"Unter Einzelgängern" - Familienroman

  • Klappentext:
    Angela und Erich (die Eltern), Simon und Katrin (die Kinder) – sie sind das, was man eine Familie nennt. Doch Angela stürzt, führt das letzte Gespräch ihres Lebens mit einer Wollmaus und verabschiedet sich dann für immer. Erich joggt nun um sein Leben, Katrin flüchtet sich in eine verbotene Liebe und Simon beginnt zu schreiben, um eine neue Familiengeschichte zu erfinden (das Buch im Buch).
    Das tragikomische Schicksal einer Familie, die ebenso viel trennt wie zusammenhält, einer Familie, in der vieles und sogar ein roter Fleck unter den Teppich gekehrt wird, ein Parfum namens ›en passant‹ einfach nicht loszuwerden ist und ein gewisser Philipp Thelen den Gemütern keine Ruhe schenkt. Aber was bedeutet das eigentlich: Familie? Und reichen vier Einzelgänger überhaupt aus, um von einer solchen zu sprechen?


    Meine Meinung:
    Immer wieder machen sich Literaturkritiker Sorgen um den deutschen Nachwuchs. Immer wieder werden deutschen Debütanten die anglo-amerikanischen Debütanten-Kollegen vorgehalten, die so viel aufregender, so viel unterhaltender und vor allem: Mit so viel mehr "Plot" erzählen. Das mag in manchen Vergleichsfällen sicher richtig sein, aber für mich trifft das auf Christopher Kloebles Debüt "Unter Einzelgängern" nicht zu. Was der Autor auf knapp 180 Seiten an Aufregendem, an "Mehr" erzählt, das ist nicht nur von der dramaturgischen Gesamtkomposition her brillant umgesetzt, sondern war für mich auch noch ein Lesevergnügen der besonderen Art.


    Ich habe schon lange keine Familiengeschichte mehr gelesen, die mit so vielen originellen und "lebensechten" Details erzählt worden ist. Auch der Humor kommt trotz der Tragik - die Mutter Angela stürzt zu Beginn des Romans im Flur und stirbt an den Folgen dieses Sturzes, in der Familiengeschichte von Simons Freundin Miriam gibt es einen toten Bruder, usw. - nicht zu kurz. Kloeble erzählt mit viel Wort- und Szenenwitz und sehr oft habe ich schallend gelacht. Allein die Idee, dass eine Wollmaus die im Flur liegende, bewegungsunfähige Angela mit letzten, unliebsamen Wahrheiten konfrontiert, war für mich ein absolutes Lesehighlight in diesem Jahr.


    Dass dieser junge Autor außerdem Drehbücher und Theaterstücke schreibt, merkt man den plastischen Szenen und Bildern an, die er erschafft: Hier wird kein Platz verschenkt, hier wird dicht und schnell und auf den Punkt hin erzählt. Und das verleit dem Roman eine ganz eigene, atemlose Atmosphäre, die das Spiel verstärkt, das der Autor um Realität und Fiktion innerhalb dieser doppelten und doppelbödigen Familiengeschichte betreibt: Simon, der Sohn von Angela, studiert am Leipziger Literaturinstitut und leidet seit dem Tod der Mutter unter einer Schreibblockade. Als er sich in Miriam verliebt und ihre Familiengeschichte kennen lernt, benützt er diese, um (s)eine eigene fiktive Familiengeschichte zu schreiben, in die sich immer wieder Details aus seiner Familiengeschichte bzw. den Schilderungen der anderen Familienmitgliedern mischen.


    Besonders beeindruckt hat mich, wie dieser junge Autor (jetzt meine ich Kloeble, und nicht Simon, den Autoren aus dem Roman) in seine Figuren schlüpft und jeder einzelnen gerecht wird - auch Erich, dem Vater, der bei mir zuerst keinen leichten Stand hatte. Kloeble reichen wenige Situationen, um seine Figuren lebendig und vielschichtig zu zeichnen, und gerade das sorgt dafür, dass man sich viele Szenen einprägt.


    Erzählt wird der Roman mit einer schönen, klaren Sprache, die einen wunderbar leichtfüßigen, fließenden Rhythmus besitzt und für mich perfekt zu der "Leichtfüßigkeit" passt, mit der der Autor seine Geschichte(n) erzählt.


    Einziger kleiner Kritikpunkt, dem aber auch mein eigener Lesegeschmack zugrunde liegt: An manchen Stellen waren mir die Dialoge der Kinder in Simons Manuskript etwas zu pointiert. Aber das mag jedem Leser anders gehen und schmälert die Qualität dieses Debüts in keinster Weise.


    Mein Fazit: Ein umwerfendes Debüt, das den Jürgen-Ponto-Debüt-Preis meiner Meinung nach mehr als verdient hat. Und vor allem: Ganz viele Leser.