Alon Hilu: Das Haus der Rajanis

  • Autor: Alon Hilu
    Titel: Das Haus der Rajanis
    Verlag: C. H. Beck
    Originaltitel: House of Rajani (by Yedioth Sfarim, Israel (2008))
    Erschienen: Februar 2011
    Seiten: 355
    Ausstattung: Hardcover, Schutzumschlag, Lesebändchen
    ISBN 10: 3406612873



    Autor: Alon Hilu
    Titel: Das Haus der Rajanis
    Verlag: C. H. Beck
    Originaltitel: House of Rajani by Yedioth Sfarim, Israel, 2008
    Erschienen: Februar 2011
    Seiten: 355
    Ausstattung: Hardcover, Schutzumschlag, Lesebändchen
    ISBN 10: 3406612873



    Zum Autor:
    Alon Hilu wurde 1972 in Jaffa geboren. Zunächst verfasste er Hörspiele, in den 1990er Jahren veröffentlichte er Kurzgeschichten in diversen Literaturmagazinen. Neben Jura studierte Hilu an der Uni Tel Aviv Dramatic Writing. 2004 erschien in Israel sein Roman <<Death of a Monk>>, für den ihm der Presidential Prize verliehen wurde; 2008 <<House of Rajani>>. Beide Romane wurden in zahlreiche Sprachen übersetzt.


    Klappentext:
    In diesem Roman, der in Israel enormes Aufsehen erregte, erzählt der junge Autor Alon Hilu in einer äußerst kunstvollen Sprache eine jüdisch-arabische Dreiecksgeschichte, entwirft ein farbiges und genaues Bild Palästinas Ende des 19. Jahrhunderts und berichtet sinnlich, komisch und spannend in Form wechselnder Tagebucheinträge von einem dramatischen Konflikt, der bis heute anhält. So bekommt man auch einen ungeschminkten jüdischen wie palästinensischen Blick auf die historischen Ereignisse.


    Meine Meinung:


    Cover:
    Wenn die Reise nach Jaffa führt – welches Motiv konnte da passender sein denn Orangen? Absolut zielsicher kreiert, ein wenig verwelkt die Blätter, unverkennbar für zurückliegende Zeiten, und ein Schmetterling, mit dem auch heute noch Unsterblichkeit wie Wiederauferstehung, oder eben auch Neubeginn, assoziiert werden sowie natürlich auch romantische Stimmung schlechthin. Ein Motiv, das die Emotionen des Buches prägnant widerspiegelt.


    Inhalt:
    Wissenswert vorweg: Dieser Roman beruht auf Tagebucheinträge des Protagonisten Isaac Luminsky, welchem Loseblattwerke einer anderen Person beigefügt waren, die hier dann letztlich zu einer Geschichte zusammengefasst wurden. Im Mittelpunkt stehen zum einen Isaac, dann der Junge Salach, zu welchem Isaac eine besondere Beziehung trotz des großen Altersunterschiedes aufbauen, sowie dessen Mutter, zu welcher Isaac sich von Beginn an auf merkwürdige Weise hingezogen fühlt. Aber auch Laila, eine junge Frau, die gegen ihren Willen mit einem weit älteren Mann verheiratet werden soll, hat die Aufmerksamkeit Isaacs auf sich gezogen.
    Unabhängig voneinander beginnt Isaac mit dem Verfassen eines Tagesbuches, mehr aus einer Frustlaune heraus, weil sich seine Frau ihm stets verweigert und er auf diesem Weg eine Möglichkeit findet, seiner Begierde mehr oder minder Herr zu werden, er darüber hinaus das Kennenlernen des neuen Landes aus recht unterschiedlichen Blickwinkeln widergibt, während parallel dazu ein ihm noch unbekannter Junge sich ebenfalls daran macht, aus seinem Leben zu berichten, mal so kindlich anmutend und dann wieder voller Zorn eines erwachsenen Mannes, der gegen die Überfürsorge der Mutter wie auch Ungerechtigkeiten der Welt, die sich vornehmlich auf sein näheres Umfeld begrenzt, aufbegehrt und in welchem sich ein künstlerisches Genie zu verbergen scheint. Es mischen sich Kapitel Lailas hinzu, die von dem blonden Juden träumt, der sich in ihr Herz gebohrt hat.
    Wer immer an diesem Werk um Das Haus der Rajanis mitwirkt, erzählt seine Position, seine Rolle in Ich-Form, die es nicht immer sofort erlaubt zu erkennen, wer sich hinter dieser Person verbirgt und wohin sie gehört … und doch finden alle irgendwie im Laufe der Seiten zueinander an einem Ort.


