.
    Aber sie wollte es versuchen, selbst wenn es bedeutete, die ganze Nacht auf der Autobahn zu verbringen. Sie ging in die Tankstelle, bezahlte das Benzin und kaufte sich eine Straßenkarte sowie einen großen Becher Kaffee. Im hinteren Bereich standen ein paar Tische und Stühle und da die beiden dort sitzenden Fernfahrer ihr freundlich zuwinkten, gesellte Linda sich zu ihnen.
    „Setz dich, Kleine, bei dem Wetter braucht man einfach eine Pause, besonders, wenn man noch eine lange Strecke vor sich hat.“ Der schmächtigere der beiden deutete auf die Karte, die sie unter den Arm geklemmt trug.
    Sein Kumpel grinste sie an. „Aber eine Truckerin bist du nicht.“
    „Stimmt.“ Linda nahm Platz. Eigentlich hatte sie vorgehabt, den Kaffee rasch im Stehen zu trinken, aber sie wollte nicht unhöflich sein. „Ist das so offensichtlich?“
    „Für uns schon“, erwiderte er. Dann reichte er ihr die Hand, die abgearbeitet und rau war. „Ich bin Stefan, und das ist Christoph. Wir müssen heute Nacht noch bis an die dänische Grenze, sind bis obenhin mit Möbeln vollgepackt.“
    Linda stellte sich ebenfalls vor und nippte an ihrem Kaffee, der heiß, stark und süß war. Sie schüttelte den Kopf, als Stefan ihr eine Packung Zigaretten hinhielt. „Ich rauche nicht.“
    Er steckte die Packung wieder weg. „Aber Hunger hast du doch sicher, oder? Ich hole uns nämlich jetzt eine Runde Sandwiches und du bist herzlich eingeladen.“
    Schon wollte sie widersprechen, denn schließlich hatte sie es eilig und je eher sie los fuhr, desto früher konnte sie wieder zu Hause sein. Doch auf ein paar Minuten kam es nicht an und wirklich satt war sie von den Waffeln ohnehin nicht geworden.
    Die nächste halbe Stunde verbrachte Linda damit, belegte Brote zu essen und den beiden Truckern zuzuhören, wie sie von ihren Touren erzählten. Sie fand es wahnsinnig interessant und als sie sich schließlich verabschiedeten und einander noch eine gute Fahrt wünschten, kam ihr zu Bewußtsein, dass sie an einem Tag mehr erlebt und gesehen hatte als im ganzen vergangenen Jahr. Sie hatte noch nie vorher in einer Tankstelle Kaffee getrunken und Leute wie die Bettlerin mit der singenden Säge oder die beiden Fernfahrer hätte sie normalerweise einfach nicht beachtet.
    Die Fahrt durch die Nacht zog sich dahin. Aufgrund des Glatteises war es zu einem Unfall mit mehreren beteiligten Wagen gekommen und die Strecke war vorerst gesperrt. Linda hörte die Meldung zu spät im Verkehrsfunk, so dass sie mitten hinein in den Stau kam und in einer Schlange von über fünfzig Autos darauf wartete, dass die Autobahnpolizei den Weg wieder frei gab.
    Sie hörte Radio, ließ die Heizung auf vollster Stärke laufen und griff von Zeit zu Zeit in die Spekulatiustüte, die sie sich an der Tankstelle noch gekauft hatte.
    Irgendwann fuhr dann ihr Vordermann endlich los und auch Linda konnte Gas geben. Die Streufahrzeuge waren auf der gesamten Autobahn unterwegs, kämpften gegen den Schnee an, der nun in beachtlicher Menge fiel.
    Doch sie kam gut durch und als sie kurz vor ihrem Ziel von der Autobahn abfuhr, tanzten nur noch wenige kleine Flocken im Licht der Scheinwerfer. Linda fuhr die nächste Tankstelle an, sie brauchte dringend einen Kaffee, außerdem war es noch viel zu früh, der Tag erwachte gerade erst und kaum ein Auto war auf den Straßen zu sehen.
    Die Rast in der überheizten Tankstelle lud ihre Kraftreserven neu auf. Sie gestattete sich keine Müdigkeit, schließlich hatte sie schon so manche Party durchgetanzt und war nach einer kurzen Dusche munter zur Universität gefahren. Eine Dusche oder noch lieber eine heiße Badewanne hätte sie jetzt auch gern gehabt, doch sobald sie den Engel hatte, würde sie nach Hause fahren und konnte all das genießen. Und vor allem sich an dem Strahlen ihres Großvaters freuen, wenn sie den Engel auf die Baumspitze steckte.
    Sie kaufte sich eine Zeitung und ein Schokohörnchen und sah zu, wie es langsam hell wurde. In der spiegelnden Fensterscheibe kontrollierte sie kurz ihr Aussehen. Ihr Haar war ein paarmal nass geworden, doch sah es nicht zu schlimm aus, da sie es im Nacken zusammengebunden trug. Ein bißchen Rouge wäre nicht schlecht gewesen, sie war winterblass und der fehlende Schlaf hatte leichte Schatten unter ihre Augen geworfen. Nun ja, das Schminken musste eben warten, wichtig war nur der Engel.
    Sie nahm sich noch eine Packung Pfefferminzbonbons mit, zahlte und fuhr weiter. Auf der Karte hatte sie sich den Weg während der Zeit im Stau gut eingeprägt und sie fand die entsprechende Straße problemlos.
    Zu übersehen war das Lager ohnehin nicht, es war ein riesiges Anwesen und auf dem Parkplatz davor standen mehrere große LKW. Linda parkte ein Stück entfernt, sie wollte keinem im Wege stehen, der einladen musste.
    Ziemlich gestresst wirkende Arbeiter hetzten über den Platz, schrien sich zu, wer noch Teddys, Autorennbahnen oder Puppen wo hin fahren musste. Linda wich Männern aus, die die Arme voll Kisten hatten und hätte dabei fast gejubelt. So viel Weihnachts-Kram, bestimmt würde sie gleich ihren Engel in der Hand halten.
    Sie fragte sich zum Vorarbeiter des Lagers durch und trug ihm ihren Wunsch vor. Nachdenklich kratzte er sich das stoppelige Kinn. „Hm, ja, solche Engel hatten wir, erinnere ich mich noch gut dran, haben wir nämlich durch das ganze Land geschickt, alle Läden hatten sie angefordert.“
    Ungeduldig und weil ihr in der zugigen Halle kalt wurde, trat Linda von einem Fuß auf den anderen. „Haben Sie denn noch so einen Engel da?“
    „Weiß ich nicht, Moment.“ Er ging einige Schritte. „He, Karl, haben wir noch diese großen Engel, du weißt schon, die, die Rainer letzte Woche nach Berlin gefahren hat.“
    Der Angesprochene schlenderte näher. Er war ein schmaler Endfünfziger, etwas kleiner als sie selbst und wirkte noch überarbeiteter als die anderen Männer. „Ne, die sind alle weg, drei der Läden hatten nachbestellt. Auch die kleinere Ausgabe davon ist weg. Aber die Schaukelpferde sind noch da, diese kleinen, zum an den Baum hängen.“
    „Aber wieso, ich meine, hier ist doch das Zentrallager, wo die Läden auch bestellen. Das haben mir die Verkäufer immer angeboten, sie sagten, dass sie die Engel von hier bestellen können.“ Linda wollte nicht glauben, dass alles umsonst gewesen war.
    „Ja schon“, räumte der Vorarbeiter ein. „Aber wir bekommen den Kram direkt von der Produktionsstätte. Unsere LKW fahren zur Fabrik, laden die Sachen da ein, kommen dann hierher und dann bearbeiten wir die Bestellungen.“
    „Können Sie denn nicht noch mal nachsehen? Vielleicht haben Sie ja doch noch eine Kiste mit Engeln über“, bat Linda und hoffte dabei nicht all zu verzweifelt zu klingen.
    Er machte eine die Halle umfassende Armbewegung. „Die Engel standen hier und Sie sehen ja, was noch da ist. Hier, bitte, Schaukelpferde, außerdem Puppenhäuser und Lichterketten. Die haben wir noch in Massen, wollen Sie eine?“
    Linda war unfähig zu reagieren, ihre Welt stürzte gerade Stein für Stein ein und sie glaubte, keinen Schritt mehr zu schaffen, geschweige denn ihre Beherrschung noch länger aufrecht zu halten.
    „Der Engel war wohl sehr wichtig für Sie, hm?“, sagte der Mann, den der Vorarbeiter Karl gerufen hatte.
    Schwach nickte Linda. „Er ist für meinen Großvater, für ihn bedeutete der Engel sehr viel und ich möchte dieses Fest für ihn so schön wie möglich machen.“
    Verstehend nickte er und fragte nicht weiter nach. „Kommen Sie mal mit, mir fällt gerade was ein.“
    Linda tappte hinter ihm her, durch weitere Hallen, in denen aus- und umgeladen wurde, durch den verlassenen Aufenthaltsraum, auf dessen Tischen noch leere Kaffeebecher standen, bis in die kleine Küche, die sich daran anschloß.
    Karl nahm eine Figur von dem Bord neben dem kleinen Fenster und reichte sie Linda. „Hier, dieser Engel sitzt schon seit Jahren da oben, war aus einer früheren Produktion, die jetzigen sind viel schöner, haben richtig süße Gesichter. Irgendwer hat den hier mal da hingesetzt und wir haben ihn nie weg genommen, weil keiner richtig auf ihn geachtet hat. Er ist nicht besonders schön, aber vielleicht möchten Sie ihn ja dennoch haben.“
    Linda strich vorsichtig über das Gewand, das fleckig und knittrig war und betrachtete die Holzkugel, an die strohiges Goldhaar geleimt war. Er sah fast genauso aus wie jener Engel, der kaputt gegangen war. „Darf ich ihn wirklich haben?“, fragte Linda und da er nickte, griff sie nach ihrer Handtasche.
    Doch Karl legte ihr eine Hand auf den Arm. „Für diesen Engel brauchen Sie wirklich nichts zu bezahlen, nehmen Sie ihn und wenn Sie wollen, geben Sie mir Ihre Adresse, dann schicke ich Ihnen einen, sobald die neue Lieferung eintrifft.“
    „Das ist nicht nötig“, flüsterte Linda. „Dieser Engel ist perfekt, genau den habe ich gesucht.“
    „Ja dann, frohe Weihnachten.“
    „Frohe Weihnachten.“ Linda küßte den überraschten Karl auf die Wange und lief, den Engel fest unter dem Arm, zu ihrem Auto. Sie platzierte ihn vor sich auf dem Armaturenbrett, stellte die Musik lauter und sang aus voller Kehle mit.
    Die Welt war einfach schön, auf den Feldern, an denen sie vorbeikam, lag zentimeterhoch der Schnee, eine weiße Pracht, selbst in der Stadt war er noch blütenweiß, da er noch so frisch war, dass Autoabgase und die Emissionen der Kohleöfen ihn noch nicht verfärbt hatten.
    Ihr Großvater erwartete sie schon, Doreen war ebenfalls da, hatte schon das Weihnachtsmahl gekocht, das aus Kartoffelbrei und gedünstetem mageren Fisch bestand, denn schwere Speisen vertrug ihr Großvater nicht. Linda umarmte sie, holte aus dem Schrank einen Kauknochen für Tapsi und ging dann zum Baum, setzte den Engel auf die Spitze.
    „Ja, das ist der Weihnachtsengel“, sagte ihr Großvater leise und sein graues Gesicht strahlte.



    ENDE

  • 3. Dezember 2008 von Eskalina


    Ich gebe zu, ich bin ein wenig - sagen wir ängstlich. Mein Bruder würde jetzt lachen und sagen, dass dies die Untertreibung des Jahrhunderts sei, doch das interessiert mich nicht, denn wann immer man eine Zeitung aufschlägt, so kann man ja schließlich lesen, dass allein stehende Frauen gefährlich leben. Da wird vergewaltigt, gemordet, überfallen und wenn ich früher so richtig Gänsehaut bekommen wollte, dann sah ich mir manchmal spätabends XY an, und immer wieder nahm ich mir vor, dass mir so was nicht passiert. Nein, ich würde nicht im Schein meiner einzigen Zimmerlampe von irgendeinem dahergelaufenen Mörder gemeuchelt und mausetot auf meinem wertvollen Perser liegen und Flecken hinterlassen, die nie mehr raus gehen. Deshalb hatte ich mir auch von einer Sicherheitsfirma meine kleine Eigentumswohnung in eine Festung verwandeln lassen, und konnte bis kürzlich stolz behaupten, dass jemand, der mich unaufgefordert und in böser Absicht „besuchen“ wolle, keine Chance haben würde…
    Es geschah an einem sehr kalten und dunklen Abend im Dezember, ja, Sie ahnen es wahrscheinlich schon, es war der heilige Abend. Ich stapfte auf dem Heimweg von der Messe frierend durch den Schnee, die Hände tief in den Manteltaschen vergraben, es musste ja nicht jeder sofort das Pfefferspray sehen, und spürte schon von weitem, dass etwas nicht stimmte. Überall in den Häusern brannten die Lichter und erhellten auf schöne und friedliche Weise den noch weißen und frisch gefallenen Schnee und aus einigen Wohnungen klangen vereinzelt Fetzen von weihnachtlicher Musik an mein Ohr. Trotzdem stellten sich mir die Nackenhaare auf, denn weithin zu sehen, beteiligte sich auch mein Wohnzimmerfenster an der festlichen Illumination der Straße. Als ich die Wohnung verließ, hatte ich jedoch meinem Lichterbogen, ein Mitbringsel aus dem schönen Erzgebirge, den Stecker gezogen, denn man kennt ja die Brandgefahr, die von unbeaufsichtigten Lichterketten und anderem Weihnachtschmuck ausgeht und nun war er hell erleuchtet und nicht nur das - Auch aus meinem Küchenfenster strahlte mich heller Kerzenschein an! Ich war geschockt. Nein, ich war fassungslos und meine Hände umklammerten das Pfefferspray noch fester. Ganz leise schlich ich mich im Dunkeln durch das Treppenhaus. Den Gedanken, einen Nachbarn um Hilfe zu bitten, hatte ich schnell wieder verworfen, denn bis mir die Sicherheitsfirma meinen Einbruchsschutz angebaut hatte, musste fast jeden Abend ein Nachbar kurz in meine Wohnung schauen, weil ich meinte, beim Heimkommen von der Straße aus etwas Verdächtiges gesehen zu haben. Das hatte ich nun davon, niemand im Haus nahm meine Angst vor Einbrechern noch ernst.
    Zitternd und doch entschlossen, diesen dreisten Eindringling zu stellen, schloss ich leise die 3 Sicherheitsschlösser auf, entriegelte den Sperrbalken und öffnete lautlos die Tür, ohne mich zu wundern, dass sie nicht aufgebrochen war. Leise Weihnachtsmusik tönte aus dem Wohnzimmer und als ich durch die geöffnete Küchentür spähte, erblickte ich neben dicken roten, mir unbekannten Kerzen, einen großen bunten Teller, gefüllt mit wunderschönen weihnachtlichen Leckereien. Überhaupt duftete die Wohnung einfach wundervoll. Jetzt im Nachhinein wird mir das erst so richtig bewusst, doch am besagten Abend, hatte ich einfach keinen Sinn dafür. Ich schlich mich in Richtung der angelehnten Wohnzimmertür und erstaunt registrierte ich, dass durch den schmalen Spalt in der Tür, ein mir ebenfalls unbekannter Weihnachtsbaum zu sehen war – strahlend und hell erleuchtet! Um diesen Baum bewegte sich jemand, doch ich konnte durch den äußerst begrenzten Blickwinkel, den ich durch meinen Spähposten hatte, nicht viel erkennen. Leise öffnete ich neben mir die Schublade im Garderobenschränkchen und griff nach meiner Pistole, die ich mir schon vor Jahren nach einer besonders unheimlichen XY-Sendung besorgt hatte und schlich wieder zur Tür. Nein, ich hatte nicht vor zu schießen, dazu zitterten meine Hände viel zu sehr und außerdem hatte ich in unzähligen Krimis gelesen, was für eine Sauerei solch ein Schuss anrichten kann. Ich wollte mir mit dem Entsichern der Waffe nur Mut machen, ich schwöre es! Doch dann ging alles sehr schnell. In dem Moment, als ich wieder zur Tür schlich, wurde sie von innen weit aufgerissen und ich konnte nicht anders, ich drückte ab…
    Erst als ich die Person leblos am Boden liegen sah, wurde mir klar, was ich getan hatte – Ich hatte getötet! Und nein, ich hatte nicht irgendjemanden getötet. Vor mir lag – das glauben Sie mir eh nicht, obwohl ich es Ihnen nun schon zig Mal geschildert habe – der Weihnachtsmann! Im Ernst, und spätestens als ich schreiend aus dem Haus lief, und im Garten den Renntierschlitten sah, war mir alles klar. Sie können noch so viel schmunzeln Herr Doktor und in Ihr Protokoll etwas von Schizophrenie und Angst-Psychose schreiben, aber genauso war es, und da können Sie mir tausendmal erzählen, dass es der Hausmeister war, der sich mit den Ersatzschlüsseln Zugang zu meiner Wohnung verschafft hat und der mir eine schöne Überraschung bereiten wollte und nun möchte ich bitte wieder in mein Zimmer. Wissen Sie, es ist so behaglich und sicher dort, mit den Gittern am Fenster und dem dicken Riegel an der Tür…

  • 4. Dezember 2008 von Tom


    "Das ist doch Scheiße", nörgelte Jonas und trat mit einem Fuß leicht gegen den flachen Holztisch, auf dem unser Weihnachtsbaum stand. Die kleine Plastikfichte wackelte, fiel aber nicht um.


