Siebzehn Silben Ewigkeit – Denis Thériault

  • dtv, Oktober 2009 , 154 Seiten
    Aus dem Französischen von Saskia Bontjes van Beek


    Kurzbeschreibung:
    Bilodo, ein junger Postbote aus Montreal mit einer Vorliebe für Kalligraphie, geht seinem Beruf voller Leidenschaft nach: Heimlich öffnet er abends über Wasserdampf handgeschriebene Briefe und träumt sich in fremde Lebenswelten. Eines Tages stößt er auf die ungewöhnliche Korrespondenz zwischen Professor Grandpré und Ségolène, einer Lehrerin aus Guadeloupe, die sich Gedichte schicken. Bilodo verliebt sich in Ségolène. Als Grandpré bei einem Verkehrsunfall ums Leben kommt, ersinnt Bilodo einen waghalsigen Plan: Will er den Kontakt zu Ségolène nicht abreißen lassen, muss er in die Identität des anderen schlüpfen und lernen, wie man mit siebzehn Silben die Ewigkeit einfängt ...


    Über den Autor:
    Denis Thériault wurde 1959 in Sept-Îles an der Nordküste des Sankt-Lorenz-Golfs geboren. Er studierte Psychologie in Ottawa und arbeitete als Schauspieler, Conférencier und Regisseur am Theater, bevor er erfolgreich als Drehbuchautor tätig wurde und Romane zu schreiben begann. ›Siebzehn Silben Ewigkeit‹ ist sein zweiter Roman, er wurde mit dem Prix littéraire Canada-Japon 2006 ausgezeichnet. Denis Thériault lebt in Montreal


    Meine Meinung:
    Ein unspektakulärer und kurzer Roman über einen langweiligen Postboten verlangt vom Leser entsprechend Gleichmut. Die Sprache erscheint gemäßigt, geglättet. Viele Abschnitte werden wie von einem überdramatisierten Drehbuch gelenkt groß in Szene gesetzt, obwohl sie die Bedeutung nicht wirklich besitzen. Eine Technik, die in einem Film aber wahrscheinlich tatsächlich funktionieren kann.


    Bilodes liest die Briefe eines Paares, Haikus die gleich Liebesbriefe wirken.
    Dabei stört mich, dass der Autor seinen Helden ein Urteil über die im Buch zahlreich aufgeführten abgeben lässt.
    Zum Beispiel: „Diese art von Poesie war düsterer…, dramatischer, jedoch nicht weniger beschwörend.“ (S.51)
    Indirekt erhöht der Autor so selbst seine Lyrik, die mir über weite Strecken aber doch eher durchschnittlich vorkommt.
    Hinzu kommen ausufernde essayistische Ergüsse über Form und Tradition der Haikus. Wen will der Autor damit beeindrucken? Doch diese Fakten waren ihm anscheinend wichtig.


    Bilodes übernimmt nach dem Tod des männlichen Briefpartners dessen Rolle und schreibt jetzt selber die Haikus, um den Briefwechsel, der inzwischen seine ganze Existenz ausfüllt, nicht abreißen zu lassen. Eine Identitätsstörung, deren Herkunft unklar bleibt und die psychologisch im Roman nicht vollkommen aufgelöst wird.
    Immerhin bemerkenswert, wie der Autor Bilodes innere Zwänge beschreibt. Bilodes wird so in kurzer Zeit ein Meister der japansichen Lyrikform.
    Es bleibt eine Liebesgeschichte zwischen zwei Menschen, die sich nicht begegnen.
    Die Handlungsentwicklung ist größtenteils vorhersehbar, manche Szenen besitzen aber durchaus Charme und erinnern an Marc Levy.


    Insgesamt lesbar, aber doch zu beliebig, als dass der Roman wirklich eine Empfehlung Wert wäre.

  • Bilodo, ein 27jähriger Briefträger aus Montreal, macht seit 5 Jahren seine Runde durch Saint Janvier des Ames, einem Arbeiterviertel.
    Er geht in seinem Beruf vollkommen auf, und möchte mit niemandem tauschen - außer vielleicht einem anderen Briefträger. Aber Bilodo ist kein alltäglicher Briefträger, denn er ist neugierig.
    Neugierig darauf, zu erfahren was die Briefe beinhalten, die nicht elektronisch verfasst sind.
    Heimlich nimmt er diese also mit nach Hause und öffnet sie über Wasserdampf. Die Geschichten, die "seine" Briefe erzählen, bereichern sein Leben, denn ohne diese Briefe wäre er manchmal sehr allein.
    Da sind z.B. die Schwester, die Klatsch und Tratsch austauschen oder der Häftling Richard, der seinem kleinen Sohn Hugo schreibt.
    Aber all diese Briefe sind nichts gegen die Briefe von Ségoléne an Gaston Grandpré. Sie ist Lehrerin und Grandpré ein Professor aus seinem Zustellbezirk.
    Bilodo ist verliebt in Ségoléne. Ihr Foto steht, digitalisiert und ausgedruckt, in seiner Wohnung. Ihre Briefe an Grandpré beinhalten jedes Mal aufs Neue ein weißes Blatt beschrieben mit einem Gedicht, einem Haiku.
    Eines Tages verunglückt Gaston Grandpré und für Bilodo bricht eine Welt zusammen, da ihm bewusst wird, dass er fortan ohne Ségolénes Briefe leben muss.
    Doch in ihm reift eine Idee, die ihn nach und nach vollkommen beherrscht.


