Alberto Manguel, "Die Bibliothek bei Nacht"

  • Alberto Manguel ist für mich der Prototyp dessen, was man einen "gelehrten Plauderer" nennen könnte. Er steckt so voller Leidenschaft, was sämtliche Themen rund um Bücher, das Lesen und die Schriftkultur angeht, dass er aus fast jedem Anlass die Motivation ziehen kann, uns Leser mit einem weiteren Druckerzeugnis zu beglücken. Und dabei schafft er es auch noch "ganz nebenbei", seine Plaudereien sowohl zur Informationsveranstaltung, als auch zur Unterhaltung geraten zu lassen.


    In diesem Falle stammt die Motivation für das Buch aus seiner eigenen Bibliothek, die (zum Zeitpunkt der Niederschrift) in einem kleinen, restaurierten Landsitz mitten in Frankreich liegt. Manguel nimmt nun seine Erlebnisse mit dem Aufbau der eigenen Bibliothek als Leitfaden, und spinnt von dort aus jeweils seine Kapitel. Beim Auspacken von Kartons denkt er z.B. über die Ordnung einer Bibliothek nach. Beim abendlichen Sitzen im Lesesessel über die Erinnerungen, die in einer Bibliothek versammelt sein können. Beim Einräumen in die Regale sinniert er über politische, literarische oder sonstige Gründe, eine Bibliothek zu errichten oder zu stiften. Und so weiter, und so fort.


    Man fühlt sich als Leser von ihm an die Hand genommen, und mit sicherer Hand durch einen Kosmos des Wissens geleitet. Die ersten Seiten der Kapitel spielen jeweils noch in der Manguel'schen Bibliothek, doch unmerklich gleitet der Autor auf den weiteren Seiten in Historie und Histörchen, in Informationen und Anekdoten aus berühmten Bibliotheken aus aller Welt. Verblüfft hat mich dabei vor allem, wie oft doch eine Bibliothek ein Politikum sein kann. Der Zugang kann mit simplen Machtstrukturen zu tun haben. Die Stiftung einer Bibliothek kann dem Wunsch entspringen, sich selbst in der Geschichte zu verewigen. Die Zerstörung einer Bibliothek entspringt oft dem Wunsch, den Gegner zu unterwerfen. Es gab Bibliotheken in Konzentrationslagern, mitten im Bürgerkrieg im Libanon, auf Eselsrücken im südamerikanischen Urwald, und in der Wüste. Meine Schlussfolgerung ist, dass Bibliotheken dem gespeicherten Gedächtnis der Menschheit entsprechen.


    Doch genauso oft gibt es einfach nur komisch-informative Kapitel. Da geht es z.B. um die Dauerhaftigkeit verschiedener Speichermedien, wobei das Buch nicht einmal schlecht abschneidet. Es geht um kuriose Ordnungsprinzipien, und um den meist vergeblichen Wahn, einen repräsentativen Querschnitt in den Regalen zu versammeln. Da fragt man sich teilweise doch, ob die Menschheit vor der Erfindung der Schrift wirklich schlechter dran war...!


    Mein einziger Kritikpunkt an diesem Buch ist der, dass in späteren Kapiteln doch der Zusammenhang zwischen Titel und Inhalt eher lose ist. Gerade in den allerletzten Kapiteln besteht der Inhalt oft nur aus einer einzigen weiteren politischen Anekdote. Das hätte man meiner Meinung nach alles ein wenig raffen können. Dann lieber nur 8 Kapitel, und dafür ein etwas ausführlicheres über "Bücher und Politik". Das wäre für mich besser gewesen als 12 Kapitel, bei denen die Titel wenig mehr als ätherische Spielereien sind. Doch das nur am Rande. Insgesamt ist das Buch immer noch hervorragend. Es unterhält, und es regt zum Nachdenken an. Und vor allem - es zeigt dem Bücherwurm, dass er mit seiner Manie in der Geschichte der Menschheit nicht allein ist!

  • Danke für deine Rezension. :wave Bei mir steht das Buch schon länger auf der Wunschliste, aber irgendwie hat es bisher nicht geschafft auf dem Bücherstapel zu landen. Nun wandert es mal wieder ein paar Plätze nach oben...

    "Es gibt einen Fluch, der lautet: Mögest du in interessanten Zeiten leben!" [Echt zauberhaft - Terry Pratchett]