    "Mir ist auch nicht gerade nach Weihnachten", sagte Louisa und zuppelte etwas nervös am Oberteil ihres Bikinis herum. Den hatten wir gerade gekauft, ein Vorabgeschenk quasi, achtzig Dollar für Stoff im Gegenwert von bestenfalls zwanzig Cent. Christiane hatte versucht, ihr den Fetzen auszureden, aber Louisa hatte darauf gepocht, mit siebzehneinviertel so gut wie volljährig zu sein, außerdem trugen alle so etwas, angeblich jedenfalls. Das war nicht leicht zu überprüfen, denn schon aus fünf Metern Entfernung sah man das Ding nicht mehr. Inzwischen war Lousias diesbezüglicher Mut auch erkennbar gesunken. Nach meinem Gefühl hätte sie diese Idee von Badebekleidung am liebsten wieder gegen ihren schwarzen Einteiler ausgetauscht.


    "Wir sind jetzt hier und machen das Beste daraus", stellte Christiane fest. "Immerhin wolltet Ihr alle nach Florida."
    "Das war vor sechs Monaten", murmelte Jonas.
    Christiane ignorierte ihn. "Genießen wir das Wetter und den Strand."


    Das Wetter, das waren Sonnenschein und dreiunddreißig Grad Celsius, und der Strand, das waren etwa hunderttausend Bodybuilder in Badehoseneuphemismen, die von weiteren hunderttausend bulimischen Grazien mit Kunststoffbrüsten und Perlweißzähnen angehimmelt wurden. Ich sah an mir herab und wünschte mir vom Weihnachtsmann das Verschwinden der kleinen, breiten Beule, die über meinen Badehosensaum hing. Vielleicht würde es helfen, in den nächsten Tagen etwas weniger zu essen, aber dieser Vorsatz ließ sich im Land der Vierzig-Unzen-Steaks und triefenden Megaburger kaum umsetzen. Selbst das Mineralwasser enthielt hier Fette und Kohlenhydrate.


    Auf dem Weg zum Meer war ich damit beschäftigt, Louisa immer wieder das Badetuch über die Schultern zu legen, weil sie ohne wirklich nackt aussah. Und parallel Jonas zu erklären, dass Weihnachten weniger etwas mit dem Wetter als vielmehr mit dem Gefühl innen drin zu tun hatte. Er verdrehte die Augen, wenn er nicht gerade halbwüchsige Mädchen anstarrte, die noch nackter als Louisa aussahen. Was war nur aus den puritanischen Amis geworden? Immerhin trugen einige der männlichen Strandbesucher Weihnachtsmannmützen, was in Kombination mit den Mini-Suspensorien, die sie anstelle von Badehosen anhatten, sogar lustig aussah. Auf, wie ich Jonas gegenüber schweigend eingestand, sehr unweihnachtliche Weise lustig.


    Aus den Läden, an denen wir vorbeikamen, erklang die Art von Weihnachtsmusik, die die Amerikaner mögen: Rocking Around the Christmastree, Jingle Bells in einer Punkversion und solche Sachen. Alles war orgiastisch geschmückt, aber überraschenderweise weniger kitschig, als ich erwartet hatte. Das machte es noch schlimmer. Ich kam mir vor wie auf einem Weihnachtsmarkt, den man abzubauen vergessen hatte, und Jonas' sekündlich trüber werdende Stimmung trug das ihrige bei. Natürlich lag das nicht nur daran, dass wir - gemäß eines längst bereuten Familienratsbeschlusses - Weihnachten ohne Schnee, Kälte und kondensierenden Atem verbrachten, sondern auch an der sprießenden Pickelplantage, die er im Gesicht trug. Fünfzehn ist wirklich ein ärgerliches Alter. Ich sah ihn von der Seite an und konnte seine Gedanken lesen, während er die Hardbodies anstarrte.


    "Hier ist es schön", sagte Christiane und ließ unsere Strandtasche fallen. Sie hatte recht. Vor uns plätscherte das bilderbuchblaue Meer, der Sand war fast weiß, und obwohl ganze Bataillone herumturnten, gab es genug Platz für jeden. Wir etablierten uns; die Kinder, die längst keine mehr waren, gingen ins Wasser, während Christiane und ich zu Büchern griffen und zu lesen begannen. Meine Frau hatte einen Thriller dabei, um den ich sie beneidete, denn ich hatte ein Buch eingesteckt, um das ich seit Jahren einen großen Bogen machte, obwohl ich es seit Ewigkeiten besaß: Musils "Der Mann ohne Eigenschaften". Ich klappte den unhandlichen Wälzer auf und dachte an einen anderen Roman von Musil, "Die Verwirrungen des Zöglings Törleß". Den hatte ich sogar gelesen. Vom Internatsroman "Törleß" kam ich auf Kästners "Das fliegende Klassenzimmer", das ebenfalls in einem Internat gespielt hatte. Eine der schönsten Weihnachtsgeschichten überhaupt. Kästner hatte das Buch mitten im Sommer geschrieben. Ich schlug den Wälzer zu und sah zum Wasser. Jonas stand bis zur Hüfte im Meer und gaffte um sich herum, was ich an seiner Stelle und in seinem Alter auch getan hätte. Louisa zuppelte schon wieder an ihrem Oberteil, sehr zur Freude einiger Testosteronmonstren, die angriffsbereit in ihrer Nähe herumlungerten. Meine Tochter schien unentschlossen, also stand ich auf, griff nach dem Strandtennisspiel und ging zu ihr. Sie lächelte dankbar und wir spielten ein kleines Match. Derweil dachte ich an Erich Kästner, an den Nichtraucher, den beliebten Lehrer Justus, die Schüler Johnny Trotz, Martin Thaler, Matz und Uli, an den schönen Theodor und das Kalb namens Eduard. Wie hatte ich dieses Buch als Kind, als Jugendlicher geliebt. Ich wurde wehmütig, weil mir bewusst wurde, dass ich es immer noch liebte - und viel zu lange nicht mehr gelesen hatte.


    "Alles okay, Papa?", fragte Louisa plötzlich und kam zu mir. "Du weinst ja."
    "Ach", sagte ich schlau und wischte mir eine Träne von der Wange. "Ich hatte nur gerade einen sehr melancholischen Gedanken."
    Sie lächelte freundlich. "Das passt. Weihnachten ist ja auch irgendwie melancholisch."
    "Kennst du eigentlich Kästner?"
    Sie legte den Kopf schief. "Erich Kästner? Emil und die Detektive?"
    Ich nickte.
    "Das haben wir, glaube ich, in der Grundschule gelesen."
    "Und 'Das fliegende Klassenzimmer'?"
    "Nein. Warum fragst du?"



    Am Abend gingen wir in ein Steakhaus, weil es in der Nähe nichts anderes gab, sehr zum Ärger von Christiane, die Vegetarierin war. Der Ärger verflog, als ein Kellner - auch mit Weihnachtsmannmütze - eine ganze Latte von vegetarischen Speisen auflistete. Louisa, Jonas und ich aßen Steaks, die so groß waren, dass wir vermuteten, dass man sie aus den Filetteilen mehrerer Rinder zusammengesetzt hatte. Das Restaurant war sehr festlich geschmückt, und obwohl auch hier nur der übliche Weihnachts-Rock zu hören war, kam fast Stimmung auf. Oder aufgekommen wäre, hätten nicht draußen immer noch knapp dreißig Grad geherrscht und die ganzen Amerikaner, die um uns herum saßen, keine kurze Hosen und T-Shirts angehabt.


    Unser Strandhaus verfügte über einen Kamin. Der Plastikbaum, den der Ferienhausvermieter aufgestellt hatte, sah immer noch ziemlich erbärmlich aus, aber es war nun einmal Heiligabend. Ich fand tatsächlich Feuerholz. Christiane zeigte mir einen Vogel, als ich das Feuer anfachte, und als ich mir Jeans und den dicken Nur-für-den-Fall-der-Fälle-Pulli anzog, griff sie zum Telefon, um einen Krankenwagen zu rufen. Ich nahm ihr den Hörer aus der Hand.


    "Wir machen jetzt Weihnachten", verkündete ich und setzte mich im Schneidersitz vor das knatternde Kaminfeuer. Es war so heiß, dass mein Rücken innerhalb von Sekunden schweißnass war. Trotzdem versuchte ich, mir nichts anmerken zu lassen. Ich forderte meine Familie auf, sich zu mir zu setzen.


    "Ich will eine Geschichte erzählen", sagte ich. Louisa nickte wissend, Christiane sah mich immer noch an, als wäre ich eine multiple Persönlichkeit, und Jonas hatte keine Meinung zu nichts; in seinem furchigen, aber eigentlich sehr hübschen Gesicht stand der Wunsch, möglichst schnell aus dem Plastikstrandland mit seinen überschönen Barbies heim nach Clearasil-Country zu fahren. Aber sie setzten sich.


    "Sie handelt von einem Autor, der mitten im Sommer eine Weihnachtsgeschichte schreiben soll. Sie handelt von einem ambitionierten Lehrer, von Freundschaft, von Mutproben, Schneeballschlachten, einem einsamen Jungen, der Theaterstücke schreibt, von einem gefräßigen, aber freundlichen Muskelprotz und vielen anderen. Und vom Fest der Liebe."


    Am Anfang hatte ich Schwierigkeiten, aber dann verblüffte ich mich selbst. Ich kannte das Buch fast auswendig, konnte mich sogar an einige der Zusammenfassungen erinnern, die Kästner den Kapiteln vorangestellt hatte. Ich musste dass als Jugendlicher fast hundert Mal gelesen haben. Drei Stunden lang erzählte ich, während mir die Suppe über den Körper strömte, was ich kaum mitbekam. Ich sah nur in die Gesichter meiner Kinder und meiner Frau, die mich anfangs skeptisch betrachteten, aber nach und nach entspannter wurden, mir aufmerksam lauschten. Christiane legte sogar zweimal Feuerholz nach. Als ich endete, waren unsere Gesichter nicht nur vom Schweiß benetzt. Fast am Schluss, als Martin Thaler sein Bild mit "Ein Weihnachtsengel namens Bökh" betitelt, kullerten mir selbst die Tränen. Meine Frau rutschte heran und küsste mich.


    "Das war sehr schön", sagte sie gerührt. Selbst Jonas nickte. Er blinzelte eine Träne weg und stupste den Plastikbaum mit dem Zeigefinger an.


    Wir umarmten uns und sagten "Fröhliche Weihnachten." Dann zog ich den dicken Pulli aus, der inzwischen gut zehn Kilo wog.


    "Aber nächstes Jahr", sagte Louisa, immer noch schniefend. "Nächstes Jahr bleiben wir zu Hause."


    Niemand widersprach.

  • 5. Dezember 2008 von blaustrumpf


    Also, zunächst möchte ich eines klarstellen: Ich finde Weihnachten toll. Und meine Kinder, die liebe ich. Alle drei. Aber Weihnachten und Kinder, das ist wirklich eine brisante Mischung. Das fängt schon im Advent an. Glauben Sie mir ruhig. Ich weiß, wovon ich rede.


    Die Weihnachtsbastelei, die Tränen über Kleber, der garantiert an der falschen Stelle pappt, das Mehlgestöber beim gemeinsamen Plätzchenbacken, überkandidelte Wunschzettel, die die Mitteilung notwendig machen, dass wir nicht in einem Märchenland leben, in dem Papa einen Dukaten scheißenden Esel – das sagt man aber nicht, Mama, hörst du! – also, in dem Papa kein endlos plündbares Konto hat, glauben Sie mir, so etwas bringt kein UNO-Diplomat ohne Zusatzausbildung in Krisenmanagement stressfrei hinter sich. Und wieso muss der Papa überhaupt für die Geschenke zahlen? Die bringt doch das Christkind – und es sind Ge-Sen-Ke. Die kriegt man gesehenkt. Sagt Jan.


    Wenn Sie das kennen, dann kennen Sie das. Und wenn nicht, dann wollen Sie es lieber nicht glauben. Alle Jahre wieder, bis die lieben Kleinen groß genug sind, um den Lebenstatsachen ins Auge zu sehen. Kein Christkind mit offenem Scheckbuch, sondern in Wirklichkeit Papa und Mama. Haben die tatsächlich all die Jahre gelogen, dass sich der Tannenbaum bog? Und kriegen auch noch Geschenke? Da stimmt doch etwas nicht im System. Gut, diese Diskussion steht uns noch bevor. Dieses Jahr noch nicht. Dieses Jahr ist Anna sechs, Jan viereinhalb und Esther drei. Das perfekte Alter für Krippenspiele, Adventskranz und Weihnachtszauber. Und den Nikolaus. Der kommt morgen in den Kindergarten. Glauben Sie mir, ich habe Angst.


    Nein, meine Kinder beißen nicht. Sie treten auch nicht, kratzen nicht, prügeln sich nicht. Aber dafür haben sie alle drei ein ernsthaftes Problem mit der Intelligenz. Sie sind einfach zu klug. Zu wach, wenn Sie wollen. Nicht nur für ihr Alter. Auch für diese Welt, will mir manchmal scheinen. Letztes Jahr war das schon so. Da hatte die Gemeinde am Rand des Weihnachtsmarkts eine kleine Holzhütte aufgebaut, mit angesetztem Ministall, in dem zwei Ziegen und ein Hase für Authentizität sorgen sollten. Das ist das Haus vom Nikolaus, hatte es geheißen, und Anna und Jan hatten mit großen Augen gestaunt. Esther? Die schlief im Kinderwagen, der Rummel war einfach zu viel für sie gewesen.


    In der Hütte saß auch ein Mann mit weißem Watterauschebart, einem langen Kostüm und großem Buch. Dort durften alle Kinder ihre Wunschzettel abgeben. Das hatte auch wunderbar funktioniert. Gut, abends musste ich Anna erklären, dass der Nikolausbesuch im Kindergarten, der für den nächsten Tag angekündigt war, nicht bedeutete, dass sie jetzt schon alle Geschenke überreicht bekäme. Das nahm sie mit einer leichten Unzufriedenheit zur Kenntnis. Aber dann sah sie ein, dass auch bei den himmlischen Heerscharen gewisse Regeln gelten. Weihnachten ist erst an Weihnachten. Basta. Alles schien glatt zu gehen. Sie freute sich auch auf den Nikolaus, sagte sie beim Frühstück. Sie wollte ihn nämlich etwas fragen.


