Peter Prange - Die Gottessucherin

  • Allgemeines:
    767 Seiten
    Erschienen bei: DROEMER KNAUR
    ISBN-10: 3426197510
    ISBN-13: 9783426197516
    Erscheinungsdatum: 09.09.2009


    Buchrückentext:
    Darf man für die Liebe zu Gott die Liebe zu den Menschen opfern? Peter Prange erzählt die schicksalhafte Lebensreise der Gracia Mendes, einer der außergewöhnlichsten Frauen der europäischen Renaissance. Obwohl eine gläubige Jüdin, muss sie aus Angst vor der Inquisition wie eine Christin leben. Damit nicht genug, wird sie mit einem Mann verheiratet, der skrupellos Profit aus der Not seiner Not seiner Glaubensbrüder schlägt. Trotzdem wird der vermeintliche Verräter schon in der Hochzeitsnacht zur großen Liebe ihres Lebens. Unter der grausamen Gewaltherrschaft der Inquisition jedoch wird Gracia gezwungen, quer durch den brodelnden Kontinent zu fliehen. Die Reise der Gottessucherin beginnt, die Reise einer Kämpferin, die Königen und Päpsten die Stirn bieten wird…


    Über den Autor:
    Peter Prange (22. September 1955 in Altena) ist ein deutscher Schriftsteller.
    Peter Prange promovierte nach dem Studium der Romanistik, Germanistik und Philosophie in Göttingen, Perugia, Paris und Tübingen mit einer Arbeit zur Sittengeschichte der Aufklärung. Nach beruflichen Stationen in Wirtschaft und Wissenschaft lebt er als freier Schriftsteller mit seiner Frau und der gemeinsamen Tochter in Tübingen.


    Meine Meinung:
    Diese Worte bleiben haften!


    Bei keinem Kapitel ist je ein Gefühl der Langeweile aufgekommen.


    Auch große Zeitspannen überwindet der Autor fast unauffällig und mit großem Geschick. Die Geschichte reißt nicht etwa ab.


    Unverkennbarer Stil und in jeder Situation - egal ob skurril oder alltäglich - sprechen für Peter Prange. Zum Beispiel die Situation, als Gracias Ehemann den Tod fand, trieb mir die Tränen in die Augen. Man fühlte ihre Liebe und Trauer so allgegenwärtig, dass man selbst betroffen war.
    Er schafft es meiner Meinung nach, mit seinen Worten zu malen. Sie weigen den Leser so sanft und umschmeicheln ihn mit wundervollen, realistischen Bildern.


    Die unterschiedliche Wandlung der vielen Charaktere ist erstaunlich. Der fanatische Cornelius war mir die ganze Handlung über ein Dorn im Auge, aber ist sich dann zum Ende selbst zum Opfer gefallen.


    Gracia hat zum Ende glücklicherweise die Kurve gekriegt und ihrem Herz eine zweite Chance eingeräumt. Es wäre sehr bedauerlich gewesen, wenn ihre Geschichte im Streit und in Hartherzigkeit geendet hätte.


    In zwei Tagen habe ich dieses komplexe Buch bewältigt und bin überwältigt. Es war ein überaus ergreifendes, packendes Erlebnis und ich konnte mich nur sehr schwer davon trennen.
    Man muss diese super recherchierte Arbeit wirklich zu schätzen wissen.


    Die Kritiker haben Recht: Mehr Leben passt in kein Buch!


    ASIN/ISBN: 3426197510

  • 1510 kommt in Lissabon Gracia Nasi zur Welt, Tochter eines marranischen Kaufmanns. Gracia empfängt zwar die christliche Taufe um der Inquisition zu entgehen, die schon seit vielen Jahren wütet, bleibt im Verborgenen aber der Religion ihrer Vorfahren treu, dem Judentum. Hier sieht sie ihre wahre Bestimmung, hält an dem Glauben fest, der sie vom Moment ihrer Geburt an begleitet. Als die den Kaufmann Francisco Mendes heiratet und herausfindet, dass er mit der Außerlandesschaffung von zwangsgetauften Juden sein Vermögen macht, ist sie zunächst wie vor den Kopf gestoßen. Es dauert jedoch nicht lange, bis sie die wahren Hintergründe seines Handels begreift und sich auf die Seite ihres Mannes stellt. Damit beginnt ein lebenslanger Kampf um das Leben vieler Juden und deren Rettung vor der Inquisition.