    Leseempfinden:
    Verkennen darf man nicht, dass sich die Ereignisse um 1895 abspielen und der Roman seinen Grundstock aus hebräischen Übersetzungen erhält, die für unsere heutige Zeit sicherlich ein wenig stolziert und geschwollen klingen. Aber gerade in Anbetracht dessen bekommen die gewählten Worte mitunter eine amüsante Note und machen diesen Roman so besonders. Man muss diese besondere Ausdrucksform aber schon mögen, ansonsten wird man wahrscheinlich nach wenigen Seiten genervt das Buch zur Seite legen und zu Unrecht negativ bewerten.
    Die zufällige Begegnung der Protagonisten mit den daraus weiter resultierenden Geschehnissen wird sehr eindrucksvoll geschildert, wobei der Autor es auf seine ganz besondere Weise schafft, auch die politischen Umstände nahezu wie nebensächlich und gleichzeitig doch sehr vordergründig einzubinden, ohne dass sie dem Leser wie eine Last auf den Schultern liegen. Alon Hilu hat es von Beginn an geschafft, meine Neugierde zu wecken und diese aufrechtzuerhalten, wie denn „das neue Leben“ des Isaac mit seiner Gemahlin sich gestaltet, wo Wunschvorstellungen, Träume, Fantasien hart von der Realität abgespalten und gleichzeitig sanft in Worte verpackt dem Leser vorgeführt werden.



    Fazit:
    Ist schon eine Menge los im Hause Rajani, man muss das Buch sehr aufmerksam lesen, um dem Geschehen folgen zu können. Darüber hinaus muss man Alon Hilus Schreibstil in jedem Fall mögen, um dieses Buch zu lieben. Ich tue sowohl das eine wie auch das andere, denn sein Stil ist unverwechselbar schön, was auch diesen Roman auf seine Weise speziell macht und einen wirklich wie in andere Zeiten versetzt. Das hinzubekommen, gelingt nicht vielen Autoren – Hilu schafft es!
    Bei einer Skala von 0 - 5, gebe ich für diese literarische Herausforderung glatte 4.

  • Es ist was faul im Staate Israel...



    Schon in meinem ersten Leseeindruck hatte ich es geahnt, und nun, nach der Lektüre des Buches, kann ich dies nur bestätigen: "Das Haus der Rajanis" von Alon Hilu ist ein durch und durch ambitioniertes Projekt, ein mutiges und gelungenes Buch! Mir hat sehr gefallen, wie beherzt der Autor ein schwieriges Thema aufgegriffen hat, und mit wie vielen Stilmitteln und Kniffen er es angegangen ist. Fürchterlich schade ist bei der ganzen Sache nur, dass manche dieser Kniffe für den Durchschnittsleser nicht ersichtlich waren. So bestand die Gefahr, dass man rein an der Oberfläche der Sachinformation entlang liest, dass man nur die Story beurteilt - und infolgedessen musste eine solche Rezension natürlich am Sinn vorbeigehen, den der Autor - meiner Meinung nach - eigentlich verfolgt hat. Ich möchte das gerne genauer erläutern.


    Ich bin ja auch erst in der Mitte des Buches darauf gekommen. Da dämmerte mir so langsam, was der Autor eigentlich vorhatte. Da hatte ich seine Anspielungen entschlüsselt, und es wurde mir klar, worauf dieses Buch eigentlich aufbaut. Kurz und gut: er schildert eben "nicht nur" den Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern aus historischer Sicht, anhand einer Romanhandlung. Nein, er bezieht sich ausdrücklich auf ein großes Vorbild aus der klassischen Literatur, und zwar - auf Shakespeare! Ich habe nachgeschlagen, und bin mir nun absolut sicher. Nahezu das gesamte Handlungsgerüst geht auf den "Hamlet" zurück (Ermordung des Vaters durch einen Rivalen, Enthüllung der Schandtat durch Vorspielen, Geistererscheinung, Versuch der "Verschickung" des Sohnes, etc. pp.), und etliche zusätzliche Motive, wie Wahnsinn, Prophezeiungen, und der "laufende Wald", stammen aus "Macbeth". Das lässt natürlich das gesamte Buch in einem anderen Licht erscheinen, und eigentlich müsste man es sofort noch einmal von vorne lesen. Doch dazu fehlt mir im Moment leider die Zeit.