    Was das war, das sollte ich nicht wissen. Das ist privaaat, Mama. Das geht nicht, das kann ich nur den Nikolaus selbst fragen. Gut, Privates muss man respektieren. So hatte ich ihr das beigebracht. Guten Mutes gab ich sie und Jan im Kindergarten ab. Und holte sie mittags wieder ab. Die Kindergärtnerin fing mich an der Tür ab und bat mich um ein kurzes Gespräch. Ich wurde schon etwas unruhig, denn das waren bereits zwei Schlüsselwörter, als Anna noch ohne ihren Bruder den Kindergartenalltag gestaltete. Im Gegensatz zu der Kindergärtnerin sah meine Tochter eigentlich fröhlich aus. Sie schien ihre Privatangelegenheit zu ihrer Zufriedenheit geklärt zu haben.


    Aber so geht das wirklich nicht, Frau Lütt. Das müssen Sie einsehen. Was war denn eigentlich passiert? Nein, meine Tochter hatte nicht alle Plätzchen aufgegessen oder sonst etwas Unschickliches, die Gruppe Grämendes getan. Sie hatte lediglich, als der Nikolaus in seinem Bischofsornat auftrat, um ein Gespräch unter vier Augen gebeten. Der heilige Mann hatte gelacht und gemeint, von ihm aus könnten das alle hören, was sie zu fragen habe. Und Anna hatte nicht lange gefackelt. Sie sei doch gestern an seinem Haus gewesen. Und ob er sich nicht schäme. Da hatte der Nikolaus aufgehört zu lachen. Und sehr verwundert dreingeschaut, wie mir die Kindergärtnerin erzählte.


    Ja, hätte Anna gesagt, also wenn er sein ganzes Geld lieber in prächtige Kleider stecken wolle statt in eine ordentliche Isolierung seiner Hütte, dann wäre das sicher seine Sache. Aber ob es den richtig wäre, die Ziegen in einem so engen Stall zu halten? Und ob die nicht ziemlich Stress hätten, so dicht am Karussell? Der Hase hätte auch nicht gerade glücklich dreingeschaut. Er, also der Nikolaus, solle sich das doch noch mal überlegen. Wenn es am Geld läge, wenn er das alles für die Klamotten ausgegeben hatte, dann solle er sich mal schämen. Aber zackich, hatte Anna gesagt. Und die Kindergärtnerin legte mir ans Herz, meine Tochter in Zukunft besser auf solche Besuche vorzubereiten.


    Tja. Morgen ist Nikolaus. Und Anna und Jan wispern schon den halben Nachmittag miteinander. Ich mache mir wirklich Sorgen. Weihnachten ist schön. Kinder sind toll. Aber die Mischung? Die ist und bleibt brisant. Glauben Sie mir ruhig. Ich weiß, wovon ich rede.

  • 6. Dezember 2008 von 3erMami


    Sie wollte einfach nicht mehr einsam sein! Sue war überzeugter Single,hatte viele Freunde einen tollen Job und trotzdem fehlte irgend etwas in Ihrem Leben.
    So etwas wie gemeinsame Abende mit Freunden ,hatten irgendwie den Reiz für sie verloren und hatte es schon lang nicht mehr gegeben.Manchmal fragte sich Sue wirklich ,wozu das alles noch gut sein sollte.War das wirklich alles gewesen?
    Eines Abends,als sie mal wieder im Netz chattete unterhielt sie sich mit einem Mann.Erst war es nur ganz normaler Smalltalk,aber je öfter sie sich unterhielten,umso mehr Gemeinsamkeiten stellten sie beide fest.
    Aber nicht einfach nur so,sondern wirklich so unglaublich viele,das alles konnte kein Zufall sein.
    Irgendwann sagte der Mann,der sich im Chat Blackbird nannte,zu ihr das er nicht mehr daran glauben würde das ihre Begegnung Zufall wäre,er glaubte fest daran,das es Schicksal war.
    Als sie das las,verspürte Sue ein unglaubliches Kribbeln im Bauch.Dieses Gefühl hatte sie schon ewig nicht mehr gespürt.
    War es wirklich Schicksal? Sie verbot sich solche Gedanken,denn was hatte so eine Chatbekanntschaft schon zu bedeuten?
    Sie trafen sich jeden Abend im Chat und ohne das Sue es bemerkte wurden ihre Gespräche immer persönlicher.Auch tauschten sie sich unter anderem über Lesegewohnheiten und Lieblingsbücher aus.Sue erzählte Blackbird von ihrem derzeitigen Favoriten,der Bis(s) Reihe von Stephenie Meyer,aber er war eher der Fantasyfan.
    Ein paar Abende darauf erzählte Blackbird ihr im abendlichen Chat,das er den ersten Teil der Bis(s) Reihe gelesen habe und nun verstehen könnte warum sie die Bücher so toll fand.Sue konnte es gar nicht fassen.Er hatte extra für sie dieses Buch gelesen? Unglaublich!Sue war zu Tränen gerührt! Ausserdem erzählte er ihr das sie ihn aus seinem Alltag gerissen und ihm gezeigt hätte das z.B Musik sehr gefühlvoll sein und glücklich machen könnte,wenn man auch mal auf die Texte hört und die Musik *fühlt* Von da ab nannte er Sue *Sein Lebenselixier*
    Eines Abends fiel dann auch der Begriff *Seelenverwandtschaft* Seit Sue die Bis(s) Reihe kannte glaubte sie sogar ein bisschen daran,das es so etwas geben könnte und sie kannte Blackbird mittlerweile gut genug,um zu wissen,dass er sie nicht nur beeindrucken wollte,sondern das er das völlig ernst meinte.Und das Alles ,diese vielen Gemeinsamkeiten ,diese einander auf Anhieb verstehen,das überzeugte Sue mehr als alles woran sie vorher geglaubt,oder ebend nicht geglaubt hatte! Sie hatte das Pärchen,in dem es in den Büchern hauptsächlich ging,so sehr beneidet .Niemals hätte sie geglaubt das es sowas im wirklichen Leben geben konnte und schon gar nicht das es IHR passierte!!Seitdem nannte sie ihn,ihren *dunklen Vampir*.
    Nach einigen Wochen konnten Sue und Blackbird irgendwie nicht mehr ohne ihren abendlichen Chat leben.Und.................sie überschritten irgendwann die Grenze und liebten sich virtuell!
    Ab da war es dann entgültig um Sue geschehen.Sie war unendlich verliebt in diesen Blackbird aber sie weigerte sich ,ihm dieses zu offenbaren bis.......................................
    ja bis sie eines Tages eine E-Mail von ihm erhielt in der Folgendes stand:


    Liebe Sue ,mein Lebenselixier


    da musste ich erst 45 Jahre jung werden um


    wahre Leidenschaft
    grenzenlose Hingabe
    und uneingeschränktesVertrauen

    kennen zu lernen

    Danke!
    Dein dunkler Vampir


    Sue konnte es gar nicht fassen und war schon wieder zu Tränen gerührt.Sie hatte diesen Mann noch nie gesehen oder gehört,aber sie wusste das sie nicht mehr ohne ihn leben konnte!
    Ein paar Tage später sagte Blackbird zu ihr,sie soll am Heiligen Abend zu dem Treffpunkt gehen über den sie mal gesprochen hatten und sie würde ihr persönliches Weihnachtswunder erleben.
    Sue wusste sofort welchen Treffpunkt er meinte.Er hatte ihr mal erzählt das die Weltzeituhr auf dem Alexanderplatz in Berlin eine besondere Bedeutung für ihn hätte.
    Und dann war er plötzlich offline.
    Bis zum Heiligen Abend waren es noch 4 Tage.Sie tröstete sich damit,das sie ja tagsüber arbeiten musste und abends mit Blackbird chatten konnte.
    Aber er kam nicht!
    Sue war total traurig und fragte sich was das alles sollte.Wieso eigentlich der Alexanderplatz?Blackbird wohnte 400 km von ihr entfernt.Was also sollte sie denn da so wunderliches erleben?Und plötzlich war er auch abends nicht mehr online.Es war ein Rätsel für sie.
    Die 4 Tage waren für Sue die längsten Tage ihres Lebens und am Heiligen Abend entschloss sie sich kurzerhand dazu,doch zum Alexanderplatz zu fahren.


    Dort angekommen,schlenderte sie langsam zu Weltzeituhr und sah nichts ausser einigen Touristen und vielen Lichtern.
    Na klar dachte sie sich,die Leute sind alle zuhause bei ihren Familien und feiern Weihnachten nur ich steh hier in der Kälte rum und warte auf etwas das sowieso nicht passiert.


    Plötzlich bemerkte Sue einen Hauch neben ihrem Ohr und gleich darauf flüsterte eine Stimme:*Hallo mein Lebenselixier*
    Schlagartig wurde Sue sehr warm und ihr Herz raste,Das konnte doch gar nicht sein!
    Und wieder hörte sie die leise dunkle Stimme an ihrem Ohr
    *Doch ich bin es wirklich*
    Sue drehte sich langsam um und stand vor genau dem Mann,den sie sich vorgestellt hatte.Gross,dunkle Haare, dunkle Augen und überhaupt ein Traum!!!
    Sie konnte es einfach nicht fassen und vor lauter Glück blieb Sue glatt die Luft weg.
    Er lachte und nahm sie in die Arme um sie nicht wieder los zu lassen.*Ist das für dich in Ordnung* flüsterte er ihr zärtlich ins Ohr.
    Sue konnte nur nicken und fiel fast in Ohnmacht vor Glück als er sie küsste!
    Das alles war wie im Märchen nur noch viiiiiiiiiiiiel besser!


    Und wenn sie nicht gestorben sind dann feiern sie noch heut gemeinsam ihr Weihnachstwunder.

  • 7. Dezember 2008 von sky_fish


    WUMMS. Die Tür war zu. Etwas perplex stand ich nun also vor der soeben zugeknallten Wohnungstür meines neuen Freundes David. Ich hätte es wissen sollen. Die anderen hatten mich immerhin zur Genüge gewarnt. Aber wie sollte es auch anders sein – ich wollte es natürlich wieder einmal besser wissen. Sie hatten mir gesagt, dass er Weihnachten hasste, nein, nicht nur hasste, er verabscheute es. Den ganzen Advent über, und schon die Zeit davor, in der man die ersten Weihnachtsfernsehspots im TV und die ersten Weihnachtsangebote und -Dekorationen in den Schaufenstern der Geschäfte sehen konnte, war er schlecht gelaunt. Am liebsten verkroch er sich dann in seiner Wohnung, versuchte, aktuelle Tageszeitungen mit Weihnachtsmännern und Nikolo-Ankündigungen, sowie irgendwelche Weihnachtsfilme zu vermeiden und beschäftigte sich mit anderen Dingen. Seit wann das so war, wusste keiner. Nicht einmal sein langjähriger Freund Timo konnte dieses Geheimnis lüften, nicht einmal, als ich versucht hatte, ihn mit Glühwein und Lebkuchen zu bestechen, wollte er damit heraus rücken. Vielleicht auch deswegen, weil er es tatsächlich nicht wusste...


    Ich hatte versucht, David zu überreden, mit mir auf den Christkindlmarkt zu gehen und dort einen Punsch zu trinken oder einen kandierten Apfel zu probieren. Doch scheinbar zog nicht einmal die Lockmethode mit Essbarem, um ihn dazu zu bewegen, mit mir dorthin zu gehen. Dabei mochte ich die Weihnachtszeit. Ich liebte die Musik, die in dieser Jahreszeit im Radio gespielt wurde, ich sah mir gern kitschige Weihnachtsstreifen im Abendprogramm an und am liebsten streunte ich, eingehüllt in einen warmen, flauschigen Schal und bewaffnet mit Handschuhen, über den Christkindlmarkt. Am schönsten war es natürlich, wenn es gerade anfing zu schneien, die kleinen Schneesterne vom Himmel tanzten und man ihnen dabei zusehen konnte, wie sie auf der Handfläche, auf der man sie aufgefangen hatte, langsam schmolzen. Die Lichterketten, die überall die Straßen und Tannen schmückten, erinnerten an funkelnde Sterne und der Geruch von frischem Lebkuchen und Zimt lies einen mit wohligem Gefühl an seine Kindheit zurückdenken, an die gemütlichen Weihnachtsabende vor dem Kamin, mit der ganzen Familie.


    „David? David! Mach auf, lass mich rein!“, rief ich und hämmerte an die, nur mit einem Namensschild geschmückte Tür, „Ach komm, jetzt sei doch nicht so!“


    Doch er antwortete nicht... auch nach dem dritten und vierten Mal regte sich nichts und ich stand immer noch am Gang. Davids Nachbarin, Frau Mitteregger, lugte mit genervter Miene aus ihrer Wohnung hervor und ich machte eine entschuldigende Geste, die sie zu besänftigen schien. Das konnte doch nicht wahr sein, dass der Kerl mich jetzt hier allein hier draußen stehen ließ? Hatte ich ihn tatsächlich so verärgert? Als ich mein Ohr an die Tür drückte, hörte ich, dass er eine CD seiner Lieblingsband laut aufgedreht hatte. Wahrscheinlich hatte er mich nicht einmal gehört.
    Ich lauschte gerade dem Gitarrensolo, als ich spürte, wie der Widerstand, an dem ich lehnte nachgab, ich das Gleichgewicht verlor und nach innen – geradewegs in Davids Arme taumelte. Verwundert blickte ich hoch und sah in sein immer noch etwas mürrisches Gesicht.


    „Was lauscht du an meiner Tür, komm lieber rein...“, meinte er nur knapp, ich rappelte mich wieder hoch und folgte ihm etwas unsicher ins Wohnzimmer. Ein Krimithriller lag aufgeschlagen auf der Couch, scheinbar hatte er gelesen. David deutete mir, ich sollte mich setzen, während er die Musik leise drehte. Ich tat, wie mir geheißen und kurze Zeit später hielt ich auch noch eine Tasse warmen Kaffees in der Hand. Er lies sich neben mich auf die Couch sinken und schwieg eine Weile. Gespannt betrachtete ich ihn. Er schien mit sich selbst zu kämpfen und ich konnte nicht genau erkennen, ob er siegte oder verlor, als er sich mir zuwendete und zu reden begann.


    „Tut mir leid, dass ich die Tür zugeknallt habe...“, meinte er etwas verlegen. Ich lächelte ihn nur an. Ich konnte verstehen, dass er das getan hatte, leider hatte ich den Hang, gelegentlich etwas lästig und aufdringlich zu werden, was nicht selten dazu führte, das man mir die Tür vor der Nase zuschlug...


    „Ich hasse Weihnachten...“, murmelte er mit gesenktem Kopf.


    „Bitte entschuldige,... ich hätte dich gar nicht erst fragen sollen, war nicht böse gemeint...“, entgegnete ich.


    David sah mich mit einem etwas gequältem Lächeln an, „Ach was, das ist ja nicht deine Schuld, konntest du ja nicht wissen...“


    Und ob ich es gewusst hatte... und trotzdem hatte ich ihn damit genervt. Warum war ich nur immer so rücksichtslos... was das nicht eigentlich eine Eigenschaft, die man eher Männern zusprach?


    „Wenn du magst, erzähle ich dir, wieso ich Weihnachten nicht mag... aber versprich mir, dass du mich dann nie wieder darauf ansprichst“, meinte David. Etwas verdattert nickte ich einfach, ohne etwas dazu zu sagen. Er wollte sich mir anvertrauen... am besten, ich hielt einfach den Mund und hörte ihm zu. Ich kuschelte mich an ihn, er legte seinen Arm um mich und begann zu erzählen...


    Er erzählte mir von seiner Kindheit, wie er noch bei seinen Eltern und seinen Geschwistern gelebt hatte. Es war im Winter gewesen, als er 12 Jahre alt war. Seine Schwester Julia und sein kleiner Bruder Andreas spielten gemeinsam mit ihm im Schnee vor dem Haus. Davids Familie hatte auf dem Land gelebt, in einem großen Haus. Die drei Geschwister, ihre Eltern und der Golden Retriver Kafka. Die Kinder hatten sich dazu entschlossen, mit dem Hund draußen im Schnee zu spielen, einen Schneemann zu bauen und sich eine Schneeballschlacht zu liefern, während ihre Eltern drinnen das Weihnachtsessen vorbereiteten und auf das Christkind warteten, das die Geschenke für die Kinder bringen sollte.


