Schreibwettbewerb September/Oktober 2011 - Thema: "Orient"

  • Thema September 2011:


    "Orient"


    Vom 01. bis 30. September 2011 könnt Ihr uns Eure Beiträge für den Schreibwettbewerb September 2011 zu o.g. Thema per Email an webmistress@buechereule.de zukommen lassen. Euer Beitrag wird von uns dann anonym am 1. Oktober eingestellt. Den Ablauf und die Regeln könnt Ihr hier noch einmal nachlesen.


    Bitte achtet darauf, nicht mehr als 500 Wörter zu verwenden. Jeder Beitrag mit mehr als 500 Wörtern wird nicht zum Wettbewerb zugelassen!

  • von Xania



    Lena kuschelte sich in ihr Kissen und schaute erwartungsvoll auf ihre Mutter, die das Märchenbuch schon aufgeschlagen hatte. Ihr Vater lehnte am Türrahmen.
    Die Mutter erzählte: "Es war einmal ein Sultan, der lebte mit seiner Frau und seinem Sohn in einem wunderschönen Palast. Der Sultan war ein mächtiger und beliebter Mann, der über ganz Persien herrschte."
    Leise meckerte der Vater: 'Ein mächtiger Tyrann, dessen Palast mit dem Blut seines Volkes erbaut wurde'
    Mutter: "Sein Sohn, ein schöner Prinz, war ein begeisterter Reiter, der sein Pferd jeden Tag selbst ausritt und sich liebevoll um sein Tier kümmerte."
    Vater: 'Er war ein brutaler Egoist, der noch nicht bemerkt hatte, dass ein Pferd fressen musste und der dessen Stall noch nie von innen gesehen hatte'.
    Mutter: "Eines Tages kam ein böser Mann aus einem fernen Land zum Sultan."
    Vater: 'Wahrscheinlich ein Menschenrechtler.'
    Mutter: "Er wollte dem Sultan Edelsteine verkaufen. Doch der Sultan merkte, dass die Edelsteine unecht waren und liess den Mann aus seinem Palast werfen."
    Vater: 'Der Mann wollte die Freiheit für die tausende politischen Gefangenen des Landes.'
    Mutter: "Der böse Mann wollte das Land des Sultans schon verlassen, als er hinter sich den Prinzen auf sich zureiten hörte. Schnell winkte er den Prinzen zu sich."
    Vater: 'Er hoffte, der Sohn wäre vielleicht weniger menschenverachtend als der Vater.'
    Mutter: "Der Prinz blieb stehen, stieg vom Pferd und ging auf den Mann zu. Doch der Mann griff ihn an und wollte ihn entführen."
    Vater: 'Er wollte ihm die Hand reichen.'
    Mutter: "Ein armes Mädchen, das vom Wasserholen kam, hatte alles beobachtet und um Hilfe gerufen."
    Vater: 'Eigentlich wollte es dem Menschenrechtler helfen, Pech für den Mann, dass die Leibgarde zu Hilfe eilte.'
    Mutter: "Ein treuer Mann seiner Leibgarde half dem Prinzen und liess den bösen Mann in den Kerker sperren."
    Vater: 'Ohne Prozess kam er zu den vielen anderen Gefangenen, auf einen mehr kam es nicht mehr an.'
    Mutter: "Der schöne Prinz liess das arme Mädchen zu sich rufen, um sich zu bedanken, dass es ihm das Leben gerettet hatte. Als er das Mädchen erblickte, verliebte er sich und bat es sofort, ihn zu heiraten."
    Vater: 'Natürlich fragte er nicht erst. Sie wurde seine dritte Frau.'
    Mutter: "Das ganze Land freute sich, sie feierten ein wunderschönes Fest und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute..."
    Vater: 'Und wenn sie gestorben sind, dann führen die Urenkel den Betrieb in alter Familientradition fort.'
    Mutter und Vater: "Schlaf gut, meine Kleine, und träume schön!"

