Titel: Vor dem Zitronenbaum. Autobiographische Abschweifungen eines Zurückgekehrten
Autor: J. Hellmut Freund
Verlag: S. Fischer Verlag
Erschienen: Dezember 2005
Seitenzahl: 576
ISBN-10: 3100233034
ISBN-13: 978-3100233035
Preis: 22.90 EUR
Hellmut Freund wurde 1919 in Berlin geboren. Gerade noch rechtzeitig konnte er 1939 mit seiner Familie Deutschland verlassen und nach Montevideo in Uruguay ins Exil gehen. Hellmut Freund war Jude. 1960 kehrte er nach Deutschland zurück und wurde dort Lektor im S. Fischer Verlag. Bis zu seinem Tode im Jahre 2004 blieb er dem S. Fischer Verlag treu.
Leider endet dieses Buch mit der Rückkehr von Hellmut Freund nach Deutschland. Der Tod hinderte ihn daran seine Autobiographie weiterzuschreiben. In einem Nachwort schildert die Journalistin Vikki Schaefer die Zeit Hellmut Freunds beim S. Fischer Verlag. Einige Essays von Freund runden das Bild über diesen außergewöhnlichen Mann ab.
Hellmut Freund war ein hochgebildeter Mann, mit umfassenden Kenntnissen der Literatur, der Musik aber auch der Kunstgeschichte. Seine Meinung vertrat er nachdrücklich, verließ dabei aber nie den Boden der Sachlichkeit. Es ging um die Sache, nie um das eigene Ego. In diesem Buch erzählt er aus seinem Leben, er berichtet über seine Familie, über Freundschaften und über seine Kinder- und Jugendjahre in Berlin und letztendlich von seinem Exil in Montevideo. Aber immer stehen bei ihm die Menschen im Mittelpunkt, und wenn sein Nachnamen einen Zusatz verdient hätte, dann wäre es das Substantiv „Mensch“ gewesen. Hellmut „Menschen“Freund.
Dieser Lebensbericht besticht durch seine sprachliche Eleganz, seinen ganz besonderen ruhigen Charme. Nie wird Hellmut Freund aufdringlich, nie stellt er sich in den Vordergrund, trotzdem wird dem Leser sehr deutlich, wofür dieser Mann gestanden hat. Er erzählt über sein Judentum ohne sich dabei in irgendwelche Radikalismen zu flüchten. Manchmal hat man allerdings den Eindruck, dass die Verbrechen an den Juden währen der Naziherrschaft sein Begriffsvermögen offensichtlich übersteigen. Dieser hochintelligente Mann, dieser Menschenfreund, konnte einfach nicht verstehen, nicht begreifen, wozu Menschen fähig sind. Trotzdem spürt man, auch wenn er das Ausmaß vielleicht nie so ganz begriffen hat, seine große Trauer über das Geschehene, Trauer die sich personifiziert an Freunden, die zurückgeblieben sind, die zurück bleiben mussten.
Dieses Buch ist ohne Frage ein echtes Juwel unter den Autobiographien. Hier schreibt endlich mal einer, der sich nicht beweihräuchert, hier schreibt jemand der sich sachlich äußert, der ungemein treffend formulieren kann und der sicher auch zufrieden auf seinen Lebensweg zurückschauen kann. Sehr anschaulich schildert er seine Freundschaft mit dem Schriftsteller Hans Keilson und dem Dirigenten Fritz Busch.
Sehr lesenswert – ein wirkliches Highlight.