    Peter Prange hat seinen neusten Roman einer Frau gewidmet, deren Lebensgeschichte in der christlichen Welt fast in Vergessenheit geraten ist, deren Wirken aber in der jüdischen Welt bis heute unvergessen ist. Gracia Mendes hat unter Einsatz all ihrer Möglichkeiten vielen tausend Juden das Leben gerettet, indem sie sie außer Landes geschmuggelt und ihnen so die Flucht in Länder ermöglicht hat, in denen sie geduldet wurden. Wie war diese Frau, die als neue Esther und Retterin ihres Volkes gefeiert wurde? Historische Fakten und Berichte gibt es zuhauf, aber wie mag diese Frau als Mensch gewesen sein? Was hat sie zu Ihrem Handeln bewegt? Wie hat der lebenslange Kampf auf diese Frau gewirkt, wie ihr Leben beeinflusst? Peter Prange hat hier das Portrait einer Frau erschaffen, wie es hätte gewesen sein können. Und das ist beileibe kein schönes Bild. Selten habe ich einen Roman gelesen, bei dem die Haupt-Protagonistin so negativ besetzt ist. Von Seite zu Seite wird es schwieriger, Gracias Verhalten zu verstehen. Zu verstehen, warum sie die Rettung des Volkes Israel vor alle anderen Dinge in ihrem Leben stellt. Zu verstehen, warum die vielen, unbekannten Menschen, die sie rettet, wichtiger sind als die Menschen in ihrem nahen Umfeld.
    Peter Pranges Gracia hat keine Skrupel, die Menschen in ihrem Umfeld für ihre Zwecke zu benutzen und zu manipulieren. Ihr Gottesglaube nimmt im Laufe der Geschichte fast manische Züge an und am Ende verirrt sie sich in ihm, verliert ihren Weg und beinahe den Blick für das Wesentliche in ihrem Leben: ihre Familie und deren Liebe. Teils ist dieser Irrweg ihr selbst geschuldet, teils aber auch ihrem Umfeld: Das Volk Israel stellt sie auf einen Sockel. Wie sollte man nicht glauben, man wäre die Auserwählte, wenn man dies immer wieder zu hören bekommt? Es kommt ein Zeitpunkt, da muss sie eine Entscheidung fällen, und diese Entscheidung wiegt schwer: persönliches Glück oder das gelobte Land?


    Gracias Gegenspieler Cornelis Scheppering macht es einem beim Lesen nicht einfacher. Ein Dominikaner, der nicht anderes im Sinn hat als die Vernichtung der Juden und dessen Lebensziel es ist, die Ketzerin Gracia zum wahren Christentum zu bekehren. Dafür folgt er ihr durch die halbe Welt und legt ihr immer wieder Steine in den Weg. Beide sind auf ihre Weise fanatisch, beide steigern sich in die sich selbst zu hoch gesteckten Ziele und beide greifen dazu zu drastischen Maßnahmen.


    Warum sollte man ein Buch lesen, dessen Protagonistin so schwierig ist, bei der man irgendwann denkt: sie ist mir zutiefst zuwider? Weil Peter Prange eine unglaublich faszinierende Geschichte geschrieben hat, die einen so in den Bann zieht, dass sie einen nicht mehr loslässt: Die Geschichte einer einzigartigen Frau, die Geschichte eines Volkes, das sich nie unterkriegen lässt, was auch passiert, in einer Epoche, die das reinste Pulverfass war.


    Gracia fasziniert, polarisiert und gewinnt irgendwann am Ende dann doch das Herz des Lesers. Es ist ein anstrengender Weg dorthin, ein Kampf für den Leser, der in diesem Buch das ganze Leid der gebeutelten Juden ertragen muss, ständige Vertreibung, Tod, Neuanfänge, Niederlagen und Fluchten. Die fast lebenslange Unrast der Protagonistin, die ewige Suche nach dem Frieden. Als Ausgleich bekommt er mit Reyna, Gracias Tochter, José, deren Verlobten und Armandus Lusitanus, einem Arzt, Figuren, an deren Liebe er sich in dunklen Stunden festhalten und aufrichten kann.
    Eingebettet sind all diese Schicksale in die lebendige Beschreibung der damaligen historischen Ereignisse, mit denen die einzelnen Abschnitte des Buches eingeleitet und begleitet werden. Peter Prange zeichnet dichte und intensive Bilder, die das Europa und das Konstantinopel des 16. Jahrhunderts vor dem Auge des Lesers wieder auferstehen lassen.