  • von harimau



    Seit zwölf Jahren trafen wir uns jeden Dienstagabend in Willis Eckkneipe, um Bier zu trinken und Karten zu spielen – die letzten Freuden alter Männer, wie Udo zu sagen pflegte. Er stammte als Einziger der Skatbrüder nicht aus unserer Kleinstadt, war erst nach der Pensionierung aus Hamburg hergezogen. Als junger Mann war er zur See gefahren und hatte die ganze Welt gesehen, von Tokio über Kapstadt bis Rio de Janeiro, aber am schönsten wäre es im Morgenland gewesen, versicherte er uns. Mit der Verlässlichkeit eines Uhrwerks verklärte sich Woche für Woche beim vierten Bier sein Blick, und er begann aus seinem abenteuerlichen Leben zu erzählen. Wir unbedarften Landratten hingen gebannt an seinen Lippen, wenn er die Schatztruhe seiner Erinnerungen öffnete und mit gedämpfter Stimme die Düfte und Farben damaszenischer Basare beschwor, von den eleganten Teehäusern Beiruts, marokkanischen Rosengärten und waghalsigen Kamelrennen in Arabien berichtete. Udo war ein wunderbarer Erzähler. Er entführte uns zum Sonnenuntergang nach Kairo, wo zehntausend Muezzins von den Minaretten herab zum Abendgebet in die Moscheen riefen, ließ uns dabei sein, wenn die Beduinen in der nächtlichen Wüste ihre Lagerfeuer entzündeten, und schilderte anschaulich, wie sich von Bord eines Schiffs aus betrachtet die ehrfurchtgebietende Silhouette Istanbuls aus dem Morgennebel schälte. Wir staunten und schwiegen.
    Mit Erhalt seines siebten Bieres begann Udo unweigerlich von Fatima zu schwärmen. Rose unter den Frauen, hellster Stern am Firmament, tragische Liebe seines Lebens nannte er sie und fand immer neue Worte, um ihre geradezu überirdische Schönheit und Anmut zu preisen. Einer Prinzessin aus Tausendundeiner Nacht gleich war ihm die einzige Tochter eines reichen Teppichhändlers auf dem Basar von Isfahan buchstäblich in die Arme gelaufen, und wie im Märchen verliebten sich die beiden auf den ersten Blick. Unsterblich, versteht sich. Leider meinte das Schicksal es nicht gut mit ihnen – bevor sie heiraten konnten, übernahmen die Ayatollahs die Macht in Persien. Udo musste das Land fluchtartig verlassen und sah Fatima nie wieder.
    Normalerweise verabschiedete sich Udo nach dem Ende dieser Geschichte, doch am letzten Dienstag bestellte er überraschend noch ein achtes Bier. Es sollte ihm schlecht bekommen. Nach dem zweiten Schluck schlug er mit dem Kopf auf den Tisch und war tot. Manche gaben Udos gebrochenem Herzen die Schuld, die meisten tippten auf Leberversagen.
    Nur wenige Trauernde erschienen zu seiner Beerdigung: Der Pastor, die Skatbrüder, Kneipen-Willi und eine unbekannte Frau. Die frappierenden Ähnlichkeit – bis hin zum Schnurrbart – ließ vermuten, dass es sich um Udos Schwester handelte.
    „Zu schade, dass er Fatima nicht wiedergesehen hat“, murmelte ich betrübt, während der Sarg in die Grube gesenkt wurde.
    „Wen?“ Die mutmaßliche Schwester sah mich verständnislos an.
    „Seine Verlobte“, erklärte ich.
    „Karin hieß die“, belehrte sie mich. „Und ich glaube kaum, dass er sie wiedersehen wollte, nachdem sie damals mit dem Seemann durchgebrannt ist.“
    „Ausgerechnet mit einem Arbeitskollegen“, stöhnte ich, leicht irritiert von dieser neuen Version der Ereignisse.
    „Wieso Kollege? Udo war Buchhalter. Der wurde doch schon im Ruderboot auf der Alster seekrank.“
    Und wenn schon, dachte ich. Die Wahrheit hat eben viele Gesichter.