    Aufgeregt und aufgedreht, wie Kinder zu Weihnachten nun mal sind, vergnügten sie sich im Schnee, bis es ihnen zu langweilig wurde und sie nach anderer Abwechslung suchten. Die Kinder schnappten sich schließlich einen der Schlitten aus dem Schuppen und machten sich auf den Weg in den nahe gelegenen Wald. David, als der Älteste, musste natürlich seine Geschwister, die sich auf den Schlitten gesetzt hatten, ziehen. Kafka lief neben ihnen und wirbelte den weichen Schnee auf. Die Kinder gingen immer weiter in den Wald hinein. Als es zu Schneien begann und David das Ziehen des Schlitten zu anstrengend wurden, ließen die Kinder den Schlitten stehen und gingen zu Fuß weiter. Sie bahnten sich einen Weg durch das Labyrinth von Bäumen und waren schon ziemlich weit gekommen, als sie sich langsam einem Bach näherten. Der Bach war halb zugefroren doch man könnte noch ein leichtes Plätschern hören, das sich unbeirrt seinen Weg durch den Wald bahnte. Eine schmale Holzbrücke führte über den Bach.


    Die Kinder wollten auf die andere Seite, doch das Holz war vereist und als Davids kleiner Bruder Andreas als Erster die Brücke überqueren wollte, rutschte er auf dem glatten Eis aus und stürzte mit einem Schrei in den Bach. Vor Schreck fing die kleine Julia sofort an zu Weinen und David rief nach seinem Bruder. Dieser antwortete zwar sofort, doch wie es schien, hatte er sich am Fuß verletzt und schaffte es nicht, alleine wieder herauszukommen. Nach etlichen Bemühungen gelang es auch David nicht, seinem Bruder heraus zu helfen. Verzweifelt überlegte er, was sie machen sollten. Sie brauchten dringend Hilfe!


    Vom Himmel fielen riesige Schneeflocken und bald würde es dunkel werden. Julia weinte immer noch. David musste eine Entscheidung treffen. Wieso hatte er nicht vorher nachgedacht? Er hatte nicht einmal seinen Eltern Bescheid gegeben, dass er mit seinen Geschwistern in den Wald zum spielen gegangen war. Nach langem Überlegen kam der Junge zu dem Schluss, dass es wohl das Beste sei, mit seiner Schwester zurück nach Hause zu gehen und dort Hilfe zu holen. Er befahl Kafka, hier zu bleiben und auf Andreas aufzupassen, versicherte dem Kleinen, er würde so bald wie möglich wieder kommen und er solle keine Angst haben und nahm dann seine kleine Schwester Huckepack. Die beiden machten sich auf den Heimweg. Aufgrund der Last war David langsamer als sonst unterwegs und da es langsam aber sicher dunkel wurde, fürchtete er, den Weg nach Hause nicht mehr finden zu können. Es schneite so stark, dass die Spuren, die die Kinder hinterlassen hatten, bereits wieder mit Neuschnee bedeckt waren. Mehr oder weniger ohne Ahnung, wo er hin musste, lief David einfach in die Richtung, aus der sie gekommen waren, das immer noch schluchzende Mädchen auf seinem Rücken...


    Nachdem sich der Junge beinahe gänzlich verlaufen hatte, fand er letztendlich doch noch nach Hause und verständigte sofort seine Eltern, die bereits den Garten und die Nachbarschaft nach den Kindern absuchten. Als David erzählte, was passiert war, verständigten sie sofort die Polizei, holten sich eine Taschenlampe und machten sich auf den Weg in den Wald, um nach Andreas und Kafka zu suchen. David und Julia schickten sie nach drinnen, sie sollten ins Bett gehen und ja das Haus nicht verlassen... Am nächsten Morgen erfuhr David, dass sein kleiner Bruder Andreas und ihr treuer Hund Kafka erfroren gefunden worden waren. Seitdem feierte diese Familie nie wieder Weihnachten...


    Als ich die Geschichte zu Ende gehört hatte, liefen mir Tränen über die Wangen. Ich sah meinen Freund an, auch ihm standen Tränen in den Augen. Wie schwer es für ihn gewesen sein muss, diese Tragödie wieder auszugraben und sie mir zu erzählen... Nun konnte ich verstehen, wieso er Weihnachten so hasste. Mir würde es an seiner Stelle auch nicht anders gehen. Sein Bruder war damals gestorben, er war im Schlaf erfroren... Ich umarmte David und leistete ihm den restlichen Tag Gesellschaft, ohne auch nur ein Wort zu sagen...


    Am Weihnachtstag machte ich mich in aller Frühe schon auf den Weg zur Wohnung meines Freundes. Ich hatte David zwar versprochen, dass ich ihn an diesem Tag in Ruhe lassen würde, doch andererseits konnte ich es auch nicht mit an sehen, wie sehr er zu dieser Zeit litt und dann auch noch ganz alleine... Ich hatte einen Entschluss gefasst und diesen gestern Nachmittag noch umgesetzt. Nun trottete ich mit einem Pappkarton durch die Gegend. Darin befand sich eine warme Decke, etwas Hundefutter und ein kleiner, goldbrauner Hundewelpe. Ein Golden Retriver. Ich wusste, dass er David an seinen damaligen Hund erinnern würde. Und das war auch gut so. Man soll die Vergangenheit nicht einfach verdrängen, sondern lernen, damit zu leben, auch wenn es schwer war. Doch das war nicht der einzige Grund, wieso ich hier mit einem Hündchen ankam. Ich wollte nicht, dass er Weihnachten noch länger nur mit dieser schrecklichen Erinnerung verband. Ich wollte, dass er auch etwas erfreuliches hatte, an das er denken konnte, wenn er an Weihnachten dachte und ich war mir sicher, dass dieser kleine Hundewelpe sein Herz berühren würde.


    Ich stieg die Treppen des Appartmenthauses nach oben, bis ich vor Davids Wohnung zum Stehen kam. Ich öffnete noch einmal den Deckel des Kartons, um das kleine Hündchen noch einmal zu Streicheln. Leise winselte es, doch ich flüsterte ihm zu, dass es keine Angst zu haben brauchte und dass es bald wieder ins Warme kommen würde. Dann stellte ich den Karton auf der Fußmatte von David ab und betätigte die Klingel. Anstatt zu warten, lief ich über die Treppen noch ein Stockwerk nach oben, um zu lauschen, ob er die Tür aufmachen würde. Und tatsächlich, kurze Zeit später ging die Tür auf.


    „Nanu? Was ist das denn?“, hörte ich die Stimme meines Freundes. Ich hörte, wie er den Karton öffnete und das kleine Hündchen freudig zu Bellen begann. „Wo kommst du denn auf einmal her, Kleiner? Hier draußen ist es doch viel zu kalt für dich...“ Davids Verwunderung war wirklich nicht zu überhören und ich merkte, dass ich bis über beide Ohren grinste und mir warm ums Herz wurde, als er zusammen mit dem kleinen Welpen wieder in seine Wohnung zurück ging. Ich wusste, was David machen würde. Er würde das Hündchen mit nach drinnen nehmen und sich darum kümmern. Ich hatte noch einen Zettel hinein gelegt, auf dem ich ihn bat, mir nicht böse zu sein und dass ich mir sicher war, dass das Hündchen bei ihm in den richtigen Händen war...


    Leise huschte ich die Treppen wieder nach unten und machte mich auf den Nachhauseweg zur Weihnachtsfeier meiner Familie. Ich zweifelte nicht an dem, was ich getan hatte. Es war das Richtige gewesen. Und vielleicht feierten David und der kleine Golden Retriver ja schon nächstes Jahr mit mir gemeinsam Weihnachten...

  • 8. Dezember 2008 von Insider


    Es begab sich aber zu der Zeit, da ein Vorschlag von der Obereule Wolke ausging, dass alle Eulen sich treffen sollten, eine jegliche in der gleichen Stadt, die da den Namen Hannover trägt.


    Das Treffen sollte der Gemeinschaftspflege dienen und fand deshalb bewusst in jenen Tagen statt, die allgemein als „Advent“ bekannt sind. Im Gegensatz zu den bisherigen Veranstaltungen der Kommunität war diesmal nicht das Vorlesen mehr oder weniger anzüglicher Passagen aus mehr oder weniger frischen Büchern mehr oder weniger nervöser Autoren geplant. Die Obereule bestand vielmehr darauf, ein Schauspiel aufzuführen. Mehr oder weniger.


    Gegen Improvisation hatte sie grundsätzlich nichts einzuwenden. Die Rahmenhandlung allerdings gab sie vor. Der Auftrag lautete: „Eulen! Spielt die Weihnachtsgeschichte!“


    Die Begeisterung über diesen Auftrag war grenzenlos. Toms Gesichtzüge sprengten ebenfalls sämtliche Grenzen. Verzweifelt suchte er Argumente, dem garstigen Spiel entfliehen zu können, doch es war zu spät. Die Obereule hatte bereits die Rollenverteilung festgelegt. Tom versuchte zu handeln: „Liebe Wolke! Lass mich wenigstens den Josef spielen. Wenn mir Maria dann erzählt, dass sie ein Kind bekommt, das vom Heiligen Geist ist, werde ich überzeugend meine Skepsis ausdrücken. Versprochen. Und dann werde ich sie in aller Stille verlassen. Ganz sicher. Das mit der Steinigung werde ich nicht durchsetzen. Ich werde nicht den ersten Stein werfen!“


    Wolke hatte für das Spiel ihren moderaten Theologen oder theologischen Moderatoren als Regieassistenten eingesetzt. Dieser mischte sich prompt ein und machte Tom darauf aufmerksam, dass das mit der Steinigung erst ein paar Seiten später in der Romanvorlage vorkommt und nicht direkt etwas mit der Weihnachtsgeschichte zu tun hat. Von der Seite näherte sich beowulf und konstatierte, dass er selbstverständlich sofort die Verteidigung Marias übernehmen würde, wenn Tom bzw. Josef Maria etwa des Ehebruchs beschuldigen sollten. Erneut meldete sich churchill, der Moderationstheologe und verwies beowulf darauf, dass Josef und Maria ja gar nicht verheiratet gewesen seien, wobei es natürlich möglich sei, dass dies im Osten unseres Landes noch nicht oder nicht mehr bekannt sei.


    Entrüstet formulierte eine Eule namens licht eine Beschwerde an die Obereule und erklärte, dass es schließlich die Protestanten gewesen seien, die Josef damals überredet hatten, bei Maria zu bleiben. Oder so ähnlich.


    Von der Seite drängten sich einige weibliche Eulen in die Besprechung und ließen ihrem Unmut freien Lauf, weil in der Weihnachtsgeschichte viel zu viele Männerrollen und kaum Frauenrollen vorkämen. Wolke machte darauf aufmerksam, dass schließlich die Hauptrolle eine weibliche sei, nämlich Maria. Hierauf erhob sich ein großes Geschnatter unter den weiblichen Eulen. Nein, ein Heulen unter den Eulen natürlich. Alle wollten Maria sein, um dann Tom heiraten zu können. Tom aber war ja gar nicht als Josef vorgesehen. Daraufhin beantragten die weiblichen Eulen, dass Tom den Heiligen Geist spielen und sie dann überschatten sollte. Aber auch dagegen sprach sich die Obereule aus. Da startete Tom einen letzten Versuch und bewarb sich um die Rolle des Herodes. Auf die irritierte Nachfrage von Ikarus erklärte Tom, dass die bösen Rollen immer die attraktivsten seien und er sich schon auf den Befehl freue, alle Scheißbären unter zwei Jahren einen Kopf kürzer zu machen. Ikarus begann zu weinen.


    Wolke aber blieb hart und betraute Tom mit der Rolle des Engels Gabriel. Er also war ausersehen, Maria die Botschaft zu bringen. Daraufhin meldete sich Babyjane und fragte, ob sie die Rolle der Maria spielen könne. Sie traue sich durchaus zu, total überrascht zu sein, wenn der Engel ihr sagen würde, dass sie schwanger sei. Insgeheim aber rechnete sie sich Chancen aus, die Weihnachtsgeschichte etwas freier interpretieren und den Engel respektive Tom überzeugen zu können, ihr die Nachricht sozusagen hautnah zu bringen.


    Auch Seestern wollte die Rolle der Maria gerne übernehmen. Sie freue sich schon so darauf, ein blaues Gewand mit roter Seesternkette und silbernem Marienring vorführen zu dürfen. Batcat deutete ebenfalls ihr Interesse an, wurde aber von Babyjane ziemlich brüsk darauf verwiesen, dass die Rolle der Großcousine Elisabeth ja noch frei wäre, die im hohen Alter noch ein Kind gebären sollte.


    Die Situation unter den Eulen wurde unübersichtlicher. Zwischenzeitlich hatten sich Voltaire, beowulf und Herr Palomar darauf verständigt, die Weisen aus dem Morgenland darzustellen. Wieder protestierte licht, weil er eigentlich die drei Weisen selbst spielen wollte. Als Stern, der den Weisen voranziehen sollte, hatte Wolke Sabine D. vorgesehen. Diese aber lehnte die Rolle mit dem Hinweis ab, dass sie den Weg nach Bethlehem nicht kenne ...


    Bartimaeus fragte zaghaft, ob er denn nicht mitspielen dürfe. Wolke in ihrer mütterlichen Güte lächelte mild und zeigte Bartimaeus seinen Einsatzort, der landläufig auch als „Krippe“ bekannt ist. „Dort darfst du liegen und o wie lachen“, sagte Wolke und die Eulen begannen „Stille Nacht“ domspatzenmäßig zu summen. Nur Tom bevorzugte die Version der Toten Hosen.


    „Wo ist denn milla?“, wurde Wolke plötzlich gefragt. „Die spielt den Engel, der den Hirten sagt, dass sie sich nicht fürchten sollen“, meinte Wolke und verwies darauf, dass milla schließlich grundsätzlich erst um oder nach Mitternacht einsatzbereit sei.


    Nachdem sich herauskristallisierte, dass Babyjane das Rennen um die Hauptrolle gemacht hatte, versuchte sie sich in die Rolle einer Jungfrau hineinzuversetzen, was ihr doch ziemlich schwer fiel ... Leichter wurde diese Vorstellung, als klar wurde, dass Josef vom Regieassistenten gespielt werden sollte. Dieser hatte in der Vergangenheit schon einmal bei einer Kommunitätsveranstaltung im Zusammenspiel mit Babyjane eine eher unsympathische Figur überzeugend dargestellt. Josef also würde die Jungfräulichkeit Babymarias bei dieser Weihnachtsgeschichte wirklich nicht gefährden ...


    Derweil wurden auch die Wirte benannt, die die Jungfrau samt Josef und ungeborenem Kind abweisen sollten. Hier setzten sich die Frauen durch, weil die wenigen Eulenmänner entweder schon verplant waren oder als Hirten gebraucht wurden. Eskalina bot sich an, als Wirtin Maria und Josef mit einer Pistole zu verjagen. Blaustrumpf ging etwas subtiler vor, borgte sich einige Kinder und ließ den Herbergssuchenden durch diese mitteilen: „Zischt ab, wir haben in der Bibel genau nachgelesen, dass ihr erst in der dritten Herberge Erfolg habt!“


    Die Rolle der Wirtin, die dem trauten Paar den Weg zum Stall zeigt, übernahm magali. Sie ließ sich durch die proletarische Herkunft Josefs beeindrucken und warnte das hochheilige Paar auf dem Weg zur Krippe noch vor eventuellen Wanzen oder versteckten Kameras im Stall, da man ja wisse, wie Herodes oder auch die katholische Kirche so im allgemeinen vorgingen.


    Langsam aber sicher ordnete sich das Chaos. Die Rollen waren verteilt. Nach bestem Wissen und Gewissen. Nur wenige protestierten immer noch. Auch sie fanden ihre Bestimmung und wurden als Schafe und Ziegen eingesetzt. So durften sie fröhlich weiter blöken und meckern.