    Peter Prange hat ein großartiges Buch geschrieben über Verblendung, Wahnsinn, Verirrung, Größenwahn, Hass aber auch über das Verzeihen, die Liebe, die Erkenntnis, die Einsicht und die Umkehr. Eines, das bewegt, wütend und traurig macht, aber auch die Hoffnung weckt, dass es für Umkehr und Einsicht nie zu spät ist. Ein Buch, das für mich eindeutig zu den absoluten Highlights dieses Jahres zählt.

  • »Die Gottessucherin« habe ich direkt nach Erscheinen gelesen. Für mich hat das Buch das Zeug zum Jahreshighlight, obwohl mir die Figuren aufgrund der religiösen Beweggründe fremd bleiben.


    Viele Grüße
    Kalypso

  • Was für eine schöne Rezension, bouquineur. Ich glaube, dieses Buch muss ich lesen.


    Warum ich hier poste, ist jedoch noch etwas anderes. Ich besitze eine wunderschöne CD von Savina Yannatou, "Anixi sti Saloniki" (leider weiß ich nicht, wie man hier griechische Buchstaben erzeugen kann), der englische Titel lautet: "Spring in Saloniki". Es ist eine Sammlung sephardischer Volkslieder.
    Schon seit der Vertreibung durch Isabella die Katholische leben spanische (eg. sephardische) Juden in der Diaspora auf dem Balkan, in Griechenland und in der Türkei. Ihre Volkslieder, obwohl viele spanische Elemente zu finden sind und auch die Sprache ein archaisches Spanisch ist, sind durch den Einfluss der Gastländer geprägt und orientalischer als die Originale. Ich kann dieses Album sehr empfehlen, allerdings finde ich es auf die Schnelle nicht im Netz. Wer interessiert ist, kann ja mal den Musikhändler seines Vertrauens in den Wahnsinn treiben.
    Hörproben von Savina Yannatou gibt's hier:


    http://www.amazon.com/Terra-No…na-Yannatou/dp/B000088NSP



    :wave

  • Die Gottessucherin sucht ihren Gott und meint ihn gefunden zu haben. Ihren inneren Frieden durch Gott sucht sie fast ihr ganzes Leben lang.


    Gracia befindet sich in einer Zerrissenheit, die sie durch übertriebenen Glauben zu Haschem, ihrem Gott, zu kompensieren versucht.


    Sogesehen könnte man die Geschichte der Gracia, einer realen historischen Figur, um die Peter Prange eine Geschichte gewoben hat, als Psychostudie verstehen. Denn der Dreh- und Angelpunkt des Buches ist der (Irr-) Weg zum Glauben.
    Aber so einfach wird es dem Leser nicht gemacht:
    Sicherlich wurde Gracia durch das, was sie für ihre Glaubensbrüder erreichte zu einer Heiligenlegende, die es wert wäre, das ganze Buch hindurch lobgepriesen zu werden, aber das kann nicht der Sinn eines unterhalsamen Romans sein, den man gerade von Peter Prange erwartet.
    Also hat er ihren Glaubenswahn, der sie hartherzig, lieblos und unnachgiebig werden lässt zum Schwerpunkt ihrer Geschichte werden lassen.
    Nun gehört zu einer psycholologischen Beleuchtung einer Romanfigur eine vom Leser erwartete Entwicklung. Und hier liegt das Problem: Man wird aus dieser Frau nicht schlau. Nach über 700 Seiten bleibt der Leser mit einer gewissen Unzufriedenheit zurück, die fast schon wütend macht.
    Alle anderen Figuren, selbst der grausige Cornelius Scheppering, bekommen vom Autor mehr Leben und Farbe eingehaucht als Gracia.
    Gracia bleibt bis zum Schluss unbekannt - man kommt ihr nicht nahe.
    Nichts, was sie entscheidet, denkt und macht ist irgendwie nachvollziehbar.
    Die "Tugenden", die sie für sich beansprucht, sind so zweifelhaft wie die ihres Widersachers Scheppering. Beide fallen einem Gottes- oder Größenwahn zum Opfer, der vom Glaubenseifer zum Fanatismus mutiert.


