Wadi und die heilige Milada - Ghalib Halasa

  • Literarische Weltreise - Jordanien


    Ein kleines (christliches) Pilgertrüppchen aus einem Dorf in der Nähe von Amman macht sich auf den Weg zur heiligen Milada, einem kleinen Mädchen, dem die Jungfrau Maria begegnet sein soll, etwa die blinde Nawal, die irre Aziza und der lahme Issa. Warum der zehnjährige Wadi mit seiner Mutter ebenfalls teilnimmt, bleibt unklar.
    Eine Reisegruppe also, die man eigentlich von tiefer Frömmigkeit durchdrungen glauben könnte, die aber ihren weltlichen Zwist und tiefsitzenden Aberglauben mit auf diese Pilgerfahrt nimmt. So ist Aziza nur deshalb verrückt geworden, weil sie beim Anblick einer Dämonin vergaß, sich zu bekreuzigen, während Issas Lahmheit sicherlich daher rührte, dass er der alten Umm Yussuf vor Jahren einige Hühner gestohlen hat. Mit Eseln, Bus und Sammeltaxi, bepackt mit Gastgeschenken in Form diverser Naturalien, machen sie sich also auf den Weg, bestaunen in Amman den Verfall der Sitten und versuchen am Ziel schließlich mit unverhohlener Bauernschläue, auch bei diesem spirituellen Ereignis ihre Schäfchen ins Trockene zu bringen.


    Dieses kleine jordanische Roadmovie ist nicht spektakulär, seine literarische Bedeutung erschließt sich zunächst nur im Zusammenhang jordanischer Lebenswirklichtkeit an der Schwelle zwischen Tradition und Moderne, kurz: erstmal erscheint diese Novelle ziemlich belanglos. Erst beim Weiterlesen (und Nachdenken), ändert sich der Fokus, im Mittelpunkt steht nicht die Geschichte, sondern die Menschen mit ihren ganzen, eigentlich universell verbreiteten Menschlichkeiten und Unmenschlichkeiten. Man beobachtet sie in ihrem Tun, unbewertet und unerklärt, und plötzlich erkennt man trotz aller kultureller Unterschiede, den eigenen Nachbarn wieder, das eigene Denken.
    Es gibt keine Helden, alle Beteiligten handeln ambivalent, wie im wirkliche Leben. Dabei sind die Schilderungen leise ironisch und manche Situation unerhört komisch, was sich meist aus den Feinheiten menschlichen Miteinanders ergibt. Die Sprache erschien mir recht einfach, manchmal seltsam, was aber auch an der Übersetzung oder mir unbekannter arabischer Spracheigenheiten liegen kann.


    Ein hübsches Buch, das einen für kurze Zeit in eine andere Welt entführt.


    Nachtrag zum Autor:


    Ghalib Halsa wurde Mâa’în geboren. Er studierte von 1950 bis 1958 Publizistik in Beirut. Als sehr stark engagierter oppositionell Linker hatte er Schwierigkeiten mit der Staatsgewalt und wurde 1956 für den Rest seines Lebens aus Jordanien verbannt. Nach der Verbannung hatte er keinen festen Wohnsitz mehr, er wechselte unter anderem zwischen den Städten Beirut, Bagdad, Kairo und Damaskus. Halasa hat als Journalist für einige Nachrichtenagenturen und Zeitungen geschrieben und übersetzte Autoren wie William Faulkner und J. D. Salinger aus dem Englischen ins Arabische. Insgesamt schrieb er sieben Bücher und einige Kurzgeschichten.

    Menschen sind für mich wie offene Bücher, auch wenn mir offene Bücher bei Weitem lieber sind. (Colin Bateman)

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