    Shakespeare steht für mich für eine ganz bestimmte Haltung, was Literatur kann und soll. Insofern kann ich nur vermuten, Alon Hilu hat sich gewünscht, auch im Lichte dieses Meisters beurteilt zu werden. Shakespeare hat ja immer klassische Leidenschaften und Laster der Menschheit gegeißelt; er hat seine Zeit schonungslos porträtiert, und wollte dadurch die Menschen wachrütteln. Ergo folgere ich, Alon Hilu hat durch die Wahl dieses Bezugsrahmens zeigen oder unterstreichen wollen, dass der Nahost-Konflikt eben ein klassisch "menschlicher" Konflikt ist. So etwas kam und kommt - leider - immer wieder vor. Und, auch das zeigt uns Shakespeare, ein Konflikt, auch ein schwerer mit politischen Folgen, geht meistens nur von einigen wenigen irregeleiteten Zeitgenossen aus. Die allgemeine "Schuldfrage" kann somit nur schwer oder gar nicht beantwortet werden, wenn nämlich die ursprünglichen "Anstifter" längst verstorben oder verschwunden sind. Und gerade deshalb bin ich so begeistert von diesem Buch! Es macht die moralische Beurteilung des Geschehens dem Leser wirklich nicht leicht - WENN er denn diesen Bezugsrahmen erkannt hat. Es stellt ganz bewusst krasse Klischees, sowohl gegenüber Arabern als auch gegenüber Juden, nebeneinander, es spitzt zu und regt auf. Das geschieht mit voller Absicht, eben um zu zeigen, he Leute, so ist die Welt, aber wir alle könnten unter den entsprechenden Umständen ebenso reagieren.


    Doch dies soll keine sozialwissenschaftliche Abhandlung werden. Noch einige Bemerkungen zum Buch an sich.


    Alon Hilu hat sich wirklich Mühe gegeben, seine Botschaft zu entschärfen und zu verschachteln. Erstens: er verlegt die Handlung um über hundert Jahre zurück, in das Jaffa des späten 19. Jahrhunderts. So konnte er nach Herzenslust in den Vorurteilen schwelgen, welche die damaligen Araber und Juden gegeneinander hegten.


    Zweitens: er wählt ganz bewusst eine altertümliche Sprache, die dem Hebräisch der Bibel nachempfunden ist. Darin ist er sehr konsequent, und größtenteils gelingt es ihm auch wunderbar. Gerade durch diese Sprache entsteht für mich oft eine sehr feine Ironie, die umso tiefer trifft. Ein wenig schade ist nur, und da muss ich manchen Rezensenten zustimmen, dass sich der Erzählton des Erwachsenen, Isaac, und des Jungen, Salach, nicht allzu sehr unterscheidet.


    Drittens: Er schaltet dem Buch eine - offenbar fiktive - Vorbemerkung eines "Herausgebers" vor, um das Geschehen realistischer wirken zu lassen. Ebenso gibt es ein Nachwort, in dem vom weiteren "Leben" der Hauptpersonen berichtet wird.


    Viertens: Er schreibt sein konfliktreiches Drama in Tagebuchform. Sowohl der israelische Agronom Isaac Luminsky, als auch der arabische Junge Salach Rajani, vertrauen ihren Tagebüchern ihre Erlebnisse mit dem jeweils anderen an. Das wirkt wiederum sehr unmittelbar, und bezieht den Leser mit ein.