    Die, die Gracia nahestehen und noch die Kraft haben sie zur "Vernunft"
    zu bringen, scheitern mit ihren Missionen. Seite 639: "(...) Glaube ist nicht nur Liebe zu Gott, sondern auch Liebe zu den Menschen. Wenn diese Liebe fehlt, wird Glaube zu blindem Eifer. Und der ist oft noch schlimmer und gefährlicher als Unglaube."


    Letztendlich hat Peter Prange ein pralles Stück Geschichte beschrieben, welches den Leser aufklärt, schockiert und unterhält - mit einer "Gottessucherin", die dem Leser eine Menge Geduld abverlangt.

  • Inhalt:
    Gracia ist eine Converso: Ihre Mutter wurde als Kind zwangsgetauft und somit gezwungen, ihren jüdischen Glauben, den sie auch an ihre Töchter weitergab, im Verborgenen zu leben. Gracia ist eine sehr gläubige Jüdin, doch schon in ihrer Hochzeitsnacht versündigt sie sich: An Gott und an ihrem Ehemann. Zeitgleich werden die Bedingungen in Portugal für die Conversos um einiges schlechter und für Gracia beginnt eine lange Reise, welche sie immer wieder von ihren neu gefundenen Heimatorten wegscheucht, sie in ihrem Glauben an Gott und an ihre eigenen Fähigkeiten zweifeln lässt und ihr immer wieder schwere Aufgaben stellt. Wie der Buchrückentext schon erklärt: "Mehr Leben passt in kein Buch".


    Bewertung Text:
    Schon auf der ersten Seite erkannte ich Peter Pranges Schreibstil wieder. Ich weiss gar nicht so genau, was ihn ausmacht, aber trotzdem fühle ich mich immer schon etwas geborgener beim Anfang eines Buches, wenn ich den Stil schon kenne. Und doch: Mit diesem Anfang habe ich mir etwas schwer getan: Die Kapitel sind ziemlich kurz und dazwischen liegen unregelmässig grosse (bzw. auch kleine) Zeitabstände, das hat mich etwas verwirrt. Im Gegenzug beschreibt Prange die Situationen immer sehr lebhaft, ich konnte mir jedenfall vieles gut vorstellen.
    Die Thematik des Buches ist auf jeden Fall sehr umfangreich: immerhin soll ein ganzes Leben und die damit verknüpften Personen, Handlungen und Orte erfasst werden. Ich hatte jedoch nie das Gefühl, überfordert zu sein mit der Fülle an Informationen. Nebst der Hauptdarstellerin Gracia, in deren Gedanken wir auch Einblick bekommen, entwickelt sich ihre Schwester Brianda - für mich jedenfalls - zur heimlichen Hauptperson. Sie durchläuft eine sehr interessante (Charakter-)Entwicklung und befindet sich lange Zeit in der Opferrolle während Gracia sich immer wieder mit gleichen oder ähnlichen Problemen konfrontiert sieht.


    Ich wurde regelrecht in diese Geschichte hineingezogen und freute mich, litt aber auch mit Gracia und ihrer Familie mit, als wären es meine Bekannten oder noch "schlimmer", als wäre ich selbst eine dieser Personen. Oft überkam mich der Drang, die Geschichte ändern zu können; alles zum Guten zu drehen. Für mich ein absolut spannendes Buch, auch wenn mir manchmal etwas zu viel Fragerei um Gott und den Glauben darin vorkamen.


    Bewertung Cover / Gestaltung:
    Das Cover finde ich sehr schön gestaltet, der Titel steht etwas hervor. Schlicht, aber absolut passend zum Buch, wie ich finde und auch keines dieser 0815-Historischer-Roman-Covers. Dem Buchrückentext muss ich also wirklich einmal ein Kränzchen binden, denn die darin gestellte Frage Darf man für die Liebe zu Gott die Liebe zu den Menschen opfern? beschäftigte mich vor, während und nach der Lektüre und immer, eine "nachhaltige" Frage also. ;) Sonst gibt es nicht mehr viel zu sagen: Das Buch ist allgemein schlicht gehalten, was absolut gut so ist und ein Lesebändchen ist integriert.


    Fazit: spannend, schmerzend, packend (5/6)