    Auch ich bekam am Ende die Rolle, die mir zustand. So stand ich als Esel im Stall und war höchst zufrieden. Okay, hier im Stall hatte ich nicht mehr viel zu tun. Aber man sollte nicht vergessen, dass ich auf dem weiten Weg von Nazaret bis Bethlehem von Maria geritten wurde ...

  • 9. Dezember 2008 von LeseRatteKevin


    Vanillekipferl


    ZUTATEN:

    -560 g Mehl
    -160 g Zucker
    -400 g Butter
    -200 g Haselnüsse, gemahlen oder Erdnüsse
    -100 g Zucker zum Wenden
    -4 Pkt. Vanille Zucker

    ZUBEREITUNG

    Mehl, Zucker und in kleine Stücke geschnittene Butter und die Nüsse zu einem Teig verkneten, 1 Std. kühlen, eine Rolle formen, davon Stücke abschneiden, die man zu Kipferl formt.
    Auf ein mit Backpapier belegtes Blech setzen und auf der zweiten Schiene von unten bei 175° goldgelb abbacken. Ca. 15 Min. pro Blech.
    100 g Zucker und 4 P. Vanillezucker mischen, die gerade gebackenen Kipferl darin wenden und auskühlen lassen.


    Das Rezept stammt noch von meiner Großmutter, die früher eine Bäckerei hatte. Die besten Vanillekipferl der Welt!

  • 10. Dezember 2008 von geli73


    Mittwochmorgen im Weihnachtsdorf, kurz vor 9, eigentlich sollte überall Betrieb sein. Doch im Haus von Santa Claus war es merkwürdig still. Nicht mal der Schornstein rauchte und Schnee gefegt hatte er auch noch nicht.


    Die kleinen Weihnachtswichtel wunderten sich. „Was ist denn nur mit Claus los?“ wisperten sie. Schließlich traute sich Jonah, einer der mutigsten Wichtel, an die Tür vom Weihnachtsmannhaus zu klopfen. Nichts passierte. Endlose Sekunden vergingen, bis Jonah ein Schlurfen hörte.


    „Hmmm?“ brummte es aus der nur knapp geöffneten Tür.


    „Santa Claus?“ wisperte Jonah aufgeregt.


    „Hmmmmm…“ brummte es wieder von innen.


    „Santa Claus? Was ist los? Warum arbeitet Ihr nicht?“


    „Bin krank“ brummelte der Weihnachtsmann und schloss die Tür.


    Oh je, diese kurze Nachricht verursachte äußerste Aufregung bei den kleinen Weihnachs-wichteln, schließlich waren es nur noch zwei Wochen bis Weihnachten und die Wunschzettel türmten sich schon.


    „Was machen wir denn nun?“ wimmerte Susannah völlig außer sich. „Alleine kriegen wir das doch nie im Leben hin“ schluchzte Viola. Die kleine Wichtelschar wuselte durcheinander, keiner wusste einen Rat, bis Jonah auf einmal rief: „Ich habe eine Idee“. Schon, dass er laut sprach, war eine Sensation. Wichtel, und speziell die Weihnachtswichtel sind nämlich nicht nur winzig sondern auch überaus leise Wesen, da sie niemals von einem menschlichen Ohr gehört werden dürfen, dann wäre die ganze Weihnachtsüberraschung ja dahin.


    „Was für eine Idee?“ – „Sag schon“ – Na, los“ raunten alle aufgeregt.


    „Wir gehen zu den Weihnachtsengeln, die haben doch ein so sanftes Wesen und eine himmlische Ausstrahlung, denen wird Santa Claus nicht die Mütze vom Kopf reißen und sie durch die Luft pusten, wie er das mit uns immer macht.“ Jonah war sehr stolz auf seine tolle Idee und wuchs über seine Winzigkeit hinaus.


    Und schon machten sich die Wichtel auf zu den himmlischen Engelsscharen, die zu dieser Zeit schon fleißig am Backen waren. Es duftete so überirdisch gut in der Bäckerei, fast hätten die Wichtel vergessen, weshalb sie gekommen waren.


    Doch Engel Christiana hatte die aufgeregten Kerlchen schon entdeckt, schließlich verursachten sie eine Menge Gewusel, auch wenn sie klitzeklein waren. Und hatte da nicht ein vorwitziges Wichtelkind schon ein Bethmännchen stibitzt?


    „Was habt Ihr hier zu suchen?“ Was sich harsch anhören sollte, klang wie ein sanftes Glockengeläut in den Wichtelohren. Engel können nämlich nicht schimpfen, das weiß ja jeder, aber die Wichtel hatten trotzdem Respekt vor ihr.


    Jonah zischelte: „Santa Claus. Er arbeitet nicht, sein Schornstein raucht nicht, und ich glaube, er war noch nicht mal angezogen“ Er legte seine ganze Empörung in seine Stimme, damit Christiana auch die Wichtigkeit ihres Anliegen erkennen konnte. „Er behauptet, er wäre krank. Könnt Ihr uns helfen? Die Arbeit macht sich doch nicht von allein. Seid so gut und geht zu ihm, auf uns hört er doch nicht, er würde uns nur wieder durch die Luft pusten“.


    Christiana seufzte, schließlich war es nicht das erste Mal in den langen Jahren ihrer Nachbar-schaft zu Santa Claus, dass sie zu Hilfe eilen musste. Aber gutmütig, wie Engel nun mal sind, machte sie sich auf den Weg, nicht ohne einen kleinen Korb mitzunehmen, in denen sie einige Köstlichkeiten ihrer Backstube packte.


    Kurze Zeit später klopfte sie an die Tür des Weihnachtsmannhauses. „Santa Claus? Ich bin es, Christiana“ schallte es ihm entgegen, als Santa Claus die Tür öffnete. Und tatsächlich, er hatte noch seinen karierten Schlafanzug an, sogar den großen rot-weiß-gestreiften Morgenmantel und auch sein Bart war noch ganz zauselig.


    „Na, Claus, was ist los?“
    „Ich bin krank“ brummelte es aus dem Rauschebart und ein Husten folgte.
    „Was hast Du denn?“
    „Ach, ich weiß auch nicht, da ist dieses Kratzen im Hals, ein Druck im Magen und auch im Kopf. Ich bin so schlapp.“ seufzte Claus leidvoll.


    „Ich glaube, ich weiß, was Dir fehlt“ säuselte der Engel. Als erstes öffnete sie die Fenster und ließ frische Schneeluft ins muffige Haus. „Ist das nicht tolle Luft, Santa Claus? Und diese tollen Schneeflocken, die Petrus wieder kreiert hat“ „Puh, eisekalt ist es“ muffte Claus zurück. Und schon brennt im Kamin ein kleines Feuer. „Du sollst ja nicht frieren“ lächelte Christiana der geballten Muffeligkeit entgegen und summte dazu noch ein Weihnachtslied.


    Schon war sie in der Küche verschwunden und wenige Minuten später strömte ein Aroma ins Wohnzimmer, dass der Weihnachtsmann seine schlechte Laune kaum noch aushalten konnte.


    „Guck mal, Claus, ich habe hier heiße Schokolade für Dich, mit Kardamom, Nelken, Piment und einer ganzen Zimtstange. Und dazu noch ein paar Bethmännchen, Pomeranzenbrötchen und auch noch ein wenig Marzipan, das sollte doch helfen.“


    Christiana wusste ganz genau, was dem Weihnachtsmann fehlte, und mit diesem Mahl gab sie ihm das, was er gebraucht hat, nämlich das nötige Etwas, um mit vollem Elan wieder an seine Arbeit gehen zu können. Und wenn sie ihn jetzt genau ansah, war da nicht ein genießerischer Ausdruck um seinen Mund? Hatte er nicht gerade wohlig geseufzt?


    „Na, Claus? Besser? Ich sehe schon, Deine Wangen sind wieder rosig. Jetzt gehst Du wieder an die Arbeit, die armen Wichtel waren schon ganz verrückt vor Sorge um Dich und heute Abend trinken wir gemeinsam einen leckeren Kirsch-Mandel-Glühwein, ja?“


    Lächelnd verließ Christiana das Weihnachtsmannhaus. Claus, der Schelm, hat er sie doch wieder dazu gekriegt, seine Diät auszusetzen.

  • 11. Dezember 2008 von Quetzalcoatlus


    Sobald es schneit zur Weihnachtszeit
    Gerät schnell in Vergessenheit
    Dass insgesamt in aller Welt
    Die Temperatur mehr steigt als fällt


    Durch all diese verdammte Hitze
    Schmilzt mehr als nur des Gletschers Spitze
    An jenem Pol in Richtung Nord
    Schmilzt das gesamte Packeis fort


    Dies ist für viele ein Problem
    Denn ohne Eis wird’s unbequem
    Für Robbe, Eisbär und alsdann
    Gewiss auch für den Weihnachtsmann!


    Dieses Geschöpf – man glaubt es kaum –
    Hat nur dort seinen Lebensraum
    Und wird nicht bald etwas geschehen
    Muss es im Eismeer untergehen


    Als viele Menschen davon hören
    Beginnen sie, sich zu empören
    Und man beschließt, um abzuwiegeln,
    Den Weihnachtsmann rasch umzusiedeln


    Am übernächsten Tage schon
    Startet eine Expedition
    In Richtung schrumpfender Polkappen
    Um sich den Weihnachtsmann zu schnappen


    Der Chefjäger hebt sportlich fair
    Das große Betäubungsgewehr
    Und jagt den Pfeil mit voller Kraft
    Ins Bein des Weihnachtsmanns – Geschafft!


    Gewonnen ist die erste Schlacht
    Doch wohin wird er nun verbracht?
    Im arktischen Reisebüro
    Spricht man sich aus für Mexiko


    Dort nimmt jeder den Weihnachtsmann
    So gut auf, wie man’s eben kann
    Doch es ist stickig, schwül und heiß
    Vom weißen Barte rinnt der Schweiß


    Auch ist die Kost für seinen Magen
    Nur äußerst schwerlich zu ertragen
    Drum hockt er mürrisch auf dem Klo
    Und brummt verzweifelt: "Ho ho ho ..."

  • 12. Dezember 2008 von Tiffy


    Baumgedanken


    Ich

    steh hier rum

    und fühl mich dumm

    mit all dem Glitzerkram

    Am liebsten schlüge ich Alarm

    Ich

    komm’ mir vor

    wie Clown und Tor

    mein Grün ist ganz verdeckt

    ich hab mich vor mir selbst erschreckt

    Ich

    strahle und funkle

    am Abend und bis in die dunkle

    Nacht hinein. Ich frage mich, was das so soll

    denn ehrlich gesagt, find ich die Sache wenig toll

    Ich

    stehe durstig hier

    bin sehr wohl eine schöne Zier

    jedoch ist es mir völlig schleierhaft

    wieso mich jeder, der vorbeikommt, so angafft

    Ich

    frage wirklich mich

    warum von allen grade ich

    ganz elend sterbend, traurig und allein

    den ignoranten Menschen soll zu Diensten sein

    Ich

    stecke mit dem Fuß

    festgeklemmt im Eisenguss

    Wenn ich es schon nicht ändern kann

    freu ich mich halt am Glitzerglanz und irgendwann

    ver-

    durst’

    ich

    dann

    © M. J.

  • 13. Dezember 2008 von Melkat



    Vollkommen unkreativ gibt es heute leider nur ein Rezept...
    Aber dafür das meiner absoluten Lieblingskekse.
    (Nicht dass ich selbst backen könnte...)
    Im zarten Alter von 12-16 hab ich sie noch selbst gebacken,
    heute hab' ich dafür Schwiegermama, die mir das nur zu gerne abnimmt ! Hoffe sehr, jemand probiert es und liebt es genauso
    wie ich !!!



    Nussräder


    125g Haselnüsse
    250g Mehl
    100g Speisestärke
    1Tl Backpulver
    250g Margarine
    100g Puderzucker
    1 Eigelb
    1Eiweiß
    1 P. Vanillezucker
    1El. Kakao
    4El Zucker



    Haselnußkerne in der Pfanne rösten und fein mahlen. Aus Mehl, Speisestärke, gem. Haselnüssen, Backpulver, Margarine, Puderzucker, Eigelb und Vanillezucker einen Teig kneten und eine Rolle (ca. 3cm Durchmesser) formen. Rolle mit Eiweiß bepinseln und in Zucker-Kakao-Mischung wälzen. ½ Stunde kühl stellen, danach in 1/2cm dicke Scheiben schneiden. Scheiben auf gefettetes Backblech legen und im vorgeheizten Ofen bei 175 Grad 15 Minuten backen.
    Gutes Gelingen und eine schöne Weihnachtszeit wünsche ich Euch !!!

