Der Büchereulen-Adventskalender 2009

  • 1. Dezember 2009 von Eskalina



    Von Engeln und Zimtschnecken


    „Ach nee, nicht schon wieder diese Zimtschnecken!“ Er kam in die Küche, griff sich eine noch warme Schnecke vom Teller, grinste uns an und setzte sich zu uns auf die Eckbank, die überall mit Teigspritzern bekleckert war. Der Tisch war voller Mehl, dazwischen hatten wir unsere Becher mit Kakao abgestellt und kneteten und rollten begeistert unsere Kreationen. Es war schon dunkel draußen und fast unbemerkt hatte es begonnen zu schneien. Sie stand am Herd und noch heute sehe ich sie so vor mir stehen. Trotz ihres Alters noch immer eine beeindruckende starke Frau, die mit hochgekrempelten Ärmeln den Teig durch walkte und dann auf dem Tisch ausrollte, damit wir unsere Formen in die buttergelbe, klebrige Masse stecken durften. So oft, bis nur noch ein winzig kleiner Rest übrig war. Den bekam dann immer der Jüngste von uns, der daraus mit ihrer Hilfe eine Kugel rollen durfte. Sie nahm die Kugel, legte sie zu den Figuren, die wir Älteren ausgestochen hatten und schnitt mit dem Messer einen kleinen Schlitz oben hinein. „So, nun hast du ein Brötchen!“ sagte sie lächelnd und schob das Blech in den heißen Ofen.
    Es war immer ein ganz besonderer Tag, wenn es hieß „Weihnachtsbäckerei bei Oma“ Jeder aus der großen Familie, der gerade Zeit hatte, ließ sich das nicht entgehen und für jeden gab es einen Platz in der kleinen Küche.
    Das letzte Blech war im Ofen verschwunden, überall standen Schalen übervoll mit duftenden Plätzchen und wir saßen müde und mit roten verschwitzten Gesichtern am Tisch, als sie zu sprechen begann. Sie erzählte gern Geschichten und wir waren noch in einem Alter, in dem wir sie gern hörten.
    „Es war einmal an einem Dezemberabend wie diesem…“ begann sie. „Der Schnee fiel genau wie heute leise und sacht an die Scheiben. Am Fenster saß eine Frau, drückte die Stirn gegen das kalte Glas und sah sie fallen - sie sammelten sich auf der Fensterbank und die Frau wusste, es würde eine kalte Nacht werden. Sie hatte den Kindern alles angezogen, was sie an Kleidung besaßen und sie ins Bett gesteckt, damit sie einander wärmen konnten.“


    Jemand steckte kurz den Kopf zur Tür herein: „Mensch Mutti erzähl doch den Kindern nicht schon wieder diese Horrorgeschichten vom Krieg!“
    Sie ließ sich nicht unterbrechen und es war, als sei sie ganz weit weg. In einem anderen Land - in einer anderen Welt. Wir spürten ihre besondere Stimmung und obwohl wir ein munterer Haufen waren, traute sich niemand etwas zu sagen.
    „An diesem Dezemberabend beschloss ich, dass wir sterben würden, “sagte sie und blickte an uns vorbei zum Fenster. Erschrocken sah ich sie an. „Wir hatten seit Tagen nichts mehr gegessen, nur aufgewärmten Ersatzkaffee getrunken und ich wusste nicht mehr, woher ich noch etwas für alle sieben Kinder nehmen sollte. Der Krieg dauerte schon zu lange und Frieden war nicht in Sicht. Nun kam auch noch dieser bitterkalte Winter dazu und die kleine Wohnung auf dem verlassenen Gutshof, die uns geblieben war, bot gerade mal ein Dach über dem Kopf. Schon lange hatte ich keine Kraft mehr, nachts mit allen Kindern in den Bunker zu laufen. Opa war in Russland und ich besaß kein Geld und keinen Mut mehr.
    Mir war nichts geblieben, außer dem Weinen meiner Kinder.“
    Ich rutschte unbehaglich auf meinem Platz hin und her. Sollte ich sie unterbrechen und um einen Kakao bitten? Als ich sie ansah, spürte ich, wie wichtig ihr das war, was sie uns sagen wollte und schwieg.
    „Ich gab meinen Kindern einen Abschiedskuss. Einige schliefen schon. Schmale ausgezehrte Gesichter, deren Anblick so unendlich wehtat - und begann, mich am Ofen zu schaffen zu machen. Wir würden nichts merken, einfach einschlafen und nie wieder Schmerzen vor Hunger haben, nie wieder frierend in der Dunkelheit sitzen, während draußen die Bomben immer näher fielen. Da klopfte es an der Tür. Ich war müde und ich wollte keine Menschenseele mehr sehen, doch das Klopfen hörte nicht auf und so ging ich mechanisch durch den dunklen Flur und öffnete. Es war niemand da. Suchend blickte ich auf den einsamen Hof. Am Fuß der Treppe stand ein großes Paket. Ich zog es mühsam ins Haus und als ich es öffnete, waren darin Lebensmittel für die nächsten zwei Wochen. Noch einmal lief ich zur Tür, um zu sehen, ob sich da vielleicht jemanden versteckt hatte, der meine Überraschung abwarten wollte, doch es waren keine Fußspuren zu sehen… Ich glaube, es war ein Engel, der uns die Sachen gebracht hat – genau zur richtigen Zeit, sonst säßen wir alle nicht hier.“
    „Ach Oma, das waren sicher deine Nachbarn.“, sagte der Älteste von uns und unterbrach so die Stille. Er steckte sich einen Keks in die Hosentasche und verschwand schief grinsend aus der Küche.


    Sie lächelte uns an, stand auf und wischte sich mit den mehligen Fingern über die feucht gewordenen Augen. „So und jetzt ab an den Ofen, das Blech ist fertig und einer von euch beginnt schon mal etwas aufzuräumen, das sieht ja aus hier…“


    So war sie - und manchmal zur Weihnachtszeit, wenn ich in meiner Küche stehe, allein und ohne Kinderlachen, Trubel und heißen Kakao und ihr Rezept in den Händen halte, dann werde ich an diesen Augenblick erinnert und daran, dass es immer weiter geht – irgendwie…



    Zimtschnecken:


    400g Mehl und 1 Päckchen Trockenhefe vermischen.
    125 g weiche Butter, 3 Eier, 1TL gem. Kardamom und 1 Prise Salz dazugeben und nach und nach 100 ml warme Milch unterrühren.
    An einem warmen Ort gehen lassen.


    Für die Füllung 4 EL weiche Butter, 4 EL Zucker, 1 TL Zimt verrühren.


    Den Teig in Folie ausrollen (dann klebt er nicht so sehr), mit der Füllung bestreichen und zu einer Rolle formen. Dann Scheibchen abschneiden und auf ein gefettetes Backblech legen. Bei 220 Grad 10-15 Minuten goldbraun backen.


    (Gewidmet Andreas, der in diesem Jahr zu ihr gegangen ist – wo immer das auch sein mag, und der nun sicher sagen würde: „Ach nee, nicht schon wieder diese Zimtschnecken!“)

  • 2. Dezember 2009 von Licht



    Licht im Dunkel – Gedanken in Advent



    Mann, war das ein Leuchten! Ich kann es beim besten Willen nicht mehr sagen was heller und schöner war - die Augen von Max oder die Kerze im Fenster.
    Max ist ein kleiner Junge von 2 1/2 Jahren.
    Jeden Morgen geht er mit seiner Mutti zu den Tageseltern.
    Jeden Morgen heißt das zur Zeit durch die dunklen Straßen zu gehen. Und kalt ist es dabei auch noch. Aber dann, kurz bevor er da ist: das Leuchten. Jeden Morgen das Leuchten. Erst im Fenster der Tageseltern und dann in den Augen von Max. "Hallo hier ist jemand, der freut sich auf dich.", scheint die Kerze zu rufen und Max strahlt zurück. Er weiß genau, daß es dort warm ist und daß er erwartet wird, daß da jemand ist, der mit ihm spielen will.
    Und wie sie leuchten, die kleinen Augen. Die Freude über das Licht, das ihm entgegenkommt, ist riesig. Das Licht bringt ihm schon die Wärme des Zimmers, die Freude des Wiedersehens. So macht es ihm auch den Abschied von der Mutter leichter. Und während er noch in der Kälte laufen muß, wird ihm jetzt schon ganz warm.
    Offenbar ist das Kerzenlicht mehr, als nur ein paar Lichtstrahlen. Das Licht erzählt. Das Licht bringt dem Jungen das ganze schöne warme Zimmer schon auf die kalte Straße. Nicht so, daß er nicht mehr auf das Licht zu gehen müßte, aber doch schon so, daß er weiß, was ihn erwartet. Er ist schon ein Stück weit da, wo er hin will, noch nicht ganz, aber ohne das Licht würde er noch total im Dunkeln tappen und frieren.
    Und er? Er strahlt zurück und freut sich. Er sieht das Ziel, weil es ihm entgegengekommen ist. Das ist für mich Advent. Ein Licht wird angezündet und kommt uns entgegen. Wir stehen nicht mehr hoffnungslos in der Kälte der Welt. Das Licht bringt uns die Wärme Gottes her zu uns, so daß wir sie schon spüren können. Das ist noch nicht die letzte Erfüllung. Wir sind noch nicht ganz am Ziel, aber wir tappen nicht mehr im Dunkeln.
    Und wir? Wir sehen den erleuchteten Weg, den wir gehen können. Wir dürfen uns am Licht freuen, zurückstrahlen und losgehen.

  • 3. Dezember 2009 von Caia



    Alle Jahre wieder – irgendwie ändert sich nichts, wenn man älter wird, alles kommt einem vor wie eine Wiederholung der Wiederholung der Wiederholung.


    Hannelore schaute aus dem Fenster, vor der Tür glänzten die Lichterketten, in den Geschäften war alles weihnachtlich dekoriert. Obwohl es regnete, das fürchterlichste Schmuddelwetter draußen, raffte sie sich auf und ging in den kleinen Korridor, nahm den Schirm aus dem Ständer und zog sich den Mantel an. Mit der Handtasche in der einen, dem Schirm in der anderen Hand trat sie vor die Tür, in die Stadt, ein wenig Weihnachtsstimmung tanken.


    An der Bushaltestelle bereute sie ihren Entschluss schon wieder, die feuchte Kälte kroch ihr in die alten Knochen. Ich bin für dieses Wetter nicht mehr geeignet, dachte sie bei sich, niemand sollte so frieren müssen. Doch schon nach kurzer Wartezeit kam der Bus, und ein netter junger Mann stand sogar auf, um ihr seinen Platz anzubieten. Lächelnd murmelte sie ein Danke und sank auf den Sitz, versöhnt mit dem Wetter.


    Während die Lichter der Stadt an ihr vorüberzogen, fing Hannelore an zu träumen. Weihnachten, früher war das ganz anders gewesen, weniger hektisch, mehr besinnlich und mit viel mehr Traditionen. Die Gans im Ofen, der Baum in der Stube, das Leuchten in den Kinderaugen – Hannelore hatte drei Geschwister und die Weihnachtszeit war ihr als eine der schönsten Erinnerungen im Gedächtnis geblieben. Jetzt war ihr Bruder schon tot, die beiden Schwestern wohnten weit weg. Familie gab es für Hannelore nicht mehr, aber sie war zufrieden. Solange sie noch alleine für sich sorgen konnte, vermisste sie auch niemanden. Ihre Unabhängigkeit war ihr wichtig, manchmal sogar zu wichtig. Zweimal in der Woche kam die Zugehfrau, kochen konnte sie noch selbst, den Rest der Zeit verbrachte sie vor dem Fernseher oder in ihre Bücher versunken. Im Sommer auf dem Balkon, im Winter auf dem Sofa.


    Und so war es nicht verwunderlich, dass es sie in der Stadt sofort in den Buchladen zog, wie ein Magnet zerrte es an ihr, sie konnte nie den Verlockungen der gedruckten Buchstaben widerstehen. Und dankte Gott (und ihrem Optiker) dafür, dass sie noch lesen konnte.


    Suchend blickte sie sich um, während sie noch in der Tür der Buchhandlung stand. Ihre Lieblingsverkäuferin schien nicht da zu sein, Hannelore nahm es mit einem leisen Bedauern zur Kenntnis. Frau Wielert kannte ihren Geschmack sehr gut und wusste immer ein oder zwei neue Bücher, die Hannelore dann gerne mitnahm. Manchmal vermisste Hannelore den Austausch über die Lektüre, doch sie kannte niemanden, der ihre Leidenschaft teilte.


    Aber nun, auf in das Wunderland Buchladen, in dem man immer wieder neue Schätze entdecken konnte. Hannelore schlenderte durch die Gänge und Regale, zog hier einen Band heraus, las dort einen Klappentext und steckte das eine oder andere Buch in einen der bereitgestellten Einkaufskörbe. Wie so häufig stand sie dann mit viel mehr Büchern als geplant an der Kasse und zahlte.


    Mit der schweren Büchertüte im Arm beschloss sie, noch einen Kaffee trinken zu gehen, bevor sie sich auf den Heimweg machte. Sie bummelte durch die Fußgängerzone, schaute hier und dort in ein Schaufenster und machte Rast in einem kleinen Cafe in einer Seitenstraße. Hierher kam sie gerne, es gab leckeren Kuchen und die Atmosphäre lud zum Verweilen ein.


