Aus der Nacht – Cécile Wajsbrot

  • Liebeskind, 2008, 219 Seiten
    Originaltitel: Mémorial
    Aus dem Französischen von Sabine Müller und Holger Fock.


    Kurzbeschreibung:
    Eine junge Frau steht auf einem Bahnsteig und wartet auf ihren Zug. Sie will nach Osten reisen, nach Polen, in jene Stadt, die ihre Großeltern einst verlassen hatten und die für sie nur mehr eine ferne Abstraktion ist. Dort hofft sie, Licht in die von Leid geprägte und später verdrängte Geschichte ihrer Familie zu bringen. Doch bald schon melden sich in ihrem Innern die Stimmen der Vergangenheit und beginnen einen schmerzvollen Dialog mit der Gegenwart. Cecile Wajsbrot beschreibt das Schicksal einer Frau, die sich nicht damit abfinden will, dass ihren Fragen nach früher stets mit Schweigen begegnet wird.


    Zur Autorin:
    Cecile Wajsbrot, 1954 in Paris geboren, studierte Literaturwissenschaften und arbeitete anschließend als Französischlehrerin und Rundfunkredakteurin. Heute lebt sie als freie Schriftstellerin abwechselnd in Paris und Berlin.


    Meine Meinung:
    Eine Französin reist auf der Suche nach Vergangenheit mit den Zug von Paris in die polnische Stadt Kiece, aus der ihre Familie stammte. Einige aus ihrer Familie wurden damals als Juden umgebracht, andere haben Polen verlassen.


    Ein imaginärer Stimmenchor dieser Verwandten begleitet die Frau auf ihrer Reise, genau wie die Schneeeule, die als Symbol mehrfach deutbar, als Prolog und zwischen den Teilen des Romans in eigenen Passagen auftaucht. Die Stimmen wollen nicht schweigen.
    Diese Form ergibt eine ungewöhnliche, schwer fassbare, aber auch faszinierende Erzählperspektive und eine bedrückend dichte Atmosphäre.


    Der Roman teilt sich in drei Abschnitte auf:


    1 Teil: sie wartet auf den verspäteten Zug, Ihre Anspannung und traumhafte Erstarrung ist von Anfang an spürbar.


    2. Teil: die Reise,
    auf der sie auch eine Frau trifft, die in Oswiecim lebt, dort sogar geboren wurde. Oswiecim, der polnische Name für Auschwitz, eine Industriestadt und ein Verkehrsknotenpunkt. Und natürlich trotzdem ein Name wie ein Schock, der erstarren lässt.
    Zitat Seite 97: „Keine Stadt auf der Welt wird zugleich so häufig und so wenig besucht, denn die Leute kommen nach Auschwitz und nicht nach Oswiecim, aber die Verdammung dieses Namen erstreckt sich auch auf uns, und wir irren durch die leeren Straßen, die voll des Abscheus und des Schmerzes der Besucher sind, und wir spüren, wie beides auf uns abfärbt.“


    3. Teil: die Ankunft.
    Die Protagonistin durchstreift die Stadt, die ihre Heimat hätte sein können und in der zum Scheitern verurteilten Absicht, Abschied zu nehmen, von denen, die fehlen.


    Aus der Aufteilung des Buches ergibt sich eine logische Abfolge und es entstehen viele philosophische Ansätze.
    Cécile Wajsbrot hat einen eigenen Stil, den ich vor dem Kritikervorwurf der FZ, er wäre zu glatt, in Schutz nehmen möchte.
    Der lyrische Stil ergänzt das Thema der Suche auf die Vorfahren und die Vergangenheit und macht den Roman zu etwas ganz besonderes und zeigt auch Cécile Wajsbrots Vielseitigkeit und Originalität.