  • 14. Dezember 2008 von Leserättin



    Arlan machte sich nichts aus Weihnachten. Er war zu einer Zeit geboren worden, in der Maria, Joseph und ihr Kind noch gar kein Thema gewesen waren. Nicht, dass sie heute, im Jahre 2008 ein Thema wären. Jedenfalls nicht bei seinen menschlichen Bekannten, die das Fest feierten.
    Lautlos bewegte Arlan sich durch die einsamen Straßen. Es war nicht dunkel; die Weihnachtsbeleuchtung warf einen sanften Schein auf den eisglatten Asphalt, aber je weiter er sich vom Stadtzentrum entfernte, desto weniger wurden die Lichter. In der Gegend, in die er nun kam, standen die Häuser nicht sehr dicht. Viele waren unbewohnt; zumindest offiziell. Mit seinen feinen Sinnen spürte Arlan, dass hinter den zugenagelten Türen und eingeschlagenen Fensterscheiben Obdachlose Zuflucht gefunden hatten.
    Die Kirche, die in jenem ärmeren Viertel der Stadt lag, hatte erhellte Fensterscheiben und neben dem Eingangstor brannte eine Laterne. Ihr Licht ließ den Schnee glitzern, der hier nicht geräumt war und sich am Rand der Mauer kniehoch türmte.
    Lautlos schlüpfte Arlan durch die Hintertür hinein, doch es dauerte keine fünf Sekunden, bis Franziskus ihn bemerkt hatte. Die schwarze Robe fegte über den Boden, während der Priester ihm entgegen kam, weit schneller, als man es einem Mann von so beleibter Gestalt zutrauen würde.
    "Ich hatte nicht erwartet, dich heute noch zu sehen, mein Freund."
    Arlan lächelte. "Ich hatte nichts anderes vor, heute Nacht."
    Franziskus legte eine Hand an Arlans Ellbogen. "Das ist schade – wenn auch Glück für mich."
    Im vorderen Teil der Kirche bildeten Matratzen, Kissen und Decken ein Lager; wer Unterschlupf in dieser eisigen Nacht brauchte, bekam ihn hier zusammen mit einer Schale heißer Suppe.
    Beim mentalen Screening der Anwesenden atmete Arlan scharf ein. Über die Hälfte der gut zwanzig Personen wurde von einem schlechten Gewissen geplagt. Taschendiebe und kleine Gauner waren keine Seltenheit in Franziskus Kirche. Es hatte sich herumgesprochen, dass sie an diesem Ort keine Polizei zu fürchten brauchten.
    Arlan interessierte sich nicht für ihre Geschichten. Er schirmte sich ab, so dass er auch nicht zufällig Gedankenfetzen auffangen konnte, und half Franziskus, Suppe und Brot auszuteilen.
    Sie hatten sich gerade in den kleinen Raum neben der Küche gesetzt, da fuhr Arlan hoch, jeden Muskel angespannt. "Ich rieche Blut."
    Franziskus nickte. "Ja."
    Im nächsten Moment waren beide zur Hintertür hinaus. Seine vampirische Natur ließ Arlan noch schneller als sonst laufen. Zwar hatte er seinen Durst vor einigen Stunden gestillt, doch auf Blutgeruch reagierte er immer.
    Licht gab es auf dem freien Feld hinter der Kirche nicht, doch Arlan konnte bei Nacht ebenso gut sehen wie ein Mensch am Tag. Die am Boden liegende Gestalt regte sich nicht.
    Arlans Blick glitt über den zierlichen Körper des jungen Mannes. Viel zu dünn bekleidet würde er die Nacht nicht überleben, wenn er hier liegen blieb. Der Schnitt an seinem rechten Unterarm war weniger besorgniserregend. Ebenso wie Franziskus hatte Arlan seine Instinkte soweit unter Kontrolle, dass er sich von dem Geruch nicht dazu hinreißen ließ, von dem Verletzten zu trinken.
    Franziskus zögerte keinen Moment, hob den Bewusstlosen auf seine Arme und trug ihn zur Kirche zurück, legte ihn dort in jenen kleinen Raum neben dem Mittelschiff, der öfter Verletzten oder Kranken als Unterschlupf diente. Arlan holte, was sie brauchten, um seine Wunde zu versorgen.
    Als er den Schnitt reinigte, wachte der Mann auf. Die dunklen Augen, die ängstlich zu ihm hoch starrten, wirkten riesig in dem spitzen Gesicht.
    "Keine Angst, du bist in Sicherheit", beruhigte Arlan ihn, während Franziskus den Jungen daran hinderte, aufzustehen.
    Doch die Furcht in seinem Blick blieb. Nun ja, kein Wunder, er wusste schließlich nicht, wo er war, und Arlan war nicht sicher, ob er überhaupt verstanden hatte, was er gerade gesagt hatte.
    "Wir sind gleich fertig, dann bekommst du etwas Heißes zu trinken. Wie heißt du, mein Junge?", fragte Franziskus.
    Keine Antwort.
    "Ich glaube, er versteht unsere Sprache nicht."
    Franziskus nickte. Dann wiederholte er seine Worte auf Englisch, Russisch und Arabisch. Doch auch das schien der junge Mann nicht zu verstehen.
    Allerdings lag er nun still, so dass Arlan seine Verletzung zuende versorgen konnte. Als der Junge sich aufsetzte, glitt sein langes dunkles Haar zur Seite und enthüllte spitze Ohren. Seine Kleidung ließ Arlan an einen Weihnachtself denken, aber er konnte sich nicht erinnern, von einer entsprechenden Veranstaltung gehört zu haben. Nun ja, war vielleicht eine private Feier gewesen.
    Franziskus brachte ihm einen Becher heißen Tee. "Trink das, Junge, das wird dir gut tun."
    Gehetzt sah der Elf sich um. Er war wirklich noch sehr jung, möglicherweise nicht mal volljährig. Vielleicht aus einem Heim abgehauen.
    "Ganz ruhig, niemand tut dir etwas", sagte Franziskus. "Trink den Tee, du bist ja ganz ausgekühlt. Trinken." Er machte mit den Händen eine entsprechende Geste.
    Der Junge gehorchte, leerte den Becher ohne abzusetzen.
    Franziskus tippte auf seine breite Brust. "Franziskus." Dann wiederholte er die Geste bei Arlan. "Arlan." Er zeigte auf den Jungen.
    "Jigliv", sagte er nach einem Moment.
    Der Name klang so exotisch, dass Arlan nicht zu sagen vermochte, wo er herstammte.
    "Jigliv also." Franziskus lächelte ihn an. "Wir haben dich in meine Kirche gebracht. Hier bist du in Sicherheit."
    Arlan wusste, was Franziskus dachte. Der Schnitt am Arm des Jungen stammte von einem Messer. Und als er den mageren Körper untersucht hatte, waren ihm dabei einige Hämatome aufgefallen. Jigliv war geschlagen worden, vermutlich in einem Kampf. Zum Glück wies er keine ernsten Verletzungen auf. Arlan hatte ihn Dank seiner Fähigkeit tiefer blicken zu können gescannt und weder innere Blutungen noch eine Gehirnerschütterung entdecken können. Doch der Junge verbarg etwas. Allerdings wollte Arlan nicht tiefer in seine Gedanken eindringen. Zweifellos hätte er es zwar gekonnt, doch ohne die Zustimmung desjenigen Gedanken zu lesen, stellte eines der höchsten Verbrechen in der Vampirgesellschaft dar.
    "Kirche. Sicherheit", wiederholte Jigliv.
    "Genau." Franziskus nahm ihm den Becher ab und deutete darauf. "Möchtest du noch einen Tee?"
    Jigliv schüttelte den Kopf. "Nicht Tee." Seine Stimme klang leise und ängstlich. "Triva."
    Arlan tauschte einen Blick mit Franziskus, erkannte jedoch in den Augen des Priesters die gleiche Ratlosigkeit, die er selbst empfand. War das ein Wort in Jiglivs Sprache oder ein Name?
    "Triva", wiederholte der Junge und wollte aufstehen, aber Franziskus hielt ihn fest.
    "Nicht, Kleiner. Das ist keine Nacht, um draußen herumzulaufen. Ich hole dir erst mal etwas zu essen. Du bist ja dünn wie ein Stock."
    "Triva."
    "Ist Triva hinter dir her? Bist du deshalb verletzt worden?", fragte Arlan. Er hatte den Eindruck, dass der Junge sie nun besser verstand als noch vor wenigen Minuten.
    "Nicht."
    "Also nein", schloss Arlan. "War Triva bei dir?"
    "Triva bei mir."
    Wiederholte er nur seine Worte oder hatte er wirklich deren Sinn verstanden? Arlan hatte an der Stelle, an der sie ihn gefunden hatten, keine andere Bewusstseinssphäre wahrgenommen. "Wann hast du Triva das letzte Mal gesehen? Wart ihr zusammen, als du angegriffen wurdest?"
    "Triva zusammen." Er zeigte auf sich selbst.
    "Arlan, rede weiter, ich glaube, er ist gerade dabei unsere Sprache zu lernen."
    Da hatte Franziskus recht, zehn Minuten später konnte Jigliv ganze Sätze. So etwas hatte Arlan in über 2100 Jahren nicht erlebt. Komplett verständlich war das, was er sagte, zwar immer noch nicht, aber es genügte, um zu wissen, dass Triva eine Frau war und in Gefahr schwebte.
    "Am besten wir gehen zur Polizei", schlug Arlan vor. Auch wenn er als Vampir über weit mehr Talente verfügte als ein Mensch, so hatte die Polizei doch durch Hubschrauber und Wärmebildkameras die Möglichkeit, schnell ein größeres Gebiet abzusuchen. Und dass Eile geboten war, daran zweifelte er nicht. Die Minusgrade würden einen Menschen leicht erfrieren lassen, außerdem bewies Jiglivs Zustand, dass die Entführer vor Gewalt nicht zurückschreckten.
    "Polizei?" Jigliv sah ihn fragend an.
    Franziskus erklärte es ihm, und Arlan fügte hinzu: "Sie sind sehr gut ausgerüstet, werden Triva sicher viel schneller finden, als wir es könnten."
    "Nein, nein, nicht Polizei!" Jiglivs Augen schienen noch größer zu werden als sie ohnehin schon waren.
    "Wenn Triva in Gefahr ist, zählt jede Sekunde", gab Arlan zu bedenken.
    "Sie werden uns fangen und einsperren. Triva ist wie ich."
    "Was habt ihr denn getan?", hakte Arlan nach. Es musste einen Grund geben, dass Jigliv so vehement darauf bestand, die Gesetzeshüter außen vor zu lassen.
    "Nichts. Aber sie werden uns einsperren."
    Also waren sie wohl irgendwo abgehauen. Da Jigliv so jung aussah, war anzunehmen, dass auch Triva noch ein halbes Kind war. Mit Diskussionen verloren sie nur Zeit. "Okay, sag mir, was genau passiert ist, woran erinnerst du dich?"


    Auch wenn die Kälte ihm nichts ausmachte, so spürte Arlan sie doch sehr deutlich, während er durch den Wald lief. Jigliv hatte erzählt, wie seine Schwester Triva und er angegriffen worden waren. Sie hatten sich vom Schlitten entfernt gehabt, um ein Geschenk abzuliefern und auf dem Rückweg war es dann passiert. Jigliv hatte versucht, Triva zu verteidigen, war dabei aber bewusstlos geschlagen worden.
    Ganz schlau wurde Arlan aus dieser Geschichte zwar nicht, aber er wusste nun genug, um sich den Rest zusammenreimen zu können. Triva war in der Gewalt eines Mannes, der eine Rechnung mit ihrem und Jiglivs Chef offen hatte. Jigliv hatte ihn als eine Art gehässigen Kobold beschrieben – was auch immer man sich darunter vorstellen sollte.
    Zumindest wusste Jigliv, dass dieser Kobold im Wald hauste und Triva wohl in sein Versteck gebracht hatte. Arlan hoffte, dass das wirklich so wahr und spielte für einen Moment mit dem Gedanken, doch noch die Polizei zu benachrichtigen. Als Mensch hätte er es vielleicht getan, um die Chance, das Mädchen zu retten zu vergrößern, doch als Vampir hatten seine Erfahrungen ihn gelehrt, auf sein Gefühl zu hören. Das sagte ihm, dass er auf keinen Fall die Polizei einschalten durfte. Jigliv verbarg etwas, das hatte Arlan deutlich gespürt.
    Der Teil des Waldes, in dem er sich nun befand, war dicht und undurchdringlich. Die Bäume standen sehr eng beieinander, dornige Ranken wucherten überall und der Boden war uneben. Aus der Erde hervorgebrochene Wurzeln bildeten verdeckt durch den Schnee Stolperfallen.
    Arlan blieb stehen, lauschte und sog die kalte Luft ein, filterte die einzelnen Aromen. Ein Windstoß wehte den Schnee von den Ästen, trieb ihn in Arlans schulterlanges schwarzes Haar. Er schüttelte leicht den Kopf, um wieder freie Sicht zu haben. In der Nähe war jemand, das spürte er. Aber noch vermochte er nicht mehr darüber zu sagen, es war lediglich der Schatten einer Bewusstseinssphäre, den er empfing.
    Doch das allein genügte, die Spur weiter zu verfolgen. Wenige Minuten später bemerkte Arlan eine Art Unterschlupf. Zwischen dicht beieinander stehenden Bäumen war Holz so aufgeschichtet worden, dass es Schutz vor Wind und Wetter bot. Wie groß der Unterschlupf war, konnte Arlan von seiner Position aus nicht sagen, aber er spürte deutlich, dass jemand dort war. Mehr als einer vermutlich.
    Ohne ein Geräusch zu verursachen trat er näher. Wer immer sich hier versteckte, wollte nicht gefunden werden. Ein Vampir? Unwahrscheinlich, die meisten Vampire besaßen eine so starke Aura, dass Arlan sie sofort erspürt hätte. Kurz nach der Umwandlung war sie allerdings noch schwach und es gab Vampire, bei denen sie so blieb.
    Ein scharfer Geruch ließ Arlan auf der Stelle verharren. Das war kein Mensch und auch kein Vampir. Es hatte etwas von einem Wildschwein. Noch vorsichtiger ging Arlan weiter, bis er endlich durch die Äste spähen konnte. Ein Mann in zerlumpter Kleidung stand in der Hütte. Er war höchstens 1,30 Meter groß, hatte graues Haar und ein brutales Gesicht. Kobold. Arlan dachte an Jiglivs Worte. Dass seine Erzählung so sehr den Tatsachen entsprach, hätte er nicht vermutet.
    Erst als der Kobold einen Schritt nach vorn trat, entdeckte Arlan zwei weitere Gestalten. Sie sahen ihm ähnlich, waren aber jünger und noch schmutziger als der Alte.
    Ganz in der Ecke, an die Wand gedrückt, saß gefesselt ein Mädchen. Weißblondes Haar floss um ihren zierlichen Körper und sie zitterte wie Espenlaub. Einer der Jüngeren trat zu ihr. Seine dreckigen Finger wollten nach ihr greifen, doch sie wich trotz der Fesseln um Arm- und Fußgelenke zur Seite. Der Alte sagte etwas, woraufhin der eine von den Jungen meckernd lachte, der andere aber stieß einen Wutschrei aus und packte das Mädchen.
    Arlan zögerte keine Sekunde. Er durchbrach das Holz und ging in Angriffsstellung. Mit der Zungenspitze berührte er seine Eckzähne, die wie immer im Kampf ausgefahren waren und tödliche Waffen darstellten. Er würde nicht zögern, sie einzusetzen.

  • Der alte Kobold zog ein Messer, das er an seinem Gürtel getragen hatte und stürzte damit auf Arlan zu. Mit einer Drehung wich er ihm aus und wehrte den Jüngeren ab, der sich ebenfalls auf ihn stürzte. Das Mädchen schrie laut auf, so dass Arlan zu ihr herumwirbelte und dadurch gerade noch dem Beil entging, dass der andere junge Kobold in den Händen hielt.
    Arlan wich dem Alten aus, packte ihn und schleuderte ihn gegen die Wand. Mit zwei Schritten war er bei dem Mädchen, hob sie auf seine Arme und sprang mit ihr durch das Loch in der Astwand. Ohne Zeit zu verlieren, indem er sich nach den Kobolden umsah, lief er weiter. Erst, als er sicher war, genügend Abstand zum Bau geschaffen zu haben, verlangsamte er und hielt schließlich an. Das Mädchen hatte keinen Laut von sich gegeben und war völlig starr. Aus riesigen hellblauen Augen schaute sie zu ihm hoch.
    "Hab keine Angst", beruhigte Arlan sie und drückte sie enger an sich, um ihr von seiner Körperwärme abzugeben. Er trug einen Umhang, den er nun so gut es ging über sie zog, denn starker Schneefall hatte eingesetzt. "Ich komme von Jigliv."
    "Jigliv!" Hoffnung trat in ihren Blick.
    "Ich bringe dich zu ihm", versprach er. "Du bist Triva, nicht wahr?"
    Sie nickte. Durch ihr lichthelles Haar waren ihre Ohrspitzen zu erkennen. "Jigliv", flüsterte sie, dann folgten Worte in einer Sprache, die Arlan unbekannt war.
    Er lief weiter. Trotz der hohen Geschwindigkeit war er nicht außer Atem, als er die Kirche erreichte. Franziskus, der gespürt hatte, dass er sich näherte, öffnete ihm die Tür und nahm ihm Triva ab. Arlan streifte seinen schneedurchnässtes Cape von den Schultern und ließ es achtlos zu Boden fallen.
    Franziskus löste Trivas Fesseln, und Arlan versicherte sich, dass das Mädchen in Ordnung war. Jigliv wich nicht von der seite seiner Schwester. Inzwischen sprach er Deutsch fast fließend und übersetzte für Triva, was Arlan sagte.
    "Wir danken euch für eure Hilfe", sagte Jigliv schließlich und verneigte sich vor den Vampiren.
    "Bleibt hier", sagte Franziskus. "Wenigstens bis morgen früh. Die Nacht ist bitterkalt und ihr seid viel zu dünn angezogen." Beide hatten die Decken und wärmenden Mäntel abgelehnt, die der Priester ihnen gebracht hatte.
    "Nein, wir müssen weiter. Unser ..." Jigliv stockte kurz und suchte nach dem korrekten Wort, "Chef vermisst uns sicher schon. Er braucht uns."
    An Heiligabend arbeiten zu müssen war weder für Arlan noch Franziskus etwas ungewöhnliches, doch keiner von ihnen wollte die Geschwister einfach so in die kalte Nacht lassen.
    "Bitte, lasst uns gehen." Die Hände vorgestreckt mit den Innenflächen nach oben stand Jigliv da. Triva sah Ängstlich zwischen Arlan und Franziskus hin und her.
    "Oh Junge, natürlich seid ihr frei zu gehen." Franziskus tätschelte ihm den Rücken. "Wir halten euch doch nicht fest, aber diese Nacht ist wirklich nicht dazu geeignet, draußen herumzulaufen." Er zupfte an Jiglivs Hemd. "Schon gar nicht in so dünnen Sachen."
    "Wir werden nicht frieren. Der Schlitten wartet auf uns und er ist warm, egal wie kalt es ist", erklärte Jigliv. Mit Triva an der Hand lief er zur Hintertür und so geschwind wie Katzen schlüpften sie hinaus.
    Die beiden Vampire folgten, blickten über das freie, schneebedeckte Feld hinter der Kirche. Von den Elfen war nichts mehr zu sehen, nicht einmal Fußspuren waren zu entdecken.
    "Weihnachtselfen", sagte Franziskus.
    "Weihnachtselfen", wiederholte Arlan und lachte leise. Wenn es Vampire und Kobolde gab, warum dann nicht auch Weihnachtselfen?