    Als sie eintrat, schlug ihr die warme Luft entgegen. Das Cafe war gut besucht, aber auch nicht zu voll, an mehreren Tischen saßen Gäste, ganz hinten saß sogar eine gepflegte Dame, die auch in ein Buch vertieft war. Hannelore schmunzelte. Man sollte öfter zum Lesen in ein Cafe gehen, dachte sie bei sich, das ist geselliger, obwohl man doch für sich alleine liest.


    Sie bestellte einen Milchkaffe, dazu ein Stück Mohnkuchen, und begann, ihre Bücherschätze auszupacken. Vielleicht lese ich hier schon mal in eins der Bücher hinein, überlegte sie, und zog wahllos ein Buch aus der Tüte.


    Zufrieden mit ihrer Wahl nahm sie einen Schluck des Kaffees und begann mit der Lektüre.


    Eine halbe Stunde und ein großes Stück Kuchen später schaute sie kurz auf und sah die Dame vor sich stehen, die auch lesend im hinteren Teil des Cafes gewesen war. Hannelore zog die Augenbrauen hoch und fragte: „Kann ich etwas für Sie tun?“


    „Nein“ gab die Dame zurück. „Aber vielleicht kann ich etwas für Sie tun?“ Hannelore überlegte, die Dame war ihr gänzlich unbekannt, was sollte die für sie tun können? „Schauen Sie mich nicht so verwirrt an, ich möchte Ihnen nur etwas schenken“ fuhr die Unbekannte fort.


    „Entschuldigen Sie, aber kennen wir uns?“ wunderte sich Hannelore. „Nein, ich glaube nicht, aber das macht nichts, ich glaube, wir sind verwandte Seelen, Sie scheinen Bücher genauso zu lieben wie ich!“


    „Das ist möglich, ich liebe alle gedruckten Buchstaben und lese für mein Leben gern. Vorhin, als ich hereinkam, dachte ich schon, man müsste viel öfter unter Leute mit seinen Büchern.“ „Sehen Sie, so habe ich das eingeschätzt“ erwiderte die Fremde, lächelte leise in sich hinein und fügte hinzu: „Vielleicht treffen wir uns ja mal wieder hier, ich bin jeden Dienstag Nachmittag in diesem Cafe, dann können wir zusammen über Bücher schwatzen.“


    Bevor Hannelore etwas erwidern konnte, hatte die Dame ein Buch auf den Tisch gelegt, einen Gruß gemurmelt - „Bis Dienstag!“ - und war hinausgegangen.


    Hannelore nahm das Buch vom Tisch, schaute der Unbekannten nach und überlegte, dass es eine sehr gute Idee war, sich mit jemandem auszutauschen, dessen Leidenschaft auch Bücher waren. Versonnen lächelte sie in sich hinein. Nächsten Dienstag also. Dann fiel ihr Blick auf das Buch, das ihr geschenkt worden war. Passend zur Jahrezeit hielt sie den Büchereulen-Adventskalender in der Hand.

  • 4. Dezember 2009 von Miffy_Nijntje



    Spritzgebäck



    2 Pfund Mehl
    1 Pfund Zucker
    3 Eier
    3 Packungen Vanillezucker
    1 Backpulver
    1 Pfund Butter


    Freitag, ein wundervoller Tag,
    zum Einkaufen wer mag:
    Die Zutaten für die Plätzchen,
    kannst du essen nachher zu nem Schwätzchen!


    Spritzgebäck soll es sein,
    der später lecker im Mund ist dein.


    Einen guten Teig machen:
    Mehl und Zucker,
    Eier und Butter,
    Backpulver und Vanillezucker,
    Diese 6 ganzen Sachen!


    Der Mixer ist schnell vergessen,
    denn die Hände müssen messen.
    Mit aller Kraft gut kneten,
    damit der Teig wird fest zum Drehen.


    Der Fleischwolf ist wohl angebracht,
    wenn man das Spritzgebäck hat angedacht.
    Aufs Blech kommts Stück für Stück, wie toll,
    bis es dann ist ziemlich voll.


    Ein paar Minuten sollen sie backen,
    dabei muss man ganz gut achten.
    Nicht zu hell und nicht zu braun,
    sind diese Plätzchen nachher ein Traum! :-)


    Ich wünsche euch ganz viel Spaß beim Einkaufen, Backen und natürlich Vernaschen der Plätzchen! Die könnt ihr natürlich noch nach Lust und Laune verfeinern, z.B. mit weißer, Vollmilch- oder Zartbitterschokolade überziehen, halb überziehen oder betröpfeln. Da sind eurer Kreativität keine Grenzen gesetzt!

  • 5. Dezember 2009 von Suzann



    Weihnachten im alten Schlesien


    Einige Weihnachtsbräuche, die inzwischen Allgemeingut geworden sind, stammen aus dem alten Schlesien: Der mit Kerzen versehene Tannenbaum soll um 1611 von der Herzogin Dorothea Sibylle von Schlesien in ihrem Schloss aufgebaut worden sein. Auch das beliebte Weihnachtslied "O Tannenbaum, O Tannenbaum" hat seinen Ursprung im schlesischen Liedgut des 16. Jahrhunderts. Bei Bratäpfeln und Streuselkuchenrezepten leben vergangene Zeiten wieder auf und wecken Kindheitserinnerungen an Mohnpielen, Heiligabendtunke und auch an die leckeren Haferflockenplätzchen:


    Haferflockenplätzchen


    Zutaten:


    500 g Zucker
    250 g Butter
    125 g Mehl
    250 g grobe Haferflocken
    1 Päckchen Backpulver
    von 2 Eiern das Eiweiß (steif schlagen)


    Zubereitung:


    Alle Zutaten in eine Schüssel geben und zu einem Brei rühren. (Je nach Geschmack können noch Rosinen und/oder Kakao dazu gegeben werden.) Den Teig über Nacht im Kühlschrank ruhen lassen.


    Mit einem Teelöffel wenig Teig nehmen und mithilfe eines zweiten Löffels auf ein mit Backpapier belegtes Backblech schieben (Durchmesser ca. 1 cm). Zwischen den Häufchen ausreichend Platz lassen, da die Kugeln auf eine Fläche von ca. 5 cm verlaufen.


    Bei 180° (Ober- und Unterhitze) ca. 10 Minuten backen. Wenn sie schön flach, goldgelb und knusprig sind, dann sind sie fertig.



    Lieben Dank an Maria, dass sie dieses Rezept aus der Heimat ihres Mannes mit mir geteilt hat.

  • 6. Dezember 2009 von Marlowe



    Ein Weihnachtsmann denkt an Euch


    Eilig schirrte ich die Rentiere an
    und fuhr rasant und schnell
    schnurstracks über die Internetautobahn
    im Superschlitten mit DSL


    Hochbeladen mit Geschenken
    Lesestoff und Süßigkeiten
    Konnte ich nur ans Forum denken
    Wie gut, dass Engel mich begleiten


    Geschlechtslos zwar, die süßen Dinger
    Als Weihnachtsmann ist mir das egal
    Jesus schaut mir immer auf die Finger
    So erspar ich mir die Qual der Wahl


    In diesen Gedanken so tief versunken
    Bemerkte ich die Sirene nicht
    Ich war vor Freude ja ganz trunken
    Bis ich sah das blaue Licht


    Mir fielen alle Sünden ein
    Die jemals ich begangen
    Oh Gott, ich habe keinen Führerschein
    Kann man mich dafür nun belangen?


    Was soll's, Gott steht mir sicher bei
    So hielt ich den Schlitten folgsam an
    Ich vertraue der irdischen Polizei
    Und meinem Ruf als heiligen Mann


    Ach, wäre ich nur weitergefahren
    Und hätte mal nicht auf Gott vertraut
    Der ist in all den vielen Jahren
    Leider nicht nur leicht ergraut


    er ist vergesslich geworden und senil
    Kümmert sich nur noch, wenn er mag
    Darum half er mir jetzt auch nicht viel
    Weil er im Paradies im Schlafe lag


    Die Polizei war leider nicht bestechlich
    Tausend Delikte warfen sie mir vor
    Sie verhafteten mich doch tatsächlich
    Und schoben den Riegel vor das Tor
    Na ja, nun hab ich Zeit zum lesen
    Und schmökere in Euren Geschenken
    Für dieses Jahr wär's das gewesen
    Ein Jahr lang müsst ihr an mich denken

  • 7. Dezember 2009 von magali



    Adventsbeichte
    (laut zu sprechen)



    Wenn es regnet, wenn es nieselt,
    wenn es graupelt oder grieselt,
    wenn brave Männer, brave Frauen
    vom Friedhof Tannenzweige klauen,
    kann mich nichts in Freie locken.
    Lieber auf dem Sofa hocken
    mit Decke, Buch und Kakao.
    Das ist auch ganz richtig so.
    Schließlich tönt von allen Seiten
    Jubel über frohe Zeiten,
    Glocken, Himmel, Seligkeit.
    Das steht auch für mich bereit.
    Hark the herald angels sing!
    - und gebt mir einen Mandelring.


    Pfefferkuchen, weiß und braun
    sind nicht nur köstlich anzuschau'n.
    Und erst diese Nougatstangen,
    die in der roten Schachtel prangen
    feingewürzt, mit Zimt, Piment,
    Koriander, Orangeat,
    damit man gänzlich ungehemmt
    Auswahlmöglichkeiten hat.
    Wahl ist Qual, wie jede weiß
    doch wie reizvoll scheint sie mir.
    Meine Sinne laufen heiß!
    ‚Quält mich!’
    Darum sitz ich hier.
    Hätte ich vom Butterstollen
    lieber zwei Stück nehmen sollen?
    Doch auch der mit Marzipan
    hat’s mir richtig angetan.
    Zimtstern, Ingwerplätzchen, Nüsse,
    Lebkuchen, Vanille-Küsse ...
    Seid verschlungen, Kreationen!
    Diesen Ruf der ganzen Welt:
    Droben, überm Sternenzelt
    muß ein Zuckerbäcker wohnen,
    der mich hier bei Laune hält.


    Stört da etwas mein Vergnügen?
    An meinem Vorrat kann’s nicht liegen.
    Mein Gewissen ist die Quelle
    und die Kalorientabelle!
    Schweige still, du, Satanas!
    Du zerstörst mir nicht den Spaß.
    Fort die Höhe, her die Breite.
    fort die Enge, ich will Weite.
    Böse Waage, weiche, weiche,
    aus meinem süßen Himmelreiche.
    Was ist die schönste Zier zur Zeit?
    Der Ausdruck wahrer Seligkeit?
    Der Inbegriff für diesen Traum?
    Die Kugel dort am Weihnachtsbaum.
    Nichts ist so strahlend schön wie sie,
    der Ausdruck wahrer Harmonie.
    Auf daß man die weisen Worte
    des großen Dichters nie vergißt.
    Denn es ist so in der Tat:
    Eine Frau ist, was sie ißt!


    Also beiß ich, knabb’re, krümle
    kaue, lecke, schlecke, mümmle.
    Süßes beherrscht meinen Sinn.
    Halb zieht es mich, halb sink ich hin.
    Mund, Finger und die Nasenspitze
    sind mit Zuckerguß verklebt,
    gemäß dem schönen alten Witze:
    Es ißt der Mensch, solang er lebt.
    Wenn die Pfunde Zicken machen,
    hüll’ ich mich in weite Sachen.
    Fort mit dem Schönheitsideal,
    Männer sind mir jetzt egal!
    Was ist schon ein schnöder Kuß
    gegen Spekulatius?
    Nur einer gilt zur Zeit bei mir
    und den umhüllt Stanniolpapier.
    Was sag ich, einer?
    Aber nein! Rot-golden glitzert die Parade.
    Kein Sex kann jemals süßer sein
    als so ein Mann aus Schokolade.
    Wenn mir die Verlockung naht,
    werd’ ich zum Geist, der stets bejaht!


    Noch schnell ein letztes Lied gesungen,
    dann kann es auch gleich weitergeh’n.
    Der Plätzchen sind genug verschlungen.
    Laßt mich jetzt endlich Braten sehn!


    Festlich lockt zuerst am Tische
    Eine Platte bester Fische.
    Lachs, Makrele, Hering, Aale,
    samt einem Hummer in der Schale.
    Aus der Terrine steigen Düfte
    der Rinderbrühe in die Lüfte.
    Markklößchen kann ich schwimmen sehen.
    Wer könnte da noch widerstehen?
    Macht auf den Mund, den Magen weit
    hier kommt ein Heer von Herrlichkeit!
    Ein Hähnchen fein, schön braun gebraten,
    fettglänzend, knusprig, wohlgeraten.
    Und gleich daneben: wehe, wehe,
    wenn ich auf die Ente sehe!
    Engelschöre lieblichst singen
    bei Hirschragout mit Pfifferlingen.
    Doch würd’ ich mich auch nie beschweren
    über Reh mit Preiselbeeren.
    Gleich von diesem roten Kohle
    eine Portion ich hole,
    gewürzt mit Nelken, Apfelstücken
    wird er recht mein Herz beglücken.
    Dazu Maronen, fein glasiert,
    und mit Rosenkohl garniert.
    Vier Schnitten vom Serviettenkloße,
    darüber dann - die braune Soße.
    Zum guten Schluß vergeß’ ich nie
    ein dickes Stück vom reifen Brie.