  • von rienchen



    Mein Name ist Khalid, aber alle nennen mich Ali. Ich bin Hammam- Ali aus dem El Andaluz, dem angesagtesten Saunaclub der Stadt, um genau zu sein. Ich bin das, was sich die mitteleuropäische Durchschnittsfrau unter einem Adonis aus der Region des fruchtbaren Halbmondes vorstellt. Groß, muskulös, dunkle Haut, geheimnisvoll. Mit meinen schwarzen Glutaugen taxiere ich sie, bis das Blut in ihre Gesichter schießt und selbst das permanenteste Permanent Make Up versagt. Mit meinen starken Händen walke ich sie direkt hinein in Scheherazades Traum aus Tausend und einer Nacht, lasse sie über Bitterorangenhaine schweben und ihrem Alltag entgleiten. Sie stehen Schlange, die nicht mehr ganz so jungen Petras, Maggys und Connys, um sich in meine wissenden Hände begeben zu dürfen. Meine Künste sprechen sich herum.


    Heute ist wieder "Arabische Nacht", das Event des Halbjahres schlechthin. Seit mittags um Zwei bearbeite ich sie schon. Streichele, knete, liebkose sonnenbankgebräunte, faltige Haut, Speckrollen an den Hüften, Cellulite an den Oberschenkeln. Fühle die getarnten Lügen ihrer Körper, die nachlassende Elastizität der kollagenen Fasern, die unter meinen Händen nachgeben, als wäre Widerstand ohnehin zwecklos. Ich schenke ihnen das Gefühl von Schönheit und Begehrlichkeit, wenn sie mir wie zufällig in der Umkleide ihre hängenden Titten zum Betrachten geben und meine Augen eine Tausendstelsekunde zu lange hängen bleiben. Eine Lüge, die Ihnen manch einsame Stunde versüßt, wenn Heinz, Manfred und Günther grade mal nicht können. Es hält sie aufrecht bis zum nächsten Besuch chez Ali. Einige von ihnen stecken mir große Scheine zu, verstohlen, aber fordernd. Ich nicke nur kurz und weiß, dass die Spezialbehandlung fällig ist, die Oberschenkel weiter hinauf , immer weiter, bis ein Stöhnen die Qual beendet und ich mir im Waschraum unter Brechreiz die Hände reinigen darf. Schmutziges Geld. Erlogenens Geld. Gutes Geld.


    Das Mädchen legt sich sofort auf den Bauch, mein letzer Termin für Heute. Das Handtuch unbeholfen Scham und die flache Brust 70 a? bedeckend. Scheu. Das Ritual zelebriere ich ausgiebig, mische das goldene Öl aus Argan, Sandelholz, Orange und Damaszenerrose zurecht, das zusammen mit dem Duft ihrer alabasterfarbenen Haut unter der Wärme meiner Hände eine balsamische Harmonie erzeugt. Betörend und schwer katalpultiert es mich hinein in die Gärten aus Dattelfeigen und Rosen, die Luft noch kühl und frisch von nahen Gebirge mit den Schneedächern. Trägheit besiegt meinen müden Geist. Die Augen geschlossen sehe ich Safiya vor mir, an diesem magischen Morgen, an dem sie mir ihre Unschuld schenkte. Metallischer Geruch und ihre Lippen, deren Farbe sich wie Blut vom Schwarz ihrer Haare abhebt.


    "Denk nicht mal dran, Alter", funkelt das Mädchen, die Brustwarzen spitz wie eine Waffe auf mich gerichtet. Sie blickt auf die Errektion, die sich sichtbar heftig gegen den Bund meines Hammamtuches drückt.


    Ihr Bild prägt meine Gedanken, als ich mir später in der mosaikgefliesten Nasszelle einen runterhole. Orientalisches Flair versprühend. Wie passend. Grinsend sinke ich gegen die Wand. Arrogante Schlampe.

  • von churchill



    „Schatz? Was hast du am Wochenende vor?“


    Ich liebe sie, die Schöpferin dieses Satzes. Den Satz liebe ich deutlich weniger. Schon die Anrede „Schatz“ verheißt zumindest Unbequemes.


    Jetzt kommt es auf die richtige Antwort an. „Eigentlich …“. Mist. Das ist das falscheste aller möglichen Worte. Zielsicher stößt sie in die geöffnete Flanke. „In Trughausen gibt es nämlich einen entzückenden Basar. Da könnten wir doch hingehen!“


    Könnten wir. Will ich aber nicht. Spielt natürlich keine Rolle. Resignierend erkundige ich mich nach Sinn und Zweck dieses Basars. Kinderkleidung, Erwachsenen-Second-Hand-Umverteilung, Spielzeug oder Schlimmeres?