  • 15. Dezember 2008 von Leseratte87


    „Es war einmal ein alter Mann. Er war zu allen nett und hilfsbereit. In der Nachbarschaft war er nur unter dem Namen Opa Heinz bekannt. Wenn man ihn auf der Strasse traf, hatte er steht’s ein Lächeln und ein nettes Wort für jeden bereit. Jeder achtete und schätze ihn. Wenn man ihn brauchte, war er da. Ohne etwas dafür zu verlangen. So war er, der Opa Heinz…“
    Mariana verlor sich in der Geschichte, die sie ihrer kleinen Tochter Sophie erzählte. Sie schloss die Augen und träumte Erinnerungen nach. Doch die quirlige Achtjährige wollte unbedingt wissen, wie die Geschichte weiter geht und drängte ihre Mutter lautstark dazu, weiter zu reden.
    „Sprich doch weiter, Mama! Wie geht es weiter?! Mit großen Augen sah sie zu ihrer Mutter hinauf.
    Mariana machte die Augen wieder auf und lächelte ihre Tochter liebevoll an.
    „Opa Heinz war wie gesagt ein liebenswerter Mann. Jemand, den man einfach gerne haben musste. Doch niemand wusste, wie es hinter dem netten Gesicht wirklich aussah. Alle sahen nur den freundlichen alten Mann. Sobald sich die Tür hinter Opa Heinz schloss, sackte der alte Mann in sich zusammen. Er hatte eine schwere Bürde auf seinen Schultern zu tragen. Er war sehr einsam. Seine Frau verstarb vor fünf Jahren an Krebs, und seitdem gimg es ihm jeden Tag schlechter. Besonders jetzt zur Weihnachtszeit ging es ihm nicht gut. So saß er die meiste Zeit alleine in seinem Haus, und starrte den Kamin an. Dachte an vergangene Zeiten.“
    „Aber hatte er den keine Kinder, die ihm Gesellschaft leisten konnten?“
    „Weist du, Sophie, der Opa Heinz hatte keinen Kontakt zu seinen Kindern.“
    „Wieso denn nicht? Er musste doch Kontakt zu seinen Kindern haben!“ Die achtjährige starrte ihre Mutter mit offenem Mund an, als wäre die Vorstellung unmöglich.
    „Sein Sohn ist schon vor langer Zeit als Kind gestorben. Und der Kontakt zu seiner Tochter ist seit dem Tod seiner Frau abgebrochen. „
    „Aber wieso?!“ Sophie schrie empört auf. „Sowas kann es doch gar nicht geben!“
    Mariana sah ihre Tochter an und schüttelte innerlich den Kopf. Diese kindliche Unschuld. Wie konnte ihre jüngste Tochter auch wissen, was damals passiert ist.
    „Damals gab es ein Missverständnis. Ein Missverständnis das leider zum Bruch des Kontaktes führte. Aber du hast Recht. Sowas kann es eigentlich nicht geben. Das dachte sich die Tochter von Opa Heinz auch. Deshalb nahm sie sich ihren ganzen Mut zusammen und schrieb ihm einen langen Brief. Sie hatte sich nie getraut, es eher zu tun. Sie wusste nicht, ob er das wollte…“ Mariana sah aus dem Fenster. Und strich ihrer Tochter über das Haar. „Sie hatte ihre Gedanken immer irgendwie verdrängt…“
    Es klopfte an der Tür. Sophie rief fröhlich „herein“.
    Durch die Tür streckte sich ein stark ergrauter Kopf. Das lächelnde Gesicht eines alten Mannes kam zum Vorschein. „Hallo ihr zwei. Ich hoffe ich störe euch nicht. Aber ich glaube das Christkind kam gerade bei uns vorbei.“
    Sophie schreit begeistert auf und wollte schon zur Tür rennen. Doch dann kommt sie zurück. „Zuerst möchte ich wissen, wie die Geschichte endet. Aber schnell, Mama!“
    Mariana schaute ihre Tochter an und konnte nicht anders als zu lachen. Als sie wieder zu Luft kam, sagte sie: „Ach du bist mir eine. Aber gut, ich will dich nicht aufhalten. Die Geschichte endet so, wie du es dir wohl gewünscht hast. Opa Heinz und seine Tochter fanden wieder zusammen, und alle lebten sie glücklich bis an ihr Lebensende. Und nun ab mit dir. Oder willst du nicht deine Geschenke aufmachen?“ Noch bevor sie den Satz zu Ende gesprochen hatte, war Sophie durch die Tür. Mariana schüttelte lächelnd den Kopf. Dann nahm sie die Hand des alten Mannes und sagte: „Komm Papa. Oder willst du verpassen, wie sich deine Enkelin über die Geschenke hermacht?“ Dann küsste die die Hand des Mannes und ging voraus.
    Opa Heinz lächelte und folgte seiner Tochter.


    Ende

  • 16. Dezember 2008 von Batcat


    Prolog


    Es war der Weihnachtsmorgen und Sander Klaus war krank.


    Er hatte Schnupfen – so sehr, wie nur ein Mann Schnupfen haben konnte. Die Nase lief, die Augen tränten – kurz: Er starb fast in den Schuhen. Männerschnupfen! Dabei waren doch noch so viele Päckchen auszuliefern an diesem Tag!


    „Sandra“, krächzte er mit belegter Stimme zu seiner Frau, „es hilft alles nichts, DU musst übernehmen, sonst fällt Weihnachten dieses Jahr für die Kinder der Stadt aus!“


    Sandra Klaus war alles andere begeistert, schließlich hatte sie selbst noch genug zu erledigen. Aber es nützte nichts, die Kinder gingen vor, das sah auch sie ein.


    „Na gut“, grummelte sie unwillig, „dann mache ich das halt. Die Rentiere kennen ja den Weg, es wird schon alles klappen!“


    „Oooooh, die Rentiere. Wie soll ich es nur sagen? Sie waren doch schon alt und den Belastungen nicht mehr gewachsen – ich habe sie in Rente geschickt. Sie fressen draußen auf der Weide ihr Gnadenbrot. Aber für die Geschenke-Tour habe ich uns extra einen funkelnagelneuen tollen roten Kombitransporter mit Navi gekauft, die Route ist auch schon einprogrammiert. Du brauchst Dich nur reinsetzen und losfahren…. Du hast doch einen Führerschein!“


    Frau Klaus seufzte leise. Jaja…. Führerschein, den hatte sie tatsächlich. Aber außer zum Einkaufen fuhr sie kaum.


    9 Uhr


    Gereizt setzt sich Sandra Klaus ans Steuer des Wagens. Bereits an der 2. Kreuzung stellt sie fest, dass sie mit ihren Pumps nicht Auto fahren kann, hält am nächsten Schuhgeschäft und kauft sich erst mal ein Paar bequemer roter Stiefelchen mit schickem Pelzbesatz. Fast von alleine wandert gleich noch ein zweites Paar Schuhe in ihre Einkaufstüte.


    10 Uhr


    Vergebens versucht Sandra Klaus, das Navi zur Mitarbeit zu bewegen. Und obwohl sie doch von Frau zu Frau miteinander sprechen, teilt ihr die freundliche Navistimme stets nur mit, dass die Route berechnet sei – mehr aber auch nicht.


    10 Uhr 30


    Sandra schaltet entnervt das Navi ab, nimmt die „für den Notfall“ ausgedruckte Adressliste zur Hand und versucht nun, auf dem Stadtplan die schnellste Verbindung zwischen allen Zielpunkten zu finden.


    10 Uhr 45


    Wutentbrannt zerknäult Sandra den Stadtplan und wirft ihn aus dem Fenster. Landkartenlesen war leider noch nie ihre große Stärke.


    11 Uhr


    Sandra fährt an der Tankstelle vor und holt sich erst einmal eine Handvoll Frust-Schokoriegel. Kauend überlegt sie, wie die Bescherung noch zu retten ist. Da hat Sandra eine ruhmreiche Idee: Die Rentiere kennen den Weg! Also muß Rudolph, das Leittier, her!


    11 Uhr 30


    Sandra ist wieder zuhause. Klammheimlich und leise, damit ihr Mann ihre Rückkehr nicht bemerkt, schleicht sie sich durch den Garten zum Stall, legt Rudolph sein Geschirr an und führt ihn zum Auto. Dort bugsiert sie ihn auf den Beifahrersitz und gurtet ihn vorschriftsmäßig an. Das Ganze ist nicht unkompliziert, da Rudolphs Geweih ständig im Weg ist und letztlich sogar den Dachhimmel im Auto mehrfach einritzt.


    13 Uhr


    Die Idee hat funktioniert! Schon nach kurzer Zeit haben die beiden die ersten Geschenke ausgeliefert. Blöderweise vergisst Sandra, dass Rentiere nicht stubenrein sind. Sandra fährt erneut zur Tankstelle und reinigt das Auto, so gut es geht.


    13 Uhr 30


    Leider hat der Aufenthalt an der Tankstelle nichts genützt. Sandra fährt zur Parfümerie und nebelt das Auto großzügig mit Parfüm ein. Bei der Gelegenheit hat sie sich selbst auch ein klitzekleines Parfüm, zwei Lidschatten, einen Lippenstift und eine neue Wimperntusche gekauft.


    14 Uhr


    Die beiden kommen gut voran, wenn man davon absieht, dass Sandra beim Einparken in den engen Gassen nun schon zwei Mal sanft ihren Vorder- bzw. Hintermann touchiert hat. Aber keiner hat sie gesehen und passiert ist auch nichts. Also hält Sandra sich nicht mit unnötigen Verzögerungen auf und fährt einfach weiter.


    15 Uhr


    Zweimal war Sandra heute schon an der Tankstelle. Auf den Gedanken nachzusehen, ob noch Benzin im Tank ist, kommt sie aber nicht. Das wird ihr nun mitten im Wald zum Verhängnis. Glücklicherweise hat sie ihr Handy dabei und ruft den ADAC zu Hilfe.


    17 Uhr


    Der ADAC ist mit einem Reservekanister Benzin endlich da. Sandra drückt dem gelben Engel zum Dank eines der Geschenke in die Hand und hofft, es möge keine Barbie oder ähnlicher Mädchenkram darin sein.


    18 Uhr


    Vom langen Warten in der Kälte ist Sandra so durchgefroren, dass sie es gerade eben noch so geschafft hat, in einem Kaufhaus, das erstaunlicherweise an Heiligabend bis 18 Uhr geöffnet hat, einen dicken Pulli, eine Thermojacke und einen Schal – den sie, so überlegt sie nun, ihrem Mann anschließend schenken könnte - zu kaufen. Jetzt aber auf zum Endspurt!


    19 Uhr


    Das Rentier hat Hunger und streikt. Sandra fährt mit ihm zum Drive in und besorgt fünf Gemüseburger für Rudolph. Für sich nimmt sie nur einen Kaffee und dann, weil ganz plötzlich ihr Magen knurrt, einen Big Mäc, große Pommes mit Majo und zwei Zimt-Muffins.


    20 Uhr


    Rudolph und Sandra sind so vollgefressen, dass sie sich kaum mehr rühren können.


    21 Uhr


    Sandra erwacht aus ihrem Verdauungsschläfchen und verfällt in Panik. Schon so spät und immer noch so viele Päckchen zuzustellen! Sandra fährt los. Rudolph hat das Essen nicht gut vertragen und rülpst und furzt andauernd. Trotz Temperaturen um die Gefriergrenze zieht Sandra es vor, mit offenem Fenster zu fahren. Von der Weihnachtsmusik im Radio bekommt man wegen der störenden Nebengeräusche kaum noch etwas mit.


    23 Uhr 50


    Endlich fertig! Sandra bringt Rudolph in den Stall zurück und versorgt alle Rentiere mit extra Leckerlis. Sie ist so geschafft, dass sie sich kaum noch auf den Beinen halten kann vor Erschöpfung.


    Als sie ins Haus zurückkommt, sitzt Sander vor dem Fernseher und guckt Fußball. Vor ihm stehen Bier und Chips und er sieht gar nicht mehr krank aus.


    „Endlich bist Du wieder da, Sandra!“ ruft er erfreut aus. „Hast Du mir was Leckeres zum Essen mitgebracht?“


    Nur mit Mühe kann sie sich davon abhalten, ihm den gekauften Schal um den Hals zu legen und fest zuzuziehen. Doch auch dafür ist sie zu müde.


    Stattdessen lächelt sie ihn eben so falsch wie freundlich an, drapiert ihm den Schal liebevoll um die Schultern und flötet. „Schau, den hat der Weihnachtsmann DIR mitgebracht. Frohe Weihnachten, Schatz!“


    Danach legt sie sich ins Bett und schläft bis zum zweiten Feiertag durch.


    Als Sander Klaus nach Weihnachten die Kreditkartenabrechnungen sieht, trifft ihn der Schlag.

  • 17. Dezember 2008 von Eskalina


    Große Dinge, die die Welt bewegen, werden oft ins Rollen gebracht durch einen simplen Telefonanruf. Plötzlich zerreißt irgendwo an irgendeinem Ort der Welt das Klingeln dieser so wunderbaren nicht mehr wegzudenkenden Apparatur die Stille, oder stört bei uninteressanten täglichen Verrichtungen, wie zum Beispiel einer Herztransplantation und der Mensch folgt seinem schon in die Wiege gelegten Instinkt und unterbricht egal was auch immer, um den Hörer abzuheben, oder das Handy ans Ohr zu klemmen. Ich will damit nur erklären, warum ich an diesem beschaulich verregneten Frühlingstag einfach und ohne nachzudenken zum Handy griff, als der von mir ausgesuchte Klingelton, sprich Hei…o mit "Schwarzbraun ist das Haselmus" fröhlich aus den Tiefen meiner Hosentasche erscholl. (Ich gebe zu, eine durchfeierte Nacht und ein Gläschen Prosecco zuviel waren nicht ganz unschuldig an der Auswahl dieses Tones)
    Meine Schwiegermutter war am anderen Ende. Wer nun beginnt, mich zu bedauern und seine Gesichtszüge schon in Richtung "mitleidig verzogen" steuern möchte, dem sei gesagt, dass ich zu den glücklichen 0,01% der Bundesbürgerinnen gehören darf, die eine liebe Schwiegermutter mit in die Ehe bekommen haben.
    Nachdem wir die Punkte Frühlingswetter, Merkels Frisur und andere Katastrophen abgehakt hatten, erwähnte sie beiläufig, dass sie ja nun all die Jahre Heiligabend bei ihrem jüngsten Sohn in der Pfalz verbracht habe, aber ihr größter Herzenswunsch für dieses Jahr wäre es… sie habe ja immer aus Rücksicht auf meine Familie nichts gesagt und überhaupt, eigentlich - eigentlich wäre sie doch nun mal dran, den heiligen Abend mit uns und den anderen beiden Söhnen samt ihrer Familien zu verbringen. Ich dachte nach. Natürlich hatte sie nicht Unrecht, wir waren noch nie am 24.12. zusammen gewesen. Jedes Jahr hatten mein Mann und ich diesen Tag für meine Familie reserviert; dass sie nun auch einmal an der Reihe sein wollte, leuchtete mir ein und ich sagte spontan zu. Gut, es war März und in dieser Zeit würde sich meine Familie doch sicher darauf einstellen können.
    Ostern erwähnte ich beiläufig an der Kaffeetafel den Weihnachtswunsch meiner Schwiegermutter. "Das ist zu verstehen, das bekommen wir schon hin.", sagte meine Mutter und damit war klar: Der heilige Abend wird dieses Jahr bei Schwiegermama verbracht. Es war ja schließlich noch lange hin.


