Hilde Vandermeeren: Cleos Kästchen (Kinderbuch ab 9 J.)

  • OT: Het kistje van Cleo 2005


    Cleo wohnt mit ihren beiden Schwestern und ihrer Mutter seit drei Monaten in Haus Hügelblick 2. Wie der Name schon ahnen läßt, ist es weder mit Blick noch mit Hügeln weit her, das, was einem Hügel am nächsten kommt, ist der nahegelegene Bahndamm. Cleos Blick dagegen bleibt an Hochhaus Hügelblick 1 hängen, sollte ihr der Sinn nach Aussicht stehen. Was er nicht tut.
    Cleos Vater ist gestorben und hat die Familie, in der finanzielle Mittel schon immer knapp bemessen waren, arm zurückgelassen. Der Alltag ist ein einziger Kampf.


    Die belgische Autorin erzählt aber keine Geschichte von Armut, sondern eine Geschichte über den ganz normalen Kinderalltag vor dem Hintergrund von Armut. Cleo sucht Freunde und sie findet sie auch. Ihre neuen Freunde haben ebenso wie sie ihre eigenen Probleme und ihre Geheimnisse, das eine oder andere schön, das eigentliche schrecklich. Wie sie mit den Problemen umgehen und dabei lernen, auch miteinander umzugehen, ergibt eine richtig spannende Geschichte.


    Vandermeerens kleine Heldinnen und Helden sind empfindlich und taff, liebebedürftig und frech, ängstlich und zwischendurch so mutig, daß es fast wehtut beim Lesen. Schließlich handelt es sich um Kinder. Die Klemmen, in die sie geraten, sind zwischen Tragik und Komik angesiedelt, der Blick ist immer der der Kinder. Man spürt auf jeder Seite die Bewunderung, die die Autorin für die inneren Ressourcen hat, aus denen Kinder schöpfen können, um den Alltag zu bewältigen.


    Vor allem aber ist das Buch eine Geschichte über Geschwisterbeziehungen. Die Auseinandersetzungen zwischen Cleo und ihrer stark pubertierenden Schwester Beverly sind wunderbar rotzig und frech, Cleos Verhältnis zur ganz kleinen Schwester Elli, die sie viel zu oft für ihren Geschmack mit sich herumschleppen muß, nahezu perfekt eingefangen mit ihrem Schwanken zwischen schwesterlich-mütterlicher Fürsorge und kindlichem Zorn auf die brutale Beschränkung der eigenen Bewegungsfreiheit. Originell ist, daß sich die Beschreibung der Geschwisterbeziehungen nicht auf die Ebene der Kinder beschränkt, sondern auch am Beispiel von Cleos Mutter und ihren Schwestern gespiegelt wird. Überhaupt ist die Geschichte für das Lesealter überraschend komplex, ohne jedoch zu überfordern.


    Was es mit Cleos Kästchen auf sich hat, erfährt man erst ganz zum Schluß. Die Auflösung ist recht geschickt mit der Lösung einiger anderer Probleme der Geschichte verbunden und sehr befriedigend für kindliche Leserinnen und Leser. So läßt es sich ertragen, daß so manches offenbleibt, offen bleiben muß. Denn das ist eine moderne Geschichte und kein Märchen.

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus