OT: The Zebra-Striped Hearse 1962
Lew Archer ist eigentlich in sein Büro gekommen, um sich mit einem neuen Klienten zu treffen. Doch statt Colonel Blackwell wartet dessen Frau auf ihn. Archer ist irritiert, umso mehr, weil ihm etwas passiert, das er an sich am wenigsten leiden kann. Er verliebt sich in sie. Trotzdem schafft er es noch, sich anzuhören, was sie ihm zu sagen hat. Sie kam nicht an Stelle ihres Mannes, sondern um Archer ihre Seite des Problems darzulegen, mit dessen Lösung ihr Mann Archer gleich beauftrage wird. Colonel Blackwells Tochter aus erster Ehe, Harriet hat sich mit einem Mann eingelassen, den sie unbedingt heiraten will. Mrs. Blackwell ist der Ansicht, daß Harriet genau das tun soll. Colonel Blackwell ist der Ansicht, daß der junge Mann ein Betrüger ist, nur auf das Geld seiner Tochter aus. Was kann man von einem Maler schon anderes erwarten!
Seltsam fasziniert von den Verwicklungen dieser Geschichte, neugierig auf den Maler und nicht bereit, Mrs. Blackwell gleich wieder aus seinem Kopf zu verbannen, nimmt Archer den Auftrag an.
Ein erster Besuch bei dem jungen Maler, Burke Damis, überzeugt Archer davon, daß dieser entgegen den Behauptungen des Colonels sehr wohl malen kann. Auch ist die Zuneigung Harriets mehr als deutlich. Die Beziehung von Damis zu ihr aber scheint nicht Liebe als Grund zu haben. Reine Geldgier liegt aber auch nicht so ganz in Damis’ Art. Und dann ist da noch der Kulturbeutel in Damis’ Badezimmer, der Initialen trägt, die nicht zu seinem Namen passen. Archer hängt endgültig am Haken.
Seine Nachforschungen führen ihn bis nach Mexiko. Der Schlüssel des Rätsels, zu dem bald auch noch zwei Tote gehören, liegt in der Familie Blackwell.
Dieser Roman von Macdonald enthält sehr viel weniger Sozialkritik als seine anderen Bücher mit Lew Archer. Er ist in erster Linie Kriminalroman. Es werden Fährten gelegt, Indizien gestreut, Ablenkungsmanöver gefahren. Man ist als Leserin stets dicht bei Archer als Detektiv, als Fährtensammler, Fragensteller und Antwortensortierer. Man folgt seinen Gedankengängen, er ist nie sehr viel weiter als die Leserin, er behält nichts Wesentliches für sich. Man ist eingeladen zum Mitraten.
Diese Offenheit gegenüber Leserinnen und Lesern ist zugleich das Zeichen dafür, daß Archer sich für einmal auch vor sich selbst nicht zurücknimmt. Er beherrscht sich kaum. Er handelt nach Vorlieben und Abneigungen, die oft nur auf Eingebungen den Moments beruhen. Er hastet sich ab, weil er den Fall und damit seine unselige Verliebtheit loshaben will, aber der Fall läßt ihn nicht los, ehe er gelöst ist. Er ist ständig unterwegs, zwischen Los Angeles, Lake Tahoe und Mexiko, im Auto, im Taxi, im Flugzeug. Die Hektik trägt zur Spannung bei.
Archer geht bis zum Äußersten, um seiner Gefühle Herr zu werden, in einer selten grausamen Szene, in der er Mrs. Blackwell mit Resultaten konfrontiert in einer Art, aus der nicht ganz herausgeht, ob sie eine Mörderin ist oder ob er nicht gerne hätte, daß sie eine sei, nur um sich seinen Liebesgefühlen nicht länger stellen zu müssen.
Aber es geht eben um Liebe in diesem Roman, um die Liebe zwischen Eltern und Kindern, Männern und Frauen. Die Beziehungen sind positiv und negativ, gleichzeitig schwarz und weiß, wie dicke Streifen ziehen sie sich durch das Leben der Protagonisten. Der alte mit Zebramuster verzierte Leichenwagen, in dem eine kleine Gruppe von jungen Leuten, Surfer und zugleich eine frühe Form von Hippies, ihr Strandleben führt und dem Archer immer wieder einmal begegnet, ist ein etwas plattes, aber durchaus passendes Bild für die gesamte Gefühlslage, die die Geschehnisse prägt.
Die Charaktere sind feingezeichnet, mit viel Sympathie, selbst für die negativen und die Versager. Für einmal erfährt man auch einiges über Archers Bekannten - und Freundeskreis, er ist nicht das einsame Teilchen, das durch den Kosmos fliegt, sondern Teil eines Beziehungsgeflechts. Beziehungen sind eben auch ein Thema dieses Buchs.
Die Zusammenhänge, die zur Auflösung der Mordfälle führen, sind letztlich ganz einfach, wie es sich für einen wirklich guten Krimi gehört. Man hatte tatsächlich alles schon vor Augen, aber die Geschicklichkeit des Autors hat verhindert, daß man es richtig zusammensetzte. Wie es sich für einen guten Krimi gehört.
Die Auflösung ist, typisch für Macdonald, dreigliedrig. Man denkt, daß die Lösung gefunden ist und wird doch enttäuscht, weil sich gleich darauf eine zweite Lösung abzeichnet. Die ist so ausführlich und logisch präsentiert, daß sie nur falsch sein kann. Und tatsächlich, erst im dritten Anlauf fallen die Puzzleteilchen an ihren richtigen Platz.
Das Ende bringt Glück und Unglück zugleich, Schwarz neben Weiß. Archer wird nicht glücklich, aber immerhin kann er noch jemanden glücklich machen. Auch das gehört zum Job.
Ein sehr empfehlenswerter Krimi, schade, daß er auf deutsch nicht mehr lieferbar ist. Offenbar hat er es nicht einmal in die alte Diogenes-Reihe geschafft.