    Schlimmeres. „Nein, Schatz, so ein richtiger Basar wie in Istanbul, Tunis oder Kairo!“ Tunis und Kairo verleiten mich zu der Bemerkung, dass es also um einen Basar ginge, bei dem diktatorische gegen demokratisierte Korruption getauscht werden könne. Der Versuch, die Situation mit Humor zu retten, verpufft. Selbstverständlich gehe ich mit ihr zu dem absolut echten Basar. Was ich am Wochenende eigentlich eventuell unter Umständen ein bisschen vorgehabt hätte, bleibt im Dunkeln.


    Wir fahren zum Parkplatz am Ortseingang von Trughausen. Ab dort ist die Durchgangsstraße wegen Belagerung gesperrt. Menschenmassen schieben sich zwischen Tischen hindurch, flankiert von furchtbaren Düften und schrecklichen Tönen. Sie schiebt sich und mich mit, bevor sie unvermittelt Halt macht. Der nächste Akt des Dramas beginnt. „Schau mal, diese Vase, wie schön!“ Ich weiß nicht, wann ich ihr in den letzten Jahren Blumen mitgebracht hätte. Wozu zum Teufel brauchen wir noch eine Vase? Wie brauchen sie nicht. Sie will sie. Ich zücke den Geldbeutel und frage nach dem Preis. Ziemlich teuer, aber meine Ruhe ist auch ziemlich viel wert. Ich nehme die Scheine aus dem Geldbeutel. Passend.


    In diesem Moment wechselt meine Rolle vom unbedeutenden Nebendarsteller zum tragischen Helden. Verkäufer und Schatz starren mich fassungslos an. Blitzartig schalte ich um:


    „Sie glauben doch nicht im Ernst, dass ich so viel für diese mickrige Vase zahle???“
    Doch. Glauben sie. Alle beide. Und sind zutiefst beleidigt.


    Unter Schüchternheit leide ich nicht. Reden höre ich mich durchaus gern. Kontaktfähigkeit sagen mir meine Chefs nach. In dieser Sekunde kann ich mir dafür nichts kaufen. Nur eines kann mich jetzt retten. Und ich will es ja auch. Im Gegensatz zu Brian in ähnlich bedrohlicher Situation.


    „Die Vase ist höchstens die Hälfte wert!“ Wachsende Verzweiflung bestimmt meinen Ton. Die Fassungslosigkeit in ihren Gesichtern und denen der inzwischen zahlreichen Zuschauer weicht mitleidigem Ekel. „Sie sind ein Halsabschneider, jeder Nachttopf ist schöner als diese Vase …“ Das müsste doch jetzt der richtige Weg sein! „Ich kann feilschen! Ich bin ein genialer Feilscher! Der feilscheste Feilscher überhaupt …!“


    Sie fasst meinen Arm und führt mich unter den Blicken der Gaffer vorsichtig davon. Die Vase, das Geschenk des Verkäufers, hält sie in der anderen Hand. Als wir im Auto sitzen, strahlt sie mich an. Ich wage zu flüstern: „Das war es aber für dieses Jahr, oder?“ Sechs Basare, sechs Vasen. Sie ist stolz auf mich, verspricht aber nichts …

  • von BunteWelt



    Indien. Wie wunderschön schon allein dieses Wort klingt. Sie sprach es leise und laut aus, behutsam und sanft, hauchte es wehmütig und spürte, wie der Wind es forttrug und es jeden, der in der Nähe war, leicht streifte. Indien. Wie ein bunter Vogel, der tausende schillernde Farben auf seinem Gefieder trägt und der nach Kardamon, Ingwer, Kreuzkümmel, Fenchel, Koriander und vielen anderen Gewürzen duftet. Indien. Sie stellte sich vor, wie sie mitten in der Nacht eine Jutetasche mit Kleidung, Essen und allerlei notwendigen Dingen füllen und dann in ein Billigflugzeug steigen und anschließend in dem schönsten Land der Welt ankommen würde.