    Wie lieb und luftig perlt die Blase
    des braunen Weihnachtsbiers im Glase.
    Auch zum schweren roten Wein
    sag ich jetzt bestimmt nicht nein.
    Und gegen zehn, gerade so,
    Gönn ich mir einen Cointreau.
    Ganz richtig heißt’s von altersher:
    Wer Kurven hat, hat auch Likör.
    Eines ist ganz sonnenklar,
    mein Advent macht Träume wahr.


    Tönet, ihr Pauken, erschallet Trompeten!
    Hört mir bloß auf mit den Diäten.
    Sei verschlungen, Weihnachtszeit!
    Zum Bikini ist’s noch weit.

  • 8. Dezember 2009 von Gissi


    Das erste Mal


    Es ist hier eine schöne Tradition,
    den Eulenkalender zu gestalten.
    So mancher überlegt im Januar schon
    -kann ich den Termin einhalten ?


    Wenn man doch nur eine Idee hätt ,
    - was soll es denn bloß werden ?
    Da liegt man lange wach im Bett,
    und die Schäfchen tummeln sich in Herden.


    Wie wäre es mit einer Geschichte,
    vielleicht auch ein Rezept,
    oder wenn ich was dichte,
    alles andere wäre auch nicht schlecht.


    So ging es mir seit einiger Zeit
    und immer schneller geht das Jahr.
    Der Kalender ist nicht mehr weit,
    das es eng wird, war ja klar.


    Das erste Mal ist wirklich schwer,
    man muss sich erstmal überwinden.
    Wenn ich doch bloß schon fertig wär,
    die Wörter lassen sich schwer finden.


    Darum höre ich jetzt lieber auf,
    Verzweifelt ein Gedicht zu spinnen
    und freue mich darauf
    wenn die anderen beginnen.


    Allen eine schöne Weihnachtszeit!

  • 9. Dezember 2009 von LeseRatteKevin



    MOHNSTOLLEN

    Zutaten:

    200 g Butter
    125 g Zucker
    1 TL Zitrone(n) - Schale, abgerieben
    1 Prise Salz
    2 Ei(er)
    250 g Quark (Magerquark)
    500 g Mehl
    2 TL Backpulver
    100 g Mandel(n), gehackt
    100 g Orangeat, fein gehackt
    100 g Zitronat, fein gehackt
    250 g Mohn - Back
    Zum Bestreichen:
    200 g Butter, zerlassen
    100 g Puderzucker

    Zubereitung:

    Butter, Zucker, Zitronenschale und Salz mit dem Mixer cremig rühren. Eier und Quark nacheinander unterrühren. Mehl mit gesiebtem Backpulver, Mandeln, Orangeat und Zitronat unterkneten (mit den Knethaken des Mixers oder mit den Händen).
    Teig auf bemehlter Fläche ca. 35 x 35 cm ausrollen, Mohnback darauf streichen, den Teig zum Stollen aufrollen. Im vorgeheizten Ofen bei 200° C (Heißluft 180° C) ca. 50 bis 60 Min. backen.
    Sofort nach dem Backen mit 100 g zerlassener Butter betreichen und mit 50 g Puderzucker bestäuben, einwickeln und kalt stellen. Am nächsten Tag mit dem Rest der Butter bestreichen und dem Rest des Puderzuckers bestäuben.

    Liebe Grüße

    LeseRatteKevin (Kevin)

  • 10. Dezember 2009 von BunteWelt


    Einer für alle - und alle für einen!


    ,,Anja, gibst du mir mal deine Unterlagenmappe?” Anja sah von ihren Mathehausaufgaben auf und holte die quietschgrüne Mappe, auf der mit Edding in großen Druckbuchstaben “Klasse 2b” geschrieben stand.
    Claudia, Anjas Mutter, holte die Zettel aus der Mappe und besah sie sich alle einzelnd. Als sie den letzten Zettel ansah, fragte sie: ,,Anja, willst du das machen?” Wieder sah Anja von ihren Hausaufgaben auf und nahm den Zettel. ,,Das bringt nichts”, sagte sie schlicht und gab ihrer Mutter das Blatt mit einem traurigen Blick wieder zurück. ,,Was soll nichts bringen?”, fragte ihre Mutter verständnislos. ,,Mama, was soll es bringen, einem Kind in Sri Lanka ein Paket mit Keksen, Kakao und einem Kuscheltier zu schicken, wenn soviele andere Kinder sterben?” Claudia hielt einen Moment inne. Ihre Tochter hatte recht. Mit ihren sieben Jahren hatte sie eigentlich wirklich recht.


    In der Minute sterben fünfzehn Kinder an Hunger. Zwanzigtausend Kinder sterben am Tag ... Und doch hatte sie nicht recht. Man konnte ein Kind retten. Eins - eine Zahl, die fast nichts bedeutet. Und doch bedeutet sie für ein Kind, für eine Familie, sehr viel.



    ,,Anja ... Du hast schon recht ... Aber wenn alle Menschen so denken würden, wo würden wir dann hinkommen? Es helfen viele Menschen armen Kinder und schicken Weihnachtspakete zu ihnen. Und wir können dazu beitragen, dass sich ein Kind freut und nicht an Hunger stirbt. Verstehst du mich?”


    Anja sah für kurze Zeit in die Leere, dann stand sie auf, holte aus dem Altpapier einen kleinen Schuhkarton und lief zum Vorratsschrank. Sie legte eine Packung Kakao in den Karton und sagte: ,,Kakao haben wir jetzt schon mal, später gehen wir den Rest einkaufen, der da noch auf dem Zettel steht. Achja, und ...” Flink lief Anja die Treppe hinauf und kam mit ihrem blauen Teddy zurück, den sie sich von ihrem Urlaubsgeld in der Türkei gekauft hatte und der seit drei Jahren nicht mehr aus ihren Armen wich. ,,Der hat mich immer beschützt und war immer schön weich und hat mir beim Einschlafen geholfen! Der hilft bestimmt auch anderen Kindern, die den Schutz viel mehr nötig haben, oder?” Mit diesen Worten legte sie den Teddybären zu dem Kakao in den Karton.

  • 11. Dezember 2009 von Bildersturm


    Die Kuchenkinder


    Der Morgen des Weihnachtstages brachte endlich den ersehnten Schnee. Dicke Flocken tanzten über die Felder, und als die Dämmerung den ersten Strahlen der Sonne wich, hatte ganz Warwickham schon sein weißes Festtagskleid angezogen. Unten im Dorf herrschte rege Betriebsamkeit. Überall kamen die Leute aus ihren Häusern, gingen ihrem Tagwerk nach und zogen schon an der Haustür die Mütze ein wenig tiefer ins Gesicht, um dem frostigen Wirbeln zu trotzen. Dennoch war den meisten die Vorfreude auf das Fest anzumerken, und die schneidende Kälte nahmen sie lächelnd als unabdingbaren Begleiter der weißen Pracht hin. Was war schon ein Weihnachten ohne Schnee?


    Mary wünschte sich, ähnlich sorglos denken zu können. Leider war das nicht so einfach, wenn man nur einen dünnen zerschlissenen Wollmantel trug und erbärmlich fror, während der kleine Bruder sich widerwillig mitziehen ließ und vor jedem Schaufenster große Augen machte.
    „Oh, schau nur, Mary! Siehst du die Eisenbahn?“
    „Ja, Joe, die sehe ich. Nun komm.“
    Es war jedes Mal das selbe, wenn sie am Schaufenster von Mr. Olivers Spielwarenladen vorbeikamen und Joes Augen auf die dort aufgebaute Modelleisenbahn fielen, die schnaufend und klingelnd durch eine lebensechte Berglandschaft aus Pappmaché fuhr - vorbei an kleinen Hütten, aus deren Schornsteinen Wattebäusche wie weißer Rauch quollen, durch ein kleines Tal mit einem Bach aus Seidenpapier bis zu einer Schranke, deren rotweiße Schlagbäume beinahe wie Zuckerstangen aussahen. Joes Ohren glühten vor Aufregung. Seine Schwester fasste ihn fester bei der Hand.
    „Komm weiter.“


    Vor gut zwei Jahren, in der Winterszeit, waren die beiden Kinder in Warwickham aufgetaucht. Mary war damals acht Jahre alt gewesen, ihr Bruder fünf. Die alte Marthe las sie auf, verloren am Wegesrand stehend und blaugefroren vom tagelangen Umherirren. Ihre Mutter hatte sie vor dem Bahnhof der nahegelegenen Stadt zurückgelassen, ihnen einen Brief und einen kleinen Beutel voll Streuselschnecken zugesteckt und zum Abschied tränenfeucht umarmt. Dann war sie in den Zug gestiegen und mit einer Dampfwolke aus dem Leben der Kinder gerollt. Einfach so. Die alte Marthe erfuhr es, weil sie den Brief studierte, den Mary noch in der Tasche hatte und in dem nichts als Hilflosigkeit gestanden hatte und die Hoffnung, dass es den Geschwistern woanders besser ergehen möge. Obwohl die alte Frau selbst nur das Nötigste besaß, rührte sie das Schicksal der Kinder, und sie nahm Mary und Joe mit in ihr kleines Häuschen am Ortsrand.


    Im Dorf nannte man die beiden bald nur noch die Kuchenkinder, eine nicht immer freundlich gemeinte Bezeichnung, die von den Streuselschnecken herrührte, mit denen sie gekommen waren. Die alte Marthe hingegen fand ihre eigentlichen Namen mehr als passend, erinnerten sie diese doch sehr an die Geschichte von Maria und Joseph, die einst im kältesten Winter nach einem Platz zum Schlafen gesucht hatten. Sie umsorgte die Kleinen, so gut sie es vermochte, aber immer öfter zwickte sie das Alter, so dass Mary, mittlerweile zehn Jahre alt, in diesem Herbst einen Großteil der Hausarbeit übernehmen musste. Sie hatte schon früher mit angepackt und es machte ihr nichts aus, aber als Marthe dann mit einem scheußlichen Fieber im Bett lag, sorgte sie sich immer mehr um ihre gutmütige Ersatzgroßmutter. Heute morgen schließlich, als der Schnee das Dorf in weiche Watte hüllte, hatte Marthe gar nicht mehr reagiert, als Joe unbekümmert in ihr Zimmer tobte, und Mary war bleich geworden, als sie das wächserne Gesicht im Kissen erblickte. Eilends waren sie aus dem Haus gestürzt.


    „Komm weiter.“
    Mary zog erneut an Joes Hand. Dass der kleine Kerl aber auch nie von dem Schaufenster los kam! Nur widerstrebend ließ der Junge sich von der prächtigen Auslage wegziehen, aber Mary genügten ein paar Schritte. Die Apotheke, auf die sie zustrebte, lag gleich nebenan, und Mr. Anderson hatte immer ein paar freundliche Worte für sie übrig gehabt, selbst wenn das Geld für Marthes Medizin hin und wieder arg knapp geworden war. Die Glocke über der Ladentür klingelte laut, als die Kinder den Laden betraten. Der Apotheker stand in einem weißen Kittel hinter der alten hölzernen Theke und musterte die Ankömmlinge erstaunt über den Rand seiner altmodischen Brille.
    „Hoppla, ihr habt’s heute aber eilig. Frohe Weihnachten!“
    „Sie müssen uns helfen, Mr. Anderson!“, stieß Mary aufgeregt hervor. „Tante Marthe...“
    „Marthe? Braucht sie wieder ihre Medizin?“
    „Sie... sie schläft. Ganz tief. Sie... sie wacht nicht auf...“
    Der Apotheker rückte überrascht seine Brille gerade. „Vielleicht sollte ich nach ihr sehen.“ Er griff unter die Theke und zog eine abgewetzte Ledertasche hervor, die er schnell und bedacht mit Medikamenten füllte.
    „Und was euch betrifft...“
    „... kann ich auch nach den Kindern schauen.“
    Die tiefe und beruhigende Stimme gehörte Mr. Oliver, der mit einem Male hinter den Geschwistern stand. Mary konnte sich nicht entsinnen, die Türglocke gehört zu haben, aber Mr. Anderson schien sich am plötzlichen Auftauchen des Spielzeughändlers nicht zu stören, sondern atmete erleichtert auf.
    „Das wäre wirklich eine große Hilfe, Will. Danke.“
    „Das ist kein Problem, Ronald. Ich nehme die beiden mit zu mir in den Laden. Ich habe gerade heiße Schokolade gemacht. Das mögt ihr doch sicher, oder?“
    Mary wäre die heiße Schokolade eigentlich egal gewesen, aber sie erinnerte sich an Joes sehnsuchtsvollen Blick vor dem Schaufenster, und es erschien ihr richtig, ihrem Bruder die Freude zu lassen. Immerhin war heute Weihnachten.
    Außerdem hätte sie, selbst wenn sie es wollte, nur halbherzig protestieren können, denn der Spielzeughändler hatte schon den Arm um die Geschwister gelegt und delegierte sie mit sanftem Druck aus der Apotheke hinaus. Hinter ihm ließ Ronald Anderson die Tür ins Schloss fallen und begab sich schnellen Schrittes die Straße hinauf in die Richtung, aus der Mary und Joe eben gekommen waren.


