Es war nicht Kolumbus - Tony Horwitz

  • Es war nicht Kolumbus: Die wahren Entdecker der Neuen Welt - Tony Horwitz


    Auch wenn der Titel anderes vermuten lässt: Dieses Buch erhebt nicht den Anspruch, Lehrmeinungen über den Haufen werfen zu wollen, oder sensationell Neues entdeckt zu haben. Vielmehr schließt es eine Lücke, die gar nicht als Lücke wahrgenommen wird:
    Bei einem Besuch in Plymouth, an der legendären Anlegestelle der Mayflower, welche für die Amerikaner offensichtlich ein Nationalheiligtum ist, fiel dem Autor auf: Irgendwie klafft bei ihm da eine Bildungslücke. 1492 traf Kolumbus auf Amerika, 1621 kamen die Pilgrims, die legendären Gründerväter der USA. Und was war dazwischen? In gewisser Weise ist dieses Buch ein Roadmovie: Horwitz begibt sich auf die Reise, besucht in Neufundland die Wikingersiedlungen, bereist die dominikanische Republik auf den Spuren Kolumbus' und folgt dann den meist blutigen Spuren spanischer und franzöischer Abenteurer, die Nordamerika erobern wollten. Er spricht mit gleichgültigen Museumswärtern in der Dom Rep, eigenbrötlerischen Historikern in Florida, Mitgliedern pietistischer Geschichtsvereine in Virginia und Nachfahren der Indianer in Maine und beschreibt auf köstliche Art und Weise, wie sein Bild der Amerikawerdung langsam erodierte.
    Ohne sich zu sehr in Details zu verlieren, aber dennoch anschaulich und gründlich recherchiert erzählt Horwitz, was in dieser Zwischenzeit geschah, die so gar keine Spuren in den amerikanischen Schulbüchern hinterlassen hat. Warum die frühen Kolonisatoren scheiterten, aber auch, wie sie den Weg für den amerikanischen Gründungsmythos ebneten, der die Geschichte Amerikas so einseitig aus der Perspektive der WASPs darstellt.
    Stück für Stück entblättert er, wie es wirklich war, wie der jeweilige Zeitgeist die verschiedenen Kolonisatoren beeinflusst hat, warum so viele Versuche, in Amerika Fuß zu fassen, scheiterten. Dabei werden die historischen Akteure weder verdammt noch glorifiziert, sondern als Agierende in ihrem zeitgeschichtlichen Kontext dargestellt, mit Stärken und Schwächen. Dabei räumt Horwitz mit so manchem Vorurteil auf, zeigt aber auch, wie diese Vorurteile entstanden.
    Auch die Rolle der Indianer wird m. E. sehr ausgewogen dargestellt. Obwohl seine Sympathien deutlich auf indianischer Seite liegen, überhöht er sie nicht als die „Edlen Wilden“ oder verfällt gar in esoterische Schwärmerei. Auch sie sind in erster Linie Menschen in ihrer Zeit, nicht nur Opfer, sondern auch starke und grausame Kämpfer, die sehr oft die Oberhand behielten, bis sie schließlich einmal, und dann leider endgültig, unterlagen.


    Ich interessiere mich eigentlich nicht sonderlich für die amerikanische Siedlungsgeschichte oder die Entstehung des amerikanischen Traumes. Indianer habe ich genaugenommen überhaupt nicht auf dem Schirm. Es spricht für die Qualität dieses Buch (keine Ahnung, wie es auf meinem SUB landen konnte), dass ich es innerhalb dreier Tage weggeschmökert habe, einige Lösungen zu Dingen, die ich mich schon immer gefragt habe, finden konnte, und sogar einige Parallelen zur derzeitigen „Finanzkrise“ erkennen konnte.


    Vielleicht ist dieses Buch für Leute, die sich ausgiebig mit der Geschichte Amerikas auskennen, zu oberflächlich, vielleicht werden Menschen, die die Details der Geschichte der Indianer genau kennen, mehr Detailinformation wünschen. Für meinen Wissensstand, der in dieser Beziehung sicherlich durchschnittlich ist, war diese Buch genau das Richtige.
    Horwitz erzählt Geschichte als Geschichten im besten Sinne, pointiert, witzig, nachdenklich. Und obwohl James Cook mich noch viel weniger interessiert als Amerikas Siedlungsgeschichte, bin ich versucht, mir dieses Buch auch noch zu Gemüte zu führen.


    Über den Autor
    Tony Horwitz, geboren in Washington, D.C., war Auslandskorrespondent für das Wall Street Journal, Autor des New Yorker und ist 1995 mit dem Pulitzerpreis ausgezeichnet worden. Seine viel gerühmte Biografie über James Cook, 2004 im marebuchverlag erschienen, war in den USA ein Bestseller. Der Autor lebt mit seiner Familie in Massachusetts.

    Menschen sind für mich wie offene Bücher, auch wenn mir offene Bücher bei Weitem lieber sind. (Colin Bateman)