    Ich erinnere mich, danach nur noch einmal an Weihnachten gedacht zu haben und das war im September auf der Wanderung zum Brockengipfel, als mich die vielen Tannen irgendwie weihnachtlich zumute sein ließen. Ich strengte meine Stimme an und rief meinem 254m vor mir wandernden Bruder nebst meiner Schwägerin zu: " Ach, überlegt doch schon mal, wann wir dann Weihnachten feiern wollen, wenn wir Heiligabend nicht da sein können" - Mein Bruder, der meine Gedankensprünge kennt, rief mir beruhigend über die Schulter zu: " Das wird schon, kein Problem, nun keuch mal nicht so und beeil dich ein bisschen!"


    Ja, so war das, ich erinnere mich genau und dann war erstmal bis Anfang November kein Gedanke mehr an dieses Thema. Wieder war es das Telefon, durch das mich dieses Mal meine Mutter darüber informierte, dass ich doch langsam mal sagen sollte, wann wir denn nun mit der Familie Bescherung machen wollten. Es wäre ja nicht wegen ihr, aber mein Bruder müsse doch zu seinen Schwiegereltern und da gingen sie schon seit 17 Jahren immer am ersten Weihnachtstag hin und die müssten sich schließlich auch darauf einrichten. "Also vielleicht könntest du sie bitten, dass sie Heiligabend dort sind und am ersten Weihnachtsfeiertag mit uns feiern?" fragte ich hoffnungsfroh und immer noch in der Annahme, das wäre ja kein Problem. Sie meinte, sie würde meine Schwägerin bitten, dass mit ihren Eltern abzuklären und auch meine andere Schwägerin wolle ihre Eltern anrufen und sie bitten, ausnahmsweise in diesem Jahr einmal "eine kleine Änderung" in Kauf zu nehmen - Sie würde sich dann bei mir melden…


    Kurz darauf bekam ich eine Mail von dem Bruder meiner Schwägerin - Wann ich denn nun genau mit meiner Familie feiern würde und warum denn nicht am heiligen Abend, wie jedes Jahr? Ich solle doch bitte noch einmal in mich gehen, denn seine Familie habe immer und seit Generationen jedes Jahr Heiligabend gemeinsam verbracht, sei dann am ersten Weihnachtstag zu seinen Eltern und am zweiten Feiertag zu der verwitweten Mutter seiner Frau, die schließlich allein sei und sich das ganze Jahr auf genau diesen Tag freue. Wir telefonierten und einigten uns darauf, dass sie in diesem Jahr Heiligabend bei seinen Eltern, den ersten Feiertag mit der eigenen Familie und den zweiten Feiertag mit seiner Schwiegermutter verbringen würden - Dann wäre wenigstens sie in ihrem gewohnten Feiertagsritual. (Wobei er "sie" meiner Ansicht nach zu sehr betonte.)


    Zufrieden lächelnd lehnte ich mich zurück, als meine Mutter anrief und mir mitteilte, die Familie meines jüngsten Bruders sei "not amused" - Bei ihnen wird Heiligabend an einem Tag in 2 Schichten gefeiert und man will an den anderen beiden Tagen niemanden sehen und sich vom vielen Weihnachten feiern erholen.
    Ich schickte einen Bittbrief, da sie dort auf dem Dorf noch keinen PC besitzen und bekam nach einigen Tagen ein knapp formuliertes Schreiben zurück - Man werde eine Ausnahme machen, obwohl das ihre gesamte Planung über den Haufen werfen würde, aber es sei ja schließlich Weihnachten und da könne man ja nicht jemandem das Fest verderben.
    So, das war geklärt.
    Der erste Weihnachtstag war nun endlich gebucht, nun musste nur noch die Gans organisiert werden. Ich mag ja eigentlich keine Weihnachtsgans essen, dazu bin ich zu tierlieb. Wann immer ich meine Gabel in das zarte, weiche und saftige Fleisch piekse, flüstere ich in Gedanken eine Entschuldigung an das arme Tierchen und verfluche seinen Züchter, der es nur hat schlüpfen lassen, um es dann nachher zu ermorden.
    Seit Generationen bestellen wir unsere Weihnachtsgans bei dem Züchter unseres Vertrauens - Immer zur selben Zeit und immer für den heiligen Abend. Gans, ganz frisch geschlachtet…
    Als der hörte, dass wir sie nun in diesem Jahr einen Tag später bräuchten, sagte er selbstverständlich zu, sie uns frisch geschlachtet am ersten Feiertag zu bringen, er würde einfach seine Weihnachtsfeier, die er sonst immer am ersten Feiertag im Kreise seiner Familie verbringt, auf den heiligen Abend verlegen - überhaupt, hätten schon ein paar Familien aus unserem Landkreis in diesem Jahr für ungewöhnliche Termine bestellt - Sie hätten dieses Mal alle ihre Feiern verschoben. Naja, er fände das merkwürdig, aber er würde das eben mit seiner Familie absprechen, das wäre sicherlich kein Problem.
    Hatte ich erwähnt, dass die Frau des Gänsezüchters entfernt mit dem Bruder meiner Schwägerin verwandt ist? So ist das eben auf dem Land. Sie ist sehr eitel und geht immer einen Tag vor dem heiligen Abend zum Friseur in der nächstgelegenen Kleinstadt - Schon seit Jahren. In diesem Jahr öffnet der Friseur extra wegen ihr und ungewöhnlich vielen außerplanmäßigen Anmeldungen anderer Kundinnen am Heiligabend bis 21 Uhr das Geschäft, weil die Ärmsten sonst durch ihr verschobenes Fest, unfrisiert feiern müssten…Die angestellten Friseurinnen meinten, das wäre kein großes Problem, sie würden einfach mit ihren Familien reden und eventuell die Weihnachtsfeier um einen Tag verlegen, denn wenn sie am 24. arbeiten würden, dann hätten sie zu wenig Zeit, um noch am selben Tag besinnlich zu werden.
    Das der Bruder meiner Schwägerin insgesamt 6 Geschwister hat, blieb bisher auch unerwähnt, stimmt aber sicher nachdenklich, wenn ich verrate, dass die mittlerweile alle ein bis zwei Kinder in diese Welt gesetzt haben und das auch sie alle ihren üblichen Termin umdisponiert haben.
    Darum wundert es mich auch nicht, dass inzwischen der örtliche Supermarkt und der Partyservice angekündigt haben, aufgrund der in diesem Jahr ungewöhnlich hohen Nachfrage, auch Heiligabend nachmittags und am ersten Feiertag für Kundenwünsche zur Verfügung stehen zu wollen. Die Massagepraxis und das Fitnesscenter bieten für die Feiertage ebenfalls ihre Dienste an - Einige Mitarbeiter hätten noch freie Termine, da sie aus privaten Gründen in diesem Jahr erst am zweiten Feiertag mit ihren Familien feiern können. Gestern wurde im TV von Leuten berichtet, die zum ersten Mal in ihrem Leben Weihnachten aus terminlichen Gründen am Tag nach dem 27. Dezember begehen würden.
    Man kann sich nur wundern!
    Als ich dann gestern meine Mutter anrief, um ihr zu sagen, dass mit unserer Planung, der Gans und der besinnlichen Weihnachtsfeier nun alles geregelt sei, sagte sie: " Stell dir vor, in diesem Jahr geht es aber alles drunter und drüber - Die Bundeskanzlerin wird ihre Neujahrsansprache am heiligen Abend halten, weil sie sonst keine Zeit hat - Bei ihr haben sich die privaten Termine so weit nach hinten verschoben, dass sie tatsächlich erst Sylvester mit ihren Lieben eine Weihnachtsfeier hin bekommt!"
    Hatte ich schon erwähnt, dass der Cousin der Schwägerin des Bruders meiner Tante, entfernt mit Frau Merkel verwandt ist?

  • 18. Dezember 2008 von keinkomma


    Eddy fuchtelte mit der Schere durch die Luft. Es sah aus, als wolle er eine Fliege aufspießen. Das blanke Metall blitzte im Schein der Deckenleuchte auf, ehe er mit weit ausholenden Bewegungen buntes Papier von der Rolle abwickelte. Er strich versonnen über die kleinen Schneemänner, die das Packpapier zierten.
    »Fast zu schade, um es zu zerschneiden«, murmelte mein Mann. Ich hielt die Hand vor den Mund und tarnte mein Grinsen mit einem vorgetäuschten Gähnen. Aus dem Augenwinkel heraus beobachtete ich, wie Eddy mit seinen klobigen, von der Arbeit rissig gewordenen Handwerkerhänden versuchte, aus dem blauen Plastikband eine Schleife zu knüpfen.
    »Soll ich?«, fragte ich leise, als Eddy zum dritten Mal vergeblich versuchte, die Bänder ineinander zu verknoten. Kleine Schweißperlen hatten sich auf seiner Stirn gebildet. Wie immer, wenn er hoch konzentriert war, streckte Eddy die Zungenspitze zwischen den Lippen hervor.
    »Ich hab’s gleich«. Eddy keuchte leise und kniff die Augen zusammen. Schließlich rutschten die Bänder ineinander und in seinem Gesicht leuchtete Triumph auf. »Na bitte!«
    Vorsichtig nahm er das Paket und stapelte es zu den anderen sieben auf den Boden.
    Eddy seufzte leise und hielt sich die großen Hände ans Kreuz. Mit fast einsneunzig war es für die Bandscheiben meines Mannes ziemlich lästig, den ganzen Abend gebückt am Esszimmertisch zu stehen. Ich legte den Klebefilmabroller zur Seite und umschlang meinen großen, starken Mann von hinten. Selbst jetzt noch, spät am Abend, verströmte sein muskulöser Körper den frischen Duft des Aftershaves.
    »Sollen wir eine Pause machen?«, gurrte ich. Eddy schüttelte stumm den Kopf und löste meine Hände, die ich vor seiner Brust verschränkt hatte.
    »Wir haben noch viel vor«, sagte Eddy und griff nach dem nächsten Karton. Der Inhalt klapperte leise, als er das Paket auf den Tisch stellte. Einen Moment lang hielt er inne und strich versonnen über die glänzende Schachtel. Ein knallrotes Auto verbarg sich hinter der Pappe.
    »So eins wollte ich schon immer haben«, sagte Eddys Blick. Es war derselbe Blick, den ich heute Abend schon acht Mal gesehen hatte. Bei der Märklinbahn, dem dazu passenden Lokschuppen, dem Feuerwehrauto und dem hölzernen Flugzeug, der Murmelbahn, den Bausteinen aus Plastik, dem feuerroten Roller und der Klingel, die am Lenker montiert werden konnte. Eddy wischte sich mit den rauen Fingern über die Augen. Dann griff er nach der Rolle mit dem blau karierten Geschenkpapier und maß aus, wie viel er benötigen würde, um das Auto zu verpacken.
    »Ich habe immer von einer Puppe geträumt, die Mama sagen kann«, sagte ich. Fragend hob mein Mann den Kopf. An seinem Blick sah ich, dass er mir nicht zugehört hatte. »Aber ich habe nie eine bekommen«.
    »Was hast du nie bekommen? « Zerstreut sah Eddy von mir zum Plastikauto und wieder zurück.
    »Nichts, schon gut«, sagte ich und griff selbst nach einem Spielzeug. Ich erwischte ein längliches Paket, in dem ein Plastikboot steckte.
    »Das ist prima für die Badewanne«. Eddy strahlte, als er mir erzählte, dass man an der Unterseite des Bootes einen Motor anbringen kann. »Der braucht nur zwei Batterien und läuft dann über vier Stunden lang«. Ich nickte stumm und fragte mich, wer vier Stunden lang in einer Badewanne sitzt, um ein Plastikboot beim Kreisen zu beobachten. Aber ich sagte nichts.
    Als Eddy so weit war und endlich die Zierbänder um das Autopaket binden konnte, hatte ich bereits das Plastikboot, einen mannshohen Bagger für den Sandkasten und eine quietschbunte Wanduhr, die zu jeder vollen Stunde elektronisch eine andere Vogelstimme von sich gibt, in Elefanten-, Mäuse und Hundepapier gewickelt und auf den Stapel gepackt.
    »Möchtest du auch etwas trinken? « Meine Zunge pappte am Gaumen und meine Finger schmerzten. Eddy schüttelte nur den Kopf.
    »Erst die Arbeit«, sagte sein Blick. Es war jener Blick, mit dem er seine Angestellten bedenkt, wenn die auf einer Baustelle zur Unzeit Lust auf ein Bier bekommen.
    »Ich hole mir ein Glas Wasser«, sagte ich laut. Eddy schien mich nicht zur hören. In seiner Hand wog er ein winziges Paket, kaum größer als eine Streichholzschachtel.
    »Mit diesen elektronischen Teilen kann man einen selbst gebauten Roboter zum Laufen bringen«, sinnierte mein Mann. Als ich mich an den Spielsachen, die sich auf dem Boden türmen, vorbeischlängelte, stieß ich mit dem Fuß ein Paket um. Der Plastikroboter in seinem Karton knallte auf den Boden.
    »Hoppla«, flötete ich. Ich ahnte, dass der Roboter in einem gemütlichen Nest aus Styropor eingekeilt war und dass ihm selbst ein Sturz aus zwei Metern Höhe nichts anhaben konnte. Eddy ließ dennoch die Elektronikteile auf den Tisch fallen und hastete zum Roboter. Ich stieß die Küchentür mit dem Fuß zu. Leider knallte sie nicht so laut, wie ich es in diesem Moment gerne gehabt hätte. Durch die geschlossene Türe hörte ich, wie Eddy mit Geschenkpapier raschelte. Kartons stapelte. Klebeband abrollte und leise summte, wenn ihm eine besonders schöne Schleife gelang.
    Es dauerte zwei Stunden, bis ich mein Wasserglas ausgetrunken hatte. Im Radio spielten sie Balladen. Celine Dion besang den Untergang der Titanic. Als das Schiff gesunken war, öffnete ich die Tür. Vorsichtig, nur einen kleinen Spalt. Ich schielte um die Ecke. Auf dem Esstisch stapelten sich Papierschnipsel, ein Stück blaues Geschenkband hatte sich auf den Lampenschirm verirrt. Keine Spur von Eddy.
    Ich schlich ins Wohnzimmer. Sorgfältig der Größe nach geordnet standen Dutzende bunter Pakete vor dem Sofa. Mitten auf dem Ohrensessel thronte ein dicker, brauner Bär. Eddy war nirgends zu sehen.
    Ich zog dem Bär die rote Schleife am Hals zurecht und löschte das Licht. Unter der Tür des Kinderzimmers drang ein schmaler Lichtstreifen in den Flur. Vorsichtig drückte ich die Klinke herunter.
    Eddy kniete vor dem Bett des Kleinen. Leise trat ich hinter meinen Mann und legte ihm die Hände auf die Schultern. Er seufzte wohlig, als ich seinen verspannten Nacken massierte. Unser Sohn schmatzte leise im Schlaf und ballte seine winzigen Fäustchen.
    »Ob er weiß, dass morgen Weihnachten ist? «, flüsterte Eddy.
    »Ganz bestimmt«, sagte ich und hauchte ihm einen Kuss in den Nacken. Ich schloss die Augen und stellte mir vor, wie der Kleine morgen früh auf den großen Teddybären zukrabbelt. Wie er seine babyspeckigen Händchen in die Schleifen auf den Geschenken krallt. Wie er sich an dem Karton mit dem Sandkastenbagger hochzieht, einen Moment auf den wackeligen, krummen Beinchen stehen bleibt, ehe er auf seinen Windelpopo fällt. Wie er mit seinem zahnlosen Mund lächelt, wie nur mein Sohn lächeln kann, ehe er das Geschenkpapier von den Kartons zu nagen beginnt.
    »Lass und schlafen gehen«, sagte ich zu Eddy. »Wir haben morgen einen anstrengenden Tag«. Schließlich feierte mein Sohn nur einmal im Leben sein erstes Weihnachtsfest.
    Eddys Augen leuchteten auf. »Ich habe im Katalog ein Bonanzarad gesehen. So eins, wie ich als Kind immer haben wollte. Was meinst du, sollen wir das schon mal für Ostern bestellen? «


    Silke Porath (geänderte Version eines Textes aus „Das tut MANN nicht“, Tr!o Subversiv, erscheint März 2009)