    „Hereinspaziert, meine Herrschaften!“
    Überschwänglich warf Mr. Oliver sich in Pose und deutete eine Verbeugung an, als er die Kinder zur Tür hereinbat. Joe riss erstaunt die Augen auf, als er sich umblickte. Natürlich war er mit Mary und der alten Marthe schon ein paar mal hier gewesen, aber noch nie hatte er den Laden in so festlicher Pracht gesehen. Aus jeder Ecke funkelten bunte Lichter, ergoss sich glitzerndes Lametta an Tannenzweigen in silbernen Strömen über Fenster und Regale und hingen wunderschöne Glaskugeln mit Glöckchen an prächtigen Schleifen. In der Mitte des Raumes stand ein imposanter Weihnachtsbaum, dessen Kerzen die schlichte Schönheit der sattgrünen Erscheinung unterstrichen und der sich nur in Form einer ausladenden, sternförmigen Spitze ein wenig Extravaganz erlaubte. Unter dem Baum lagen kleinere und größere Pakete in buntem Geschenkpapier. Doch all das verblasste neben den Spielsachen, die reihum in den hohen Regalen nach der Aufmerksamkeit der kleinen Besucher heischten. Einträchtig saßen dort Teddybären aus aller Herren Länder neben sorgsam herausgeputzten Porzellanpuppen, türmten sich Bälle und Kreisel neben hölzernen Baukästen, und ein ganzes Wandbord war reserviert für mechanisches Wunderwerk: Spieluhren, die sich fortwährend zu den schönsten Melodien im Kreis drehten, fein ziselierte Karusselle mit Pferden und Kutschen, schnaufende Dampfmaschinen und aufziehbare Vögel, die aufgeregt auf und nieder hüpften.
    Mary drang der Duft warmen Kakaos an die Nase, der von einem kleinen Ofen im hinteren Teil des Ladens herüberwehte. Mr. Oliver klapperte bereits mit den Tassen, und sie bemerkte erstaunt, dass ihr der Magen knurrte. Als hätte er Mary verstanden, holte der Spielzeughändler einige Streuselschnecken – ausgerechnet Streuselschnecken – aus dem Ofenrohr und legte sie auf einen Teller, den er zu den dampfenden Tassen stellte. Dann blickte er auf und lächelte das Mädchen freundlich an.
    „Ihr seid sicher hungrig.“
    Mary sah sich nach ihrem Bruder um. Joe stand auf Zehenspitzen vor der Schaufensteranlage, deren fahrenden Zug er bereits vorhin so ausgiebig bewundert hatte. Staunend streckte er den Finger aus und berührte ganz vorsichtig die zuckerstangenfarbene Schranke, als müsse er sich versichern, dass die winzigen Gegenstände nicht doch plötzlich echt seien.
    „Joe, nein! Du machst noch was kaputt.“ Mary zog ihren Bruder am Kragen ein Stück zurück. Joe machte ein enttäuschtes Gesicht und zeigte auf die vorbeifahrende Bahn.
    „Mama!“
    Mary verspürte einen Stich, als sie ihn das sagen hörte. Für einen winzigen Moment vermochte sie selbst nicht, ihre Trauer zu verbergen, und beinahe schien es ihr so, als sähe sie das Gesicht ihrer Mutter in den winzigen Scheiben des Zuges. Dann gab sie sich einen Ruck. „Ach red nicht so einen Unsinn!“
    Brüsk drehte sie sich um und wäre beinahe gegen Mr. Oliver gestoßen, der das Tablett mit den Streuselschnecken und der heißen Schokolade an ihr vorbei trug.
    „Nicht so stürmisch, meine Liebe!“
    Er deutete auf ein leicht abgewetztes kleines Sofa direkt neben dem Schaufenster.
    „Setzt euch doch.“
    Die Kinder ließen sich in die Polster sinken, und Mary genoss die Wärme des Kakaos, bevor sie hungrig ihre Zähne in eine Streuselschnecke schlug. Joe hingegen wandte seinen Blick kaum vom Schaufenster und warf in seiner Unachtsamkeit beinahe noch die Tasse um. Mary hob zu einer Ermahnung an, aber Mr. Oliver kam ihr zuvor.
    „Gefällt dir das Fenster? Ich habe lange daran gearbeitet.“
    Joe nickte stumm. Mary legte einen Arm um seine Schulter.
    „Er schaut es sich jedes Mal an, wenn wir daran vorbeigehen, Mr. Oliver. Er ist ganz vernarrt darin. Es ist wirklich wunderschön.“
    Joe nickte erneut eifrig. Er rutschte vom Sofa und starrte erneut ins Schaufenster. „Tante Marthe,“ sagte er und deutete auf eines der kleinen Häuschen. Mary stutzte und beugte sich nach vorn. Tatsächlich! Noch nie war ihr aufgefallen, dass die gesamte Landschaft, die Mr. Oliver so detailgetreu in seiner Auslage modelliert hatte, keiner überbordenden Phantasie entsprang, sondern eine genaue Nachbildung des echten Warwickham zu sein schien. Sie konnte nun genau Marthes Häuschen erkennen, in dem die Geschwister die letzten beiden Jahre aufgezogen worden waren – sogar die schadhafte Stelle am Dach sah täuschend echt aus! Hinter den kleinen Fenstern glomm Licht und warf irritierende Schatten. Marys Blick wanderte die kopfsteingepflasterte Miniaturstraße hinunter zum Dorfplatz. Da war der kleine Brunnen in der Mitte, dort am anderen Ende die grün gestrichene Bank, auf der sie im Sommer so gerne hockte, um die vorbeigehenden Leute zu beobachten, und auch die Apotheke stand am rechten Fleck. Daneben kauerte, wie in der Wirklichkeit, Mr. Olivers Spielzeugladen unter der roten Markise, und es mutete Mary seltsam an, in das nachgebildete Schaufenster zu sehen. Fast vermeinte sie, sich selbst dahinter stehend zu erblicken, genauso wie sie jetzt eben auch in Wirklichkeit dahinter stand. Unwillkürlich zuckte sie zusammen – aber es war nur Mr. Olivers Hand auf ihrer Schulter, der sie in die Realität zurückholte.
    „Alles in Ordnung?“
    Mary nickte. Mr. Oliver lächelte zufrieden.
    „Ja, ich habe mir meine eigene kleine Welt erschaffen wollen. Ein Abbild von draußen, nur eingefroren in der Zeit wie eine flüchtiger Gedanke, den man unbedingt festhalten will. Ich war eigensinnig. Aber Veränderung tut uns gut.“
    Er tippte nachdenklich mit dem Finger auf das kleine Häuschen, das Mary und Joe erst heute morgen so fluchtartig verlassen hatten. Das kleine Licht darin flackerte, drohte auszugehen. Der Spielzeughändler schloss die Augen.
    „Ich hab erst später begriffen, dass man manche Gedanken weiterdenken muss. Veränderung braucht Beständigkeit, an der sie sich messen kann. Entwicklung braucht eine Konstante, auf der sie ihr Fundament baut. Die Neugier der Jugend braucht die Gelassenheit des Alters. Zumindest für eine bestimmte Zeit. Zumindest bis sie ihren Weg gefunden hat.“
    Er öffnete die Augen und klopfte mit dem Finger erneut auf das Häuschen. Es knisterte kurz, dann brannte das Licht hinter den winzigen Scheiben wieder hell und gleichmäßig. Joe klatschte begeistert in die Hände. „Du hast es wieder ganz gemacht.“
    „Ja, Joe.“ Der Spielzeughändler tat einen tiefen Seufzer. „Ich hab es wieder ganz gemacht.“


    Mary wusste gar nicht, wie viel Zeit vergangen war. Lange hatten sie noch im Laden gesessen, heiße Schokolade getrunken und den Geschichten von Mr. Oliver zugehört. Dann irgendwann hatte sich die Tür geöffnet, und der zurückkehrende Apotheker brachte einen Schwall erfrischender Kälte mit über die Schwelle. Mary schlug das Herz bis zum Hals, als sie hinter ihm eine dick eingemummelte Gestalt gewahrte.
    „Tante Marthe!“
    Sie sprang vom Sofa auf. Der Apotheker hob lächelnd die Hände.
    „Nicht so stürmisch, Kind, sie ist eben erst wieder richtig zu Kräften gekommen.“ Er drehte sich zu Mr. Oliver um. „Ich hab mit ihr geschimpft und ihr gesagt, wie unvernünftig sie doch ist. Schonen muss sie sich, liegen bleiben soll sie. Aber nein, sie wollte unbedingt mit herunter kommen.“
    Der Spielzeughändler winkte ab. „Schon gut. Ich habe noch genügend heiße Schokolade im Haus. Es ist doch Weihnachten, wer will da schon allein bleiben?“ Sein Blick fiel auf Marthe, die gerade glücklich beide Kinder im Arm hielt. „Vor allem, wenn man so viel zu geben hat...“


    Es wurde ein wunderschöner Abend für Mary und Joe und die alte Marthe, und auch für den Spielzeughändler und den Apotheker, die sonst keine weiteren Verwandten hatten. Am klaren Nachthimmel funkelten schon die Sterne, als sich ihre Wege trennten. Joe blinzelte müde und streuselschneckensatt beim Hinausgehen, aber den Zug im Schaufenster würdigte er keines Blickes mehr. Mary und Marthe nahmen den Jungen bei der Hand, und Mr. Oliver blickte den dreien noch so lange nach, bis sie in der Dunkelheit verschwanden. Kurz danach hatte der einsetzende Schneefall ihre Fußspuren bereits mit frischem Weiß gefüllt.

  • 12. Dezember 2009 von bluenightowl



    Die Kirchenmaus


    Es ist schon viel über Mäuse geschrieben worden, ich möchte euch heute eine besondere Maus näher bringen, der Kirchenmaus.
    Wenige haben sie gesehen, aber fast alle haben schon von ihr gehört in dem Ausspruch „Arm wie eine Kirchenmaus sein“




    Gattung : Mäuse
    Lebensraum: Kirchenartige Gebäude, Dome, Kathedralen
    Lebenserwartung: kurzfristig bis Jahrhunderte
    Elterntiere: Handwerker
    Fortpflanzung: einmalig
    Wachstum: meist am Ende einer wertvollen Arbeit wenn die Silberlinge ausgehen
    und kein Nachschub in Sicht ist.
    Ernährung: konnte noch nicht ermittelt werden, die Experten streiten noch darüber,
    die einen sagen Gold, die anderen sind der Meinung von Silber ernähren
    sie sich.
    Anatomie: meist Holzartig
    Lebensweise: meist sitzen sie ganz still in versteckten Ecken und sind schwer zu finden.
    Nur geübte Kenner können sie entdecken und die meisten davon
    schweigen darüber
    Bestand: heute sehr selten
    Verbreitung: Dort wo Kirchenmänner mehr bauten als das Geldsäckel hergab, oder es
    zu fest verschnürt hatten.
    Gefährdung: schon immer stark bedroht, heute „Gott sei Dank“ geschützt
    Natürliche Feinde: der gemeine Holzwurm
    Andere Feinde: die Männer mit dem Geldsäckel
    Spitzhacke, andere Abrissgeräte
    Berühmtheiten: Kirchenmaus im Bremer Dom
    Ihre Botschaft: den einen zur Warnung, den anderen zur Mahnung


    Es gibt viele Geschichten und Sagen über die Kirchenmäuse, manche vor allem um den wahren Grund ihrer Existenz zu verschleiern, oder einfach weil man ihn im Laufe der Jahrhunderte vergessen hat. Man sagt auch, das allein der Anblick einer Kirchenmaus einem Menschen ein Lächeln entlocken kann, oder auch das sich bei manchen Menschen das Gewissen regt.
    Niemand weiß heute mehr, wie viele Kirchenmäuse es gegeben hat, vielleicht sind auch noch einige gar nicht gesichtet worden und sie entziehen sich bis heute ihrer Entdeckung.
    Eine wichtige Vorraussetzung einer Sichtung muss aber gegeben sein: man findet sie nur in alten noch ursprünglichen und originalen kirchenartigen Gebäuden. Sie sind sehr Standort treu und bei Veränderungen zogen sie meist aus und wurden nie wieder gesehen.


    Ich hoffe ich konnte euch die Kirchenmaus etwas näher bringen und vielleicht wird euch einmal so ein seltenes Exemplar aus einer versteckten Ecke zu blinzeln.
    Vielleicht wisst ihr ja auch schon wo eine wohnt, verratet ihr es mir dann unbedingt bitte.


    Ich wünsche Euch einen schönen 12. Dezember und noch eine schöne Vorweihnachtszeit.


    bno

  • 13. Dezember 2009 von polli



    Liebe Tante Else!


    Man sollte meinen, Leuten, die beruflich viel schreiben müssen, fällt es kein bisschen schwer, ihre Weihnachtspost zu erledigen. Was immer sie mit leichter Feder verfassen, klingt persönlich, warmherzig, in Maßen originell und der Empfänger eines solchen Kleinkunstwerks stellt dieses nach ein- zwei- und dreimaligem Lesen beglückt auf das Kaminsims, direkt neben die beiden Hochzeitsfotos und das letzte Bild von Tante Else.


