'Herz der Finsternis' - 2. Kapitel

  • Heute habe ich das 2. Kapitel beendet, und so langsam kommen das Buch und ich uns näher... Die "Sogwirkung" mag sich noch immer nicht recht einstellen, aber so langsam sehe ich während des Lesens Bilder vor Augen und kann mir die Szenerie besser vorstellen. Was mich noch etwas stört ist, dass die Schilderungen von Marlowe auf mich zu grössten Teil doch etwas emotionslos oder abfällig wirken.
    Und so manche Sätze trieben mit mal wieder die Wut in den Bauch!

    Zitat

    "Wenige Monate der Abrichtung hatten bei dem wirklich feinen Kerl genügt." S.60


    Das Wort "abrichten" kommt im Zusammenhang mit Menschen nochmals vor, ich frage mich ob das in dieser Zeit wirklich so klassifiziert wurde. Weisse als Menschen 1. Klasse und Schwarze als "abgerichtete Arbeitstiere?", so wirken diese Schilderungen auf mich!Und das macht mich unglaublich wütend, ich bin erstaunt darüber welche Emotionen dieses Buch in mir auslöst!
    An dem zitierten Satz gefielen mir die Worte "feiner Kerl" und ich dachte: Hey, der Herr Marlowe scheint ja doch sowas wie Achtung für andere Menschen ( in diesem Fall schwarze Mitmenschen) zu haben, aber HA! Seiten später wurde ich eines besseren belehrt!

    Zitat

    "Vielleicht werdet ihr dieses Bedauern für einen Wilden übertrieben finden, der ja ebenso unwichtig war wie ein Sandkorn in der Sahara."S.84
    " Dann kippte ich ihn ohne alle weiteren Förmlichkeiten über Bord."S.84


    Ansonsten war ich froh das etwas Leben in die Geschichte kommt, wie etwa der Abgriff, das Sterben des Steuermanns ( was ich sehr eindrücklich beschrieben fand) und dieser Schrei aus dem Nebel... Die Vorstellung, das sich tatsächlich Kannibalen an Bord befinden, finde ich persönlich etwas beklemmend... Zum Glück befinde ich mich nicht auf diesem Schiff.
    Ich bin gespannt was es noch mit dem Buch auf sich hat, welches Marlowe gefunden und schliesslich seinem Besitzer zurückgegeben hat.Was hat es mit den kyrillischen Randnotizen auf sich? Und nachdem ständig die Rede von Herrn Kurtz ist, möchte ich ihn doch endlich kennenlernen!

  • Das Menschenbild in der Kolonialzeit war natürlich anders. Die Menschen dort waren genau wie die Rohstoffe ein Teil des Landes, das Gewinn bringen musste und den " zivilisierten" Menschen Annehmlichkeiten und Wohlstand bringen sollte. Marlow, der ja in dieser Zeit erzogen wurde, eine völlig andere Meinung zuzuschreiben, würde ich unglaubwürdig finden. Ich hatte aber schon das Gefühl, dass ihn die Szene mit dem "schattenspendenden Baum des Todes" im ersten Kapitel berührte. Und auch die Kannibalen "sieht er mit anderen Augen" und bemerkt im Vergleich, "welchen abstoßenden Anblick die Pilger boten."


    Die Fahrt duch den Urwald hatte für mich etwas beängstigendes, fast schon klaustrophobisches. "...wie eine Rückkehr zu den Urzeiten der Welt, als Pflanzen die Erde überwucherten und die großen Bäume Herrscher waren." Dann noch der Nebel, die Schreie und die Angriffe, wirklich eine extrem dichte Atmosphäre, die Conrad da herauf beschwört.


    Die spannende Frage nach Mr. Kurtz bleibt auch im zweiten Kapitel offen, es gibt aber eine vielzahl an Hinweisen auf ihn, die mich neugieriger, aber auch ablehnender gemacht haben. Er soll eine außergewöhnliche Redegabe besitzen und zu überzeugen wissen. Er hat eine Abhandlung geschrieben, die nur Therorie ist (Weiße = Götter, die nur Gutes bringen) und ihn der Doppelmoral überführt ("sämtlich ausrotten, die Hunde"). Und er scheint unter Größenwahn zu leiden: "Meine Braut, mein Elfenbein, meine Station, mein Fluß..., alles gehörte ihm." #Obwohl ich bei dieser Aussage zunächst lachen mußte, da ich spontan an eine bestimmte Fernsehwerbung dachte.# Trotzdem wollen ihn die Einwohner nicht gehen lassen.


    Ich bin also weiterhin sehr gespannt...

  • Ich habe eben auch das zweite Kapitel beendet und ich muß doch sagen, daß die Geschichte mich in ihren Bann gezogen hat und auch sehr flüßig geschrieben ist.
    Außerdem wählt Conrad eine Sprache, die einen wirklich sehr gut in den Urwald versetzt. Die dortige Atmosphäre ist sehr gut spürbar und nachzuempfinden.
    Mehr dann später, weil ich gerade wenig Zeit habe.


