Der Lippenstift meiner Mutter – Artur Becker

  • Gebundene Ausgabe: 313 Seiten
    Verlag: Weissbooks (23. August 2010)


    Kurzbeschreibung:
    Der Lippenstift meiner Mutter katapultiert uns mitten hinein in das Herz von Masuren, in die kleine Stadt Dolina Ró und zu ihren Bewohnern: die rosen-kranzbetenden Großmütterchen und die verruchte Dorfschönheit, der ehemalige Wehrmachtssoldat und die prügelnden Väter, eine stalinistische Dichterin, der warmherzige Schuster Kronek und natürlich die rebellierende Jugend, die verbotene Platten hört und Pläne für eine Revolution ausbrütet. Das beschauliche Dolina Róz steht aber schlagartig Kopf, als unvermittelt Barteks Großvater, ein melancholischer und geheimnisumwitterter Eisenbahner, von allen bloß "Franzose" genannt, aus dem Ausland zurückkehrt. In dem sich rasch entspinnenden Chaos muss der junge Bartek seinen Platz finden. Keine leichte Aufgabe, schließlich hat Bartek vor allem Augen für seine unsichtbare Geliebte Meryl Streep sowie den Lippenstift seiner Mutter. Mit Bartek hat Artur Becker eine wunderbare Romanfigur erschaffen: Ein polnischer Holden Caulfield, ein wie sein amerikanisches Pendant nicht besonders guter Schüler, ein Eigenbrötler, Träumer und Rebell, ein junger Kerl in der bizarren Welt der Großen, einer der abhauen will, um dem Spießertum zu entkommen und um endlich sein Mädchen zu finden.


    Über den Autor:
    Artur Becker wurde 1968 in Bartoszyce, Masuren geboren. Seit 1985 lebt er in Deutschland. Er veröffentlichte u.a. Der Dadajsee, Der Gesang aus dem Zauberbottich, Die Zeit der Stinte, Die Milchstraße, Onkel Jimmy, die Indianer und ich, Kino Muza und Der Lippenstift der Mutter.


    Meine Meinung:
    Ein herrlich überdrehter Roman. Mit großem Sprachwitz werden die Einwohner der kleinen masurschen Stadt Dolina Róz in den 80ziger Jahren gezeigt. Im Mittelpunkt steht der 15jährige Bartek, Schusterkind genannt und seine Familie. Da sind seine schöne Mutter, sein oft besoffener Vater, sein jüngerer Bruder Quecksilber, sein Opa Franzose, der nach langer Abwesenheit zurückkehrt, sein anderer Opa Monte Cassino, der im Krieg beide Beine verlor, seine Großmutter Hilde und die andere Großmutter Olcia. Die Familie wird überwiegend von den Frauen geführt, während die Männer immer wieder ihren Schwächen wie z.B. dem Alkohol oder dem Angeben unterliegen.
    Auch die Nachbarn und Freunde sind oft ziemliche Sonderlinge.


    Kritisch zu hinterfragen ist das eingeschränkte Frauenbild, das Artur Becker entwirft und wohl teilweise dem Stil des Schelmenromans geschuldet ist.


    Das besondere an dem Erzählstil ist die Freiheit, die durch Barteks subjektive Wahrnehmung entsteht.
    Teil von Barteks Welt ist auch seine geliebte Meryl Streep, in die er verliebt ist und immer wieder imaginiert und mit ihr spricht. Ansonsten liebt er es, sich mit dem Lippenstift seiner Mutter zu schminken und nackt durchs Zimmer zu tanzen.
    Mit den vielen Zwängen tut sich der intelligente Junge schwer.
    Ich sehe in dem Roman auch die Frage nach Perspektiven.


    Auffällig ist außerdem die gelungene Buchgestaltung des Verlags Weissbooks w. mit weißen Cover auf der eine Vielzahl der Charaktere gezeichnet sind, auf der Cover-Innenseite ist übrigens das Verlagsprogramm aufgeführt, dann gibt es noch ein doppelseitiges Autorenfoto sowie ein Glossar.

  • Danke Herr Palomar für diesen tollen Tipp. Schon wieder ein Buch, dass mich interessiert. Nachdem ich bei "Katzenberge" schon die Landschaftsbeschreibungen im Osten und die gut ausgearbeiteten Charaktere gemocht habe, war ich auf der Suche nach einem weiteren Buch in der Richtung und ich denke, das hier könnte passen.

  • Obwohl ich von „Katzenberge“ bisher erst 50 Seiten gelesen habe, erscheinen mit trotz thematischer Ähnlichkeiten, die beiden Romane durch den gewählten Stil gegensätzlich.


    Der Lippenstift meiner Mutter nutzt typische Motive des Schelmenromans, während das wesentlich ruhigere „Katzenberge“ offenbar die Atmosphäre Polens zwischen dem Heute und der Vergangenheit nachzeichnet.


    Ein Buch, dass dazwischen angesiedelt sein könnte, ist vielleicht Cafe Saratoga von Malin Schwerdtfeger, 2001 erschienen.