Thomas Mann und sein Werk - Hermann Stresau

  • S.Fischer Verlag, 1963, 285 Seiten


    Handlung:
    In seiner Interpretation versucht der Verfasser vor allem die Hauptmotive in den Romanen und Erzählungen Thomas Manns herauszukristallisieren.


    Über den Autor:
    Hermann Stresau wurde 1894 geboren und verafsste mehrere Monographien über Schriftsteller: Joseph Conrad, Ernest Hemingway, G. B. Shaw, Thornton Wilder, Heinrich Böll, Thomas Mann, Christian Grabbe und andere


    Rezension:
    Dieses Buch ist schon etwas älter und neuere Erkenntnisse über Thomas Mann, die vor allem aus dessen Tagebüchern entstammen, sind hier nicht enthalten. Dafür hat dieses Buch einen zeitlich näheren Bezug zu Thomas Mann und ist insgesamt unvorbelasteter.


    Es beginnt mit einem Lebensumriss, dann zum epischen Formproblem und Geist und Leben Thomas Manns.
    In dem 4. Kapitel „Präludien“ beschäftigt sich Hermann Stresau mit Thomas Manns ersten Kurzgeschichten, die als erste Sammlung von 5 Kurzgeschichten unter dem Titel Der kleine Herr Friedemann erschien. Darin waren außer der Titelgeschichte auch Bajazzo, Luischen, Enttäuschung, Tobias Mindernickel enthalten.
    „Alle Diese Erzählungen hatten es mit Menschen zu tun, die mit dem Leben nicht zurechtkommen, das Gleichgewicht verloren hatten und bei ernsthafter Berührung mit dem Leben zusammenbrachen.“ (S.49)
    Stresau betont, dass man sich vom dem kalten Unterton in TMs präzisen Stil nicht täuschen lassen soll, er stellt diese benachteiligten Personen nicht unbeabsichtigt in den Vordergrund. Und er hebt Thomas Manns Illusionslosigkeit lobend hervor.


    Lange beschreibt Stresau dann in dem Kapitel Buddenbrooks die Handlung des Romans mit Schwerpunkt auf die Degeneration der Familie über Generationen, in der erhöhten Musikalität Hannos erfolgt die letzte Stufe der Entbürgerlichung. Stresau erkennt aber, dass nur die Männer in der Familie von diesem Verfall betroffen sind.


    Ausführlich behandelt Stresau dann die Schriftsteller-Novellen.
    Er geht dabei von der These aus, dass Richard Wagners Musik auf Thomas Manns Stil und Symbolismus großen Einfluss hatte. Insbesondere auf seine frühen Werke. Auch inhaltlich finden sich die Motive wieder. Nicht umsonst heißen die ersten dieser Novellen Wälsungenblut und Tristan.
    Tonio Kröger folgt. „Die Form des Tonio Kröger ist die einer Elegie.“ Seite 93.
    Dann kommt Tod in Venedig, die wohl bekannteste Novelle von Thomas Mann. Trotzdem ist die Geschichte Gladius Dei, die bei Stresau ein eigenes Kapitel bekommt, in dem aber auch das einzige Drama „Fiorenza“ Erwähnung findet, da es motivisch zwischen Novelle und Drama enge Beziehungen gibt.


    „Ein strenges Glück, das aus Hoheit und Liebe besteht.“ (S.106) heißt es im Kapitel Das strenge Glück, das den Roman Königliche Hoheit zum Inhalt hat.
    Dann geht es weiter mit Der Zauberberg, dem er sich in aller Tiefe widmet.
    Hier wie auch durchgängig bei allen Kapiteln stellt Stresau mit großer Logik Zusammenhänge zwischen Motiven unterschiedlicher Werke Thomas Manns her, in diesem Fall z.B. auch Die Betrachtungen eines Unpolitischen, Manns berühmtes Essay dieser Zeit. Auch Gesang vom Kindchen und Herr und Hund bleiben nicht unerwähnt.


    Im zehnten Kapitel „Im reinen Osten“ wendet sich Stresau Joseph und seinen Brüdern zu. Diese Besteht aus Jakobs Geschichte, Der junge Joseph, Joseph in Ägypten und Joseph der Ernährer.
    In diesem großen Werk flossen Manns große Interessen zur Religionshistorischen und Mythischen ein.


    Zwischendurch wird auch immer wieder auf Manns Essays eingegangen, z.B. „Goethe und Tolstoi“.


    Lotte in Weimar (Kapitel 11) hält Stresau überraschenderweise für einen Mussgriff.


    Nachdem er noch ausführlich auf Dr.Faustus und (auf das heitere Märchen) Der Erwählte sowie auf die Freiheit des „Krull“ einging, schließt er mit einer Schlußbetrachtung.


    Bemerkenswert, wie viel Hermann Stresau in sein Buch einbringen konnte. Seine Interpretationen beziehen sich fast ausschließlich auf und aus dem Werk und nicht aus der Persönlichkeit und Psychologie Thomas Manns. Damit unterscheidet er sich von zeitgenössischen Biographen. Das macht einen unbelasteten Eindruck und es ergibt sich eine größere Objektivität.
    Herausragend sind die Abschnitte über Thomas Manns Kurzgeschichten und Novellen, die bei anderen Werkbetrachtungen gerne vernachlässigt werden.
    Die Zusammenhänge, die Stresau aufzeigt sind schlüssig und informativ. Sie erleichtern den Zugang auch zu Thomas Manns schwierigeren Werken.

  • Habe dieses Buch vor langen Jahren mit Interesse und Gewinn gelesen. Es ist gewiss sorgfältig, klug und sehr inspiriert geschrieben. Allerdings überzeugt es mich nicht, wie Sie hier die frühere Literatur über Mann gegen die jetzige stellen. Thomas Mann ist seit Stresau als Person wie als Schreibender viel deutlicher ins öffentliche Bewusstsein geraten, z.B. durch die Tagebücher. Das kann und soll sich auch in der Sekundärliteratur widerspiegeln. Die von Ihnen propagierte "unbelastete Objektivität" ist eine freundliche Umschreibung für etwas, das nach meinem Dafürhalten weder im Sinne Th. Manns noch der Rezeption seiner Werke ist. Denken wir auch an die Breloersche Filmbiographie. Auch sie wäre ohne das neuere Schrifttum nicht möglich gewesen. Im Ergebnis ist der Autor heute populärer als vor vierzig Jahren, eine erfreuliche Entwicklung. - Arno Abendschön