    Ihr fehlt das haselnussbraune Haar, das nach Jasmin duftete. Die Augen, die sie immer glücklich machten, egal wie traurig sie war. Die von der Sonne gegerbten und trockenen Hände, die sie immer hielten, wenn der Boden unter ihr zerbrach. Doch die Cholera hatte in ihrem Dorf soviel Leben ausgelöscht und auch ihre beste Freundin verlor ihr Leben so jung an diese schreckliche Krankheit. Hier, wo sie jetzt wohnt, in Deutschland, kann sich niemand vorstellen, dass soviele Menschen nur von verschmutztem Wasser sterben. Auf jedes 'Woher kommst du ursprünglich?' flüstert sie die Antwort 'Aus dem Orient, Indien...'. Dann folgt fast immer ein 'Wie wundervoll! Erzähl doch etwas von dort!'. Und jedes Mal enttäusche ich sie, die Menschen, die alles wissen und doch nichts begreifen. Dann sage ihnen, dass dort alles anders ist, als sie denken. Orient. Indien. Das klingt traumhaft für euch, sage ich dann. Doch wenn man dort gelebt hat und weiß, wie es sich anfühlt, dass einmal in der Woche ein Lastwagen kommt und die Toten von der Straße aufsammelt, denkt man anders über die Worte Orient und Indien.

  • von Dori



    „Aber Vater, er lässt sich jede Nacht eine neue Jungfrau bringen, die er am nächsten Tag umbringen lässt!“ Einzelne Strähnen Scheherazades langen schwarzen Haares wurden vom warmen Wind unter dem Tuch hervorgeweht, mit dem sie ihren Kopf bedeckte. Sie spürte, wie ihr das Blut in die Wangen schoss. „Das muss ein Ende haben!“
    „Habe ich dir erlaubt, darüber zu urteilen, Tochter? Hast du deine Arbeit schon erledigt?“
    Wütend machte die Tochter des Wesirs kehrt und verließ das Haus.


    Sultan Schariyâr schob sich gedankenversunken eine Dattel in den Mund, während sein Blick über den Balkon des Palastes und hinaus über die vom Abendrot beschienenen Dächer von Bagdad schwebte.
    Häufig wanderten seine Gedanken in letzter Zeit zurück zu seiner Frau. Er sah sie noch vor sich, ihre nackte Haut alabasterfarben im Mondlicht. Und dann die männliche Silhouette im Schatten hinter ihr, deren Arme sie umfingen.
    Er hatte sie nicht hinrichten lassen wollen, doch seine Ehre als Sultan gebot es.
    Seither war er nicht wieder glücklich geworden, keine Konkubine konnte diesen Verlust vollständig ersetzen. Anfangs hatte er sie in seiner rasenden Wut alle umbringen lassen. Jede Nacht eine neue Frau, jeden Morgen eine weitere Hinrichtung. Sollte der Rest des Reiches seine Wut zu spüren bekommen. Keine Frau setzte Sultan Schariyâr ungestraft Hörner auf!
    Doch als die Tage vergingen und die Mädchen nur noch zögerlich sein Gemach betraten, ihn nur mit angstvoll umherhuschenden Blicken und zitternden Händen liebkosten, beschlich ihn jede Nacht mehr, wie grausam er war. Aufhören konnte er nicht – was für ein jämmerlicher Sultan würde er sein! Das Volk würde ihn verspotten, ihm keinen Respekt mehr zollen. Nun musste er fortsetzen, was er gedankenlos begonnen hatte.
    In diesem Moment wurde die Tür seines Gemaches geöffnet und eine weibliche Gestalt mit verschleiertem Gesicht betrat den Raum. Die Augen, die unter dem Schleier hervorfunkelten, kamen ihm vage bekannt vor, obwohl er sie in diesem Moment nicht einordnen konnte. Die Frau trug ein Gewand, das ihren Körper zwar verhüllte, doch dessen weißer Stoff so durchscheinend war, dass er kaum Platz für Phantasien ließ.