    Fünftens: Er geht auch noch absichtlich so weit, die Tagebucheinträge der beiden Protagonisten sich ständig widersprechen zu lassen! Das beginnt erst ganz allmählich, doch spätestens ab der Mitte des Buches beginnt der Leser offen zu zweifeln. Schildert Isaac eine Episode eben noch aus seiner Sicht, sagt zwei Seiten später Salach etwas komplett anderes. Man kann einfach nicht entscheiden, wer "Recht hat". Man ist gezwungen, sich seine eigene Meinung als Leser zu bilden. Auch das finde ich, innerhalb der Gesamtaussage des Romans, genial gemacht! Ein wenig verwirrend wird diese Technik nur am Ende, weil nämlich für den Leser letztlich offen bleibt, ob der Kampf zwischen Isaac und Salach tatsächlich stattgefunden hat. Doch mir machte das nichts aus - ich finde Spielräume für die Imagination wunderbar.


    Wenn wir nun alle diese Kniffe, Verschachtelungen und "Rahmen" zusammen betrachten, dann liest sich der reine Plot doch schon ganz anders: Ein studierter junger Israeli, Isaac Luminsky, reist mit seiner frisch angetrauten Ehefrau Esther ins heutige Israel ein, um Land zu besiedeln. Offenbar sind die beiden von einer internationalen Organisation, den "Chowewei Zion", dafür geködert worden. Doch Isaacs Frust steigt schon bald an. Seine Ehefrau weist ihn sexuell ab, und das ist für einen Juden eine Katastrophe! Denn im Judentum ist Sex etwas Heiliges, sozusagen eine spirituelle Disziplin, ganz ähnlich dem tibetischen Tantra. Hinzu kommt, dass die Versprechungen der Chowewei offenbar falsch waren. Das einzige fruchtbare Land wird von Arabern bewohnt, und so ist Isaac letztlich nur glücklich, durch eine zufällige Begegnung auf der Straße Salach und seine Mutter Afifa kennen zu lernen. Denn diese besitzen ein wunderbar großes, wenngleich ein wenig verfallenes Landgut, samt herrlichsten Böden. Nicht nur dadurch wird Isaacs Begehrlichkeit geweckt. Afifa ist reizend, Strohwitwe, und auch der Junge ist durch sein Leben unter Frauen und die lange Abwesenheit des handelsreisenden Vaters ein wenig seltsam geworden. Beide, sowohl Afifa als auch Isaac, benutzen nun in Folge den Jungen als Vorwand und Schutzschild, um ihre jeweils eigenen Interessen verfolgen zu können. Es kommt, wie es kommen muss: die Situation spitzt sich immer mehr zu, bis Salach dahinter kommt, dass er nur benutzt wurde. Als dann auch noch der Vater zurückkehrt, ist die Katastrophe vorprogrammiert...


    Ja, im Rückblick merke ich erst, dass das Buch nicht nur politisch gewichtig, sondern auch spannend war. Sicher, man musste sehr aufmerksam lesen, um den Bezug zum "Rahmen" nicht zu verlieren. Doch hatte man sich erst einmal daran gewöhnt, konnte man mit der Lektüre kaum aufhören. Ich vergebe also völlig verdiente fünf Sterne für dieses anspruchsvolle und ansprechende Lese-Erlebnis!

  • Zitat

    Original von Lesemaeuschen
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    Verkennen darf man nicht, dass sich die Ereignisse um 1895 abspielen und der Roman seinen Grundstock aus hebräischen Übersetzungen erhält, die für unsere heutige Zeit sicherlich ein wenig stolziert und geschwollen klingen. Aber gerade in Anbetracht dessen bekommen die gewählten Worte mitunter eine amüsante Note und machen diesen Roman so besonders. Man muss diese besondere Ausdrucksform aber schon mögen, ansonsten wird man wahrscheinlich nach wenigen Seiten genervt das Buch zur Seite legen und zu Unrecht negativ bewerten.
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    Ich kämpfe mich gerade durch das Buch - und ich bin wirklich immer noch hin- und hergerissen, ob ich es nicht abbrechen soll.
    Die Sprache ist wirklich "grauenhaft" für heutige Verhältnisse, es ist einfach anstrengend, Sätze von Alon Hilu zu lesen.... aber irgendetwas hat das Buch, was mich bisher doch hat durchhalten lassen, aber ich habe erst knapp ein Viertel geschafft :lache


    Danke für die beiden Rezensionen hier, die mir doch noch Mut machen und mich auf das, was noch kommt, sogar ein bisschen freuen lassen :-)