    Denis Thériault hat einen ganz zauberhaften Roman geschrieben. Eine Liebesgeschichte, die von Distanz und Poesie lebt, von Leidenschaft und sich immer mehr steigender Sehnsucht.
    Und zwischen dieser eigentlichen Geschichte, stehen immer wieder Haikus, die den Briefwechsel zwischen Ségoléne und Bilodo beschreiben. Beim Lesen habe ich die Gedichte, die sich später noch in Tankas ändern, überflogen, da ich wissen wollte wie es weitergeht mit dem verliebten Briefträger und seiner Lehrerin aus Guadeloupe.
    Aber ich kann nur jedem ans Herz legen, sie im Nachhinein noch einmal zu lesen, denn sie sind poetisch, kunstvoll und sehr sinnlich.
    Der Roman kommt mit wenigen Hauptfiguren aus, aber die füllen die Handlung mit ihrer Einzigartigkeit. Bilodo ist ein typischer Einzelgänger, der die Verkuppelungsversuche seines Freundes eher als nervig empfindet, statt sie willkommen zu heißen.
    Und Tania, die Kellnerin, die ihm immer so nett zulächelt? Wird sie sein Herz erobern?


    Ein bisschen hat mich das Buch an "Die Eleganz des Igels" erinnert, welches ebenso schön von seiner Sprache war und auch einen kleinen Touch Japan beinhaltete.
    Auch die Informationen über japanische Literatur hat Thériault gekonnt eingefügt.
    Fazit: "Siebzehn Silben Ewigkeit" klingt in der Seele nach. Der Roman vereint Sinnlichkeit und die Kunst der japanischen Poesie.

  • Poesie extrem


    Bilodo ist 27, Postbote und in seinem Leben sehr sehr einsam. Er weiß, dass er gegen das Briefgeheimnis verstößt und dennoch nimmt er sich jeden Tag nach der Arbeit Briefe von fremden Menschen nach Hause, um sie über Wasserdampf zu öffnen und zu lesen. Irgendwann findet er in diesem Sammelsurium Briefe von Ségolène aus Guadeloupe, die ganz besondere Briefe an einen Professor namens Gradnpré schreibt. In diesen Briefen ist immer nur ein Haiku vorhanden. Haikus gehören einer japanischen Gedichtkunst an, die in einem ganz bestimmten Silben-Rhythmus geschrieben werden. Zunächst kennt Bilodo sich noch nicht damit aus, aber er eignet sich durch Fachliteratur nach und nach das Wissen zu diesem Gebiet an.


    Schon bald merkt er, dass er sich in die Absenderin verliebt und macht sich auf den Weg zu Grandpré, den er allerdings nur kurz sieht, bevor dieser einem Unfall erliegt. Von da an ändert sich das Leben von Bilodo komplett. Gefangen in einer Art Obsession geht er nicht mehr arbeiten, vernachlässigt die handvoll Freunde, die er hat und tut alles dafür, dass der Briefkontakt zwischen Ségolène und Grandpré nicht abreißt. Er befasst sich so sehr mit der Schreibkunst, dass auch er sie sich aneignet und der Leser gerät in den gleichen Wahn wie Bilodo, denn von Seite zu Seite möchte man wissen, wie es denn nun weitergeht mit der Liebe, die nicht so ganz einseitig zu sein scheint.


    Denis Thériault hat mit dieser Geschichte ein Feuerwerk der lyrischen Poesie entfacht, die man sicherlich mehr zu schätzen weiß, wenn man sich selber mit der Kunst der Lyrik beschäftigt. Doch auch Leser, die zuvor nicht wußten, was ein Haiku ist, werden im Zusammenspiel zwischen Worten und Emotionen von dem Sog erfasst, den Thérualit dem Protagonisten Bilodo mit auf den Weg gibt.


    Eine sehr anrührende, liebevolle Geschichte, dessen Ende so nicht vorhersehbar ist und sicherlich in den phantastischen, wie auch philosophischen Bereich eingreift, die Story an sich aber letzten Endes rund macht. Ein sehr schönes Buch für zwei poetische Stunden, in denen man sich mit dem Gefühl der Liebe, die man zu Menschen haben kann, obwohl man sie gar nicht persönlich kennt, auseinandersetzt.


    'Gut gegen Nordwind' in 'Poesie extreme'. Chapeau!