    Ach, wenn es doch so wäre! Letztes Jahr, am 23. Dezember, lagen auf meinem Schreibtisch zahlreiche zerknüllte Entwürfe. Ungefähr diese Worte hättet ihr mühsam zwischen all den durchgestrichenen Formulierungen entziffern können:


    “Liebe Tante Else!
    Wie geht es Dir? - - -
    Uns geht es gut. - - -
    Bei uns ist noch kein Schnee gefallen. - - -
    Liegt bei Dir schon Schnee? - - -”


    Jeder Gedankenstrich – mein Gott, wie treffend ist dieses Wort - ist ungefähr mit einer halben Stunde tiefen Nachdenkens gleichzusetzen. Ihr ahnt, wie sehr ich das Erledigen meiner Weihnachtspost fürchte!
    Peter, der jedes Mal kopfschüttelnd meine Bemühungen betrachtet und dabei vergisst, dass es SEINE Patentante ist, der ich regelmäßig als Erste zu schreiben versuche, machte letztes Jahr eine wahrhaft kluge Bemerkung:
    “Wie wär's, wenn du demnächst nicht erst im Dezember mit deiner Schreiberei anfängst, sondern eher?”
    “Klar, Schatz, eine Superidee, die kann nur von dir stammen! Ende November vielleicht? Oder in den Herbstferien bei einem Glas Wein, wenn wir gerade an der Mosel Urlaub machen? Besser noch: Ostern!”


    Es war an einem heißen Augusttag, als mir beim Durchblättern des Kalenders Peters Worte einfielen. Sooo schlecht war die Idee eigentlich nicht. Ich könnte doch locker Stift und Papier in den Garten mitnehmen, mich auf die Bank unterm Ahornbaum setzen und dort eben ein paar Weihnachtsgrüße notieren.
    Habt ihr je bei 34 Grad im Schatten im Garten ausgeharrt, euren Blick von den herrlich blühenden tiefroten Stockrosen gelöst, eine Wespe verscheucht und den Satz geschrieben:
    “Liegt bei Dir schon Schnee?”
    Es geht nicht, wirklich nicht. Liebe Tante Else, ich werde dir wie jedes Jahr im Dezember einen langen Brief schicken, aber jetzt, um diese Jahreszeit, kriege ich nur Sätze hin, in denen summende Hummeln die Hauptrolle spielen. Entschuldige bitte, wenn ich meinen Block in die Schreibtischschublade räume und in der nächsten Zeit nicht wieder heraushole.


    Im Oktober fiel mir erneut mein guter Vorsatz ein, Peters Rat zu befolgen und rechtzeitig, nicht wie immer in der letzten Minute, meine Post zu erledigen. Zum Glück war es draußen kalt und regnerisch. Der Wind pappte welke Ahornblätter an die Fensterscheibe. Ein tolles Wetter für mein Vorhaben. Ich hatte mir eine List ausgedacht: Wenn ich im Hintergrund leise adventliche Lieder laufen lasse, einen Zimttee zubereite und mir richtig schöne weihnachtliche Gedanken mache, dann, ja dann, habe ich ideale Bedingungen und ein, zwei Stunden später liegen dreizehn fertige Briefe und Karten auf meinem Schreibtisch.


    Die Musik war ein voller Erfolg. Eine sanfte Panflöte mit einem Streicherensemble stimmte erst “Alle Jahre wieder” an, dann “Am Weihnachtsbaume die Lichter brennen.” Ich ließ zwei Kandisklümpchen in meinen duftenden Tee fallen und lächelte milde. Bei “Es ist ein Ros' entsprungen” sang ich leise mit, rührte vorsichtig um und sah dem Kandis beim Zerschmelzen zu. Es folgte mein Lieblingslied: “Engel auf den Feldern singen.” Das sang ich schon lauter. Als ich die CD ein zweites und dann das dritte Mal hörte, konnte ich alle Texte auswendig. Die Panflöte begleitete gerade mein fröhlich in die Küche gesungenes “Ihr Kinderlein kommet”, als es an der Wohnungstür klingelte. Nein, es waren nicht die Kinder, die hatten noch Schule, es war die Nachbarin.
    “Alles klar bei dir?”, sagte sie mit etwas besorgter Stimme. “Habe ich dich gerade Weihnachtslieder singen hören? Sag mal, hast du die Festtage vorverlegt?”
    Ich setzte gerade zu einer Erklärung an, als sie weiterredete: “Zimt, habe ich Recht? Meiner Nase entgeht so leicht nichts! Übrigens, ich habe ein wunderbares Rezept für Zimtplätzchen, das wollte ich unbedingt mal ausprobieren. Du brauchst natürlich Zimtstangen, nicht dieses gemahlene Zeug. Und noch etwas verrate ich dir: Du darfst niemals gewöhnlichen Zucker nehmen, sondern - - - ”
    Das Geheimnis flüsterte sie mir ins Ohr, damit niemand mithören konnte. Typisch Nachbarin. Ich habe uns beiden schnell einen Zimttee aufgebrüht und dann haben wir ihre Plätzchen gebacken, und weil wir gerade beim Ausprobieren waren und noch Teig übrig hatten, haben wir noch zwei Bleche mehr gemacht. Als die Küche wieder aufgeräumt war und wir gemütlich am Esstisch saßen, fiel mir etwas ein: “Weißt du, woran mich deine Plätzchen erinnern? An ein Rezept, das ich von Peters alter Patentante habe.”


    Ach herrje, Tante Else. Wieder nichts geschafft, dabei war es gerade noch so schön weihnachtlich.
    Die Kinder haben sich am Nachmittag sehr über die Plätzchen gefreut. “Mensch, Mama, du backst doch sonst nur im Advent. Was ist los?”
    “Nichts ist los, es war nur eine Idee.”
    Mehr habe ich natürlich nicht erzählt.


    Jetzt ist es Dezember. Der Dreizehnte. Das klingt wie ein Unglückstag. Dreizehn Briefe und Karten muss ich noch schreiben. Im Hintergrund läuft eine CD mit wunderbaren Weihnachtsliedern. Links steht die Tasse mit Zimttee. Vor mir liegt der Schreibblock. Die Nachbarin hat Urlaub, die Kinder sind unterwegs. Der Ahorn hinten im Garten ist kahl, ein letztes regennasses Blatt hängt an einem der Äste. Wollt ihr wissen, was ich bis jetzt verfasst habe?


    “Liebe Tante Else!
    Wie geht es Dir? - - -
    Liegt bei Dir schon Schnee? - - -”

  • 14. Dezember 2009 von Iszlá



    Nicht allein


    Langsam sanken dicke Schneeflocken zur Erde, bedeckten die Straße, die Hausdächer und die Autos am Straßenrand mit einer weichen, weißen Decke. Bis auf das Licht der Straßenlaternen war es stockfinster.
    Mit einem leisen Seufzen wandte Julian sich vom Fenster ab und betrachtete den geschmückten Weihnachtsbaum, an dem seine Mutter soeben die Kerzen entzündet hatte. Er hätte lieber auf das Weihnachtsfest verzichtet. Warum sollten er und seine Mutter allein Weihnachten feiern? Nun, wo sein Vater nicht mehr da war – wie sollten sie sich da über den Schnee, über Geschenke freuen? Es fühlte sich einfach nicht richtig an.
    Der Gedanke, dass sein Vater dort draußen im Dunkeln in der Kälte lag, ganz allein unter einem schneebedeckten Stück Erde, und sie hier drin in der Wohnung, die so völlig verlassen ohne ihn schien, war schrecklich für ihn.
    Unter dem Weihnachtsbaum lagen einige liebevoll verpackte Geschenke mit bunten Schleifen, und auf dem Sofa war bereits die große, kuschelige Decke ausgebreitet. Früher, als sein Vater noch hier war, hatten sie sich am Heiligen Abend zu dritt in sie hineingekuschelt und ihm gespannt zugehört, wenn er die Weihnachtsgeschichte vorlas, noch bevor Julian seine Geschenke auspacken durfte.
    Heute würden sie nur zu zweit sein …
    Julian blickte auf, als seine Mutter das Wohnzimmer betrat, in den Händen einen großen Teller mit den köstlichsten Bratäpfeln der Welt. Vorsichtig stellte sie den Teller auf dem Tisch ab, strich sich die Haare aus dem Gesicht und lächelte Julian an.
    „Komm her“, meinte sie zärtlich, während sie ihre Arme ausbreitete.
    Umständlich kam Julian auf die Beine. Wenigstens war seine Mutter da, dachte er, während er die Wärme ihres Körpers spürte. Wenigstens war er nicht ganz allein.
    Seine Mutter atmete tief ein, ehe sie die Umarmung löste. „Wollen wir jetzt die Geschenke auspacken?“
    Julian zögerte. „Ich weiß nicht“, murmelte er. „Es ist nicht mehr das Gleiche. Papa ist nicht da …“
    Er hatte kaum den Satz beendet, als mit einem Mal das Fenster aufsprang, ein Windstoß in das Zimmer fuhr und die Kerzen am Weihnachtsbaum ausblies.
    Eilig lief seine Mutter zum Fenster und schloss es wieder. „Hast du das Fenster eben geöffnet?“, fragte sie mit gerunzelter Stirn.
    Julian schüttelte den Kopf. Als sein Blick auf die erloschenen Kerzen fiel, bemerkte er etwas. „Mama … die Kerze brennt immer noch.“ Er deutete auf die Kerze, die an der höchsten Stelle des Baumes angebracht war. Normalerweise hätte sie gleichfalls erlöschen müssen.
    Seine Mutter betrachtete das flackernde Licht der Kerze einen Augenblick lang nachdenklich. Dann legte sie Julian einen Arm um die Schultern. „Weißt du, Julian … Ich glaube nicht, dass wir alleine sind. Papa ist auch hier“, flüsterte sie.
    Konnte das wirklich sein? Julian starrte die Kerze an. Sie schien heller zu leuchten als zuvor. „Dann – dann können wir ja doch zusammen feiern, oder?“, überlegte er.
    „Ich denke auch. Und er will bestimmt, dass wir zuerst die Weihnachtsgeschichte lesen, wie jedes Jahr“, meinte seine Mutter.
    Julian löste sich aus ihrer Umarmung und kletterte auf das Sofa. „Komm“, forderte er sie auf, während er schon einen Teil der Kuscheldecke um sich wickelte.
    Sie folgte ihm, nahm das Buch vom Wohnzimmertisch und kuschelte sich gleichfalls in die Decke und an ihren Sohn.
    Die Kerze leuchtete noch immer. Julian ließ sie nicht aus den Augen, als seine Mutter begann, die Geschichte vorzulesen – nicht ganz so gut wie sein Vater, aber Julian hörte ihr dennoch sehr gerne zu.
    Und erst, als sie den letzten Absatz des Buches erreicht hatten, wurde das Licht der Kerze schwächer, die Flamme wurde kleiner und kleiner – und als seine Mutter das Buch zuklappte, erlosch das Licht vollständig.
    Lange Zeit saßen Julian und seine Mutter auf dem Sofa, umhüllt von der warmen Decke, und betrachteten die längst verloschene Kerze.
    Sie waren nicht allein. Auch wenn sie Papa nicht sehen konnten – er war bei ihnen und würde es immer sein.

  • 15. Dezember 2009 von Lyne



    Freundliche Grüße


    "Sieh mal, Liebes, alles ist voller Schnee! Heute Nacht hat es doch tatsächlich geschneit.", der Eifer und die Begeisterung meiner Oma war kaum zu bremsen, als ich noch schlaftrunken aus meinem Schlafzimmer in die Küche kam. Sie stand am Fenster und blickte nach draußen, völlig fasziniert über den ersten Schnee in diesem Jahr. Doch dann drehte sie sich mit einem Lächeln zu mir um: "Guten morgen Lea, hast du gut geschlafen? Setzt dich doch, wir trinken zusammen einen Tee."
    Ich gähnte noch einmal herzhaft, kam ihrer Aufforderung nach und setzte mich an den alten Küchentisch, der nicht unweit des Fensters stand, an dem meine Oma gerade noch nach draußen blickte.
    "Ich mag den Schnee aber nicht!", murmelte ich. Ich kann ich noch ganz genau an den Tonfall erinnern: ein bisschen trotzig aber vor allem noch verschlafen. Meine Oma zog erstaunt eine Augenbraue nach oben.
    "Aber warum denn nicht?"fragte sie mich ehrlich überrascht.
    "Der Schnee ist mir zu kalt. Und außerdem sieht dann alles gleich aus, das ist doch langweilig!", kam es dann von meiner Seite zurück. Meine Oma überlegte. Sie hatte beide Tassen mit heißem Tee gefüllt, setzte sich zu mir an den Tisch und reichte mir meine Tasse.
    "Weißt du", begann sie dann von Neuem, "Vielleicht sieht alles gleich aus, aber du wirst überrascht sein zu hören, dass jede Schneeflocke, die vom Himmel auf die Erde fällt, einzigartig ist. Jede hat eine andere Form, keine gleicht der anderen."
    "Wirklich?", fragte ich ungläubig und schaute mit großen Augen zum Fenster hinaus. Ich dachte lange über ihre Worte nach. In der warmen, alten Küche war es ruhig. Nur die alte Kuckucksuhr, ein überaus scheußliches Ding, tickte leise vor sich hin, das noch etwas nasse Holz knisterte gelegentlich im Ofen, der eine behagliche Wärme ausstrahlte und Oma schürfte leise den immer noch zu heißen Tee.
    "Aber", setzte ich an unser Gespräch an, "Aber das ist doch schade! Ich meine, wenn jede Schneeflocke einzigartig ist, sieht man das doch gar nicht, wenn alle auf dem Boden liegen. Eine verdeckt die andere, in der ganzen Schneeschicht kommt eine doch gar nicht zur Geltung!"
    Meine Oma blickte nach draußen, ein nachdenklicher Ausdruck hatte sich auf ihre alten Züge gelegt. "Ja, das ist wirklich schade... aber weißt du, mit Menschen ist das genauso!"
    "Wie meinst du das?", fragte ich sie und verzog schmerzvoll das Gesicht, als ich an den heißen Tee nippte und mir prompt die Zunge verbrühte.
    "Überleg doch mal, Lea. Jeder Mensch mit seinem Aussehen, seinen Werte- und Moralvorstellungen, seinen Prinzipien, ja alles, was ihn ausmacht, macht ihn einzigartig wie eine Schneeflocke. Er ist vollkommen anders als die anderen um ihn herum! Doch in der Masse geht er einfach unter! Eine Persönlichkeit überdeckt die andere. Es gibt so unzählige Menschen, dass einer nicht besonders heraus sticht. Wenn du einen fremden Menschen auf der Straße begegnest, nimmst du ihn zwar zur Kenntnis, beachtest ihn aber weiter nicht und ein paar Minuten später hast du ihn wieder vergessen. Und das, mein Liebes, ist wirklich schade! Gerade zur Weihnachtszeit sollte man sich die Zeit nehmen, näher auf die Menschen in seiner Umgebung, vielleicht ein freundliches Wort an jemanden zu richten wäre zumindest schon mal ein Anfang."
    Den Morgen, an den sie diese Worte an mich richtete, werde ich nie vergessen.
    Heute sitze ich in meinem Büro, schaue aus den Fenster und wäre um jedes bisschen Schnee froh. Anstatt Schneeflocken fallen Regentropfen von der düsteren, grauen Wolkendecke, die den Himmel überzieht. Ich werfe ihr einen bösen Blick zu in der absurden Hoffnung, sie möge sich in Luft auflösen. Natürlich tut sie es nicht! Der Regen trommelt leise gegen die Fensterscheibe. Ansonsten war es ruhig. Die Digitaluhr auf meinem Schreibtisch piept: 18.00 Uhr. Die Heizung verströmt eine unangenehme, trockene Luft. Der lauwarme Kaffee ist leer getrunken. Ich packe meine Unterlagen zusammen und verstaue sie in meiner Aktentasche. Dann ziehe ich mir die Jacke an, hole den Regenschirm aus den Schirmständer und gehe nach draußen.
    Auf dem Bürgersteig ist es leer, kein Wunder, bei dem Wetter! Nur selten kommt mir jemand entgegen.
    "Guten Abend.", grüße ich einer älteren Frau, die mit mir an der Ampel steht und darauf wartet, die Straße überqueren zu können.
    "Guten Abend!", erwidert die Frau überrascht, aber auch erfreut. Ich schenke ihr eine Lächeln, geh über die Straße und mache mich auf den Weg zu meiner Familie, die mich zu Hause schon erwartet.

