Die Chaussee der Enthusiasten - Merle Hilbk

  • Kurzbeschreibung
    3,5 Millionen Menschen kamen in den 90er Jahren aus Russland nach Deutschland, geleitet durch die Hoffnung auf ein besseres Leben. Seither hat sich eine vielfältige und lebendige Szene aus russischen Kindergärten und Schulen, Sport- und Kulturvereinen, Anwaltskanzleien, Banken, Supermärkten, Bars und Diskos gebildet, in der es eigene Sitten und Regeln und sogar ein eigenes Idiom gibt, das »Russki Deutsch«. Nach ihrem grandiosen Debüt »Sibirski Punk« hat sich Merle Hilbk, nur mit Neugier und einer Straßenkarte bewaffnet, auf den Weg gemacht, um den wilden Osten mitten unter uns zu finden. Ob Datscha-Party, traditioneller Bardenklub oder die »Landsmannschaft der Russen in Deutschland« - dieses Buch zeigt alle Facetten des neuen deutsch russischen Lebens: abenteuerlich, berührend und brillant geschrieben.


    Über den Autor
    Merle Hilbk, Jahrgang 1969, ist nach Jurastudium und Redaktionstätigkeit bei »Spiegel« und »Zeit« als freie Journalistin in Russland und Osteuropa und als Journalismusdozentin an der »Hamburg Media School« tätig. Nebenbei legt sie in Bars und Clubs Russenpop auf. Bei AtV lieferbar: »Sibirski Punk. Eine Reise in das Herz des wilden Ostens« (AtV 2439-6).


    Meine Meinung
    Jeder kennt wohl diesen Effekt: die meisten Menschen können spontan die Himmelsrichtung nennen, in die es sie am meisten zieht. Merle Hiblks Himmelsrichtung ist eindeutig der Osten. Nachdem sie in ihrem ersten Buch, "Sibirski Punk", Russland erkundet hat, macht sie sich nun auf eine Reise kreuz und quer durch Deutschland, um den Osten im Westen, sprich Russen in Deutschland, aufzuspüren.


    Was sie zutage fördert ist ein unterhaltsamer und aufschlussreicher Überblick über die Vielfalt russischen Lebens in Deutschland.


    Sie besucht Spätaussiedler in ihren Wohnungen, deren Ausstattung schwankt zwischen Gelsenkirchner Barock und russischem Kitsch. Menschen, die ihre akademischen Karrieren in Kasachstan für ein Arbeiterdasein in Bayern geopfert haben und deren Kinder nun massenweise die deutschen JVA bevölkern.
    Sie spricht mit russischen Juden, die per „Judenticket“ nach Deutschland kamen, aber von den alteingesessenen jüdischen Gemeinden seh skeptisch empfangen wurden
    Und sie blickt auch hinter die Kulissen der Baden-Badener Villenviertel und Edelboutiquen, wo sich so manche (neu)reiche Russen niedergelassen haben.


    Russische (Sub)Kultur jenseits von Kaminers Russendisko ist die Klammer, die all diese höchst unterschiedlichen Geschichten zusammenhält, die einen Staunen macht, wie vielfältig und originell sich Russen eine eigene Lebenswelt erschaffen haben, um die Kluft zwischen ihrem früheren und jetzigen Leben in eine einigermaßen erträgliche Zwischenwelt zu verwandeln, wo sie die Vergangenheit nicht ganz abstreifen müssen aber dennoch im Hier und Jetzt ihren Platz finden, an dem sie "Heimat" letztlich ganz neu definieren.


    Hilbk berichtet mit einer derart rührenden Empathie von ihren russischen Entdeckungen, dass man ihr das eine oder andere Klischee und den manchmal allzu rosaroten Blick auf die Dinge gerne verzeiht. Witzig und augenzwinkernd erzählt, ließ sie mich so manche russische Eigenheiten unter einem völlig neuen Blickwinkel betrachten. Und sie versucht
    Und am Ende klappt man dieses mitreißende Buch zu und denkt: eigentlich echt nett, diese Russen (was ich, genau genommen, schon immer gewusst habe :grin)

    Menschen sind für mich wie offene Bücher, auch wenn mir offene Bücher bei Weitem lieber sind. (Colin Bateman)