    Scheherazade musste sich erst an die anzüglichen Blicke des Sultans gewöhnen, die ihren Körper abzutasten schienen. Heimlich hatte sie sich aus dem Haus ihres Vaters geschlichen. Dieser ging im Palast des Sultans ein und aus, sodass sie sich einfach als die Jungfrau hatte ausgeben können, die dem Sultan anscheinend für diesen Abend geschickt worden war.
    Sie neigte zur Begrüßung ehrerbietig den Kopf, begann aber sogleich zu sprechen, ohne auf seine Erlaubnis zu warten.
    „Es ist mir nicht verborgen geblieben, was Ihr tut, Sultan. Und warum.“
    Seine Augen weiteten sich kurz vor Überraschung über ihr ungebührliches Verhalten, doch danach ließ er sich seine Verwunderung nicht weiter anmerken. „Sprecht weiter.“
    „Ich bin nicht hier, um euch nur diese eine Art Freude zu spenden, wie die bedauernswerten Mädchen der vorigen Nächte.“
    „Wie meint ihr das?“
    „Nun, lasst mich Euch eine Geschichte erzählen…“

  • von Sinela



    Gleißend reflektierte der helle Sand die Sonnenstrahlen. Mit müden Schritten schlurften die Kamele durch die Wüste. Bei jedem aufsetzen ihrer Hufe wirbelten sie kleine Staubwolken empor. In der Ferne war eine Fata Morgana in der vor Hitze flirrenden Luft zu sehen, doch die Männer auf dem Rücken der Kamele hatten dafür keinen Blick mehr. Zu lange schon waren sie in dieser Einöde unterwegs, sie waren langsam aber sicher am Ende ihrer Kräfte angelangt. Einzig dem sie führenden Araber waren die Strapazen nicht anzumerken. Aufrecht und mit wachem Blick die Umgebung musternd ritt er einige Schritte vor ihnen.

    „Bist du sicher, dass uns dieser Mann nicht in die Irre führt?“
    Steve wandte sein sonnenverbranntes Gesicht seinem neben ihm reitenden Freund zu.
    „ Ja, das bin ich. Jamil hat in Dschidda einen ausgezeichneten Ruf als Führer. Außerdem hat er schon oft Landsleute von uns nach Riad gebracht.“
    „Das ist ja wohl was anderes oder meinst du nicht auch? Hier geht es nicht darum, ein paar Ausländer von einem Ort zum anderen zu bringen, sondern es geht um Gold und Juwelen. In diesem armen Land hat Reichtum noch eine ganz andere Bedeutung als bei uns. Jamil könnte sich Dutzende von Kamelen leisten, mehrere Frauen heiraten, einen Palast bauen und und und. Das ist doch eine große Versuchung, findest du nicht auch?“
    Steve blickte nachdenklich auf den Rücken des Arabers. Hatte Joe Recht? Hätte er Jamil die Karte, auf welcher der Fundstelle des Schatzes eingezeichnet war, doch nicht zeigen sollen? War er zu leichtgläubig gewesen? Nein, er wollte und konnte nicht glauben, dass Jamil so hinterhältig und berechnend war. Er hatte ihn in den zwei Wochen, in denen sie jetzt schon unterwegs waren, als zwar schweigsamen und harten, aber absolut ehrlichen und fairen Mann kennen gelernt. Nein, er würde sie nicht hintergehen! Auf keinen Fall! Seine Menschenkenntnis hatte ihn noch nie im Stich gelassen und …...
    „Wir sind da! Da vorne ist der Ort, den ihr sucht!“
    Mit lauten Rufen trieben die drei Engländer ihre Kamele, die wie von selbst in einen schaukelnden Galopp fielen, an Jamil vorbei. Endlich! Der Schatz war ihrer!

    Verblüfft standen die Männer neben ihren Kamelen, die ausgiebig tranken.
    „Auf der Karte ist das 'x', das die Stelle markiert, an welcher der Schatz ist, identisch mit dieser Oase. Das kann doch bloß ein Irrtum sein, oder?“
    „Nein, das ist kein Irrtum“, antwortete Jamil ruhig.
    „Aber wo sind die Juwelen? Und das Gold?“
    „Die gibt es hier nicht.“
    „Du meinst ich bin durch den halben Orient gereist für … das da?“
    Mit einem lauten und an Hysterie grenzenden Lachen ließ sich Steve zu Boden fallen. Seine beiden Freunde standen fassungslos neben ihm. Vorbei war ihr Traum von Reichtum und Glück. Jamil schüttelte den Kopf während er die drei Männer beobachtete. Diese Ungläubigen! Sie erkannten nicht, dass Wasser in der Wüste der Größte aller Schätze war!