  • 16. Dezember 2009 von Blume



    Pit und das große Geheimnis


    Hoch oben, weit über den Bäumen,noch höher als die Berge,da, wo die Wolken sind, gab es ein kleines aber feines Land Namens Heaven.
    Dort lebten viele viele kleine Regentropfen. Es gab große, mittlere und die ganz kleinen.
    Die kleinen wurden von den mittleren behütet und bewacht, gar wie in einem Kindergarten.
    Nun, daß mußte auch so sein, denn die kleinen Tröpfchen waren schier außer Rand und Band.
    Ständig tropften sie um die Wette, versteckten sich hier und versteckten sich dort.
    Da war es freilich kein leichtes sie zu finden. Und wenn einer dieser kleinen Ausreißer mal besonders mühsam war, dann seufzte manch ein mittlerer Tropfen zu sich selbst: „Ach wenn ich doch schon groß wäre...ach wenn ich doch schon groß wäre...“
    Nun, die Kleinen hörten es meist gar nicht oder vergaßen es ganz schnell wieder.
    Doch ein kleiner Tropfen tat es nicht. Er hörte immer ganz genau zu.
    Sein Name war Pit.
    „Was sie wohl damit meinen? Warum nur wollen sie so schnell groß werden?“
    Tag für Tag und Nacht für Nacht dachte er darüber nach.
    So verging die Zeit und Pit kam in die Schule für mittlere Regentropfen.
    Dort lernten er und seine Freunde alles über ihre Welt. Warum sind die Wolken mal weiß, dick und bauschig und dann wieder grau, fade und trist? Wie entsteht der kunterbunte Regenbogen?
    Und wiederum verstrich die Zeit. Inzwischen kannte unser Pit auch das Geheimnis, welches der Satz von einst verbarg. Und er freute sich noch mehr auf das groß werden. Er begann,zusammen
    mit seinen Freunden, auf die neuen kleinen Tröpfchen aufzupassen. Und immer dann, wenn eines ihn ganz besonders neckte, schmunzelte er und murmelte: „Ach wenn ich doch schon groß wäre...“
    Und dann war es irgendwann soweit. Pit und seine Freunde traten ihren Platz als Aufpasser im Kindergarten an die Nachfolger ab. Denn nun begann die schönste Zeit. Voller Aufregung und Spannung. Ein jeder großer Tropfen, denn das waren sie ja nun, bekam seine Anweisungen und dann ging es los. Die Reise begann. Alle setzten sich auf eine riesige Rutsche mit vielen Abzweigungen. Diese führten überall hin. Nach unten, nach links, nach rechts, nach vorne und nach hinten. Wie bei einer riesigen Dusche ebend. Und dann hieß es Abfahrt. Sie holten alle einmal einen großen Schwung und schwupps flitzten sie los. Der eine fiel als Regentropfen in den Ozean, der andere in einen Fluß oder gar Pfütze. Manch einer spielte den Menschen einen Streich und platschte ihm auf die Nase.
    Pit hatte es besonders gut getroffen. Er flog und wirbelte durch die Luft. Huiii war das lustig. Schneller und immer schneller wurde die Reise. Vorbei an den Vögeln, vorbei an den Bäumen. Himmel, war das eine Schau. Plötzlich wurde der Flug langsamer und Pit fühlte sich ganz leicht und luftig. Nanu, was war mit ihm geschehen? Er war zu einer Schneeflocke geworden, zu einer ganz besonders schönen. Weiß, groß und bauschig. Sanft glitt er hinab, mitten in ein Blumenbeet in dessen Erde friedlich kleine Schneeglöckchen schlummerten. Sachte legte er sich nieder, deckte sie zu und bewachte ihren Schlaf. Als jedoch der Frühling anbrach machte sich Pit bereit für die Rückreise nach Heaven. Abgeholt wurde er von Frau Sonne, die ihn mit einem Kitzeln begrüßte.
    „Komm Pit, es ist soweit. Nun geht es zurück nach Hause. Die anderen warten schon auf Dich.“
    Und so sah Pit all seine Freunde wieder und sie hatten eine Menge zu erzählen.
    Denn jeder hatte ein tolles Abenteuer erlebt.
    Das schönste jedoch war, daß sie alle wußten das schon bald für jeden eine neue Reise begann.
    Und Pit hoffte insgeheim, daß er dann wieder als Schneeflocke hinunter auf die Welt durfte. Denn daß, so wußte er, war etwas ganz besonderes gewesen.


    Lange habe ich überlegt was ich wohl schreiben könnte und weil es bei mir hier gerade regnete, so entstand der kleine Pit. Ich hoffe ihr mögt ihn. LG die Blume

  • 17. Dezember 2009 von Luc



    Schöne Bescherung


    Schneeflocken prallen an die Fensterscheiben. Ich reiche dem Tschetschenen den roten Mantel, den Bart, die Stiefel. Endlich hatte ich jemanden gefunden, der den Weihnachtsmann spielen wollte. Der Tschetschene schnallt sich den Gürtel um die Hüfte und schaut auf den Sack mit den Geschenken.


    Seit ich einmal die Woche für das Obdachlosenheim arbeite, habe ich Vergewaltigungen, Raub, versuchten Totschlag, schwere Misshandlungen erlebt. Der Tschetschene wäre nicht der erste, der in den heiligen Hallen der Wohltätigkeit auf perfide Diebstahlgedanken verfiele, denke ich und beschließe, ihn im Auge zu behalten. Im Speisesaal sitzen vierzig Männer, sechs Frauen, alles hoffnungslose Fälle. Es fehlt „Rückfall-Otto“. Der ist für die Beschaffung der Kartoffeln zuständig, die ich nachher schälen muss. Ich schaue durch das Küchenfenster. Der Herr Direktor hält im Saal eine Ansprache. Der Herr Direktor hält jedes Jahr eine Ansprache und freute sich neulich drüber, dass immer Leute kommen, um an den Segnungen des Obdachlosenheims teilzuhaben.


    Mag sein, dass der Tschetschene klauen wird, mag sein, dass der Direktor glaubt, die Verdopplung der Teilnehmerzahl an der Weihnachtsfeier hinge unmittelbar mit seinen tiefschürfenden Reden zusammen. Mag sein, dass „Rückfall-Otto“ seinem Namen alle Ehre machen wird. Nachdenklich stimmt mich der Russe im Saal. Ein Obdachloser mit Laptop. Zwei Tage ist er da. Niemand traut sich, ihn oder den Computer anzurühren. Der Mann sieht furchterregend aus, sagt furchterregende Sachen und schweigt noch furchterregender. Der Direktor ist fertig. Ich gebe das Signal. Der Tschetschene geht in den Saal.


    Er hat mich gefragt, was an Weihnachten gefeiert werde.
    „Die Liebe“, habe ich geantwortet. Ich folge ihm und setzte mich auf einen Stuhl. Der Tschetschene verteilt Geschenke, tatsächlich habe ich das Gefühl, er gewinnt Spaß an der Sache, beginnt den Sinn zu verstehen. Er kommt direkt aus dem Kriegsgebiet, muss schlimme Zeiten mitgemacht haben. Wodurch er allerdings schnell Anschluss im Obdachlosenheim gefunden hat. In einer Kantine des öffentlichen Dienstes wäre für seine Verzweiflung auch gar kein Platz. Hier sitzen die Durchgefallen, die Kranken, Verblödeten, Versoffenen, Traumatisierten, Drogensüchtigen, der sogenannte Abschaum. All die Überflüssigen, die gelegentlich dem Mittelstand den Kaufrausch in der Innenstadt verderben, wenn sie sich bettelnd vor die Karstadt-Filiale setzen.

    Der Russe tippt auf seinen Computer ein. Ich halte ihn für psychisch krank, vielleicht gefährlich. Derweil spricht der Tschetschene in ein Mikrofon. Er macht einen Ausfallschritt hinter den Russen. Plötzlich sagt er kein Wort mehr. Ein Räuspern, ein Hüsteln beherrscht den Raum. Der Tschetschene starrt an dem Russen vorbei auf den Bildschirm und beginnt zu brüllen. Der Russe dreht sich um. Eine Faust fliegt auf seine Nase. Der Tschetschene drischt mit der Rute auf den Russen ein. „Rückfall-Otto“ betritt den Saal. Ich renne zu dem Russen. Zu spät, der Tschetschene rammt ihm ein herum liegendes Messer in den Nacken. Blut quillt aus der Wunde. Mir gelingt es, den Tschetschenen zu beruhigen. Otto nimmt den Russen beiseite. Aus dem Mund riecht er nach Rum. Immerhin hat er die Kartoffeln angeschleppt.
    „Komische Art, seine Liebe zu den Mitmenschen zu zeigen“, schnauze ich den Tschetschenen an.
    „Liebe …“, flüstert er und deutet auf den Computer. Das Hintergrundbild zeigt den Russen in adretter Uniform vor einem Panzer. Unter seinem Arm ein Totenkopf, auf seinem Gesicht ein Siegerlächeln.
    „Meine Freundin ist damals spurlos verschwunden, einfach verschleppt, vielleicht …“, murmelt der Tschetschene, berührt mit dem Zeigefinger den Totenschädel und beginnt zu Schluchzen.
    „Schöne Bescherung“, murmelt Otto.