    Veranlaßt, hier mal kurz zu schreiben, hat mich siwas Beitrag und der vorletzte Satz, denn bei dem mußte ich auch spontan daran denken, wer denn da wohl für die Werbung bei Conrad abgeschrieben hat :grin

  • Zitat

    Original von siwa
    Das Menschenbild in der Kolonialzeit war natürlich anders.


    Das ist mir durchaus bewusst, ich bin nur schockiert wie "klar"es hier zum Ausdruck kommt.
    An die Fernsehwerbung musste ich auch denken :grin

  • Oh ja, der Mann kann schreiben. Die Stille, die alles erstickende Stille des Waldes, ist ungemein beklemmend, und ich habe das Gefühl, dass alles, was geschieht, vor dieser alles absorbierenden Kulisse nichtig ist. Was auch passiert, der Wald wird es verschlucken, verschlingen, lautlos, emotionslos ... puh.
    Kurtz bleibt geheimnisvoll, aber es schält sich langsam eine Ahnung aus dem Dunkel, auch Marlows Obsession mit Kurtz beginne ich besser zu verstehen: Seine Redegabe, "der kraftvolle Strom des Lichts oder die trügerische Flut aus dem Herzen einer undurchdringlichen Finsternis". (Anaconda, Seite 86)


    Was mich aber in diesem Abschnitt am nachhaltigsten beschäftigt hat, ist Marlows Beschreibung des Wesens des Menschen, und zwar nach seiner Begegnung mit den am Ufer tanzenden Afrikanern, die Conrad seinen Marlow nur zögerlich als menschliche Wesen anerkennen lässt. Marlow sind die tanzenden Wilden widerwärtig, doch er ist in der Lage, den Kern zu erkennen, die menschlichen Triebfedern Freude, Furcht, Trauer, Verehrung, Tapferkeit und Wut, Eigenschaften und Emotionen, die ALLEN innewohnen. Alles andere sei "angelernter Kram, Hüllen, hübsche Fetzen – Fetzen, die bei der ersten besten Gelegenheit abfallen." (Anaconda, Seite 65/66). Zu Conrads Zeit dürfte diese Einstellung beinahe subversiv gewesen sein.

  • So – jetzt bin ich auch am Ende des zweiten Kapitels und damit an der geheimnisvollen „inneren“ Station angelangt... Der Mittelteil des Buches handelt von nichts anderem als der quälend langsamen, kräftezehrenden, ahnungsvoll-gefährlichen Reise Marlows zu Kurtz. Der Erzähler hat seine Einstellung gegenüber dem ungewöhnlichen Leiter des Vorpostens offenbar radikal geändert: „Hang Kurtz“ schießt es ihm noch in der Mitte des ersten Kapitels durch den Kopf. Erst an dessen Ende gerät er ins Grübeln. Zu Beginn des zweiten Kapitels sieht Marlow der baldigen Begegnung schon „erwartungsvoll“ entgegen, bekennt später, dass er die Reise im Grunde ausschließlich Kurtz´ wegen unternimmt. Am Ende, kurz vor der Ankunft an der inneren Station, erfahren wir schließlich von Marlows extremer Niedergeschlagenheit und Trauer angesichts der Befürchtung, dass Kurtz tot sei – er meint zu diesem Zeitpunkt tatsächlich, den Glauben verloren zu haben, das „Ziel seines Lebens“ nicht mehr erreichen zu können.


    Was hat es mit diesem Mr. Kurtz auf sich, der sich in kürzester Zeit zum zentralen Bezugs- und Orientierungspunkt, zum „Fixstern“ auf Marlows Reise in den Kontinent entwickelt hat? Ein bis dahin unbekannter Angestellter einer belgischen Handelsfirma, ein Menschenschinder wie jeder andere Europäer dort auch? Warum vermutet Marlow ausgerechnet bei Kurtz die Antwort auf seine zentralen Fragen? Die Zusammenhänge sind mir an dieser Stelle noch nicht vollständig klar.


    Und was ist das für eine Reise, zu der sich Marlow aufgemacht hat? Eine Erkundungsfahrt auf einem der größten Flüsse der Erde, dem zweitgrößten Strom Afrikas, zweifellos. Aber zugleich ist es eine Reise „zurück“, in die Erd- und Menschheitsgeschichte, zu den Anfängen der Zivilisation. An einen Ort, dessen Naturgewalt so mächtig von allen Dingen Besitz ergreift, dass dort alle Errungenschaften des Menschen, der Technik und der Kultur unbedeutend und vergänglich erscheinen (so wie Towsons Werk über die maximale Belastbarkeit von Wasserfahrzeugen allmählich in einer Bambushütte vermodert). Und schließlich: eine Reise nach innen, in die eigene Innenwelt, die nicht mehr vom Verstand geleitet oder beherrscht wird. An einen Ort, wo undurchsichtige Gesetze herrschen. Was verbirgt sich hinter der Nebelwand? Warum fressen uns die Kannibalen nicht auf? Während Marlow mit aller Kraft versucht, sein Schiff nicht zu beschädigen, es „an der Oberfläche“ zu halten, dringt er, so scheint es, zugleich unaufhaltsam in darunter liegende Schichten vor. Möglicherweise ist der geheimnisvolle Mr. Kurtz auf diesem Weg zu weit gegangen.