  • 18. Dezember 2009 von Eny



    Kleine Sünden


    Das Telefon klingelt um vier Uhr morgens. Ich wäre nicht von selbst darauf gekommen, aber das Display des Mobilteils sagt mir, dass wir heute Heiligabend haben. Wobei – wie heißt Heiligabend eigentlich morgens um vier? Heiligmorgen? Heiligverdammtfrühmorgen?
    Ich will nicht drangehen, aber nach circa vierzig Sekunden Klingeln ändere ich meine Meinung. „Ja?“, fauche ich in den Hörer – ein Versuch, dem- oder derjenigen am anderen Ende der Leitung klarzumachen, dass ich vier Uhr morgens nicht als akzeptable Zeit zum Telefonieren betrachte. Diejenige am anderen Ende der Leitung stört das aber kein bisschen: „Hey Schnute, bist du wach?“
    Okay, was soll ich darauf antworten? Nachmittags um vier würde mir sicher ein halbwegs intelligenter Weg einfallen, mich gegen einen derartigen Kosenamen zu wehren, aber dafür ist es zwölf Stunden zu früh. Das am Telefon ist übrigens Sonne. Sonne braucht keinen Kosenamen, ihr Vorname reicht allemal. Er wird regelmäßig von zitiert, wenn es darum geht, die Top-Ten der merkwürdigsten Namen aufzustellen, die es durch das Standesamt geschafft haben.
    Man sollte hier allerdings nicht vom Namen auf die Person schließen. Sonne ist 32 und ziemlich seriös – verglichen mit mir zumindest. (Okay, das mit der Schnute stellen wir hier mal nicht zur Debatte.) Jedenfalls ist sie niemand, von dem ich einen Anruf um vier Uhr morgens erwarten würde. Deshalb – und nur deshalb – mache ich die Nachttischlampe an und setze mich auf. „Ja, ich bin wach. Ist irgendwas nicht in Ordnung?“
    „Kommt drauf an, wie du’s definierst“, sagt sie. „Uns geht’s gut, aber mein Chef hatte drüben einen Herzinfarkt. Sieht nicht allzu gut aus. Deshalb hat er darum gebeten, dass jemand aus der Firma rüberfliegt. Er hat ja sonst niemanden. Ich hab mich bereit erklärt.“
    „Was meinst du mit drüben?“, frage ich. „Doch nicht Sydney?“
    „Doch.“ Kurze Pause. „Mein Flieger geht heute um halb sieben.“
    „Und was ist mit Madita und Janus?“
    Noch eine Pause. Länger diesmal. Okay, ich glaube, ich habe verstanden, wo der Knackpunkt liegt.
    „Kannst du sie nehmen?“, fragt Sonne schließlich. „Nur für die nächsten paar Tage?“
    Moment mal... „Ist heute nicht Weihnachten?“, frage ich, stellvertretend für die ganzen anderen Fragen, die durch meinen Kopf wuseln. („Wo sollen die beiden schlafen? Was soll ich mit ihnen machen, während ich kellnere? Wie soll ich mich bitte erinnern, wen ich für heute Abend alles eingeladen habe und jetzt wieder ausladen muss?“)
    Sonne hat anscheinend weniger Gespür für die Problematik der Situation: „Ich weiß, aber ich erklär’s den beiden. Das ist schon okay. Bei dir fühlen sie sich wohl. Bitte, ich kann sie niemand anderem geben.“
    Ich bin zu gut für diese Welt. „Okay, kein Problem. Wann bringst du sie rüber?“
    „Ich dachte an jetzt.“
    Jetzt? Jetzt im Sinne von jetzt, vier Uhr morgens, heiligverdammtfrühmorgens? „Gib mir eine halbe Stunde, um das Koks vom Teppich zu saugen, ja?“
    „Du hast kein Koks auf dem Teppich.“ Sonne kennt mich zu gut.
    „Stimmt, aber gib mir trotzdem eine halbe Stunde.“
    Sie drückt einen Kuss in die Leitung. „Bis dann!“
    Ich schwinge mich aus dem Bett und warte, bis sich mein Kreislauf an die Vertikale gewöhnt hat. Ich bin nicht direkt verkatert, befinde mich nur in dem Stadium, in dem die Welt ein bisschen länger braucht, um sich in meinen Augen einzupendeln. Nein, ich habe kein Koks auf dem Teppich. In meiner Wohnung gibt es keine Drogen, ich habe noch nie welche genommen. (Okay, wenn man die Joints nicht mitzählt.) Trotzdem sollte ich den Teppich absaugen. Janus ist zwar nicht mehr in dem Alter, in dem er alles in den Mund stecken muss, aber man weiß ja nie.
    Fünfundzwanzig Minuten später steht Sonne mit den beiden Kleinen in der Tür. Janus schläft auf ihrem Arm, Madita hält sich an ihrer Hand fest und pendelt mit geschlossenen Augen hin und her – mehr schlafend als wach. Sonne küsst mich auf die Wange und legt die beiden in mein Bett, wo sie unbeeindruckt ein-, beziehungsweise weiterschlafen. Dann wuchtet sie einen überdimensionalen Koffer und eine blaue Ikea-Tasche ins Zimmer. „Da sind die Geschenke drin“, verkündet sie. „Die im blauen Papier sind für Madita, die roten sind für Janus. Der Adventskranz ist auch irgendwo da drin, und die Adventskalender. Ich habe euch für heute Abend, sechs Uhr, einen Weihnachtsmann bestellt. Du musst zusehen, dass du ihm die Geschenke gibst, ohne dass die beiden etwas merken. Um halb sieben bringt Renate euch einen Gänsebraten, es sei denn, du willst selbst kochen…“
    Mir schwant Böses. „Ich soll mit ihnen Weihnachten feiern?“
    „Ja.“ Sonne schaut mich an. „Komm, Schwesterherzchen, ich weiß, dass du kein Weihnachtsfreak bist, aber das kriegst du hin. Erinner dich an früher, sing ein paar Weihnachtslieder mit ihnen und überlass den Rest dem Weihnachtsmann. Den habe ich schon in den letzten vier Jahren eingestellt, er ist total gut.“
    Ich frage mich, ob Sonnes beneidenswerte Zuversicht genetisch veranlagt ist. Ich kenne niemanden, der seine beiden Kleinen über Weihnachten in einer solchen Nacht-und-Nebel-Aktion bei mir lassen würde – Schwester hin oder her. Eigentlich Stief-Halbschwester, wenn ich es mir recht überlege. Sonne ist mit einem Weltvertrauen gesegnet, das seinesgleichen sucht. Es kommt ihr nicht in den Sinn, dass ich keine Weihnachtslieder mehr kann und für heute Abend die halbe Berliner Technoszene eingeladen habe – statt des Weihnachtsmanns.
    Ich werde sie jetzt auch nicht über diese Sachverhalte aufklären, beschließe ich. „Guten Flug“, wünsche ich stattdessen. „Halt die Ohren steif.“
    „Du auch“, sagt sie. „Küss die beiden von mir.“
    Dann ist sie weg. Scheiße.
    Ich habe noch nicht mal einen Weihnachtsbaum. Wo zum Teufel kauft man Weihnachtsbäume? Vor Aldi gab es bis vorgestern einen großen Stand, aber den haben sie leergekauft. Haben Weihnachtsbaumstände Heiligabend geöffnet? Müssten sie ja eigentlich… Ich werde Madita fragen, wenn wir alle wach sind.
    In Ermangelung eines Sofas hole ich sämtliche Handtücher, die ich in meinem Schrank finden kann, und baue mir ein Bett auf dem Küchenboden. Um nicht falsch verstanden zu werden: Madita und Janus sind die süßesten Kinder seit Menschengedenken. Wenn sie nicht zu meiner Stief-Halbschwester gehören würden, würde ich sie entführen und adoptieren. Manchmal zumindest. Aber sicher nicht an Heiligabend…
    ***
    Madita weckt mich, als die Sonne gerade aufgeht. Das ist viel zu früh – aber ich habe heute auch einiges zu tun. Madita ist sieben und das blondeste Kind, das ich kenne. Jeder Krippenspielregisseur hätte seine helle Freude an einem Engel wie ihr – falls Krippenspiele Regisseure haben, denn davon bin ich nicht überzeugt. Janus sitzt vor meinem Handtuchbett auf dem Boden und öffnet das letzte und größte Türchen seines Adventskalenders. Er ist drei Jahre alt und der grinsende Inbegriff von Knuddeligkeit. Jetzt stopft er sich mit beiden Händen ein gigantisches Nougat-Plättchen in den Mund. Das, was nicht mehr reinpasst, wird außenrumgeschmiert. Eigentlich wäre ein feuchtes Taschentuch angebracht, aber mir ist eher nach einem Fotoapparat.
    Plötzlich stößt Madita einen empörten Schrei aus. Sie sitzt vor ihrem Adventskalender, vor der geöffneten Nummer 24 – und sie ist leer. Ihr Blick wandert zwischen Janus‘ Nougat-Schmiererei und dem leeren Kalender hin und her – und plötzlich kullern Tränen aus ihren Augen. Ein „Ist doch nicht so schlimm“ bleibt mir im Hals stecken. Janus hat aufgehört zu kauen und starrt mit großen Augen auf den Kalender seiner Schwester. Als er meinen Blick bemerkt, guckt er plötzlich weg. Jetzt ist er der Inbegriff schuldbewusster Knuddeligkeit. Das geht ja gut los, heute.
    „Das sag ich Mama, du Arsch!“, schluchzt Madita. Janus hat aufgehört zu kauen und starrt mich an. „Madita…“, beginne ich, aber ich weiß nicht, was ich sagen soll. Janus hat ihre 24 ausgeräumt, das steht in Großbuchstaben auf seinem Gesicht. Aber was soll ich sagen? Ich habe immerhin keine Erziehungsshow auf RTL.
    Hecktisch angle ich drei Snickers aus meiner Notfallbox auf dem Kühlschrank und setze mich neben Madita. „Mäuschen, das passiert manchmal“, sage ich und reiche ihr die Riegel. „Die Wichtel, die die Kalender machen, passen nicht immer auf. Das war keine böse Absicht von ihnen.“ Ich wünschte, Sonne hätte mir genauere Instruktionen gegeben. Glauben ihre Kinder an Wichtel? Engel? Rentiere? Welche Märchen darf ich ihnen auftischen?
    „Welche Wichtel?“, schnieft Madita und würdigt die Riegel keines Blicks. „Die Kalender hat Renate gemacht.“
    Okay, da haben wir den Salat. „Ah, verstehe“, sage ich und suche verzweifelt nach einem pädagogisch wertvollen Ausweg. „Guck mal, Madita, ich weiß nicht, warum deine Schokolade fehlt, aber die hat ganz bestimmt niemand geklaut. Das würde sich keiner trauen.“
    Sie guckt mich mit großen Augen an, genau wie Janus. „Jeder weiß, dass es keine Geschenke vom Weihnachtsmann gibt, wenn man so etwas macht“, fahre ich fort.
    Janus ist ganz steif geworden, ihm tropft Nougat vom Kinn. Seine Hände zittern. Okay, so pädagogisch wertvoll war diese Nummer auch nicht. Himmel, gibt es vielleicht irgendein Buch, in dem man so etwas nachlesen kann? Was tue ich, wenn mein Stief-Halbneffe meiner Stief-Halbnichte das Nougat klaut? Wenn ja, dann hätte ich es jetzt gerne.
    Madita hat sich beruhigt und den ersten Snickers-Riegel geöffnet. Dabei wirft sie Janus einen ziemlich eindeutigen Blick zu. „Du bekommst keine Geschenke und ich schon“, heißt dieser triumphierende Gesichtsausdruck. Janus fängt an zu heulen. Scheiße. Diese Kinder machen mich wahnsinnig.
    Ablenkungsmanöver, sofort! „Wer hat Lust, mir bei der Suche nach einem Weihnachtsbaum zu helfen?“, frage ich und lächle in die kleine Runde. Keiner lächelt zurück.
    „Ich nicht“, erklärt Madita. „Ich muss malen. Ich bleibe hier.“ Ihre beiden Snickers fest in der Hand, geht sie zur Ikea-Tasche und holt eine Packung Buntstifte heraus. Kann man Kinder in ihrem Alter allein zu Hause lassen? Darf man das überhaupt? Ich würde ja gerne Sonne anrufen, aber die befindet sich momentan mit ausgeschaltetem Handy irgendwo zwischen Troposhäre und Stratosphäre. Mist. Als Babysitter bin ich noch schlechter, als ich gedacht hätte.
    Janus steht auf und greift nach seiner kleinen Jacke, die auf dem Bett liegt. „Ich will einen Baum kaufen“, sagt er zwischen zwei Hicksern und versucht, seine Ärmchen in die richtigen Öffnungen zu stecken. Ich nehme das als Zeichen. „Madita, du bleibst auf dem Bett sitzen und malst, während wir weg sind“, sage ich und helfe Janus. Sie nickt und öffnet ihren zweiten Schokoriegel. Ich schließe die Türen zur Küche und zum Balkon ab und nehme Janus‘ Hand. „Arm“, sagt er und streckt die Hände aus.
    „Kleiner, du bist zu alt dafür“, sage ich, aber ich nehme ihn trotzdem hoch. Janus ist immer noch ziemlich verstört – und daran bin ja ich schuld. Ich winke Madita, aber die ist schon längst in ihrer Buntstiftwelt verschwunden.
    Kaum haben wir das Gebäude verlassen, beginnt Janus zu weinen. Ich stelle meinen Baumkauf-Plan fürs erste hinten an und setze mich auf eine Bank vor dem Gebäude. Der Kleine hat sich in mein Halstuch verkrallt, als wäre er damit verwachsen. „He, was ist denn?“, murmel ich und schaukel ihn hin und her.
    Langsam beruhigt er sich und schaut zu mir auf. „Ich will nicht, dass der Weihnachtsmann kommt“, schnieft er.
    Ich stöhne innerlich. Hätte ich bloß meinen Mund gehalten. Das hier ist viel schlimmer als Maditas leere Nummer 24 im Adventskalender. „Warum denn nicht?“
    Von ihm kommen nur weitere Hickser. Ich versuche es noch einmal: „Hat es was mit Maditas Adventskalender zu tun?“
    Er nickt und hickst weiter. „Ich will nicht, dass der Weihnachtsmann kommt“, wiederholt er.
    Ich fühle mich extrem beschissen. „Weißt du was, Janus?“, murmel ich schließlich. „Es gibt da etwas, das ich Madita nicht gesagt habe: Wenn man etwas Böses gemacht hat und es einem hinterher leid tut, dann bekommt man seine Geschenke trotzdem.“ Janus horcht auf und schaut mich an. Sein Gesicht ist völlig nougat-tränenverschmiert – genau wie mein Mantel, aber das ist nicht wichtig. „Wie wär’s, wenn ich den Weihnachtsmann anrufe und ihm sage, dass es dir leid tut – wäre das okay?“
    Janus nickt mit großen, feuchten Augen. Ich hole mein Handy aus der Tasche und drücke ein paar Tasten. „Hallo?“, sage ich, als ich es an mein Ohr halte. „Bin ich da beim Weihnachtsmann? Oh, Sie sind ein Engel? Können Sie mir den Weihnachtsmann ans Telefon rufen? Ja, ich weiß, der hat viel zu tun, aber es geht um den kleinen Janus – ja, den kennen Sie? Vielen Dank.“
    Ich warte kurz, während der Engel den Weihnachtsmann holen geht. Janus starrt mich wie entrückt an. Ich bedauere plötzlich, dass auch er eines Tages groß sein wird, zu groß, um zu glauben, dass man alle Probleme so einfach lösen kann.
    „Ja, hallo Weihnachtsmann. Toll, dass ich Sie sprechen darf“, rede ich weiter, ermutigt durch Janus‘ plötzliches Grinsen. „Ich bin die Patentante von Janus. Ja, Sie haben davon gehört?“ (Warum sieze ich den Weihnachtsmann eigentlich?) „Hören Sie, Weihnachtsmann, ich habe gerade mit Janus gesprochen und ich soll Ihnen sagen, dass es ihm ganz doll leid tut.“
    Kurze Pause. Lieber Weihnachtsmann, falls es dich wirklich gibt, wünsche ich mir nur eins: nämlich dass niemand, den ich kenne, dieses Pseudotelefonat belauscht hat.
    „Meinen Sie, dass Janus jetzt trotzdem seine Geschenke haben kann? Wirklich? Oh, super, toll, echt!“ Janus grinst und wippt auf meinem Schoß. „Vielen Dank, Weihnachtsmann“, beende ich das Telefonat. „Bis heute Abend!“
    Ich lege auf. Janus‘ Augen leuchten. „Da haben wir aber Glück gehabt, was?“, frage ich ihn. Er nickt grinsend und rutscht von meinem Schoß. „Baum kaufen gehen?“, fragt er und greift nach meiner Hand. Stimmt, ein Weihnachtsbaum… Da war ja was.

  • 19. Dezember 2009 von Voland



    *Ein Mädchen geht spazieren und denkt nach*


    Ihr Unbehagen wuchs mit jedem Tag, jeder Stunde. Am Nachmittag unternahm
    sie einen Versuch der Melancholie beizukommen, und wagte sich unter die
    Menschen. Ohne Eile spazierte sie in Richtung Altstadt, trieb sie
    beschaulich und unbekümmert wie ein Blatt im Fluss dahin. Vorbei an den
    Geschäften, die wie Blumensträuße aus dem Boden sprossen, vorbei an mit
    Tannenzweigen und Glöckchen verzierten Türen und Fenstern, vorbei an all
    den nicht weniger geschmückten Menschen, die, so schien es ihr, beinahe
    selbst leuchteten. Hastende Mütter und Väter. Angestrengte, oft müde, im
    Grunde aber glückliche Gesichter. Menschen jeden Alters, jeden
    Geschlechts, Hand in Hand. Verzückte, junge Paare, Arm in Arm. Und
    inmitten des Stroms, hier und da, frohlockende Kinder, die bald den
    Gehweg entlang voraus stürmten, von den Lichtern und der Musik und dem
    Duft des Weihnachtsmarkts angezogen, bald darauf wieder an die Seite
    ihrer Eltern zurückkehrten. Nachdenklich hielt das Mädchen an einer
    Straßenkreuzung inne, und schaute sich nach all den Passanten um, denen
    die Fröhlichkeit ins Gesicht gemeißelt schien. Als hätte wenige Wochen
    vor Weihnachten ein himmlischer Wind das Land und die Menschen erfasst
    und ihnen Liebe eingeflößt.


    Nun erst spürte das Mädchen ihre feuchten, klammen Finger, die kalte
    Brise, die sie umspielte, und fand, dass es höchste Zeit war, ins Haus
    ihrer Eltern zurückzukehren. Der Schneeball, den sie während des
    Spaziergangs die ganze Zeit sicher mit beiden Händen umklammert hielt,
    schwand schon und es dunkelte bereits. Als sie um die Straßenecke bog,
    unachtsam und in Gedanken versunken, stieß sie mit einem Ehepaar
    zusammen. Viel fehlte nicht, und der Schneeball wäre ihr entglitten. Ein
    Moment des Schreckens, dann lachte der Mann herzlich und seine Frau
    stimmte munter ein. Lachten nicht über sie, nicht über das vermiedene
    Unglück, lachten ohne zu wissen warum. Das Mädchen verspürte so rechte
    Lust, den beiden mit dem Schneeball das Gesicht einzuseifen, ging dann
    aber weiter ihres Weges. Oh, all die Heiterkeit und Liebe, dachte das
    Mädchen. Woher kommen sie, und wohin verschwinden sie nur, wenn das Jahr
    endet?


    Statt das Elternhaus zu betreten, verweilte sie am nur hüfthohen
    Gartenzaun, ließ den Blick schweifen und obgleich sich entlang der
    Straße vor ihren Augen ein unermüdliches Schauspiel von Fröhlichkeit und
    herrlich bunten Lichtern darbot, kam bei dem Mädchen keine Freude auf.
    Etwas fehlte. Etwas fehlte seit Jahren im großen Gemälde ihrer Welt und
    entlarvte die Menschen in all ihren sonderbaren Eigenheiten. „Ich habe
    mich hinreißen lassen“, flüsterte das Mädchen dem Schneeball zu und
    betrachtete ihn traurig. Den einst wunderbar riesigen Klumpen konnte sie
    inzwischen mit einer Hand umfassen. Und doch entlockte er ihr nach all
    den Jahren noch manches mal ein Lächeln. Manchmal befreite er ihr Herz
    von allen Fesseln.


    Das Mädchen, seit jeher romantisch veranlagt, dachte daran, auf den
    Gehweg zu treten, die Augen zu schließen, sich einige male im Kreis zu
    drehen und dann den Schneeball hinfort zu werfen. Dann, dachte sie
    weiter, die Augen öffnen, dem Flug des Schneeballs folgen, ihm
    schließlich hinterher eilen, wohin auch immer er sie führen würde: Auf
    die Straße, zurück ins eigene Haus oder zum Nachbarn, der erst kürzlich
    hinzugezogen war und dessen scheinbare Einsamkeit sie seit jeher anzog.
    Vielleicht würde er gerade aus dem Haus treten, da der Schneeball an
    seinem Mantel in tausend Flocken zerstäubt. Ihre Blicke würden sich
    begegnen, ein zaghaftes Lächeln ihre Münder umspielen. „Immer allein?“,
    würde das Mädchen dann fragen, während sie sich sachte seinem Grundstück
    nähert. „Immer allein!“ Als sich das Mädchen dabei ertappte, wie ihr
    diese Vorstellung das Herz schneller pochen ließ, fand sie es albern und
    erschrak.


    Schmerzhaft krampfte sich ihr Herz zusammen. Bittersüße Erinnerungen
    ihrer Kindheit überfielen sie. Mit großer Hingabe hatten sie im Garten
    einen Schneemann erschaffen, und ihm – da er so verloren wirkte - bald
    darauf eine Schneefrau an die Seite gestellt, und schließlich mit sieben
    Schneekindern das Glück vollkommen gemacht. Am Abend standen sie am
    Fenster, betrachteten die Schneefamilie und bestaunten die flockigen,
    vom Himmel purzelnden Schneeflocken. Bei einer besonders großen
    Schneeflocke zeigten beide aufgeregt mit dem Finger darauf und
    zeichneten in der Luft ihren Flug nach. Bis zur völligen Erschöpfung
    hatte sie ihren kleinen Bruder auf dem Schlitten um die Häuser gezogen.
    Am Vorabend der Bescherung studierten sie Gedichte ein, sangen Lieder,
    überlegten, wann der Weihnachtsmann erscheinen würde. All das wurde dem
    Mädchen vor Jahren, fast auf den Tag genau, genommen und ihr blieben nur
    noch Erinnerungen. Erinnerungen, die allmählich verblassten und
    schmolzen. So wie der kümmerliche Rest in ihren Fingern, der einst den
    Schneemann schmückte. Seit jenem Tag hatte es in der Stadt in all den
    Jahren nicht mehr geschneit. Oft um diese Jahreszeit fragte sie sich, ob
    zwischen beiden Geschehnissen ein Zusammenhang bestand.


    Das Mädchen betrat das Haus, wickelte den Schneeball behutsam in Folie,
    packte ihn dann in einen kleinen Karton und verstaute diesen in der
    Gefriertruhe am gewohnten Platz. Wie lange konnte sie diese kostbare
    Erinnerung noch bewahren? Ahnte sie damals schon, dass sie keine weiße
    Weihnacht mehr erleben, keinen Schnee mehr sehen, keine weihnachtliche
    Freude mehr empfinden würde?
    „Man muss irgendwann loslassen“, hatte ihre Mutter gesagt. Das Mädchen
    wollte loslassen vom Schmerz, nicht aber indem sie vergaß und
    verdrängte, sondern indem sie sich schönerer Zeiten besann. Eine Welt,
    die nicht tot und grau, sondern hell und von seinem Lachen erfüllt war.
    Schnee zum Heiligabend wünschte sie sich, denn Schnee stand für alles
    was sie vermisste: Einen geliebten Menschen, einen nie wiederkehrenden
    Abschnitt im Leben, ein unbeschwertes Alter. Kein Schnee hingegen,
    fühlte sie, ohne das Gefühl näher bestimmen zu können, stand für das
    Ende ihrer Kindheit.

  • 20. Dezember 2009 von Ramona



    Das Fest der Liebe


    Überall immer nur Weihnachtstüten, Lichterketten, Plätzchen, Kinder, Weihnachtsmänner und rot - überall ist es rot und bunt. Und das jedes Jahr aufs Neue!
    Grimmig schlurfte der alte Mann durch die dünne Schneeschicht. Die Einkaufsstraße war sehr belebt. Überall roch es nach süßen Leckereien, viele Kinder sprangen zwischen den Beinen und Tüten hin und her und es summte wie in einem Bienenstock. Dieses Jahr hatte es auch schon früh begonnen zu schneien und alle Menschen freuten sich auf eine weiße Weihnacht - nur einer nicht.
    Er schaute missmutig in die lachenden Gesichter, verständnislos über so viel Freude. War das Jahr nicht hart genug gewesen? Es blieb einfach zu viel Geld übrig, das für den ganzen Klüngel verwendet werden konnte. Wären die Leute alle in seiner Zeit geboren, hätten sie sich eher Gedanken um das Essen, als um den ganzen unwichtigen Kram gemacht. Wie sich die Zeiten doch änderten!
    Er war so tief in Gedanken versunken, dass er den Kinderschlitten vor seinen Füßen nicht bemerkte. Prompt fiel er darüber und blieb im unberührten Weiß am Straßenrand liegen. Enttäuschung, Trauer und Wut rangen in ihm. Mühsam stemmte er sich hoch und schimpfte erbost mit dem kleinen Jungen, der erschrocken zu ihm hinab blickte: „Du kleiner Rotzlöffel! Was fällt dir eigentlich ein? Was stehst du da so nutzlos im Wege herum? Als ich in deinem Alter war, da durfte ich schuften…!“
    Hilflos kullerten dem kleinen Kerl die Tränen über die Wangen.
    „Zu meiner Zeit hätte es etwas gesetzt, mein Junge. Und jetzt heulst du auch noch!? Willst du später denn mal kein starker Mann werden…? Was soll bloß aus dir werden?“
    Der alte Mann hatte sich heftig in Rage geredet und unterstützte dies mit hocherhobener Faust und heftigen Gesten.
    Da trat eine Frau vor den weinenden Jungen, welche sich als dessen Mutter herausstellte und ihn mit Nachdruck verteidigte: „Warum reden sie so mit meinem Jungen? Es kann doch mal passieren, dass Kinder etwas im Wege stehen lassen. Er ist doch erst 5 und sie waren doch wohl auch mal klein! Lassen sie Gnade walten, wir haben doch in wenigen Tagen Weihnachten. Da sollte man nett zu allen Menschen sein. Es ist auch das Fest der Liebe.“
    „Was wissen sie schon über Liebe und Weihnachten?“
    Das Gesicht des Mannes verzerrte sich schmerzhaft und das Wasser stieg ihm in die Augen.
    Die Mutter des Jungen kniete sich nieder und nahm ihn in den Arm. Er begann hemmungslos an ihrer Schulter zu schluchzen.
    Sie ließ ihn gewähren und versuchte ihn mit sanften Worten zu trösten. Ihr tat der Mann leid.
    „Möchten sie als kleine Entschädigung für die Unachtsamkeit meines Sohnes mit zu uns kommen?“
    Etwas erstaunt hob er den Kopf. Seine Augen waren gerötet und ihm war die Situation nun sichtlich peinlich. Zumal sich schon eine beträchtliche Menge Schaulustiger um die Szene geschart hatte.
    Der Junge stand ebenfalls schrecklich verlegen daneben und hielt das Seil seines Schlittens krampfhaft umklammert.
    Zu ihm sagte der Mann zaghaft lächelnd und etwas verkrampft: „Ich heiße Justus und ich habe leider nie einen Schlitten besessen. Möchtest du mir vielleicht bei Gelegenheit zeigen, wie man damit fährt?“
    Eilfertig nickte der Junge ihm zu. Seine Mutter lächelte und half Justus auf die Beine, während die umstehenden Menschen klatschten. Sie bildeten eine Gasse, während sie sich bei Justus unterhakte und ihren Sohn bei der Hand nahm.